Urteil des HessVGH vom 21.07.1999
VGH Kassel: fürsorgepflicht, aktiven, hessen, unterbringung, heilbehandlung, krankenversicherung, versorgung, krankenkasse, belastung, krankheitsfall
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 UE 4028/96
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 15 Abs 4 S 3 BhV HE
(Ausschluß der Erhöhung des Bemessungssatzes für
Versorgungsempfänger, die Anspruch auf beitragsfreie
Krankenfürsorge haben)
Tatbestand
Der verheiratete Kläger ist als eremitierter Professor beihilfeberechtigt; er gehört
zugleich zu dem Personenkreis, dem Leistungen nach dem
Bundesversorgungsgesetz -- BVG -- zustehen.
Durch Bewilligungsbescheide vom 25. Juni 1992 und 14. Mai 1993 gewährte das
Regierungspräsidium Kassel -- Beihilfestelle -- dem Kläger für verschiedene
Aufwendungen Beihilfen mit der Maßgabe, dass es für stationäre Behandlungen
einen Bemessungssatz von 65 % und für ambulante Behandlungen einen Satz von
50 % zugrunde legte.
Mit Schreiben vom 10. Juni 1993 erhob der Kläger Widerspruch gegen "alle
Beihilfebescheide" mit dem Begehren, einen um 10 % erhöhten Bemessungssatz
anzuwenden. Das Regierungspräsidium Kassel wies den Widerspruch des Klägers
durch Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 1993 mit der Begründung zurück, der
Widerspruch sei zulässig, soweit er sich gegen die noch nicht unanfechtbaren
Bewilligungsbescheide vom 25. Juni 1992 und 14. Mai 1993 richte, aber
unbegründet, weil der um 10 % erhöhte Bemessungssatz für
Versorgungsempfänger gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO auf den Kläger
deshalb nicht anwendbar sei, weil ihm nach § 10 BVG beitragsfreie
Krankenfürsorge zustehe.
Am 22. Juli 1993 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Gießen Klage erhoben
und zur Begründung vorgetragen, § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO verstoße sowohl
gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn als auch gegen den Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 GG. Während der aktiven Dienstzeit werde beihilferechtlich kein
Unterschied gemacht zwischen Beamten, denen Ansprüche nach dem
Bundesversorgungsgesetz zustünden, und solchen, denen solche Ansprüche nicht
zustünden. Erst mit dem Eintritt in den Ruhestand erhalte er weniger Beihilfe als
nicht schwerkriegsbeschädigte Kollegen. Die ihm nach dem
Bundesversorgungsgesetz gewährte kostenfreie Heilbehandlung nehme er
weitgehend in Anspruch. Da er aber wegen seiner schweren Verwundungen
bestmögliche Behandlungen, wie z. B. bei stationärer Behandlung die
Unterbringung in einem Einzel- oder Doppelzimmer benötige, für die er keinen
Bundesbehandlungsschein erhalte, müsse er solche Behandlungen selbst zahlen.
Aufgrund seiner schweren Kriegsverletzungen sei es ihm nicht möglich gewesen,
eine Krankenversicherung abzuschließen. Allein im Jahr 1993 habe er bis zur
Einreichung seiner Klage 20.000,-- DM krankheitsbedingter Aufwendungen selbst
tragen müssen. Schließlich sei der zugrunde gelegte Bemessungssatz auch
deshalb fehlerhaft, weil ihm als verheiratetem Ruhestandsbeamten in jedem Fall
ein um 5 % erhöhter Bemessungssatz zustehe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 26. August
1996 abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des
Gerichtsbescheides Bezug genommen.
