Urteil des HessVGH vom 02.05.1990
VGH Kassel: politische verfolgung, ausreise, beschneidung, religionsunterricht, gemeinde, gefahr, persönliche freiheit, genfer flüchtlingskonvention, amnesty international, körperliche unversehrtheit
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 UE 2784/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 1
Abs 1 AsylVfG
(Asylrecht Türkei - Armenier; Wehrdienst)
Tatbestand
Der 1965 in Diyarbakir geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger
armenischer Volkszugehörigkeit und christlichen Glaubens. Er verließ am 7. April
1980 zusammen mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester die Türkei und
reiste am 10. April 1980 mit einem bis 20. Februar 1981 gültigen Familienpaß per
Bus in das Bundesgebiet ein, wo sich bereits die älteren Brüder O und Y seit Juli
bzw. November 1979 als Asylbewerber aufhielten (Kläger in den Verfahren bzw.).
Unter dem 17. April 1980 beantragte die Familie die Gewährung von Asyl mit der
Begründung, sie sei vor ihrer Ausreise ständig von Muslimen wegen ihres
christlichen Glaubens bedroht und mit Geldforderungen überzogen worden; für den
Fall einer Weigerung habe man sie mit dem Tode bedroht. Die Regierung schütze
christliche Minderheiten nicht ausreichend; ebenso hätten sie bei Behörden wegen
ihres Glaubens Schwierigkeiten gehabt. Selbst die Armee gewähre Christen --
wenn überhaupt -- nur zurückhaltend Rechte. Das Schneidergeschäft sei Opfer
eines Bombenanschlags geworden. Ein Verbleiben in der Türkei sei nicht mehr
zumutbar.
Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung am 29. April 1981 führten die Eltern
des Klägers weiter aus, daß sie zu Hause wegen des Tragens des Kreuzes
beschimpft und verspottet worden seien. Sie seien von den Muslimen als
Menschen zweiter Klasse behandelt worden. Außerdem seien sie wegen des
politischen Terrors ausgereist; die Kinder seien von Rechten und Linken ständig
bedroht und aufgefordert worden, Mitglied einer Partei zu werden. Auf Christen sei
ein besonders starker Druck ausgeübt worden. Jetzt lebe fast die ganze Familie in
Deutschland. Die MHP-Leute hätten immer wieder Geld von ihnen verlangt und
anderenfalls mit dem Tod gedroht. Sie hätten aus Furcht gezahlt. Die Polizei habe
nicht helfen können. Da die Lebenssituation schließlich unerträglich geworden sei,
seien sie ausgereist. Sie seien politisch neutral und hätten sich auch nie für Politik
interessiert. Den Paß habe ihnen ein Bekannter beschafft.
Mit Bescheid vom 18. November 1982 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Antrag mit der Begründung ab, daß bei Würdigung
aller zur Verfügung stehenden Informationen über die Lage der Christen in der
Türkei nicht ersichtlich sei, daß Christen dort allgemein in asylerheblicher Weise
verfolgt wären und daß darüber hinaus im Falle der Familie des Klägers Verfolgung
im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG für die Ausreise ursächlich gewesen wäre
oder daß diese bei der Rückkehr mit asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen
rechnen müßte. Von einer generellen Duldung, Untätigkeit oder gar Unterstützung
des türkischen Staates bei Übergriffen Dritter auf die christlichen Minderheiten, die
als asylbegründend angesehen werden müßten, könne nicht gesprochen werden;
die Sicherheitslage habe sich auch für die Christen nach der Machtübernahme
durch die Militärs am 12. September 1980 erheblich verbessert. Die gesamte
innenpolitische Lage habe sich stabilisiert. Bloße Diskriminierungen durch Dritte
stellten grundsätzlich keinen schwerwiegenden Eingriff in ein durch die Genfer
Flüchtlingskonvention geschütztes Rechtsgut dar und könnten somit keinen
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Flüchtlingskonvention geschütztes Rechtsgut dar und könnten somit keinen
Asylanspruch auslösen. Gerade die Gemeinden der nach dem Lausanner Vertrag
anerkannten Minderheiten verfügten zudem über funktionierende eigene
Institutionen und ein reges Gemeindeleben auf guter finanzieller Basis; deren
Mitglieder gehörten in der Regel der Mittel- und Oberschicht an, so daß nicht
angenommen werden könne, daß ihnen gezielt staatlicher Schutz verwehrt werde.
Ebensowenig könnten die behaupteten Bedrohungen durch radikale Anhänger
politischer Gruppierungen einen Asylanspruch begründen, da eine Duldung durch
den Staat nicht nachgewiesen sei. Teilweise hätten sich die Betroffenen gar nicht
um staatlichen Schutz bemüht. Auch für die Kinder seien besondere Asylgründe
nicht geltend gemacht worden.
Dieser Bescheid wurde dem Kläger persönlich am 14. Februar 1983 ausgehändigt
zusammen mit einer auf § 28 AsylVfG gestützten, auf den 4. Februar 1983
datierten Verfügung der Ausländerbehörde der Stadt K, wonach der Kläger zur
Ausreise binnen eines Monats nach Unanfechtbarkeit der Bescheide aufgefordert
und ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung angedroht wurde.
Zusätzlich wurden die Bescheide den früheren Bevollmächtigten des Klägers am 7.
März 1983 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.
Zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Kassel erhoben die
Eltern des Klägers für diesen am 25. Februar 1983 Klage gegen beide Bescheide,
zu deren Begründung sie sich zunächst auf ihr früheres Vorbringen bezogen.
Weiter machte der Kläger geltend, daß sich die Situation der christlichen
Minderheiten in der Türkei eher verschlechtert habe. Sein Vater sei vor der
Ausreise Erpressungen ausgesetzt und für den Fall der Nichtzahlung von
Schutzgeldern mit dem Tod bedroht worden. Von der Polizei sei ebensowenig
Schutz vu erwarten gewesen wie von anderen Behörden.
Nachdem die Stadt K ihre Verfügung vom 4. Februar 1983 aufgehoben und das
Verwaltungsgericht daraufhin das Verfahren insoweit mit Beschluß vom 19. Januar
1984 abgetrennt hatte (I/1 E 8029/84), beantragte der Kläger,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18. November 1982 zu verpflichten,
ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte unter Bezugnahme auf die Begründung des ablehnenden
Bescheids,
die Klage abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten beteiligte sich nicht am
Verfahren.
Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 1984, in der der Kläger
informatorisch gehört wurde, wies das Verwaltungsgericht Kassel die Klage mit
Urteil vom gleichen Tage ab. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt, daß
die Kammer anhand der vorliegenden Materialien nicht festzustellen vermöge, daß
alle armenisch-apostolischen Christen in Istanbul in der Zeit vor der Ausreise des
Klägers einer Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen seien. Sie seien weder
unmittelbar durch den Staat in einer die Menschenwürde verletzenden Weise bei
der Religionsausübung beschränkt worden, noch habe der Staat Übergriffe gegen
sie mit Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit generell gebilligt, geduldet oder
tatenlos hingenommen. Zwar möge es in Einzelfällen zu asylerheblichen
Verfolgungsmaßnahmen gegen armenisch-apostolische Christen gekommen sein,
jedoch habe der Kläger ein derartiges Einzelschicksal nicht glaubhaft gemacht.
Was die angeblichen Belästigungen des damals 15jährigen Klägers in Istanbul auf
dem Weg zur Arbeit angehe, dürfte die Schwelle der Asylerheblichkeit noch nicht
überschritten sein. Außerdem sei ein staatliches Einverständnis mit einem
derartigen Verhalten nicht nachgewiesen, zumal der Kläger nicht einmal behauptet
habe, um Schutz nachgesucht zu haben. Die allgemeinen Bekundungen der Eltern
reichten zum Nachweis eines eigenen Asylanspruchs des Klägers nicht aus. Auch
die Pflicht zu einer eventuellen Wehrdienstleistung im Falle der Rückkehr könne
gegenwärtig einen Asylanspruch nicht begründen; eine Heranziehung zum
Wehrdienst selbst komme nicht vor September 1985 in Betracht. Auch sei
ungewiß, ob der Kläger dann tatsächlich Wehrdienst leisten müsse, und nicht
auszuschließen, daß sich bis dahin die Verhältnisse in der türkischen Armee
geändert hätten. Auch der Umstand der Asylantragstellung selbst werde im Falle
der Rückkehr des Klägers aller Voraussicht nach nicht zu einer individuellen
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der Rückkehr des Klägers aller Voraussicht nach nicht zu einer individuellen
politischen Verfolgung führen, ebensowenig seine armenische Volkszugehörigkeit.
Auf die am 9. April 1984 erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen
das am 9. März 1984 den früheren Bevollmächtigten zugestellte Urteil hat der
Senat mit Beschluß vom 6. Oktober 1987 die Berufung wegen grundsätzlicher
Bedeutung zugelassen.
Zur Begründung der Berufung bezieht sich der Kläger zunächst auf sein bisheriges
Vorbringen sowie auf das seiner Brüder Y und O in deren Verfahren (und) und
macht weiter geltend, daß die Armenier in der Türkei einer politischen
Gruppenverfolgung ausgesetzt seien, weil die Existenz ethnischer Minderheiten
geleugnet werde und beispielsweise der Gebrauch anderer Sprachen als der
türkischen auch politischen Gruppierungen verboten sei. Armenier, die sich zur
ihrer Volkszugehörigkeit bekennen würden, würden als Separatisten eingestuft;
Art. 14 und 87 der Türkischen Verfassung i.V.m. Art. 125 TStGB stellten
separatistische Bestrebungen auch ohne Gewaltanwendung unter Strafe. Als
solche werde schon jede Manifestation des Bestehens einer ethnischen Minderheit
angesehen.
Der allgemeine Verdacht gegen die Armenier werden im Falle spektakulärer
Äußerungen oder Aktionen im Ausland -- zum Beispiel bei Anschlägen gegen
türkische Diplomaten -- immer wieder virulent; ebenso sei die türkische Regierung
wegen der derzeitigen Autonomiekämpfe in der Sowjetunion gegenüber den
Armeniern besonders wachsam. Zugleich litten die Armenier unter dem stetig
wachsendem Druck der Wiedereinführung des Islam als Staatsreligion. Eine
nennenswerte armenische Gemeinde gebe es nur noch in Istanbul, auch diese
werde aber langsam ausgetrocknet, wie dies mit allen christlichen
Religionsgemeinschaften geschehe. Die Türkei sei keineswegs mehr der unter der
Politik Atatürks konzipierte laizistische Staat. Politische Verfolgung einer Gruppe
könne auch in einer Strategie des langfristigen Sterbenlassens liegen; die
Auslöschung der christlichen Minderheiten sei ein erklärtes Ziel der türkischen
Bevölkerung, die hierbei den Schutz der türkischen Regierung genieße. Der
Bestand einer Gemeinde und ein dazugehöriger besonders geschützter Ort seien
für die christliche Gemeinschaft konstitutiv; man könne einen Christen nicht auf die
Möglichkeit privater Frömmigkeit verweisen, wenn gleichzeitig ein geschützter
Versammlungsort für die Gemeinde nicht mehr existiere. Gestatte der türkische
Staat die Erhaltung der Bausubstanz nicht mehr, greife er ein Kernstück
christlicher Gemeinschaft an. Er habe das Gruppenschicksal bereits vor seiner
Ausreise erlitten; nach seiner Rückkehr in die Türkei werde er ihm erst recht
ausgesetzt sein. Auch Istanbul biete keinen ausreichenden Schutz mehr.
Außerdem werde er wegen seiner Pflicht zur Wehrdienstleistung auch einem
persönlichen Verfolgungsschicksal ausgesetzt sein. Als Christ sehe er sich bei der
Armee -- wie vielfach belegt sei -- einer die Menschenwürde angreifenden
Erniedrigung und einer die religiöse Identität verletzenden und die eigene Identität
schwer beeinträchtigenden Behandlung ausgesetzt. Derartigen Maßnahmen werde
seitens der Vorgesetzten nicht Einhalt geboten, weder Täter noch Vorgesetzte
würden von der Regierung zur Rechenschaft gezogen. Derartige Behandlungen
gingen weit über das "gruppenspezifische Risiko" des normalen Alltags eines
Wehrpflichtigen hinaus.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 8. Februar 1984 und den
Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 18.
November 1982, soweit dieser seine Person betrifft, aufzuheben und die Beklagte
zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat im Berufungsverfahren keinen
Antrag gestellt.
Der Senat hat aufgrund des Beschlusses vom 12. Januar 1989 durch die
Berichterstatterin als beauftragte Richterin Beweis erhoben über die Asylgründe
des Klägers durch dessen Vernehmung als Beteiligter. Wegen des Ergebnisses der
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des Klägers durch dessen Vernehmung als Beteiligter. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über den Termin am 9. Februar 1989
(Bl. 147 ff. d.A.) verwiesen. Ferner ist der Sachverständige Taylan zur Erläuterung
seiner zur Lage armenischer und anderer Christen in der Türkei erstatteten
Gutachten, unter anderem die vom 15. Mai 1988 an das Verwaltungsgericht
Karlsruhe und vom 4. September 1989 an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-
Pfalz, gehört worden; insoweit wird auf die Niederschrift über den Termin am 22.
Januar 1990 Bezug genommen (Bl. 186 ff. d.A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der den Kläger betreffenden
Behördenakten der Beklagten und der Ausländerbehörde der Stadt K (Az. --)
Bezug genommen, ferner auf die beigezogenen Verfahrensakten und nebst den
dazu gehörigen Behördenakten, die die Asylklagen der Brüder O und Y des Klägers
betreffen. Sämtliche Akten sind ebenso zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden wie die im folgenden aufgeführten Dokumente:
1. Dez. 1978 Yonan: "Assyrer heute"
2. 11.04.1979 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
3. Mai/Juni 1979pogrom Nr. 64 (Yonan: "Die Lage der christlichen
Minderheiten in der Türkei" u.a.)
4. 07.08.1979 Dr. Harb-Anschütz an Bay. VGH
5. 12.11.1979 epd Dokumentation Nr. 49/79: "Christliche
Minderheiten aus der Türkei"
6. Nov. 1979 Ev. Akademie Bad Boll, Materialdienst 2/80:
"Christen aus der Türkei suchen Asyl"
7. Mai 1980 pogrom Nr. 72/73 (Yonan: "Der unbekannte
Völkermord an den Assyrern 1915 -- 1918" u.a.)
8. 20.05.1980 Patriarch Yakup III und Bischof Cicek vor dem VG
Gelsenkirchen
9. 15.10.1980 Carragher an Bay. VGH
10. 09.04.1981 Msgr. Wilschowitz: "Die Situation der
christlichen Minderheiten in der Türkei"
11. 29.04.1981 Reisebericht einer schwedisch-norwegischen
Reisegruppe
12. 02.05.1981 Dr. Hofmann: "Zur Lage der Armenier in
Istanbul/Konstantinopel"
13. 12.06.1981 Prof. Dr. Kappert vor VG Hamburg
14. 06.07.1981 Staatssekretär von Staden (BT-Drs. 9/650)
15. 20.07.1981 IGFM an VG Wiesbaden
16. 22.07.1981 Vocke an VG Karlsruhe
17. 04.08.1981 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden
18. 24.11.1981 RA Wiskandt an Bundesamt: "Situation der
Christen in der Türkei"
19. 21.01.1982 Schweiz. Ev. Pressedienst Nr. 3
20. 03.02.1982 Auswärtiges Amt an VG Minden
21. 26.03.1982 Auswärtiges Amt an VG Trier
22. 07.04.1982 Pfarrer Diestelmann: "Die Situation der
syrisch-orthodoxen Christen ...."
