Urteil des HessVGH vom 31.01.1986

VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, aufschiebende wirkung, aufenthalt, niedersachsen, hessen, asylbewerber, behörde, unverzüglich, vollzug, anschrift

1
2
3
4
5
6
7
8
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
10. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 TH 2645/85
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 8 AsylVfG, § 22 Abs 3
AsylVfG, § 37 Abs 1 VwVfG
HE, § 52 Nr 2 S 2 VwGO, §
22 Abs 5 AsylVfG
(Örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts in
Asylstreitverfahren; Unbestimmtheit einer
Zuweisungsentscheidung)
Gründe
I.
Der 1965 geborene Antragsteller ist indischer
Staatsangehöriger. Er meldete sich nach seiner Einreise in die Bundesrepublik am
20. Oktober 1984 als Asylbewerber in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft für
ausländische Flüchtlinge in Schwalbach am Taunus, wo er nach einer Anhörung am
24. November 1984 eine Zuweisungsentscheidung ausgehändigt erhielt,
derzufolge er sich bei der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Braunschweig
einfinden sollte. Nachdem er hiergegen unter dem 30. November 1984
Widerspruch eingelegt hatte, erging unter dem 28. Mai 1985 eine erneute
Zuweisungsentscheidung, mit der dem Antragsteller die Verteilung nach
Niedersachsen mitgeteilt und er aufgefordert wurde, sich unverzüglich bei der
Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Braunschweig einzufinden. In dieser
Zuweisungsentscheidung ist keine Anschrift des Antragstellers angegeben; sie
enthält den Zusatz: "Die Rechte auf Aufenthalt an Ihrem derzeitigen Wohnort
werden von ihrer Zuweisung nicht berührt."
Gegen diese seinem Bevollmächtigten zugestellte
Zuweisungsentscheidung legte der Antragsteller am 19. Juni 1985 Widerspruch ein
und beantragte gleichzeitig beim Verwaltungsgericht Wiesbaden die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung und trug unter dem 1. Juli 1985 vor, er habe der
Zuweisungsentscheidung keine Folge geleistet, da deren Vollzug durch die
erlassende Behörde für die Dauer des Verwaltungsstreitverfahrens ausgesetzt
worden sei.
Er beantragte,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die
Zuweisungsentscheidung des Notaufnahmelagers Gießen vom 28. Mai 1985
anzuordnen.
Der Antragsgegner trug vor, der Antragsteller halte sich nicht mehr in der
Hessischen Gemeinschaftsunterkunft in Schwalbach am Taunus auf, und
beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluß vom 23. September 1985
ab und führte dazu aus, das angerufene Verwaltungsgericht sei örtlich zuständig
und die Zuweisungsentscheidung werde sich im Rechtsmittelverfahren aller
Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen.
Der Antragsteller hat gegen diesen ihm am 30. September 1985 zugestellten
Beschluß am 4. Oktober 1985 Beschwerde eingelegt und macht geltend die in der
9
10
11
12
13
Beschluß am 4. Oktober 1985 Beschwerde eingelegt und macht geltend die in der
Zuweisungsentscheidung getroffene Regelung sei wegen des Zusatzes über die
Aufrechterhaltung anderer Aufenthaltsrechte mißverständlich und unklar.