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Gegen den ihm am 4. September 1996 zugestellten Gerichtsbescheid hat der
Kläger am 1. Oktober 1996 Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht er sich
auf sein erstinstanzliches Vorbringen; ergänzend trägt er vor: Er sei infolge der im
Krieg erlittenen Verletzungen schwerstbeschädigt. Das sei mit 100 % attestiert
worden; außerdem erhalte er eine Pflege- und eine Schwerstbeschädigtenzulage,
weil die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung anerkannt worden sei. Wegen
der Verletzungen sei es ihm nicht möglich gewesen, eine Krankenversicherung
abzuschließen. Deshalb stehe ihm ein Anspruch darauf zu, dass der Staat alle
Kosten einer notwendigen Heilbehandlung übernehme. Dem werde § 10 BVG nicht
gerecht, weil er nur einen Teil der Krankheitskosten abdecke. Soweit er ärztliche
Wahlleistungen in Anspruch nehme, folge er den Empfehlungen der Ärzte, die sich
auch durch eigene Erfahrungen bestätigt hätten. § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO
behandele nicht alle Versicherungsempfänger gleich, sondern schließe ohne
sachliche Rechtfertigung nur für einen Teil der Versorgungsempfänger die
Erhöhung des Bemessungssatzes um 10 % aus. Im Gegensatz zu den
Versorgungsempfängern stehe allen aktiven Beamten ein der Höhe nach
feststehender Beihilfeanspruch unabhängig davon zu, ob und wie sie versichert
seien.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Gerichtsbescheids die Bescheide des
Regierungspräsidiums Kassel vom 25. Juni 1992 und 14. Mai 1993 aufzuheben und
den Beklagten zu verpflichten, seine Beihilfeanträge unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf
deren Schriftsätze sowie auf den Behördenvorgang des Beklagten Bezug
genommen, der Gegenstand der Urteilsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die im Einvernehmen der Beteiligten der Berichterstatter ohne
mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 87 a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO), ist
nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Regierungspräsidium Kassel hat bei der Bescheidung der streitigen
Beihilfeanträge des Klägers zutreffend einen Bemessungssatz von 65 % bei
stationärer und 50 % bei ambulanter Behandlung des Klägers zugrunde gelegt.
Die von dem Kläger begehrte Erhöhung dieses Bemessungssatzes um 10 %, die §
15 Abs. 4 Satz 1 HBeihVO den Empfängern von Versorgungsbezügen gewährt, ist
durch § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO für Aufwendungen von Personen
ausgeschlossen, die Anspruch auf beitragsfreie Krankenfürsorge haben. Dieser
Ausnahmetatbestand ist entgegen der Auffassung des Klägers mit höherrangigem
Recht vereinbar und auch zutreffend auf die von ihm geltend gemachten
Aufwendungen angewendet worden.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend -- unter Hinweis auf die höchstrichterliche
Rechtsprechung -- dargelegt, dass die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 92 Abs. 2
HBG) nicht gebietet, im Krankheitsfall des Beamten oder Ruhestandsbeamten
eine volle Deckung der tatsächlich entstandenen Aufwendungen zu gewährleisten.
Wegen des lediglich ergänzenden Charakters der Beihilfe müssen
Beihilfeberechtigte Nachteile in Kauf nehmen, die sich aus der pauschalierenden
und typisierenden Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch das jeweilige
Beihilferecht ergeben. Bis zur Grenze einer unerträglichen Belastung der
amtsangemessenen Lebensführung steht dem Verordnungsgeber bei der
Ausgestaltung des Beihilferechts ein weiter Ermessensspielraum zu. Diese
Schwelle wird durch den Ausschlusstatbestand des § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO
nicht überschritten. In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung,
dass der Verordnungsgeber bei der Gewährung von Beihilfen auch berücksichtigen
darf, dass der Beihilfeberechtigte Leistungen eines anderen Kostenträgers -- etwa
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darf, dass der Beihilfeberechtigte Leistungen eines anderen Kostenträgers -- etwa
bei freiwilligen Mitgliedern einer gesetzlichen Krankenkasse (vgl. Senatsbeschluss
vom 27. April 1998 -- 2 N 193/95 --) -- erhält.