23. 19.04.1982 Carragher zum Gutachten Wiskandt
24. 28.04.1982 Dr. Hofmann zum Gutachten Wiskandt
25. 06.05.1982 Diakonisches Werk EKD zum Gutachten Wiskandt
26. 18.05.1982 Ev. Gemeinde dt. Sprache in der Türkei an EKD
27. 26.07.1982 Sürjanni Kadim an VG Minden
28. 17.08.1982 Dr. Harb-Anschütz an VG Minden
29. 1983 Kraft, in "Christ in der Gegenwart": "Fremde und
Außenseiter"
30. Mai 1983 Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 27/83:
"Studienfahrt in die Türkei"
31. 25.05.1984 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
32. 12.06.1984 epd Dokumentation Nr. 26/84: "Die Lage der
christlichen Minderheiten in der Türkei ...."
33. 26.06.1984 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
34. 11.09.1984 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
35. 14.09.1984 Dr. Oehring an VG Minden
36. 09.11.1984 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
37. 03.12.1984 RA Müller, RA Wiskandt, Dr. Oehring und
Erzbischof Cicek als sachverständige Zeugen vor
dem Bay. VGH
38. 1985 Anschütz: "Die syrischen Christen vom
Tur'Abdin"
39. 04.02.1985 Dr. Hofmann an VG Stuttgart
40. 17.03.1985 Prof. Dr. Wießner an VG Stuttgart
41. 07.05.1985 Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg
42. 30.05.1985 Dr. Oehring an VG Gelsenkirchen
43. 22.06.1985 RA Müller: "Reisebericht zur Lage der Christen
in der Türkei"
44. 07.10.1985 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
45. 01.07.1986 EKD an VG Hamburg
46. 14.10.1986 Prof. Dr. Wießner an VG Hamburg
47. 06.01.1987 Dr. Tasci vor VG Gelsenkirchen
48. 07.04.1987 Yonan: Gutachten
49. 23.04.1987 Yonan an Bundesamt; Stellungnahme
50. 01.06.1987 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
51. 30.06.1987 Ev. Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei an
VGH Baden-Württemberg
52. 06.07.1987 Auswärtiges Amt an VGH Baden-Württemberg
53. 18.12.1987 Auswärtiges Amt an OVG Bremen
54. 15.01.1988 Dr. Oehring an VGH Baden-Württemberg
55. April 1988 Regine Erichsen: "Die Religionspolitik im
türkischen Erziehungswesen von der Atatürk-Ära
bis heute" in: Zeitschrift für Kulturaustausch
1988, S. 234 ff.
56. 15.05.1988 Taylan an VG Karlsruhe
57. 25.05.1988 Dr. Oehring an VG Düsseldorf
58. Juli 1988 Auswärtiges Amt -- Bericht zur "Lage der
Christen in der Türkei"
59. 11.07.1988 Dr. Oehring an VG Kassel
60. 02.09.1988 Dr. Binswanger an VGH Baden-Württemberg
61. 24.09.1988 Dr. Binswanger an VG Karlsruhe
62. 02.11.1988 Taylan an Hess. VGH
63. Dez. 1988 Gesellschaft für bedrohte Völker -- Gutachten
--
64. 09.12.1988 Pfarrer Klautke vor VG Köln
65. 08.01.1989 Wochenzeitschrift "Ikibine Dogru": "Die geheimen
Beschlüsse des islamischen internationalen Rates
sind enthüllt."
66. 12.01.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
67. 17.01.1989 Auswärtiges Amt an Hess. VGH
68. 27.01.1989 Dr. Binswanger an Hess. VGH
69. März 1989 Gesellschaft für bedrohte Völker: "Wie einst die
Hugenotten -- Glaubensflüchtlinge heute" in:
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Vierte Welt Aktuell Nr. 79
70. 20.03.1989 Dr. Oehring an VG Ansbach
71. 02.04.1989 Dr. Oehring an Hess. VGH
72. 09.06.1989 Auswärtiges Amt an VG Ansbach
73. 01.07.1989 Sternberg-Spohr u.a. in terre des hommes
"Religionsverfolgte aus der Türkei -- politische
Verfolgte oder Scheinasylanten"
74. 04.09.1989 Taylan an OVG Koblenz
75. 18.10.1989 Auswärtiges Amt an OVG Münster
76. Nov. 1989 Weber/Günter/Reuter: "Zur Lage der Christen in
der Türkei", Bericht einer ökumenischen
Besuchsreise vom 31.08. bis 11.09.1989 unter
Leitung von Dr. Oehring
77. 22.01.1990 Taylan vor Hess. VGH
78. 22.03.1990 6 Zeugen vor Hess. VGH
79. 15.02.1990 Auswärtiges Amt an OVG Rheinland-Pfalz
80. 12.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg
81. 12.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Minden
82. April 1978 mrg-report: "The Armenians"
83. 31.07.1980 Auswärtiges Amt an VG Gelsenkirchen
84. Okt./Nov. pogrom Nr. 85, S. 23 ff.
1981
85. 06.02.1982 Höhler in FR: "Blutspur durch ein ganzes
Jahrhundert"
86. Juni 1982 CCMWE: "The Situation of the Christian
Minorities of Turkey......"
87. 12.12.1983 Auswärtiges Amt an VG Karlsruhe
88. 12.04.1985 Auswärtiges Amt an Bay. VGH
89. März 1986 Schraps: "Auf der Suche nach dem verschwundenen
Volk", GEO Nr. 3/1986, S. 112 ff.
90. 09.09.1986 Auswärtiges Amt an den Kreis Lippe
91. 03.11.1986 amnesty international an VG Ansbach
92. 03.12.1986 Auswärtiges Amt an VG Köln
93. 12.01.1987 Dr. Franz an VG Köln
94. 17.01.1987 Dr. Hofmann an VG Köln
95. 19.01.1987 Schraps an VG Köln
96. 27.03.1987 Dr. Oehring an VG Köln
97. 09.10.1987 EKD an RA. König
98. Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden,
Bd. 2, 1981, S. 606 ff.: "Armenien" u.a.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des
Verwaltungsgerichts Kassel vom 8. Februar 1984 ist, nachdem sie der Senat auf
die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin mit
Beschluß vom 6. Oktober 1987 zugelassen hat, ordnungsgemäß erhoben (§ 32
Abs. 5 Satz 4 AsylVfG).
II.
Die Berufung ist auch begründet, denn der Kläger hat nach der maßgeblichen
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem
Senat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, weil er politisch
verfolgt ist (§§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).
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Dem Erfolg der Berufung steht insbesondere nicht entgegen, daß die Klage
namens des Klägers gegen den auch ihn betreffenden Bescheid des Bundesamts
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zunächst nur von seinen Eltern
durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts am 25.
Februar 1983 zu einem Zeitpunkt erhoben worden war, als der im September
1965 geborene Kläger bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte und damit
gemäß § 6 AsylVfG selbst zur Vornahme von Verfahrenshandlungen im Rahmen
seines Asylverfahrens fähig gewesen wäre. Denn zum einen ist damit ein
Tätigwerden der gesetzlichen Vertreter nicht zwingend ausgeschlossen (vgl.
Kanein/Renner, Ausländerrecht, 4. Aufl., Rdnr. 1 zu § 6 AsylVfG). Zum anderen hat
aber auch der Kläger mit seinem Erscheinen im Termin vor dem
Verwaltungsgericht am 8. Februar 1984 in Begleitung der früheren
Bevollmächtigten, seinem Einlassen in die Verhandlung und spätestens mit der
Erteilung der Vollmacht an die jetzige Bevollmächtigte am 26. Januar 1990
persönlich noch einmal ausdrücklich klargestellt, daß er sämtliche
Verfahrenshandlungen -- somit auch die Klageerhebung -- ausdrücklich
genehmigt.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genießt,
wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80
u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an
den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art.
16 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische
Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --,
BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 -- 9 C 874.82 --,
BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 -- 9 C 185.83 --, BVerwGE 69,
320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen
Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den
subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR
502/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG,
19.05.1987 -- 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht
Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie
etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so
sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und
Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die
Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein
hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O., u.
01.07.1987 -- 2 BvR 478/86 u.a. --, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 -- 9 C 16.85 --,
BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist
gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände
seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei
die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der
letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren
Zeitraum ausgerichtet sein muß (BVerwG, 03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, EZAR 202
Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch
verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80 u.a. --, a.a.O.; BVerwG,
25.09.1984 -- 9 C 17.84 --, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Der
Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht
gehalten, umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse zu schildern,
die seiner Auffassung zufolge geeignet sind, den Asylanspruch zu tragen (BVerwG,
08.05.1984 -- 9 C 141.83 --, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 -- 9 C
27.85 --, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 -- 9 C 32.87 --, EZAR
630 Nr. 25) und insbesondere auch den politischen Charakter der
Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 -- 9 C 68.81 --,
Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 -- 9 C 473.82 --, EZAR 630
Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im
Herkunftsland genügt es dagegen, daß die vorgetragenen Tatsachen die nicht
entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982
-- 9 C 74.81 --, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer
asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das
Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem
Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei
allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im
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allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im
Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des
Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG,
12.11.1985, a.a.O.).
Der erkennende Senat ist nach diesen Grundsätzen aufgrund der eigenen
Angaben und Aussagen des Klägers, des Inhalts der beigezogenen Akten und der
in das Verfahren eingeführten Dokumente zu der Überzeugung gelangt, daß der
Kläger zwar nicht schon aufgrund innerstaatlich geltender völkerrechtlicher
Vereinbarungen als Asylberechtigter anzuerkennen ist (1.), daß er vor seiner
Ausreise aus der Türkei weder als Mitglied der Gruppe der armenischen Christen
politisch verfolgt (2.) noch persönlich von asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen
betroffen (3.) war und deshalb als unverfolgt ausgereist anzusehen ist und, er
ferner bei einer Rückkehr in die Türkei keine Gruppenverfolgung zu befürchten hat
(4.), daß er dann aber persönlich politischer Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2
Satz 2 GG ausgesetzt sein wird (5.).
1. Der Kläger ist zwar armenischer Christ; der Senat sieht angesichts der im
Verfahren gemachten Angaben sämtlicher Familienmitglieder und der von ihnen
eingeführten Unterlagen (z.B. Eintragung im Nüfus) keinen Anlaß, hieran zu
zweifeln. Gleichwohl kann der Kläger jedoch seine Anerkennung als
Asylberechtigter nicht schon aufgrund des Arrangements zugunsten armenischer
Flüchtlinge vom 12. Mai 1926 (zit. nach Kimminich, Der internationale Rechtsstatus
des Flüchtlings, 1962, S. 220 f.) erreichen. Da der Kläger 1965 geboren ist und erst
1980 die Türkei verlassen hat, kann die genannte Vereinbarung nämlich auf ihn
nicht angewandt werden. Deshalb kann hier wie in anderen Fällen offengelassen
werden, ob dem durch die genannte Vereinbarung geschützten Personenkreis
überhaupt noch ein Anspruch auf Asylanerkennung oder auf Asylgewährung in
anderer Form zusteht, nachdem § 39 Nr. 4 AsylVfG die bis dahin in § 28 AuslG
enthaltene Bezugnahme auf Art. 1 GK und die dort in Abschn. A Nr. 1 enthaltene
Verweisung auf die erwähnte Vereinbarung ersatzlos beseitig hat und eine
Asylanerkennung nunmehr allein an die Voraussetzungen des Art. 16 Absatz 2
Satz 2 GG anknüpft (vgl. dazu auch Berberich, ZAR 1985, 30 ff., Köfner/Nicolaus,
ZAR 1986, 11, 15; BVerwG, 17.05.1983 -- 9 C 874.82 --, BVerwGE 67, 195 = EZAR
201 Nr. 5; zu Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK siehe auch BVerwG, 25.10.1988 -- 9 C
76.87 --, EZAR 200 Nr. 22).
2. Der Senat hat auch nicht feststellen können, daß die Angehörigen der
armenischen Minderheit in der Türkei bis zur Ausreise des Klägers einer
unmittelbaren oder mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt waren.
Asylerhebliche Bedeutung haben nicht nur unmittelbare Verfolgungsmaßnahmen
des Staats; dieser muß sich vielmehr auch Übergriffe nichtstaatlicher Personen
und Gruppen als mittelbare staatliche Verfolgungsmaßnahmen zurechnen lassen,
wenn er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt und damit den
Betroffenen den erforderlichen Schutz versagt (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR
147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Eine derartige staatliche
Verantwortlichkeit kommt aber nur in Betracht, wenn der Staat wegen fehlender
Schutzfähigkeit oder -willigkeit zum Schutz gegen Ausschreitungen oder Übergriffe
nicht in der Lage ist, wobei dem Staat für Schutzmaßnahmen besonders bei
spontanen und schwerwiegenden Ereignissen eine gewisse Zeitspanne zugebilligt
werden muß (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --, BVerwGE 79, 79 = EZAR 202 Nr.
13). Asylrelevante politische Verfolgung -- und zwar sowohl unmittelbar staatlicher
als auch mittelbar staatlicher Art -- kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen,
sondern auch gegen durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppen von
Menschen richten mit der regelmäßigen Folge, daß jedes Gruppenmitglied als von
dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR
147/80 u.a. --, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1, u. 01.07.1987 -- 2 BvR 478/86
u.a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 02.08.1983 -- 9 C 599.81 --,
BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1, u. 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --, a.a.O.). Die
Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in
quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen
aufweist, daß ohne weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes
Gruppenmitglieds gesprochen werden kann (BVerwG, 08.02.1989 -- 9 C 33.87 --,
EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502). Als nicht verfolgt ist nur derjenige
Gruppenangehörige anzusehen, für den die Verfolgungsvermutung widerlegt
werden kann; es kommt nicht darauf an, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen
schon in seiner Person verwirklicht haben (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --,
a.a.O.). Auch eine frühere Gruppenverfolgung führt für die Betroffenen zur
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a.a.O.). Auch eine frühere Gruppenverfolgung führt für die Betroffenen zur
Anwendung des herabgestuften Prognosemaßstabs hinsichtlich künftiger
Verfolgung (BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 85.87 --, a.a.O.).
Der Senat legt seiner Beurteilung der Lage der Christen in der Türkei im
allgemeinen und der armenischen Glaubensgemeinschaft im besonderen sowie
des Verhältnisses der Christen zu anderen dort lebenden religiösen und
ethnischen Gruppen die nachfolgend anhand der vorliegenden schriftlichen
Unterlagen (im folgenden nur noch mit der entsprechenden Nummer der Liste von
S. 8 ff. bezeichnet) auszugsweise dargestellte historische Entwicklung der
christlichen Siedlungsgemeinschaften im Nahen Osten zugrunde (vgl. allgemein
zur Geschichte die Unterlagen 89., 98. sowie Kimminich, a.a.O., S. 206 ff.).