Der Antragsgegner wendet hiergegen ein, mit dem Zusatz habe verhindert werden
sollen, daß der Antragsteller sich von seinem rechtmäßigen Aufenthaltsort in
Niedersachsen wieder nach Braunschweig begebe, um von dort erneut an den
seitherigen Aufenthaltsort verteilt zu werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der Behördenakten des Regierungspräsidenten in Gießen -
Az. ... - Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das Verwaltungsgericht hat allerdings zu Recht seine örtliche Zuständigkeit zur
Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs bejaht. Gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, gegen dessen Vereinbarkeit
mit Art. 101 Abs. 2 GG durchgreifende Bedenken nicht bestehen (BVerwG, EZAR
611 Nr. 1 = DVBl. 1981, 189; BVerwG, EZAR 611 Nr. 2 = DÖV 1981, 841), ist in
Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz und wegen Verwaltungsakten der
Ausländerbehörde gegen Asylbewerber das Verwaltungsgericht örtlich zuständig,
indessen Bezirk der Asylantragsteller mit Zustimmung der zuständigen
Ausländerbehörde entweder seinen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen
Aufenthalt oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte. Danach war im
Zeitpunkt des Eingangs des Antrags des Antragstellers das Verwaltungsgericht
Wiesbaden örtlich zuständig, weil der Antragsteller zunächst in Schwalbach am
Taunus mit Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde seinen Wohnsitz oder
zumindest seinen, Aufenthalt hatte und für diesen Ort das Verwaltungsgericht
Wiesbaden örtlich zuständig war (§5a HessAGVwGO). Nach der Meldung als
Asylbewerber am 20. Oktober 1984 bei der in Hessen für die Antragstellung nach
§ 8 AsylVfG zentral - zuständigen Ausländerbehörde des Main-Taunus-Kreises
Verordnung zur Bestimmung einer gemeinsamen Ausländerbehörde für die
Antragstellung nach § 8 AsylVfG vom 11. August 1982, GVBl. S. 191) hielt sich der
Antragsteller mit Zustimmung dieser Behörde in Schwalbach am Taunus auf, und
zwar auch über den Zeitpunkt der Aushändigung der ersten
Zuweisungsentscheidung am 24. November 1984 hinaus. Wie sein
Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 1. Juli 1985 vorgetragen hat, hatte der
Antragsteller zumindest bis dahin der Zuweisungsentscheidung keine Folge
geleistet und damit mangels einer Aufenthaltsbestimmung durch irgendeine
andere zuständige Ausländerbehörde (vgl. dazu BVerwG, EZAR 222 Nr. 2 =
BVerwGE 69, 295 ) weiterhin seinen Aufenthalt mit Zustimmung der zuständigen
Ausländerbehörde in Schwalbach am Taunus. Die Zuweisungsentscheidung führte
zu keiner Veränderung dieser örtlichen Zuordnung, weil es sich insoweit nicht um
die Aufenthaltsbestimmung durch eine Ausländerbehörde handelte (BVerwG,
EZAR 611 Nr. 7 = InfAuslR -1985, 149) und weil der Antragsteller im übrigen dieser
Zuweisungsentscheidung zumindest damals noch nicht gefolgt war (vgl. dazu OVG
Hamburg, EZAR 611 Nr. 5). Dem entspricht auch die unwidersprochen gebliebene
Behauptung des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 1. Juli 1985, der Vollzug der
Zuweisungsentscheidung sei durch die erlassende Behörde für die Dauer des
Verwaltungsstreitverfahrens ausgesetzt worden. An dieser Sachlage hätte sich
nichts geändert, auch wenn der Antragsteller in dem maßgeblichen Zeitpunkt der
Antragstellung an einem anderen Ort in der Bundesrepublik gelebt hätte; denn es
ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß hierfür die Zustimmung einer
Ausländerbehörde vorgelegen hat. Es kann nach alledem offen bleiben, ob der
Antragsteller sich später nicht mehr in der Gemeinschaftsunterkunft in Schwalbach
am Taunus aufgehalten hat, wie der Antragsgegner unter Bezugnahme auf eine
telefonisch eingeholte Auskunft des Notaufnahmelagers Gießen mit Schriftsatz
vom 17. Juli 1985 mitgeteilt hat; denn eine nachträgliche Veränderung des
Wohnsitzes oder des Aufenthalts wäre für den einmal begründeten Gerichtsstand
beim Verwaltungsgericht Wiesbaden unerheblich (§ 90 Abs. 1 und 3 VwGO; vgl.
BVerwG, EZAR 611 Nr. 7 = - InfAuslR 1985, 149) .