Unter diesem Aspekt verstößt § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO nicht gegen die
Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Als Ausgangsregelung in § 15 Abs. 4 Satz 1
HBeihVO hat der Verordnungsgeber seine Fürsorgepflicht gegenüber den
Empfängern von Versorgungsbezügen dahingehend konkretisiert, dass sich mit
Eintritt des Versorgungsfalles der sonst geltende Bemessungssatz um 10 %
erhöht. Damit berücksichtigt der Dienstherr, dass die Bezüge des Beamten mit
dem Eintritt in den Ruhestand sinken, so dass die Aufwendungen für Vorsorge für
den Krankheitsfall einen Versorgungsempfänger stärker belasten als einen aktiven
Beamten. Dieser Gesichtspunkt trifft aber nicht auf Versorgungsempfänger zu, die
-- wie der Kläger -- Anspruch auf beitragsfreie Krankenfürsorge haben (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1984, DÖD 85, 88).
Demgegenüber kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, die ihm (und seiner
Ehefrau) durch § 10 Abs. 2 und 4 BVG gewährte beitragsfreie Krankenfürsorge
erfasse nur einen geringen Teil der aus seiner Sicht notwendigen
krankheitsbedingten Aufwendungen. Wie die von dem Verwaltungsgericht
eingeholte Auskunft des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Gießen
vom 13. Mai 1996 bestätigt, wurden dem Kläger und seiner Ehefrau im Rahmen
der beitragsfreien Krankenfürsorge über die AOK Hessen grundsätzlich die
Leistungen erbracht, zu denen die Krankenkasse gegenüber ihren Mitgliedern
verpflichtet ist. Die Verweisung auf solche Leistungen stellt keine unerträgliche
Belastung der amtsangemessenen Lebensführung dar. Die von dem Kläger
beklagte Deckungslücke entsteht dadurch, dass er als Privatpatient wahlärztliche
Leistungen und besondere Unterbringung in Anspruch genommen hat, die im
Rahmen der beitragsfreien Krankenfürsorge nur bis zur Höhe des allgemeinen
Pflegesatzes erstattet werden. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet es
aber nicht, Beihilfeberechtigte von gerade diesen Kosten ganz oder teilweise
freizustellen. Die durch § 10 BVG gewährte Krankenfürsorge entspricht dem
Standard der ärztlichen Versorgung im Krankenversicherungsrecht; sie ist daher
entgegen der Auffassung des Klägers als angemessen und ausreichend
anzusehen. Eine über diesen Standard hinausgehende Regelung kommt dem
Kläger dadurch zugute, dass die durch die beitragsfreie Krankenfürsorge nicht
gedeckten Mehrkosten -- allerdings nach Maßgabe der allgemeinen
Bemessungssätze -- beihilfefähig sind. Eine darüber hinausgehende
Beihilfeberechtigung ist nicht aus Gründen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn
geboten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1984, a. a. O.).
Aus den vorstehenden Darlegungen folgt zwangsläufig, dass § 15 Abs. 4 Satz 3
HBeihVO auch mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist. Da diejenigen
Ruhestandsbeamten, die Anspruch auf freie Krankenfürsorge haben und deshalb
keiner entsprechenden Beitragspflicht unterliegen, durch die Kürzung der Bezüge
im Versorgungsfall weniger stark belastet werden als sonstige Empfänger von
Versorgungsbezügen, besteht ein sachlicher Grund dafür, sie nicht an der
Erhöhung der Bemessungssätze teilhaben zu lassen.
Schließlich kommt es für die Anwendung des § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO allein
darauf an, ob ein grundsätzlicher Anspruch auf beitragsfreie Krankenfürsorge
besteht und nicht darauf, ob Aufwendungen im Einzelfall erstattet werden. Denn §
15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO knüpft schon nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht im
Sinne einer "Soweit-Regelung" an die Erstattungsfähigkeit einzelner
Aufwendungen, sondern daran an, ob ein Anspruch auf freie Krankenfürsorge dem
Grunde nach besteht. Das ergibt sich auch -- und vor allem -- aus der oben
dargelegten Zielsetzung, die der Verordnungsgeber mit dem
Ausschlusstatbestand des § 15 Abs. 4 Satz 3 HBeihVO verfolgt (vgl. auch hierzu
BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1984, a. a. O.).
Nach allem ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO
zurückzuweisen.
Die Vollstreckbarkeitserklärung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und
711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §§ 132 Abs. 2 VwGO und 127 Nr. 1
BRRG liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.