Während die Anhänger der syrischen Kirchen ursprünglich im mesopotamischem
Raum siedelten, stammen die Armenier, ein thrako-phrygisches Volk, aus dem
Kaukasus. Im 7. Jahrhundert v. Chr. wanderten sie von Westen her in das Hochland
von Armenien ein, das heute zur Türkei, zum Iran und zur UdSSR gehört. Das von
ihnen gebildete Reich blieb unter medischer und persischer Oberhoheit und geriet
später zunächst unter griechischen und dann unter römischen Einfluß. Im Jahre
387 wurde es zwischen Rom und Persien geteilt und geriet schließlich nach einer
wechselvollen Geschichte zwischen Unabhängigkeit, Unterwerfung und Zerfall
Ende des 14. Jahrhunderts an das Osmanische Reich. Nachdem schon im 18.
Jahrhundert Teile Armeniens von Rußland und Persien besetzt worden waren, fielen
im 19. Jahrhundert nacheinander verschiedene persische und türkische Gebiete
Armeniens (u.a. Jerewan, Karabach, Kars und Ardahan) an Rußland. Die im Mai
1918 proklamierte unabhängige Republik Armenien mit der Hauptstadt Eriwan
sollte nach dem am 10. August 1920 unterzeichneten Friedensvertrag von Sevres
mit dem türkischen Teil Armeniens vereinigt werden, wurde aber bereits 1920 von
sowjetischen und türkischen Truppen besetzt und fand seitdem auch keine
Unterstützung mehr durch den Völkerbund. Aufgrund des Friedensvertrags von
Lausanne 1923 fielen die Gebiete um Kars und Ardahan an die Türkei und das
übrige Armenien an die Sowjetunion.
Die christliche Religion der Armenier geht nach deren Überlieferung auf die Apostel
Thaddäus und Bartholomäus zurück. Nachdem König Tiridates III. Ende des 3.
Jahrhunderts von Gregor dem Erleuchteten zum Christentum bekehrt worden war,
wurde der christliche Glaube zur Staatsreligion Armeniens erhoben. Nach dem
Konzil von Chalkedon im Jahre 451 kam es mit einer größeren zeitlichen
Verzögerung zum Bruch mit der römischen Kirche, da die armenische Kirche die
monophysitische Lehre beibehielt. Im Jahre 1439 kam es zu einer Union eines Teils
der armenischen Christen mit Rom, und 1830 konnte Rom ein armenisches
Patriarchat errichten, dessen Sitz sich heute in Beirut befindet. In Istanbul gibt es
jetzt ein armenisch-katholisches Erzbistum. Die zahlenmäßig weitaus stärkeren
orthodoxen Armenier besitzen ein allein für die Türkei zuständiges armenisch-
apostolisches Patriarchat in Istanbul, das 1461 gegründet wurde, und außerdem
seit 1311 ein Patriarchat in Jerusalem. Schließlich existiert in der Türkei eine kleine
armenisch-protestantische Gemeinde, die erst im 19. Jahrhundert unter dem
Einfluß der amerikanischen Mission entstanden ist.
Die armenische Sprache ist indogermanischen Ursprungs. Im Jahre 407 wurde
erstmals ein altarmenisches Alphabet geschaffen, und im 19. Jahrhundert
entwickelten sich die beiden Schriftsprachen des Westarmenischen, das auf den
Dialekt von Konstantinopel zurückgeht, und des Ostarmenischen, das auf dem
Araratdialekt beruht und vor allem in der Sowjetunion, im Iran und in Indien
gesprochen wird.
Allgemein erlebten die christlichen Kirchen im Osmanischen Reich vom Ende des
15. Jahrhundert an eine vergleichsweise friedliche und gesicherte Periode, in der
sie als nichtmuslimische Völkerschaften -- als millat -- auch ihr Personal- und
Familienrecht nach eigenem Rechtsstatut regeln konnten. Zu Beginn des 19.
Jahrhunderts lebten Armenier außer in Rußland (vor allem im Gebiet der heutigen
Armenischen Sowjetrepublik) im gesamten Gebiet der heutigen Türkei und
bildeten dort eine Minderheit angesehener Mittelschichtbürger mit deutlich
überdurchschnittlichem Lebensstandard. Während der im 19. Jahrhundert zur
Stabilisierung des Osmanischen Reichs eingeleiteten Reformbewegungen kam es
aber sodann etwa nach der Seeschlacht von Navarino 1827 zu einer Verfolgung
von Armeniern. Nachdem seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine rege
Missionstätigkeit christlicher Religionsgesellschaften aus Amerika, England und
Frankreich dazu beigetragen hatte, die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung
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Frankreich dazu beigetragen hatte, die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung
der Christen im Nahen Osten zu heben und gleichzeitig deren politisches
Bewußtsein zu fördern, reagierte das Osmanische Reich im letzten Viertel des 19.
Jahrhunderts auf Unabhängigkeitsbestrebungen der Christen mit dem Einsatz
kurdischer Söldnertruppen, und dabei kam es dann häufig zu Morden,
Plünderungen und Hungersnöten (1., S. 17 f.). Für das Schicksal der Armenier im
Osmanischen Reich war oft bestimmend, daß sie sich bei ihrem Kampf um die
Bewahrung ihrer Identität um die Unterstützung ausländischer Mächte bemühten,
so etwa um die Rußlands. Als zwischen 1894 und 1896 unter der Herrschaft des
Sultan Abdul Hamid etwa 300.000 Armenier (82., S. 6; 7., S. 10; 85.; die Angabe
von 20.000 in 5., S. 14, beruht wohl auf einem Schreibfehler) umgebracht wurden,
griffen die Großmächte Großbritannien und Frankreich trotz einer auf dem Berliner
Kongreß von 1878 ausgesprochenen Schutzverpflichtung im Hinblick auf die Allianz
der Armenier mit Rußland nicht ein. Im Zuge der Machtübernahme durch die sog.
"Jungtürken" wurden im Jahr 1909 etwa 20.000 bis 30.000 Armenier in Adana
getötet (82., S. 7; 5., S. 14; 7., S. 11). Schließlich fanden während des Ersten
Weltkriegs unter den Christen zahlreiche Massaker statt, die insgesamt über
3.000.000 Tote gefordert haben sollen, davon über 1.500.000 Armenier (82., S. 8;
5., S. 14 f.; 7., S. 11 f.; 85.); für sie werden zumindest auch die Allianz der Christen
mit England und Rußland und die Kriegserklärung des damaligen Patriarchen
Benjamin XXI. an die Türkei im Mai 1915 verantwortlich gemacht. Zwischen Februar
und November 1915 sollen 600.000 bis 1.000.000 Menschen niedergemetzelt und
ebensoviele vertrieben worden sein mit der Folge, daß auch von ihnen nur wenige
Folter, Vergewaltigungen, Hunger und Krankheit überlebt haben dürften (5., S. 14
f.; 7., S. 11 f.).
Die gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegen die Armenier
gerichteten Verfolgungsmaßnahmen sind nach Ursachen und Ausmaß im
einzelnen umstritten, die Tatsache der Verfolgung ist aber letztlich durch die oben
genannte Vereinbarung vom 12. Mai 1926 bestätigt worden, die internationale
Hilfsmaßnahmen zugunsten armenischer Flüchtlinge vorsah. Es mag im einzelnen
Streit darüber herrschen, welche Bedeutung das christliche Bekenntnis der
verschiedenen Gruppen der Christen für ihr jeweiliges Schicksal in der
Vergangenheit im einzelnen hatte, welche Rolle politische und militärische
Interessen fremder Großmächte gespielt haben und ob und in welchem Maße sich
etwa bei Armeniern, Griechen oder Assyrern ein eigenes Nationalbewußtsein
entwickeln konnte (vgl. 1., S. 12 ff.; 5., S. 1 ff.; 18., S. 6 ff.; 82., S. 3 f.). Die
Situation der Christen in der Türkei ist jedenfalls seit langem geprägt von ihrer bis
in die Anfänge des Christentums zurückreichenden religiösen und kirchlichen
Tradition, von den ethnischen und sprachlichen Besonderheiten der einzelnen
Gruppen und von einem mehr und mehr hoffnungslos erscheinenden
Überlebenskampf in einer mehrheitlich in ethnischer Hinsicht türkisch und in
religiöser Hinsicht muslimisch geprägten Umwelt, der angesichts der leidvollen
historischen Erfahrungen als besonders bedrückend empfunden wird. Während die
Christen Ende des 19. Jahrhunderts noch etwa 30 % der Untertanen des
Osmanischen Reichs ausmachten, stellen sie nunmehr in der Türkei mit
schätzungsweise kaum noch 100.000 Menschen nur eine äußerst kleine Minderheit
der Gesamtbevölkerung von 43.000.000 (zu den Zahlenangaben und im übrigen
vgl.: 2.; 3., S. 41 ff.; 5., S. 5; 6., S. 5; 18., S. 8, 14 f.; 58.; 64.; 82., S. 5 ff.). Von den
Armeniern lebt heute ein großer Teil, nämlich über 3.000.000, in der Sowjetunion
und dort zum größten Teil in der Armenischen Sowjetrepublik (82., S. 11; 85.). In
der Türkei bilden die Armenier die stärkste christliche Minderheitengruppe.
Verläßliche offizielle Erhebungen über die Anzahl der in der Türkei lebenden
armenischen Christen existieren nicht; die Angaben kirchlicher Stellen und die
Schätzungen von Sachverständigen gehen auseinander. Im allgemeinen wird
jedoch für die ausgehenden 70er Jahre eine Gesamtzahl von etwa 70.000 und für
Mitte der 80er Jahre bzw. für den heutigen Zeitpunkt von allenfalls 50.000
Armeniern angenommen, wobei die weitaus meisten von ihnen in Istanbul leben
(1.; 3., S. 43; 5., S. 43; 6., S. 14; 12.; 83.; 85.; 88.; 92.; 93.; 94.; 96.). In Istanbul
gehören die Armenier -- die meisten armenisch-orthodoxen Glaubens -- im
Unterschied zu den Syrisch-Orthodoxen zu der sozial und wirtschaftlich
bessergestellten Mittel- und Oberschicht; sie wohnen teilweise in geschlossenen
Straßenzügen zusammen, verfügen über 32 Kirchen mit 23 Pfarrern und derzeit
noch über fünf Schulen und zwei Hospitäler in und um Istanbul (76.). Damit scheint
die Zahl der Kultur- und Sozialeinrichtungen weiter abgenommen zu haben, denn
1986 sollen die Armenier insgesamt ca. 30 Schulen und etwa 17 weitere kulturelle
und soziale Einrichtungen (Krankenhäuser, Altersheime usw.) unterhalten haben
(93.). Auch die armenischen Kirchen und ihre Anhänger sind bei der Errichtung und
beim Betrieb von Schulen und karitativen Einrichtungen sowie bei der Verwaltung
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beim Betrieb von Schulen und karitativen Einrichtungen sowie bei der Verwaltung
von Kirchenvermögen und beim Bau und der Erhaltung von Kirchen von
Einschränkungen betroffen, die in vielen Punkten als schikanös empfunden wurden
(2.; 3., S. 43; 5., S. 44 f.; 6.; 7., S. 33 ff.; 12.; 18., S. 46 f.; 32., S. 12 f.; 58.; 76.; 86.,
S. 11 ff.; 92.; 93.; 94.; 96.).
Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung kann nicht festgestellt
werden, daß die Armenier in der Türkei und insbesondere in Istanbul in dem hier
maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise des Klägers aus der Türkei unter einer
religiös motivierten Gruppenverfolgung zu leiden hatten; dies gilt sowohl
hinsichtlich einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung als auch hinsichtlich einer
vom türkischen Staat gebilligten oder geduldeten Verfolgung durch andere
Volksgruppen (ebenso: Hess. VGH, 01.04.1982 -- X OE 1293/81 --, 03.06.1982 -- X
OE 728/81 -- u. 18.10.1988 -- 12 UE 433/85 --; OVG Lüneburg, 25.08.1986 -- 11
OVG A 361/81 --; OVG Nordrhein-Westfalen, 21.12.1983 -- 18 A 10490/82 -- u.
27.01.1987 -- 18 A 10136/85 --; OVG Rheinland-Pfalz, 01.04.1987 -- 13 A 20/87 --).
Dabei ist für die Frage nach dem Vorliegen einer an die religiöse
Grundentscheidung anknüpfenden Gruppenverfolgung allgemein zu beachten, daß
eine aus Gründen der Religion stattfindende Verfolgung nur dann asylerheblich ist,
wenn die Beeinträchtigungen der Freiheit der religiösen Betätigung nach Intensität
und Schwere die Menschenwürde verletzen (BVerfG, 02.07.1980 -- 1 BvR 147/80
u.a. --, BVerfGE 54, 341 (357) = EZAR 200 Nr. 1). Es muß sich um Maßnahmen
handeln, die den Gläubigen als religiös geprägte Persönlichkeit ähnlich schwer
treffen wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische
Freiheit (BVerwG, 18.02.1986 -- 9 C 16.85 --, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7),
in dem sie ihn physisch vernichten, mit vergleichbar schweren Sanktionen
bedrohen, seiner religiösen Identität berauben oder daran hindern, seinen Glauben
im privaten Bereich und durch Gebet und Gottesdienst zu bekennen (BVerfG,
01.07.1987 -- BvR 472/86 u.a. --, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20, u.
10.11.1989 -- 2 BvR 403/84 u.a. --, EZAR 203 Nr. 5 = NVwZ 1990, 254).
a) Aus den in das Verfahren eingeführten Gutachten, Auskünften und anderen
Erkenntnismitteln ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, daß der
türkische Staat die armenischen Christen in der Türkei in diesem Sinne in dem hier
maßgeblichen Zeitraum unmittelbar aus religiösen Gründen verfolgt hat.
Die christliche Minderheit der Armenier in der Türkei ist in drei Glaubensrichtungen
organisiert, nämlich der armenisch-orthodoxen oder armenisch-apostolischen
Gemeinde, der in Istanbul der Patriarch Shnork Kalustian vorsteht, der weitaus
kleineren armenisch-katholischen Gemeinde mit einem Erzbischof in Istanbul und
der zahlenmäßig noch unbedeutenderen armenisch-protestantischen Kirche (3., S.