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers zu Unrecht abgelehnt; denn die mit
dem Widerspruch angegriffene Zuweisungsentscheidung erweist sich bei
summarischer Überprüfung als offenbar rechtswidrig mit der Folge, daß im
14
15
16
summarischer Überprüfung als offenbar rechtswidrig mit der Folge, daß im
vorliegenden Fall das private Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen
weiteren Verbleib in Hessen das öffentliche Interesse an seinem Umzug nach
Niedersachsen überwiegt.
Gegen die Ausgestaltung des in § 22 Abs. 2 bis 8 und Abs. 10 AsylVfG geregelten
länderübergreifenden Verteilungsverfahrens bestehen keine durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Zusammenwirken von Bundes- und
Länderbehörden bei der Verteilung und Zuweisung von Asylbewerbern verstößt
nicht gegen die bundesstaatliche Regelung der Verwaltungskompetenzen und
gegen das Verbot unzulässiger Mischverwaltung (vgl. im einzelnen OVG Hamburg,
EZAR 228 Nr. 1). Darüber hinaus läuft es nicht den grundgesetzlichen Garantien
des Asylrechts, des rechtlichen Gehörs und eines effektiven Rechtsschutzes nach
Art. 16 Abs 2 Satz 2, 19 Abs. 4. 103 Abs. 3 GG zuwider, daß der Ausländer vor der
Zuweisungsentscheidung nicht angehört zu werden braucht die Entscheidung
selbst keiner Begründung bedarf und der Suspensiveffekt der Rechtsbehelfe
ausgeschlossen ist (Hess.VGH, EZAR 228 Nr. 3 = InfAuslR 1985, 282; Hess. VGH,
EZAR 228 Nr. 5 ). Die Zuweisungsentscheidung vom 28. Mai 1985 ist jedoch nicht
hinreichend bestimmt (§§ 35 Satz 1, 37 Abs. 1 HVwVfG ). In ihr ist zwar die
Verteilung des Antragstellers von Hessen nach Niedersachsen eindeutig mitgeteilt
und der Antragsteller aufgefordert, sich unverzüglich bei der Zentralen Anlaufstelle
für Asylbewerberin Braunschweig einzufinden (§ 22 Abs. 2, 3, 5, 8 und g AsylVfG;
vgl. dazu Hess.VGH, InfAuslR 19135, 289 = NVwZ 1986, 69; jew. Ls. ). Die
Zuweisungsentscheidung läßt aber nicht klar und unzweideutig erkennen, ob der
Antragsteller tatsächlich verpflichtet werden soll, sich unverzüglich bei der
Anlaufstelle in Braunschweig, Alte Wiekring 20, einzufinden. Denn diese
formularmäßig bestimmte Aufforderung - wird dadurch mißverständlich und für
den durchschnittlich gebildeten Empfänger unklar, daß nach dem
maschinenschriftlichen Zusatz hierdurch die "Rechte auf Aufenthalt an ... dem
derzeitigen Wohnort ... nicht berührt" werden sollen. Da die
Zuweisungsentscheidung keine Anschrift des Antragsteller enthält und dessen
Aufenthalt nach den schriftsätzlichen Mitteilungen der Beteiligten damals offenbar
nicht sicher bekannt war, läßt sich der Zuweisungsentscheidung nicht eindeutig
entnehmen, ob der Antragsteller sich nach dem Willen der Zuweisungsbehörde
nun nach Braunschweig begeben oder wo er sich aufhalten sollte. Insbesondere
wäre, wenn er sich noch in Hessen aufgehalten haben sollte, die indem Bescheid
enthaltene Bestimmung des Aufenthaltslandes - Niedersachsen - selbst in Frage
gestellt (vgl. dazu schon Beschl. d. Senats vom 10. Dezember 1985 - 10 TH
2036/85 -).
Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert folgen aus § 154 Abs. 1
VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.