43 ff.; 5., S. 5 u. 11 ff.; 76.). Die armenischen Christen waren -- und sind -- von
Verfassungs wegen ebenso wie die Angehörigen muslimischer und anderer
nichtmuslimischer Glaubensgemeinschaften gegen Eingriffe in die Religionsfreiheit
und gegen Diskriminierungen aus religiösen Gründen geschützt (Art. 19 der
Türkischen Verfassung von 1961, Art. 24 Abs. 1 der Türkischen Verfassung vom
07.11.1982; 1., S. 2; 18., S. 23). Sie sind in den durch Art. 14 der Verfassung von
1982 gezogenen Grenzen frei, Gottesdienste, religiöse Zeremonien und Feiern
abzuhalten (Art. 24 Abs. 2 dieser Verfassung). Sie werden seit jeher ebenso wie
die Griechen und Juden -- im Gegensatz zu den syrisch-orthodoxen Christen -- in
der Staatspraxis zu den nichtmuslimischen Minderheiten gerechnet, denen
aufgrund der Art. 38 ff. des Friedensvertrags von Lausanne vom 24. Juli 1923
besondere Minderheitenrechte gewährleistet sind, so u.a. gemäß Art. 40 das
Recht, auf eigene Kosten jegliche karitative, religiöse und soziale Institutionen,
Schulen und andere Einrichtungen für Lehre und Erziehung mit dem Recht auf
Gebrauch ihrer eigenen Sprache und freien Religionsausübung zu errichten, zu
betreiben und zu kontrollieren (1., S. 112; 5., S. 57 f.; 9., S. 15 f.; 41., S. 2; 60.).
Dementsprechend unterhalten die armenischen Kirchengemeinden in Istanbul, wie
oben ausgeführt, für ihre Gemeindemitglieder eine offenbar noch ausreichende
Zahl von Kirchen, Schulen und Sozialeinrichtungen, in die allerdings nur
Angehörige der jeweiligen Glaubensgemeinschaft aufgenommen werden dürfen
(68., S. 10). Die armenischen Christen werden nach alledem ebensowenig wie
andere christliche Glaubensgemeinschaften staatlicherseits unmittelbar an der
Ausübung ihrer Religion gehindert. Sie können insbesondere in Istanbul in den von
ihnen unterhaltenen Kirchen Gottesdienste nach ihrer Liturgie feiern und ihren
Glauben praktizieren. Darüber hinaus sind sie berechtigt und auch tatsächlich
dazu in der Lage, ihre Kinder in eigenen Schulen ausbilden zu lassen, in denen
sowohl die armenische Sprache gelehrt als auch christlicher Religionsunterricht
erteilt wird. So hat beispielsweise auch der Kläger seine Grundschulzeit in einem
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erteilt wird. So hat beispielsweise auch der Kläger seine Grundschulzeit in einem
armenischen Internat in Istanbul verbracht.
Obwohl die Religionsausübung nach außen hin -- weder in der Vergangenheit noch
jetzt -- offen behindert oder gar untersagt (worden) ist, sind dennoch zahlreiche
administrative Schwierigkeiten festzustellen (58., S. 5), die die armenischen
Christen -- wie auch die übrigen christlichen Glaubensgemeinschaften -- bei der
Ausübung ihres Glaubens und der Pflege ihres Brauchtums empfindlich stören und
auf Dauer gesehen das kirchliche und religiöse Leben beeinträchtigen können. So
ist ihnen beispielsweise der Bau neuer Kirchen verboten und die Erhaltung und
Erneuerung älterer Gebäude erschwert (3., S. 31; 7., S. 35; 76.; 92., S. 2; 94., S. 5;
95., S. 6), und der Umfang des armenischen Sprachunterrichts ist von 20 auf vier
Wochenstunden beschränkt worden (12., S. 2; 32., S. 12; 87., S. 14; 88., S. 3; 93.,
S. 5: nur drei; 94., S. 8 f.); beanstandet worden waren zumindest in der
Vergangenheit auch noch einige andere Behinderungen der armenischen
Kirchengemeinden in finanziellen Angelegenheiten, bei der kirchlichen
Selbstverwaltung und im schulischen Bereich (3., S. 30 ff.; 7., S. 35 ff.; 93.; 94.;
96.).
Die armenischen Christen werden auch in kultureller und beruflicher Hinsicht nicht
in einer Weise diskriminiert, die als asylerheblicher Eingriff zu werten ist. Der
Gebrauch der armenischen Sprache ist nicht verboten und wird, auch wenn
Armenisch in der Öffentlichkeit gesprochen wird, nicht zum Anlaß für offene oder
verdeckte staatliche Maßnahmen genommen (87.). Wenn ein Teil der
insbesondere aus der Osttürkei zugewanderten Armenier in Istanbul die
armenische Sprache nicht beherrscht, so ist dies nicht unmittelbar auf staatliche
Restriktionen oder Repressionen zurückzuführen, sondern wohl eher auf eine
Vernachlässigung der Weitergabe der armenischen Sprache innerhalb der
Volksgruppe selbst (88.). Wenn der türkische Staat keine besonderen
Anstrengungen unternimmt, derartige sprachliche Defizite auszugleichen, kann
dies nicht als asylrechtlich relevanter Eingriff in die kulturelle oder religiöse Identität
angesehen werden. Er hat zwar teilweise zu verhindern versucht, daß armenische
Kinder, die im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms des armenisch-orthodoxen
Patriarchats aus der Osttürkei nach Istanbul gelangten, dort im armenischen Geist
erzogen und ausgebildet wurden (12.; 24.); dies läßt aber ebenfalls nicht auf einen
gezielten staatlichen Eingriff in die Religionsfreiheit der Armenier schließen, zumal
die insoweit aufgetretenen Schwierigkeiten vorübergehender Art waren und sich in
den letzten Jahren nicht wiederholt haben. Schließlich läßt sich auch aus den
Beschränkungen beim Aufstieg in der Offizierslaufbahn und in höhere staatliche
Stellungen (2., S. 2; 58., S. 5; 75.; 88., S. 2, 4; 94., S. 3; 96., S. 3) ein Anzeichen für
eine unmittelbare staatliche Beeinträchtigung der Religionsfreiheit der Armenier
nicht herleiten.
Ebenso verhält es sich mit der Gestaltung des Religionsunterrichts an den
staatlichen Schulen (vgl. 55.), die von armenischen Schülern besucht werden
müssen, wenn sie nicht eine armenische Schule erreichen können. Insoweit ist
allerdings zu beachten, daß die Belastung nur eines bestimmten genau
abgegrenzten Kreises von Gruppenangehörigen -- hier: der eine Schule
besuchenden und in der Regel minderjährigen Personen -- nicht bereits eine
Verfolgung der Religionsgruppe insgesamt darstellt (BVerwG, 24.08.1989 -- 9 B
301.89 --, NVwZ 1990, 80 = InfAuslR 1989, 348). Indessen kann eine asylrelevante
Belastung der Angehörigen einer solchen Untergruppe -- zumal ihr grundsätzlich
jedes Mitglied der Religionsgruppe im Verlaufe seines Lebens eine Zeitlang
angehört -- ein gewisses Indiz für eine Verfolgung aller Gruppenangehörigen sein.
Wären nämlich Angehörige weiterer Untergruppen -- etwa der Wehrpflichtigen, der
Frauen bestimmten Alters und/oder der minderjährigen Kinder -- ebenfalls
asylrechtlich erheblicher Verfolgung ausgesetzt, so könnte sich eine Verdichtung
bis hin zur Annahme einer Gruppenverfolgung aller Mitglieder der betreffenden
Religionsgruppe ergeben. Soweit das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen
hat, die Pflicht zur Teilnahme am islamischen Religionsunterricht stelle für sich
allein keine asylerhebliche Beeinträchtigung der Religionsausübung dar, da sie
nicht gleichgesetzt werden könne mit der Pflicht, sich zum Islam zu bekennen
(BVerwG, 14.05.1987 -- 9 B 149.87 --, EZAR 202 Nr. 9 = DVBl. 1987, 1113), neigt
der Senat zu einer grundsätzlich anderen Betrachtungsweise. Denn
Religionsunterricht, der gegen den Willen der Kinder oder der insoweit
erziehungsberechtigten Eltern erteilt wird, kann den Beginn einer
Zwangsbekehrung bedeuten, stellt doch die religiöse Unterweisung von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen einen unverzichtbaren -- weil lebenswichtigen -- Teil
der Religionsfreiheit dar. Ohne die Weitergabe religiösen Wissens und religiöser
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der Religionsfreiheit dar. Ohne die Weitergabe religiösen Wissens und religiöser
Überzeugungen vermag nämlich weder der einzelne Gläubige noch die
Glaubensgemeinschaft auf Dauer zu bestehen. Neben der Verkündigung des
Glaubens während des kirchlichen Gottesdienstes spielt hierbei vor allem der
Religionsunterricht für Kinder eine ausschlaggebende Rolle. In vorliegendem
Zusammenhang ist indessen von maßgeblicher Bedeutung, daß zur Zeit der
Ausreise des Klägers im Juli 1979 noch keine Pflicht zur Teilnahme am islamischen
Religionsunterricht bestanden hat. Zwar war 1950 für die vierte und fünfte
Grundschulklasse, 1956 für die sechste und siebte Klasse der Mittelschule und
1967/68 auch für die erste und zweite Klasse des Gymnasiums der
Religionsunterricht auf freiwilliger Basis eingeführt und ab 1976 in allen Klassen der
Mittelschule und des Gymnasiums angeboten worden. Auch hatte man 1974/75 in
den beiden letztgenannten Schulformen einen sog. Ethik- bzw.
Moralkundeunterricht als Pflichtfach eingeführt (55.; 63., S. 20). Dieser war aber
jedenfalls in den 70er Jahren weitgehend laizistisch und wertneutral; erst später
wurde er in der Praxis zu einem "Neben-Religionsunterricht" (35.) und schließlich
zwischen 1982 und 1985 mit dem Religionsunterricht zusammengelegt (55.). Für
die Zeit vor dem Inkrafttreten der Verfassung von 1982 und vor der
Machtübernahme durch das Militär im September 1980 besteht daher keine
Veranlassung zu der Annahme, der türkische Staat habe durch die Gestaltung des
Religionsunterrichts an staatlichen Schulen unmittelbar in einer Art und Weise in
die Freiheit der religiösen Betätigung der Christen eingegriffen, die die
Menschenwürde und das sog. religiöse Existenzminimum antastete. Auch wenn
man berücksichtigt, daß ein christlicher Religionsunterricht an staatlichen Schulen
nicht angeboten wurde und es im Rahmen des Ethik- bzw. Moralkundeunterrichts
bei der praktischen Handhabung der Unterscheidung zwischen ethischen und
allgemein religiösen Lehrinhalten einerseits und islamischen Glaubensinhalten
andererseits zu Benachteiligungen und Beeinträchtigungen der
Glaubensüberzeugungen christlicher Schüler kommen konnte, kann darin
insgesamt ein asylrelevanter Eingriff nicht gesehen werden. Denn abgesehen von
der regelmäßig fehlenden Intensität mangelte es insoweit jedenfalls an der
asylrechtlichen Zurechenbarkeit, weil Anhaltspunkte dafür, daß die
verantwortlichen Stellen derartiges dienstliches Fehlverhalten von Lehrern
seinerzeit förderten oder zumindest duldeten, aus den dem Senat vorliegenden
Erkenntnisquellen nicht zu entnehmen sind. Schließlich können Anzeichen für eine
gegen Christen gerichtete Gruppenverfolgung zur Zeit der Ausreise des Klägers
auch nicht aus der Art und Weise entnommen werden, wie christliche
Wehrpflichtige damals in der türkischen Armee behandelt worden sind.
Für den Senat steht aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen und der
Erkenntnisse aus den in letzter Zeit entschiedenen zahlreichen
Berufungsverfahren fest, daß es jedenfalls bis etwa zum Zeitpunkt des
Militärputsches im September 1980 nur in Einzelfällen zu ihrer Intensität nach als
Verfolgung zu qualifizierenden Übergriffen auf christliche Wehrpflichtige gekommen
ist. Bis dahin scheint die Führung der türkischen Streitkräfte, die sich als Hüter
laizistischer Prinzipien verstehen, mit Erfolg darauf geachtet zu haben, daß
religiöse Strömungen dort keinen nachhaltigen Widerhall finden konnten (vgl. 36.).
Demzufolge hatten christliche Wehrpflichtige in aller Regel weder seitens ihrer
Vorgesetzten noch seitens ihrer Kameraden mit schwerwiegenden
Diskriminierungen zu rechnen, wenn auch -- nach der Darstellung des Auswärtigen
Amtes -- Sticheleien und gelegentliche Übergriffe von Kameraden nicht
auszuschließen waren (33.; 36.) und es -- nach den Äußerungen anderer
Sachverständiger -- darüber hinaus vielfach zur Betrauung mit besonders
unangenehmen Aufgaben, zu verbalen Beleidigungen, zum Versuch der
Bekehrung zum Islam und zur Androhung der Zwangsbeschneidung sowie in
Einzelfällen auch zu schweren Körperverletzungen gekommen sein mag (39.; 40.;
42.) und christliche Wehrpflichtige mit Abitur meist -- anders als Muslime -- nicht
als Offiziersanwärter rekrutiert wurden (und werden) (41.). Die zwangsweise
Durchführung von Beschneidungen christlicher Wehrpflichtiger war in der Zeit bis
September 1980 offenbar nur in seltenen Einzelfällen festzustellen (42.). Diese
Einschätzung der damaligen Situation christlicher Wehrpflichtiger wird bestätigt
durch die Erkenntnisse, die der erkennende Senat in zahlreichen
Berufungsverfahren von solchen türkischen Christen gewonnen hat, die vor dem
Militärputsch ihren Wehrdienst abgeschlossen haben (Hess. VGH, 26.03.1990 -- 12
UE 2997/86 --). Während einige der gehörten Christen diesen Punkt, obgleich sie
vom Alter her Wehrdienst geleistet haben müßten, in ihren Asylverfahren
überhaupt nicht angesprochen haben, haben sich andere auf die Mitteilung der
Dienstleistung als solcher beschränkt und von irgendwelchen Benachteiligungen
nichts erwähnt (vgl. etwa Hess. VGH, 27.06.1988 -- 12 UE 2438/85 -- (Abdruck S.
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nichts erwähnt (vgl. etwa Hess. VGH, 27.06.1988 -- 12 UE 2438/85 -- (Abdruck S.
3), 04.07.1988 -- 12 UE 25/86 -- (Abdruck S. 3), 06.02.1989 -- 12 UE 2584/85 --
(Abdruck S. 3), 29.05.1989 -- 12 UE 2586/85 -- (Abdruck S. 3 u. 40)). Die übrigen
haben von einer übermäßigen Heranziehung zum Wachdienst und zu besonders
schmutzigen Arbeiten, von Beschimpfungen ihrer Person und ihrer Religion und
von wiederholten Schlägen berichtet, mit denen regelmäßig das Ziel verfolgt
worden sei, sie zum Übertritt zum Islam und zur Beschneidung zu bewegen; in
allen Fällen gelang es den Betroffenen jedoch, sowohl einer Zwangsbekehrung als
auch einer Zwangsbeschneidung letztlich zu entgehen, wobei es allerdings einmal
zu einer Brandverletzung am Geschlechtsteil kam und ein andermal erst im
Militärkrankenhaus der Arzt dazu bewegt werden konnte, von einer Beschneidung
Abstand zu nehmen (vgl. etwa Hess. VGH, 22.02.1988 -- 12 UE 1071/84 --
(Abdruck S. 4 u. 34) u. -- 12 UE 2585/85 -- (Abdruck S. 4 u. 34 f.), 30.05.1988 -- 12
UE 2514/85 -- (Abdruck S. 5 u. 35 f.), 17.10.1988 -- 12 UE 2601/84 -- (Abdruck S.
35) u. -- 12 UE 767/85 -- (Abdruck S. 37), 18.10.1988 -- 12 UE 433/85 -- (Abdruck
S. 33 f.), 20.03.1989 -- 12 UE 1705/85 -- (Abdruck S. 5 u. 46 ff.) u. -- 12 UE
2192/86 -- (Abdruck S. 44 f.) sowie 04.12.1989 -- 12 UE 2652/85 -- (Abdruck S.
39)). Entsprechend stellen sich bei zusammenfassender Betrachtung die in das
Verfahren 12 UE 2997/86 eingeführten Angaben derjenigen knapp 20
Wehrpflichtigen dar, die vor dem Militärputsch ihren Dienst geleistet haben; auch
diese, deren Militärzeiten sich über einen Zeitraum von 1958 bis 1980 erstreckt
haben, machen Benachteiligungen der genannten Art geltend, konnten aber
jedenfalls eine Beschneidung erfolgreich abwehren. Danach kann schon nicht
festgestellt werden, daß seinerzeit praktisch jeder christliche Wehrpflichtige mit
Rechtsverletzungen zu rechnen hatte, die nicht nur als Beeinträchtigungen,
sondern auch als ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung
der staatlichen Einheit ausgrenzende Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren sind
(vgl. BVerfG, 10.07.1989 -- 2 BvR 502/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr.
20). Schon deshalb kann daraus für die Zeit vor dem Militärputsch nicht auf eine
Verfolgung des abgegrenzten Kreises der wehrpflichtigen Christen und erst recht
nicht auf eine Gruppenverfolgung aller Christen geschlossen werden. Darüber
hinaus fehlen für den betreffenden Zeitraum Anhaltspunkte dafür, daß die
militärische Führung Übergriffe, soweit sie vorkamen, geduldet oder gar gefördert
hat (vgl. 33.; 41.); mithin läßt sich für die damalige Zeit die asylrechtliche
Zurechenbarkeit, die auch für Zugriffe innerhalb der Armee erforderlich ist,
ebenfalls nicht annehmen, weil nicht festgestellt werden kann, daß der türkische
Staat seinerzeit an die Religion anknüpfenden Übergriffen auf Wehrpflichtige nicht
entgegengewirkt hätte, indem er beispielsweise präventive Vorkehrungen
unterlassen hätte, um weitere Übergriffe zu verhindern und, wenn sie gleichwohl
vorgekommen wären, weder den Opfern Schutz gewährt noch gegen pflichtwidrig
Handelnde Sanktionen verhängt hätte (vgl. BVerwG, 22.04.1986 -- 9 C 318.85 u.a.
--, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8).
b) Darüber hinaus ist nicht festzustellen, daß die armenischen Christen in der
Türkei in dem hier maßgeblichen Zeitraum einer mittelbaren staatlichen
Kollektivverfolgung in der Weise ausgesetzt waren, daß sie von anderen
Bevölkerungsgruppen ihrer Religion und ihres christliches Bekenntnisses wegen
verfolgt wurden und hiergegen staatlichen Schutz nicht erhalten konnten.
In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, die Ursachen der oben (unter
II. 2., S. 16 ff.) dargestellten Abwanderungsbewegungen -- in erster Linie von
syrisch-orthodoxen und nur in geringem Umfang auch von armenischen Christen -
- aus den ursprünglich ausschließlich oder zumindest überwiegend christlichen
Dörfern nach Mardin und Midyat und vor allem nach Istanbul und vor dort aus ins
Ausland im einzelnen zu ermitteln. Tatsächlich sind die Christen den
Anwerbeaktionen der westeuropäischen Wirtschaft seit Beginn der 60er Jahre wohl
dank ihrer besseren Ausbildung und ihrer größeren Flexibilität eher gefolgt als die
in der Südosttürkei lebenden Kurden und haben dann nach und nach ihre Familien
in die Bundesrepublik Deutschland und in andere westeuropäische Länder
nachgeholt. Eine gewisse Rolle mag anfangs auch die allgemein in der Türkei zu
beobachtende Landflucht gespielt haben, die die Einwohnerzahl von Istanbul auf
jetzt acht bis zehn Millionen hat anwachsen lassen (1., S. 111; 18., S. 20). Zudem
haben viele Priester im Zuge der Gastarbeiterwanderung ihre syrisch-orthodoxen
Gemeinden im Tur'Abdin verlassen und sind gegen den Willen der Kirchenleitung
nach Europa und nach Übersee ausgewandert (40., S. 3; 45., S. 3), was zusätzlich
zu einer Destabilisierung der gewachsenen Siedlungsstrukturen der Christen in der
Südosttürkei beigetragen hat. Schließlich haben auch die Ereignisse um Zypern,
im Libanon und im Iran sowie allenthalben feststellbare Islamisierungstendenzen
zu einer Verhärtung des Verhältnisses zwischen Christen und muslimischen
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zu einer Verhärtung des Verhältnisses zwischen Christen und muslimischen
Kurden im Tur'Abdin beigetragen. Ungeachtet der im einzelnen maßgeblichen
Gründe für die Bevölkerungsbewegungen, die durchaus umstritten sein mögen,
wurde aber seit Mitte der 70er Jahre aus dem Gebiet um Midyat über eine
auffällige Zunahme schwerer Übergriffe der muslimischen Mehrheit (meist Kurden)
gegen Christen berichtet, und zwar über Morde, Mordversuche, Entführungen,
Zwangsbeschneidungen, Viehdiebstähle, Landwegnahmen, Sachbeschädigungen
und Plünderungen (vgl. dazu etwa 1., S. 112 f. u. 115 f.; 3., S. 46 ff.; 5., S. 32 ff. u.
106 ff.; 11., S. 5 ff.; 14.; 16.; 32., S. 17 ff.). Gleichzeitig wurde allgemein
beanstandet, daß staatliche Stellen, wenn sie um Hilfe angegangen wurden,
entweder überhaupt nicht tätig geworden sind oder aber sogar offen zum
Ausdruck gebracht haben, sie lehnten es ab, Christen Schutz zu gewähren (vgl.
etwa 4., S. 3 u. 5; 5., S. 34; 15.). Außerdem wurde betont, ähnliche Gewalttaten
Syrisch-Orthodoxer seien, wenn sie vereinzelt vorgekommen seien, auch verfolgt
worden (9., S. 21).
Bei der Frage nach den Ursachen für die danach seit Mitte der 70er Jahre vermehrt
feststellbaren Beeinträchtigungen der Christen durch die muslimische Bevölkerung
im Tur'Abdin werden teils die Auswirkungen der Verfolgung weniger schwerwiegend
dargestellt, teils die religionsbezogene Motivation der Verfolger bezweifelt und teils
die Einstellung der staatlichen Stellen zu diesen Maßnahmen der andersgläubigen
Mitbürger nicht so gewertet und eingeschätzt, daß den Christen der erforderliche
staatliche Schutz gegen private Übergriffe ihrer Religion wegen verwehrt wurde. So
bestätigen etwa auch andere als die bereits erwähnten Quellen gewalttätige
Auseinandersetzungen und existenzbedrohende Übergriffe im Südosten der Türkei
(2., S. 2; 17.) und die Gefahr administrativer Schikanen sowie die Schutzlosigkeit
gegenüber gesetzlosen Zuständen vor der Machtübernahme durch das Militär im
September 1980 (15.). Andererseits wird aber darauf hingewiesen, daß unter
schwierigen Lebensverhältnissen und der gesetzlosen Lage vor September 1980
auch die übrige Bevölkerung zu leiden gehabt habe, die Abwanderung aus dem
Tur'Abdin vorwiegend wirtschaftliche und soziale Gründe habe und die
Wanderungsbewegung bei den Christen nicht stärker sei als bei der übrigen
Bevölkerung (vgl. vor allem 18., S. 23 ff. u. 31 ff.). Während das Auswärtige Amt als
Ursachen für die Abwanderung neben religiösen Spannungen sowohl
wirtschaftliche Schwierigkeiten als auch die in Gewalttätigkeiten ausufernden
Streitigkeiten aus sprachlichen, sozialen und ethnischen Motiven nennt, räumt es
doch gleichzeitig ein, Christen hätten teilweise existenzbedrohende
Benachteiligungen erlitten und seien gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt
gewesen, gegen die ausreichender staatlicher Schutz besonders in schwer
zugänglichen ländlichen Gebieten häufig nicht habe gewährt werden können, so
daß praktisch die christliche Minderheit oftmals gewalttätigen Übergriffen schutzlos
preisgegeben gewesen sei (2., S. 2). Wenn Wiskandt bezweifelt, daß Christen aus
dem Tur'Abdin in wesentlich größerem Ausmaß als Kurden abgewandert sind (18.,
S. 23 ff., besonders S. 28), so fällt auf, daß er die Anzahl der in der Provinz Mardin
lebenden Syrisch-Orthodoxen aus einer offiziellen Einwohnerstatistik und eigenen
Berechnungen ableitet, während die oben (unter II. 2.) erwähnten Zahlenangaben
anderer Autoren zwar vorwiegend auf Schätzungen beruhen, aber insgesamt
zutreffender erscheinen, weil dort der Bevölkerungsrückgang bei den Christen zum
größten Teil durch die Nennung von Ortsnamen und exakten Einwohnerzahlen
belegt ist. Es mag zutreffen, daß die historischen Fakten in den epd-
Dokumentationen (5. u. 32.) nicht immer neutral dargestellt sind und die religiösen
Bezüge dort ebenso einseitig in den Vordergrund gestellt werden wie von Yonan
(1.) der Prozeß der Entwicklung einer assyrischen Nation. Abgesehen aber davon,
daß Wiskandt seine Befragungen offenbar ohne die in solchen Situationen wichtige
Vertrauensbasis zu den befragten Personen ohne Bekanntgabe seines Auftrags
durchgeführt hat, ist in seinem Gutachten an zahlreichen Stellen nachzuweisen,
daß seine Ausführungen nicht völlig frei sind von Vorverständnissen und
festliegenden persönlichen Positionen, die die Beantwortung der ihm gestellten
Fragen teilweise beeinflußt haben könnten (vgl. dazu im einzelnen 23., 24., 25.).
So wirft er der ersten epd-Dokumentation offen bewußte Zahlenmanipulation vor
(S. 27, 29), polemisiert gegen die "hiesige Lobby der Sürjannis" (S. 65) und
beschreibt die "Erfolge" der Militärregierung ohne jede Einschränkung (S. 20 ff.),
obwohl Vorbehalte gegen die Politik der Militärregierung angesichts zahlreicher
Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zumindest
erwähnenswert gewesen wären.
Diese Bewertung gilt nicht nur für die syrisch-orthodoxen Christen (vgl. dazu Hess.
VGH, 26.03.1990 -- 12 UE 2997/86 -- m.w.N.), sondern auch für die Armenier.
Deren Lage stellt sich zwar insoweit günstiger dar, als sie -- wie ja auch der Kläger
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Deren Lage stellt sich zwar insoweit günstiger dar, als sie -- wie ja auch der Kläger
über viele Jahre -- vorwiegend in Istanbul leben und dort sowohl von der im
Verhältnis zur Osttürkei weitaus günstigeren Wirtschafts- und Sicherheitslage
profitieren als auch in den Genuß der Minderheitenrechte im schulischen und
kirchlichen Bereich gelangen. Andererseits wird aber vom türkischen Staat und von
den Nationaltürken gerade im Hinblick auf die zahlreichen historischen
kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Türken und Armeniern und die
Gewalttätigkeiten einiger exilarmenischer Organisationen deren Loyalität
gegenüber der Türkischen Republik oft in Zweifel gezogen mit der Folge, daß sie
ebenfalls manchen Diskriminierungen in beruflicher und privater Hinsicht
ausgesetzt sind.
Nach alledem vermag der Senat nicht festzustellen, daß die armenischen Christen
in der Türkei in ihrer Gesamtheit im Zeitraum vom Beginn der 70er bis zum Beginn
der 80er Jahre in der Weise mittelbar aus religiösen Gründen verfolgt worden sind,
daß sie als Angehörige der christlichen Minderheit gewalttätigen Übergriffen mit
Gefahren für Leib und Leben und die persönliche Freiheit durch die muslimische
Bevölkerung ausgesetzt waren und der türkische Staat diese
Verfolgungsmaßnahmen entweder gebilligt oder zumindest tatenlos
hingenommen und damit den Christen den erforderlichen staatlichen Schutz
versagt hat.
3. Es kann auch nicht festgestellt werden, daß der Kläger persönlich bereits vor
seiner Ausreise aus der Türkei unmittelbar durch den Staat verfolgt oder aber
durch politisch motivierte Übergriffe von Mitbürgern türkischer Volkszugehörigkeit
und muslimischen Glaubens betroffen war und dagegen staatlichen Schutz nicht
wirksam in Anspruch nehmen konnte. Ebensowenig kann angenommen werden,
daß der Kläger damals schon in seiner persönlichen Freiheit, in seiner körperlichen
Unversehrtheit oder in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt oder bereits so
konkret bedroht war, daß ein asylrelevanter Eingriff unmittelbar bevorstand und er
deswegen als vorverfolgt anzusehen ist. Die Angaben des Klägers zu seinem
Lebensschicksal und zu den Gründen und Umständen seiner Ausreise aus der
Türkei sind allerdings im wesentlichen glaubhaft, wobei der Kläger wegen seines
geringen Alters zum Zeitpunkt der Ausreise verständlicherweise keine so genauen
Erinnerungen an das Leben in Diyarbakir oder Istanbul mehr hat.
Danach ist der Kläger 1965 in Diyarbakir geboren, wo er bis zur dritten Klasse die
Grundschule besuchte. Nachdem dann die gesamte Familie nach Istanbul
gezogen war, setzte er dort die Schule fort und beendete sie nach insgesamt fünf
Grundschuljahren. Mit elf Jahren fing er an, in einem Goldschmiedeatelier zu
arbeiten. Der Vater des Klägers, der in Istanbul eine Schneiderei besaß, war
Armenier, während die Mutter der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft
angehört, ebenso wie die Großmutter. Der Vater des Klägers ist vor drei Jahren
verstorben, seine Mutter lebt in der Bundesrepublik Deutschland, ebenso wie die
übrigen Familienmitglieder, darunter die beiden älteren Brüder O (Kläger des
Verfahrens) und Y (Kläger des Verfahrens). Ein Onkel ist nach Amerika
ausgewandert, ein anderer nach Frankreich; in der Türkei hat der Kläger keinerlei
Verwandte mehr.
Der Senat konnte indessen nicht die Überzeugung gewinnen, daß der Kläger in
Istanbul -- und hierauf ist im wesentlichen abzustellen, weil der Kläger, der zum
Zeitpunkt der Ausreise 15 Jahre alt war, vorher dort mehrere Jahre gelebt hat --
politische Verfolgung erlitten hat. Die Gründe, warum er ebenso wie auch seine
Verwandten Istanbul verlassen hat, erscheinen vielgestaltig, rechtfertigen aber
nicht die Annahme einer dortigen Verfolgung in asylrechtlich erheblicher Weise.
Eigene Erinnerungen an die Zeit damals in der Türkei hat der Kläger ohnehin kaum
noch; seine Angaben beruhen eher auf dem, was ihm die übrigen
Familienmitglieder erzählt haben. Er selbst kann sich nur noch erinnern, daß sie als
Kinder in Diyarbakir regelmäßig in die Kirche gegangen sind, wo sie auch als
Ministranten tätig waren. Es habe sich um eine sehr große Kirche gehandelt,
verbunden mit Wohnanlagen, wo auch seine Großeltern wohnten. Nach den
Angaben der älteren Brüder sind diese Gebäude oft von Muslimen mit Steinen
oder Tomaten beworfen worden.
Die geschilderten Erlebnisse lassen -- soweit sie überhaupt der Person des Klägers
zuzurechnen sind und selbst wenn man sie in ihrer Gesamtheit betrachtet -- nicht
die Annahme zu, daß der Kläger persönlich vor seiner Ausreise einer
asylrelevanten politischen Verfolgung ausgesetzt war. Eine unmittelbar von
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asylrelevanten politischen Verfolgung ausgesetzt war. Eine unmittelbar von
staatlichen Stellen ausgehende Verfolgung ist nicht behauptet; der geschilderte
Sachverhalt rechtfertigt aber auch nicht die Annahme einer auf die Person des
Klägers abzielenden mittelbaren staatlichen Verfolgung dergestalt, daß dem
türkischen Staat das Verhalten Dritter als politische Verfolgung zugerechnet
werden müßte, weil staatliche Stellen asylrelevante Übergriffe Dritter gefördert
oder zumindest ohne Einschreiten geduldet hätten. Soweit der Kläger oder seine
Familienangehörigen allgemein Beschimpfungen durch Muslime wegen ihrer
Religionszugehörigkeit -- während der Schulzeit und auch später -- geschildert
haben, kann asylrechtlich zu ihren Gunsten hieraus schon deswegen nichts
hergeleitet werden, weil hierdurch ersichtlich nicht das sogenannte religiöse
Existenzminimum angegriffen ist, vor dessen Beeinträchtigung Art. 16 Abs. 2 Satz
2 GG allein schützt, so daß nicht weiter darauf eingegangen werden muß, inwiefern
der türkische Staat überhaupt für das Verhalten von Schulkameraden und
beliebigen Dritten verantwortlich gemacht werden könnte. Nach dem klägerischen
Vortrag konnte die Familie jedenfalls im Kreise der armenischen Christen in
Istanbul den Anforderungen ihres christlichen Glaubens gemäß leben und ihre
Religion ausüben; sie hatte dort auch eine ausreichende Lebensgrundlage, denn
sowohl der Vater als auch die Brüder des Klägers und schließlich auch dieser selbst
waren erwerbstätig. Soweit die Familie -- ohne daß der Kläger hierzu aus eigener
Kenntnis nähere Einzelheiten hätte schildern können -- Erpressungsversuchen
oder sonstigen Straftaten Dritter ausgesetzt war, ist ebenfalls weder der religiöse
Zusammenhang hinreichend dargetan, noch sind Anhaltspunkte für eine
Verantwortlichkeit des türkischen Staates ersichtlich, zumal man offenbar nicht
den Mut hatte, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Außerdem ist nicht ersichtlich,
daß derartige Übergriffe bereits existenzbedrohende Ausmaße angenommen und
nach Art und Schwere die Menschenwürde tangiert hätten.
Schließlich ist der Kläger auch nicht deshalb als vorverfolgt anzusehen, weil ihm
zum Zeitpunkt seiner Ausreise ein asylrelevanter Eingriff unmittelbar
bevorgestanden hätte; dies kann insbesondere -- wie auch das Verwaltungsgericht
zutreffend ausgeführt hat -- unter dem Gesichtspunkt des noch abzuleistenden
Wehrdienstes schon deswegen nicht angenommen werden, weil dem zum
Zeitpunkt der Ausreise 15jährigen Kläger die Heranziehung zum Wehrdienst in
einem überschaubaren Zeitraum nicht drohte. Dies war für das Verwaltungsgericht
letztlich auch ausschlaggebend für die Klageabweisung. Die Wehrpflicht beginnt
nämlich erst mit Vollendung des 20. Lebensjahres (53.; 63., S. 15).
4. Ist demnach der Kläger unverfolgt ausgereist und legt man demzufolge den
"normalen" Wahrscheinlichkeitsmaßstab an (vgl. BVerwG, 31.03.1981 -- 9 C 286.80
--, EZAR 200 Nr. 3 = DVBl. 1981, 1096, 25.09.1984 -- 9 C 17.74 --, BVerwGE 70,
169 = EZAR 200 Nr. 12, u. 03.12.1985 -- 9 C 22.85 --, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ
1986, 760), so kann auch nicht festgestellt werden, daß dem Kläger bei einer
Rückkehr in die Türkei im jetzigen Zeitpunkt als Angehörigen einer kollektiv
verfolgten Gruppe politische Verfolgungsmaßnahmen drohen. Zwar hat sich die
Rechts- und Tatsachenlage seit der Ausreise des Klägers im April 1980 in
mehrfacher Hinsicht verändert; hieraus kann aber auf eine gegenwärtige
Gruppenverfolgung armenischer Christen in der Türkei nicht geschlossen werden.
Was die Gestaltung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen angeht, so
sehen die Vorschriften des Art. 24 der 1982 in Kraft getretenen neuen türkischen
Verfassung vor, daß niemand gezwungen werden darf, an Gottesdiensten,
religiösen Zeremonien und Feiern teilzunehmen oder seine religiöse Anschauung
und seine religiösen Überzeugungen zu offenbaren (Abs. 3) und daß die Religions-
und Sittenerziehung und -lehre unter der Aufsicht und Kontrolle des Staates
durchgeführt werden und religiöse Kultur und Sittenlehre in den Grund- und
Mittelschulen zu den Pflichtfächern gehören (Abs. 4). Auf der Grundlage der
letztgenannten Verfassungsbestimmung ist in den Jahren 1982 bis 1985 der
bisherige Moralkundeunterricht mit dem Religionsunterricht zusammengelegt und
als Pflichtfach eingeführt worden (46., S. 5; 55.; 57., S. 9 ff.; 58., S. 5; 63., S. 20;
64, S. 5; 69.). Mit Beschluß vom 3. Oktober 1986, Nr. 28, des Erziehungs- und
Ausbildungsausschusses, der im Mitteilungsblatt des Ministeriums für nationale
Erziehung, Jugend und Sport vom 20. Oktober 1986, Nr. 2219, veröffentlicht wurde
(Anlage zu 50.; 57., S. 21 ff.), wurden "allgemeine Prinzipien der Religionslehre und
des Ethikunterrichts" festgelegt und ein Ausbildungsprogramm für diese Fächer
verabschiedet. Danach ist der Grundsatz des Laizismus immer zu beachten und
zu schützen und darf niemand zu religiösen Handlungen gezwungen werden;
außerdem ist bestimmt, daß, wenn den Kindern die "nationale Moral gelehrt wird",
unter den Religionen nicht unterschieden wird, um den Kindern später die
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unter den Religionen nicht unterschieden wird, um den Kindern später die
Anpassung an die Gesellschaft zu erleichtern. Insgesamt kommt in dem
Ausbildungsprogramm zwar deutlich zum Ausdruck, daß der Islam die Religion der
Türkei und Mohammed ein Vorbild für die Türken sein soll (57., S. 28 ff.). Die nach
dem Verfassungsgrundsatz des Laizismus gebotene Distanz des türkischen
Staats gegenüber der islamischen Religion äußert sich aber darin, daß türkische
Schüler christlichen Glaubens das islamische Glaubensbekenntnis, die islamische
Einleitungsformel, die Glaubensformel Amentü, die Koranverse und das islamische
Ritualgebet Namaz nicht zu lernen und keine Kenntnisse über Namaz, Ramadan,
die Regeln über die islamischen Jahresspenden und das Pilgern nach Mekka zu
erwerben brauchen (vgl. Nr. 4 der Anlage zu 50. u. Nr. 4 in 57., S. 23). Durch
ergänzenden Beschluß vom 29. Januar 1987, Nr. 23, veröffentlicht im
Mitteilungsblatt vom 9. Februar 1987, Nr. 2227, wurde zudem klargestellt, daß
christliche Schüler während der Behandlung der betreffenden Lehrinhalte nicht in
der Klasse anwesend sein müssen (57., S. 31 ff.). Nach alledem bieten die
gesetzlichen und die verwaltungsinternen Vorschriften, die auch Gegenstand eines
beim Höchsten Gerichtshof anhängigen Prozesses sind (63., S. 24 ff.), keine
Veranlassung für die Annahme, der türkische Staat greife zum jetzigen Zeitpunkt
unmittelbar in die Freiheit der religiösen Betätigung der Syrisch-Orthodoxen oder
anderer Christen in einer Weise ein, die die Menschenwürde oder das religiöse
Existenzminimum antastet. Davon abgesehen verfolgte die Einführung des
staatlichen Pflichtunterrichts in Ethik und Religion das Ziel einer Eindämmung der
privaten Koranschulen (20.; 57., S. 1) und läßt deshalb für sich keinen Rückschluß
auf eine damals und noch jetzt vorhandene Neigung staatlicher Stellen zur
gezielten Beeinträchtigung nichtmuslimischer Religionen zu. Auch eine mittelbare
staatliche Gruppenverfolgung läßt sich im Zusammenhang mit dem
Religionsunterricht nicht feststellen. Zwar mag in einigen Fällen von den
Lehrkräften gegen die oben behandelten Vorschriften verstoßen werden und es zu
Diskriminierungen von christlichen Schülern kommen mit der Folge, daß diese
lieber an den islamischen Gebeten teilnehmen (vgl. 34.; 45., S. 3; 50.; 57., S. 26
ff., 35 ff. u. 47 ff; 58., S. 5; 63. S. 20 f.; 64., S. 5 ff.; 69.; 75.; 76., S. 5). Abgesehen
von der insoweit meist fehlenden Intensität der einzelnen Maßnahmen sind die
gelegentlichen Übergriffe von Lehrkräften dem türkischen Staat asylrechtlich nicht
zuzurechnen, weil auch gegenwärtig Anhaltspunkte dafür, daß die Verantwortlichen
an höherer Stelle derartige dienstliche Verfehlungen fördern oder zumindest
dulden, nicht festgestellt werden können (vgl. 58., S. 5).
Die Behandlung christlicher Wehrpflichtiger in der türkischen Armee hat sich nach
den Erkenntnissen des Senats seit der Machtübernahme durch das Militär im
September 1980 merklich verschlimmert. Die vorliegenden Auskünfte und
Stellungnahmen gehen nach wie vor überwiegend dahin, daß Drangsalierungen
durch Verbalinjurien und Schläge weiterhin vorkämen, daß aber Fälle von
Zwangsbeschneidungen und -bekehrungen nicht oder nur selten bekannt
geworden seien (53.; 56.; 61., S. 6; 63., S. 15; 64., S. 9; 66., S. 2 f.; 74., S. 4 f.; 77.,
S. 4). Demgegenüber hat ein Zeuge in einem Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nähere Angaben über einzelne Fälle von
Zwangsbeschneidungen gemacht (47.). Dieser ist 16 Monate lang bis Juli 1985
Militärarzt in Agri in der Osttürkei gewesen und hat während seiner Dienstzeit etwa
90 christliche Rekruten kennengelernt. Seinen Angaben zufolge kann er zwar nicht
als Augenzeuge bestätigen, daß jemand beim Militär einer mit körperlicher Gewalt
durchgeführten Zwangsbeschneidung unterzogen worden ist. Er hat allerdings
glaubhaft bezeugt, daß man auf andere Weise Personen dazu gezwungen hat, sich
beschneiden zu lassen. Er selbst habe die Beschneidung einiger Soldaten, die zu
ihm zur Zwangsbeschneidung geschickt worden seien, zwar abgelehnt. Er habe
aber mit eigenen Augen gesehen, daß man im Militärkrankenhaus von Agri einen
christlichen Soldaten beschnitten habe, der bei einem späteren Gespräch
offenbart habe, daß er nur unter Zwang die Beschneidung habe vornehmen
lassen; der Soldat sei nämlich nach seiner anfänglichen Weigerung "vom
Schreibdienst zum Toilettenplatz degradiert" und dann auch noch wiederholt
geschlagen worden. Der Zeuge gab ferner an, er wisse, daß 30 bis 40 Soldaten der
Beschneidung im Krankenhaus unterzogen worden seien; er habe diese Soldaten
aus den üblichen Generaluntersuchungen, die alle drei Monate stattfänden,
gekannt, und alle hätten ihm unter vier Augen bedeutet, sie seien auf keinen Fall
zur Beschneidung bereit gewesen. Die in einem Verfahren des Senats (12 UE
2997/86 = Dok. 78.) am 22. März 1990 vernommenen sechs Zeugen haben
ähnliches bekundet. Sie haben in dem Zeitraum zwischen Juli 1980 und Dezember
1986 jeweils unabhängig voneinander ihren Militärdienst abgeleistet und sind
allesamt Christen entweder -- in einem Fall -- armenisch-katholischer oder
arabisch- bzw. rum-orthodoxer Religionszugehörigkeit. Ihre mindestens drei
arabisch- bzw. rum-orthodoxer Religionszugehörigkeit. Ihre mindestens drei
Monate lange Grundausbildung absolvierten drei von ihnen in Sivas und die
übrigen in Amazya, und ihren anschließenden Dienst versahen sie in Samsun,
Konya, Istanbul, Van, Agri und Sarikamis. Alle sechs Zeugen haben glaubhaft
bekundet, daß sie während ihrer Militärzeit beschnitten worden sind, und zwar mit
einer Ausnahme im Verlaufe der Grundausbildung. Der Zeuge, der sich der
Beschneidung in der Grundausbildung noch entziehen konnte, hat dies
nachvollziehbar auf ein gewisses Wohlwollen seines Vorgesetzten zurückgeführt,
das er durch die Reparatur von dessen Fernsehapparat erlangt gehabt habe;
dieser Zeuge wurde dann an seinem neuen Standort Sarikamis beschnitten (78.,
S. 13). die Zeugen sind ihren in sich stimmigen und von den übrigen
Verfahrensbeteiligten nicht in Zweifel gezogenen Angaben zufolge jeweils im
örtlichen Militärkrankenhaus beschnitten worden. Einem wurde vorgetäuscht, daß
er lediglich untersucht werde; er wurde sodann in Vollnarkose versetzt und
beschnitten (78., S. 3). Den anderen war klar oder wurde spätestens von den
Militärärzten eröffnet, daß sie beschnitten werden sollten. Hiervon ließen sich die
Ärzte auch nicht abbringen, obwohl drei der Zeugen ihnen gegenüber äußerten,
daß sie eine Beschneidung ablehnten; die Ärzte verwiesen entweder auf einen
ihnen erteilten Befehl oder auf die Regeln des Islam (78., S. 5, 7, 9). Einer der
Zeugen gab an, er habe sich angesichts eines vorausgegangenen Befehls des
obersten Vorgesetzten am Standort und anwesender Wachen nicht getraut, dem
Arzt gegenüber eine Beschneidung zu verweigern (78., S. 14). Und nur ein einziger
der sechs Zeugen hat ausgesagt, daß er sich nicht auf Befehl, sondern auf den
Rat des Arztes hin habe beschneiden lassen, weil er keinen anderen Ausweg
gesehen habe, wenn er nicht jeden Tag Prügel habe beziehen wollen (78., S. 11).
Des weiteren haben fünf der Zeugen nicht nur von ihrer eigenen Beschneidung,
sondern darüber hinaus davon berichtet, daß die übrigen ihnen bekannten
christlichen Rekruten, die zum selben Zeitpunkt einberufen worden waren oder in
derselben Einheit Wehrdienst leisteten, nahezu ausnahmslos während der
Grundausbildung gegen ihren Willen beschnitten worden seien; insoweit wurden für
Sivas von einem Zeugen für seine Dienstzeit zehn armenische Christen (78., S. 3)
und von einem anderen für seine Dienstzeit insgesamt ca. 30 Christen (78., S. 9)
und für Amazya von drei Zeugen jeweils für die eigene Dienstzeit ca. 35 bzw. 45
bzw. 30 christliche Rekruten genannt (78., S. 4 f., S. 8 u. S. 12 f.). Einer der
Zeugen hat ferner bekundet, daß er sich nicht nur bei seinem Kompaniechef,
sondern -- zusammen mit anderen zwangsbeschnittenen Christen -- sogar bei
dem ranghöchsten Offizier in Sivas über den Eingriff erfolglos beschwert habe (78.,
S. 3); ein anderer Zeuge hat angegeben, daß er sich bei seinem direkten
Vorgesetzten ohne Erfolg zum Zwecke einer Beschwerde bei dem nächsthöheren
Vorgesetzten angemeldet habe (78., S. 5), und ein dritter, daß er wegen
Beleidigung seines direkten Vorgesetzten Disziplinararrest erhalten habe, als er
sich über diesen beim nächsthöheren Vorgesetzten beschwert habe (78., S. 11).
Wenn nach alledem nunmehr davon auszugehen ist, daß es nicht nur in Agri,
sondern auch in Sivas, Amazya und Sarikamis zu Zwangsbeschneidungen von
christlichen Wehrpflichtigen gekommen ist, und zwar nicht lediglich von einzelnen
Personen, sondern seit dem Militärputsch offenbar von nahezu allen zu einem
bestimmten Dienstantrittstermin einberufenen Rekruten, so vermag der Senat
jedenfalls in bezug auf diese Standorte und auch für die Zukunft eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit dafür nicht (mehr) zu verneinen, daß -- soweit eine
Beschneidung nicht sogar ausdrücklich befohlen wird -- christliche Wehrpflichtige
von Kameraden und insbesondere auch von Vorgesetzten mindestens derart
unter Druck gesetzt werden, daß sie einer Beschneidung regelmäßig nicht
ausweichen können. Mit physischer oder psychischer Gewalt durchgeführte
Beschneidungen liegen als Eingriffe in die körperliche Integrität, die regelmäßig mit
einem stationären Aufenthalt im Militärkrankenhaus verbunden sind, und als
Maßnahmen, die die Opfer unter Mißachtung ihres religiösen und personalen
Selbstbestimmungsrechts zum bloßen Objekt erniedrigen und deshalb das
religiöse Existenzminimum berühren, über der Schwelle dessen, was -- auch mit
Blick auf die allgemein rauhen Umgangsformen innerhalb der türkischen Armee
(39., S. 5; 41., S. 5 f.; 77., S. 2 u. 5) -- noch als hinnehmbar angesehen werden
kann (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, 15.02.1990 -- 14 A 10082/87 --).
Derartige Beschneidungen knüpfen überdies erkennbar an die
Religionszugehörigkeit der Betroffenen an. Denn sie stellen nach ihrem inhaltlichen
Charakter objektiv und nicht nur aus der Sicht derjenigen, die sie anordnen oder
veranlassen, und derjenigen, die sie durchführen, einen ersten und
unabänderlichen äußeren Schritt zur zwangsweisen Bekehrung der Opfer zum
Islam dar; den Betroffenen wird damit nämlich die symbolhafte Aufnahme in die
islamische Gemeinschaft aufgenötigt, mag deren innere religiöse Einstellung allein
dadurch auch noch unberührt bleiben können (vgl. 39., S. 5). Der Senat ist darüber
dadurch auch noch unberührt bleiben können (vgl. 39., S. 5). Der Senat ist darüber
hinaus aufgrund der ihm nunmehr vorliegenden Erkenntnisse auch zu der
Überzeugung gelangt, daß die betreffenden Verfolgungsmaßnahmen dem
türkischen Staat zuzurechnen sind (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, 15.02.1990
-- 14 A 10082/87 --). Eine zurechenbare Verfolgung liegt nämlich schon dann vor,
wenn der Staat in der Armee auftretenden asylrelevanten Übergriffen auf
Wehrpflichtige nicht entgegenwirkt, indem er beispielsweise präventive
Vorkehrungen trifft, um Übergriffe zu verhindern, und indem er, wenn solche
Übergriffe gleichwohl vorkommen, den Opfern Schutz gewährt und gegen
pflichtwidrig Handelnde Sanktionen verhängt (BVerwG, 22.04.1986 -- 9 C 318.85
u.a. --, BVerwGE 74, 160 = EZAR 202 Nr. 8). Die Vielzahl der jetzt bekannt
gewordenen Fälle von Zwangsbeschneidungen christlicher Wehrpflichtiger während
ihres Militärdienstes kann der militärischen Führung nicht verborgen geblieben
sein. Gleichwohl hat sie keinerlei Vorkehrungen dafür getroffen, daß derartige
Übergriffe in Zukunft unterbleiben, sondern sie bietet hierzu offenbar weiterhin
Gelegenheit in mehreren Militärkrankenhäusern, in denen Beschneidungen ohne
weiteres und gegen den Willen der Betroffenen vorgenommen werden.
Ebensowenig kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vom 22. März 1990
(78.) und den sonst vorliegenden Erkenntnisquellen noch festgestellt werden, daß
den Betroffenen wenigstens im nachhinein Schutz gewährt wird und daß
diejenigen, die Beschneidungen anordnen, veranlassen oder durchführen,
prinzipiell zur Rechenschaft gezogen werden (79.; 81.). Schon bisher ist der Senat
davon ausgegangen, daß die Beschwerden von Soldaten in den unteren Rängen
häufig nicht akzeptiert werden und die Folgen einer Beschwerdeeinlegung für sie
eher negativ sind, so daß sie aus Angst oder wegen des sozialen Drucks in ihrer
Einheit in der Praxis von der Beschreitung des Beschwerdewegs meist absehen
(41., S. 6; 56.; 57.; 61.; 77., S. 4). Diese Einschätzung haben einige der Zeugen
bestätigt und dabei insbesondere auch darauf hingewiesen, daß sie keine Chance
für eine erfolgreiche Beschwerde an höherer Stelle gesehen hätten, weil jeweils der
Beschwerdeweg über den direkten Vorgesetzten einzuhalten sei (78., S. 5 f., 7,
10), und daß wegen der Kontrolle der Post auch die Einschaltung politischer Stellen
nicht angezeigt gewesen sei (78., S. 3). Darüber hinaus hat einer der Zeugen
glaubhaft bekundet, daß selbst der ranghöchste Vorgesetzte am Standort Sivas
auf seine Beschwerde hin nicht tätig geworden sei (78., S. 3); andere haben
angegeben, daß ihre Beschneidung nicht irgendein militärischer Unterführer,
sondern der jeweilige Kapitän (Hauptmann) ihrer Einheit selbst befohlen habe (78.,
S. 7, S. 13 f.). Wenn schließlich der ranghöchste Vorgesetzte in Sivas auf eine
Beschwerde hin geäußert hat, es sei beschlossene Sache, in der Türkei einen
islamischen Einheitsstaat zu schaffen (78., S. 3), so bestätigt dies hinreichend
deutlich, daß die Militärführung offenbar dem Laizismus nicht mehr hinreichend
Geltung verschafft und vor dem Hintergrund der in der Türkei spürbaren
Rückbesinnung auf islamische Werte Übergriffe gegenüber christlichen
Wehrpflichtigen nicht mehr energisch genug unterbindet (56.; 61.; 74., S. 4; 77., S.
5). Nimmt man noch hinzu, daß der Generalstab im Ramadan 1984 kollektiv
gefastet hat und daß in letzter Zeit Offiziere zum gemeinsamen Freitagsgebet
aufgefordert haben (77., S. 5), ferner daß der Staatsminister für das Amt für
religiöse Angelegenheiten am 10. November 1989 geäußert haben soll, es sei jetzt
notwendig, die Christen zu islamisieren (76., S. 18; vgl. dazu auch 61., S. 6), so
liegen nunmehr die -- vom Senat bisher vermißten (vgl. zuletzt vor allem Hess.
VGH, 27.02.1989 -- 12 UE 839/85 --, 20.11.1989 -- 12 UE 2336/85 -- u. 04.12.1989
-- 12 UE 2652/85 u. 12 UE 63/86 --) -- verwertbaren Tatsachen vor, die auf eine
Förderung oder zumindest Duldung von Zwangsbeschneidungen gegenüber
christlichen Wehrpflichtigen hindeuten. Denn einmal sind jetzt konkrete Fälle
bekannt, in denen Beschwerden eingereicht und bei höherer Stelle erfolglos
geblieben sind, und zum anderen finden sich Äußerungen verantwortlicher
Personen in der Öffentlichkeit oder gegenüber Betroffenen, die -- im Einklang mit
entsprechenden Beschlüssen des "Islamischen Rates" aus dem Jahr 1984 (vgl. 65.)
-- den generellen Schluß auf eine staatliche Politik zulassen, die den Umstand
mindestens mit Wohlwollen sieht -- wenn nicht sogar gezielt herbeiführt --, daß sich
Christen durch Drangsalierungen auf verschiedensten Ebenen -- nicht nur beim
Militär -- zur Ausreise veranlaßt sehen (56.; 77., S. 4; vgl. auch 43., S. 7, u. 45., S.
4). Bei alledem bedarf es -- zumal keiner der Beteiligten das vorliegende
Tatsachenmaterial angezweifelt oder die Einholung weiterer Auskünfte oder
gutachtlicher Stellungnahmen substantiiert beantragt hat -- derzeit keiner
diesbezüglichen weiteren Ermittlungen; denn bereits auf der Grundlage der dem
Senat vorliegenden Erkenntnisquellen steht fest, daß gegenwärtig nicht (mehr)
davon die Rede sein kann, daß der türkische Staat im großen und ganzen
erfolgreich das pflichtwidrige Handeln von Militärangehörigen bekämpft und daß
deshalb -- trotz Mißlingens einer lückenlosen Verhinderung und Ahndung aller in
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deshalb -- trotz Mißlingens einer lückenlosen Verhinderung und Ahndung aller in
seinem Machtbereich auftretenden Vorfälle -- seine asylrechtliche
Verantwortlichkeit entfällt. Indessen reichen die vorliegenden Feststellungen nicht
für die Annahme aus, daß christliche Wehrpflichtige allgemein mit einer
Zwangsbeschneidung im Militär in dem Sinne zu rechnen haben, daß daraus auf
eine politische Kollektivverfolgung aller Christen oder zumindest des abgegrenzten
Kreises aller wehrpflichtigen Gruppenangehörigen geschlossen werden könnte.
Denn die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus,
die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von
Eingriffshandlungen aufweist, daß dabei nicht mehr nur von -- möglicherweise
zahlreichen -- individuellen Übergriffen gesprochen werden kann, sondern von
einer ohne weiteres bestehenden aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes
Gruppenmitglieds (BVerwG, 08.02.1989 -- 9 C 33.87 --, EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-
RR 1989, 502). Dafür genügen die bisher lediglich für vier Standorte festgestellten
Zwangsbeschneidungen von christlichen Wehrpflichtigen für sich allein noch nicht,
zumal aus einer politischen Verfolgung der wehrpflichtigen Gruppenangehörigen
nicht ohne weiteres eine Kollektivverfolgung der Syrisch-Orthodoxen oder der
Armenier insgesamt entnommen werden könnte (BVerwG, 24.08.1989 -- 9 B
301.89 --, NVwZ 1990, 80 = InfAuslR 1989, 348).
Dem Kläger droht im Rückkehrfalle auch keine mittelbare staatliche
Gruppenverfolgung im Hinblick auf mögliche Übergriffe muslimischer Eiferer
außerhalb des Militärdienstes. Wie oben ausgeführt, hatten armenische Christen --
ebenso wie die Angehörigen anderer christlicher Minderheiten in der Türkei -- bis
zur Ausreise des Klägers allgemein und insbesondere in Istanbul eine derartige
politische Verfolgung nicht zu befürchten. Inzwischen hat sich die Sicherheitslage
nach der Machtübernahme durch die Militärs im September 1980 allgemein
erheblich verbessert, und dies hat sich nach allgemeiner Einschätzung auch
zugunsten der armenischen Christen in Istanbul wie in anderen Landesteilen
ausgewirkt (vgl. dazu etwa 18., S. 34; 20.; 25.; 28.; 33.; 35.; 89.). Insoweit stellt sich
die Situation bei den Armeniern nicht anders dar als bei den Syrisch-Orthodoxen
(zu letzteren vgl. zuletzt Hess. VGH, 26.03.1990 -- 12 UE 2997/86 --, 12 UE
2702/86 --, -- 12 UE 2970/86 -- u. -- 12 UE 2998/86 --). Das Auswärtige Amt hat
dazu nach eingehenden Gesprächen mit syrisch-orthodoxen Geistlichen unter
bezugnahme auf einen deutschsprachigen Bericht in dem Organ der Erzdiözese
der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien in Europa vom Dezember
1982/Januar 1983 einen zunehmenden staatlichen Schutz für die syrisch-
orthodoxen Christen nach der Machtübernahme durch die Militärs festgestellt
(33.). Die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei berichtet
davon, daß von der Geistlichkeit und von einzelnen Gemeindemitgliedern immer
wieder festgestellt werde, daß sich die Verhältnisse nach dem 12. September 1980
gebessert hätten (26.). Die Sürjanni Kadim berichtet, ihre Mitglieder befänden sich
wie jeder andere türkische Bürger nach dem 12. September 1980 "in Ruhe und in
Sicherheit" (27.). Nach Auskunft der Sachverständigen Dr. Harb-Anschütz hat sich
nach dem 12. September 1980 auch in Istanbul die Lage der syrisch-orthodoxen
Christen wesentlich verbessert (28.). Zu demselben Ergebnis gelangten die
Teilnehmer einer von der Evangelischen Akademie Bad Boll im Mai 1983
veranstalteten Studienfahrt in die Türkei (30., S. 7 u. 18). Soweit eine
Verbesserung der Sicherheitslage mit den entsprechenden Auswirkungen auf die
Situation der Syrisch-Orthodoxen in Istanbul bezweifelt wird (32., S. 17 ff.), fehlt es
an konkreten Hinweisen darauf, daß sich tatsächlich entgegen der allgemeinen
Lebenserfahrung die in der Türkei in den letzten Jahren zu beobachtende
Verbesserung der Sicherheitslage nicht auch zugunsten der christlichen
Bevölkerung -- und damit auch der zahlenmäßig die stärkste Gruppe der Christen
bildenden Armenier -- ausgewirkt haben könnte. Auch bei Berücksichtigung
neuerer Erkenntnisquellen hält der Senat an dieser Einschätzung fest.
Insbesondere läßt die insgesamt vorsichtig gehaltene und nach Straftaten
differenzierende Stellungnahme des Sachverständigen Oehring an das
Verwaltungsgericht Kassel vom 11. Juli 1988 (59.) nicht die Annahme zu, daß
türkische Staatsbürger christlichen Glaubens generell gegenüber Straftaten
muslimischer Staatsbürger strafrechtlichen Schutz nicht erhielten; entsprechend
ist das Gutachten der Gesellschaft für bedrohte Völker vom Dezember 1988 (63.,
S. 13 f.) zu würdigen. Denn nach einer aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amts
(72.) sind keine Fälle bekannt geworden, in denen christlichen Türken behördlicher
Schutz durch Abweisung ihrer Strafanzeigen versagt worden ist (im Ergebnis
ebenso Bay. VGH, 29.11.1985 -- 11 B 85 C 35 --; VGH Baden-Württemberg,
20.06.1985 -- A 13 S 221/84 -- u. 09.02.1987 -- A 13 S 709/86 --; OVG Bremen,
14.04.1987 -- 2 BA 28/85 u. 32/85 --; OVG Hamburg, 10.06.1987 -- BfV 21/86 --;
OVG Nordrhein-Westfalen, 19.02.1987 -- 18 A 10.315/86 --; st. Rspr. des Senats,
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62
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OVG Nordrhein-Westfalen, 19.02.1987 -- 18 A 10.315/86 --; st. Rspr. des Senats,
vgl. zuletzt z.B. 26.03.1990 -- 12 UE 2997/86 --).
5. Dem Kläger droht indessen zur Überzeugung des Senats bei einer Rückkehr in
seine Heimat zum derzeitigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
politische, nämlich an seine Religionszugehörigkeit anknüpfende Einzelverfolgung
im Rahmen des für ihn absehbar bevorstehenden Militärdienstes; daß er im
Rückkehrfalle außerhalb des Militärdienstes von an seine Religionszugehörigkeit
anknüpfenden Übergriffen muslimischer Türken betroffen und diesen
Verfolgungsmaßnahmen schutzlos ausgesetzt wäre, kann nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit angenommen werden, denn wie oben (unter II. 4.) dargelegt,
hat sich die Verbesserung der Sicherheitslage nach der Machtübernahme durch
die Militärs im September 1980 auch zugunsten der Christen ausgewirkt und gibt
es aus jüngerer Zeit keine Bezugsfälle, in denen männliche Christen im Alter des
Klägers ernsthaft an der Ausübung ihrer Religion gehindert worden wären.
Im Hinblick darauf, daß der Kläger zwischenzeitlich 24 Jahre alt ist, sich die zu
erwartende politische Verfolgung im Rahmen der Wehrdienstleistung abspielen
wird und hiergegen wirksame Hilfe auch dann nicht zu erlangen wäre, wenn
Verwandte mit dem Kläger zurückkehren oder sich sonst noch in der Türkei
aufhalten würden, braucht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht weiter
auf die Frage eingegangen zu werden, welche Bedeutung einer eventuellen
Rückkehrbereitschaft von nahen Verwandten, insbesondere des Vaters -- der
allerdings im Falle des Klägers ohnehin bereits verstorben ist --, zukommt (vgl. zur
Problematik BVerwG, 06.03.1990 -- 9 C 14.89 u. 9 C 15.89 --; Hess. VGH,
26.03.1990 -- 12 UE 2702/86 --, -- 12 UE 2970/86 -- u. -- 12 UE 2998/86 --); da
außerdem mit der Einberufung zu rechnen ist unabhängig davon, wo der Kläger
seinen Wohnsitz nimmt, ist auch eine sog. "inländische Fluchtalternative" nicht
ersichtlich, auf die der Kläger verwiesen werden könnte (vgl. näher BVerfG,
10.07.1989 -- 2 BvR 50/86 u.a. --, BVerfGE 79, 315 = EZAR 201 Nr. 20).
Dem Kläger droht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische
Verfolgung, weil er bei einer Rückkehr in absehbarer Zeit mit seiner Heranziehung
zum türkischen Militärdienst und dort mit seiner zwangsweisen Beschneidung
rechnen müßte. Er ist mittlerweile 24 Jahre alt und unterliegt deshalb der vom 20.
bis zum 46. Lebensjahr bestehenden Wehrpflicht (53.; 63., S. 15). Da für eine
eventuelle Wehrdienstunfähigkeit oder für sonstige Gründe, die seiner Einberufung
entgegenstehen könnten, nichts ersichtlich oder von den Beteiligten dargetan ist,
muß der Kläger nach seiner Rückkehr jederzeit mit seiner Erfassung, Musterung
und anschließenden Einberufung rechnen. Insbesondere ist dafür, daß es dem
Kläger gelingen könnte, sich vollständig vom Wehrdienst "freizukaufen", nichts
ersichtlich. Abgesehen davon, daß dies für Nichthochschulabsolventen auf legalem
Wege kaum möglich sein dürfte (42.), fehlen ausreichende Anhaltspunkte dafür,
daß der Kläger den dafür gegebenenfalls erforderlichen hohen Geldbetrag (vgl. 40.;
74.) allein oder mit Hilfe seiner Verwandten aufbringen könnte, zumal seine beiden
Brüder ebenfalls in der gleichen Situation sind. Allenfalls käme gegen Zahlung
einer ebenfalls hohen Geldsumme eine Reduzierung des Militärdienstes auf zwei
Monate in Betracht (74., S. 2), was aber die Gefährdung des Klägers nicht
maßgeblich mindern würde, weil die Beschneidungen erfahrungsgemäß in der Zeit
während der Grundausbildung erfolgen. Da aus seinen Personalpapieren die
Religionszugehörigkeit ersichtlich (36.; 41., S. 7; 74., S. 3; 77., S. 3) und darüber
hinaus zumindest beim gemeinsamen Duschen offenbar werden wird (77., S. 3),
daß der Kläger nicht beschnitten ist, wird er während der Militärzeit seine
nichtmuslimische Religion mit Sicherheit nicht verbergen können; dies gilt um so
mehr, als nach den Bekundungen von einigen der im Verfahren 12 UE 2997/86
vernommenen Zeugen (78.) davon auszugehen ist, daß die nichtmuslimischen
Wehrpflichtigen gesondert festgestellt zu werden pflegen. Während der Militärzeit
droht christlichen Wehrpflichtigen gegenwärtig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
eine Beschneidung gegen ihren Willen. Zwar reichen die dem Senat hierzu bisher
vorliegenden Erkenntnisse, die sich auf vier Standorte beschränken, nicht aus, um
eine zur Annahme einer Gruppenverfolgung führende Verfolgungsdichte
festzustellen (vgl. oben II. 4., S. 35 ff.). Dies steht indessen der Bejahung einer
gerade dem Kläger drohenden Einzelverfolgung nicht entgegen. Bei seiner
diesbezüglichen Prognose läßt sich der Senat nicht etwa von rein quantitativen
oder statistischen Erwägungen leiten; die Prognose ist vielmehr das Ergebnis einer
zusammenfassenden Bewertung des relevanten Sachverhalts, wobei vor allem der
Verfolgungsdichte an den vier erkenntnisträchtigen Standorten, welche auf eine
vergleichbare, wenngleich bisher nicht bekannt gewordene Situation an anderen
Standorten hindeutet, der Schwere des drohenden Eingriffs und den in jüngster
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Standorten hindeutet, der Schwere des drohenden Eingriffs und den in jüngster
Zeit stetig zunehmenden Islamisierungstendenzen erhebliche Bedeutung
zuzumessen ist, so daß im Ergebnis die für eine Verfolgung sprechenden
Umstände größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden (vgl. zum
Prognosemaßstab insbesondere BVerwG, 23.02.1988 -- 9 C 32.87 --, EZAR 630 Nr.
25). Nach den bereits oben (S. 35 ff.) getroffenen Feststellungen kann jedenfalls
von nur vereinzelten Übergriffen fanatischer Muslime oder von einer besonders
gelagerten Ausnahmesituation in einem einzelnen Standort nach Auffassung des
Senats nicht (mehr) die Rede sein. Der Kläger befürchtet demnach zu Recht für
den Fall einer Einberufung ihn selbst treffende asylrelevante Verfolgung, die sich
der türkische Staat zurechnen lassen müßte, weil nicht mehr davon ausgegangen
werden kann, daß er Übergriffe auf christliche Wehrpflichtige im Militär im großen
und ganzen erfolgreich bekämpft (im Ergebnis a.A. OVG Nordrhein-Westfalen,
15.02.1990 -- 14 A 10082/87 --).
Im Hinblick darauf, daß der Kläger unverfolgt ausgereist ist und sich die dem
Kläger im Rückkehrfalle drohende Verfolgung mithin als sog. Nachfluchttatbestand
darstellt, weist der erkennende Senat auf folgendes hin: Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (26.11.1986 -- 2 BvR 1058/85 --, BVerfGE 72, 51 =
EZAR 200 Nr. 18, 17.11.1988 -- 2 BvR 442/88 --, InfAuslR 1989, 31, u. 08.03.1989 -
- 2 BvR 627/87 --, BayVBl. 1989, 561) setzt das Asylgrundrecht des Art. 16 Abs. 2
Satz 2 GG von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Zusammenhang
zwischen Verfolgung und Flucht voraus und kann deshalb grundsätzlich nicht auf
sog. subjektive Nachfluchttatbestände erstreckt werden, die der Asylbewerber
risikolos vom gesicherten Ort aus durch eigenes Tun geschaffen hat; etwas
anderes gelte -- als allgemeine Leitlinie -- nur dann, wenn die selbstgeschaffenen
Nachfluchttatbestände sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des
Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten Überzeugung
darstellten. Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum zwar vorwiegend auf Kritik
gestoßen (vgl. u.a. Brunn, NVwZ 1987, 301; J. Hofmann, ZAR 1987, 115; J.
Hofmann, DÖV 1987, 491; R. Hofmann, NVwZ 1987, 295; Huber, NVwZ 1987, 391;
Kimminich, JZ 1987, 194; Wolff, InfAuslR 1987, 60; Wollenschläger/ Becker, ZAR
1987, 51, 54 f.). Dennoch hat sich das Bundesverwaltungsgericht ihr
zwischenzeitlich unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach insoweit bestehende
Bindungswirkung gemäß § 31 BVerfGG angeschlossen und ausgeführt, seine
frühere Rechtsprechung zu den subjektiven Nachfluchttatbeständen sei überholt
und die Vorschrift des § 1a AsylVfG laufe für solche Nachfluchttatbestände leer, die
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon vom
Anwendungsbereich des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ausgeschlossen seien, und
regele für die beachtlichen Nachfluchttatbestände darüber hinaus, daß bestimmte,
ihre Herbeiführung betreffende Umstände bei der Asylentscheidung außer
Betracht zu bleiben hätten (BVerwG, 19.05.1987 -- 9 C 184.86 --, BVerwGE 77, 258
= EZAR 200 Nr. 19, 20.10.1987 -- 9 C 147.86 --, 20.10.1987 -- 9 C 42.87 --,
InfAuslR 1988, 22, 22.06.1988 -- 9 B 65.88 --, InfAuslR 1988, 255, 22.06.1988 -- 9 B
189.88 --, InfAuslR 1988, 254, u. 06.12.1988 -- 9 C 91.87 --, InfAuslR 1989, 135).
Außerdem hat das Bundesverwaltungsgericht die vom Bundesverfassungsgericht
aufgestellten Grundsätze im Hinblick auf weitere Fallgruppen selbstgeschaffener
Nachfluchttatbestände präzisiert -- etwa bezüglich der Asylantragstellung
(30.08.1988 -- 9 C 80.87 --, InfAuslR 1988, 337, 30.08.1988 -- 9 C 20.88 --, InfAuslR
1989, 32, 25.10.1988 -- 9 C 50.87 --, InfAuslR 1989, 173, 17.01.1989 -- 9 C 56.88 --
, BVerwGE 81, 170 = EZAR 200 Nr. 23, u. 11.04.1989 -- 9 C 53.88 --) sowie
bezüglich sog. aktiver oder passiver Republikflucht (vgl. einerseits 06.12.1988 -- 9
C 22.88 --, InfAuslR 1989, 169, andererseits 21.06.1988 -- 9 C 5.88 --, EZAR 201
Nr. 14 = NVwZ 1989, 68) -- und dabei entschieden, daß auch eine wegen dieser
Verhaltensweisen im Rückkehrfalle drohende politische Verfolgung wie ein
selbstgeschaffener Nachfluchtgrund zu behandeln und deshalb asylrechtlich
unbeachtlich sei, wenn der Ausländer sich nicht bereits im Zeitpunkt seines
diesbezüglichen Verhaltens in einer politisch bedingten Zwangslage befunden hat,
als deren Erscheinungsform sich eine "latente Gefährdungslage" darstelle, in der
keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung bestehe. Der Senat hat zur Frage der
Asylerheblichkeit selbstgeschaffener Nachfluchttatbestände ebenso wie zu der
einer möglichen Bindung an die betreffende Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (kritisch hierzu VGH Baden-Württemberg, 19.11.1987 -
- A 12 S 761/86 --, NVwZ-RR 1989, 46) bisher noch nicht grundsätzlich Stellung
genommen. Der vorliegende Fall bietet ebenfalls keine Veranlassung für eine
diesbezügliche Grundsatzentscheidung. Denn hier fehlt es schon an der vom
Bundesverfassungsgericht zugrunde gelegten Ausgangssituation, daß der
Asylbewerber den Nachfluchttatbestand risikolos vom gesicherten Ort aus durch
eigenes Tun geschaffen hat; die den Asylanspruch des Klägers begründenden
eigenes Tun geschaffen hat; die den Asylanspruch des Klägers begründenden
Umstände sind nämlich nicht von ihm selbst -- etwa durch seine Ausreise --
herbeigeführt worden, sondern ohne sein eigenes Zutun zum einen durch eine
Veränderung der Situation im türkischen Militär und zum anderen dadurch
entstanden, daß er älter und infolgedessen wehrpflichtig geworden ist. Deshalb
handelt es sich bei der ihm im Rückkehrfalle beim türkischen Militär drohenden
politischen Verfolgung um einen objektiven und damit beachtlichen
Nachfluchttatbestand.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.