Urteil des HessVGH vom 16.04.1987
VGH Kassel: örtliche zuständigkeit, politische verfolgung, asylbewerber, anschrift, hessen, landrat, aufenthalt, behörde, ausländer, anerkennung
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
7. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 TG 160/87
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 1 AsylVfG, § 8 Abs
1 S 2 AsylVfG, § 17 Abs 1
AsylVfG, § 8 Abs 1 S 4
AsylVfG, § 9 VwVfG HE
(Bearbeitung eines Asylantrages ohne genaue Anschrift)
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach seinen Angaben türkischer Staatsangehöriger
kurdischer Volkszugehörigkeit. Unter dem 22.10.1986 stellte er über einen
Bevollmächtigten beim Landrat des Main-Taunus-Kreises einen Antrag auf
Anerkennung als Asylberechtigter. In dem Antrag führte der Antragsteller aus, er
halte sich im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners auf und sei zur Zeit bei
Freunden in Frankfurt am Main wohnhaft. Der Antrag enthält keine Angaben über
die Anschrift des Antragstellers.
Mit Schreiben vom 27.10.1986 sandte der Antragsgegner dem Bevollmächtigten
des Antragstellers den erwähnten Asylantrag zurück und führte aus, dieser werde
nur bei Angabe und Nachweis der ladungsfähigen Anschrift des Antragstellers
bearbeitet. Es werde gebeten, in Zukunft dem Asylantrag eine
Meldebescheinigung beizufügen.
Am 04.11.1986 begehrte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Wiesbaden
vorläufigen Rechtsschutz. Er führte aus, er könne jederzeit über seinen
Bevollmächtigten geladen werden. Soweit der Antragsgegner die polizeiliche
Anmeldung nach dem Hessischen Meldegesetz verlange, sei dieses Begehren
nicht umsetzbar. Infolge der "illegalen" Einreise sei die Wohnsitznahme und
Anmeldung überhaupt nicht möglich.
Der Antragsteller beantragte,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
seinen Asylantrag vom 22.10.1986 entgegenzunehmen und zu bearbeiten.
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluß vom 18.12.1986 zurück. Zur
Begründung ist ausgeführt, der Antragsteller komme seinen Mitwirkungspflichten,
die im Asylverfahrensgesetz festgelegt seien, nicht nach. Wichtig sei insbesondere
die Mitteilung der Wohnanschrift. Der Antragsteller mache keinerlei Angaben
darüber, warum er seiner Mitwirkungspflicht aus § 17 Abs. 1 AsylVfG nicht
nachkommen wolle, obwohl er auf diese ausdrücklich hingewiesen worden sei.
Mit am 22.12.1986 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schreiben vom
16.12.1986 trat der Antragsgegner dem Antrag entgegen und führte aus, für die
Entgegennahme und die Bearbeitung des Asylantrags eines Asylbewerbers, der
sich in der Bundesrepublik Deutschland ohne festen Wohnsitz aufhalte, sei die
örtliche Zuständigkeit des Landrats des Main-Taunus-Kreises nicht gegeben. Er sei
zwar zuständig für das Gesamtgebiet des Landes Hessen, nicht aber für
Asylanträge von Asylbewerbern, bei denen nicht erkennbar sei, ob sie sich
überhaupt im Gebiet des Landes Hessen tatsächlich aufhielten.
Gegen der ihm am 02.01.1987 zugestellten Beschluß des Verwaltungsgerichts hat
der Antragsteller am 09.01.1987 Beschwerde eingelegt und zur Begründung
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der Antragsteller am 09.01.1987 Beschwerde eingelegt und zur Begründung
ausgeführt, bearbeitende Behörde für Asylanträge sei in Hessen die
Ausländerbehörde des Main-Taunus-Kreises. Sie sei auch dann gehalten, das
Asylbegehren anzunehmen und zu bearbeiten, wenn er, der Antragsteller, sich
noch nicht in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft für ausländische Flüchtlinge
eingefunden habe. Aus dem Asylantrag selbst sei ersichtlich, daß er bereit und
willens sei, seiner Pflicht , vor der Ausländerbehörde zu erscheinen,
nachzukommen. Im übrigen habe der Antragsgegner entgegen der
Sachbearbeitung im vorliegenden Fall bei gleichgelagerten Fällen die
Entgegennahme des schriftlichen Asylantrags nicht verweigert, wenn sich der
Antragsteller nicht in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft für ausländische
Flüchtlinge aufgehalten habe oder nicht amtlich gemeldet gewesen sei.
Der Antragsgegner trat der Beschwerde entgegen. Er wiederholte und vertiefte
sein bisheriges Vorbringen und führte aus, seine Zuständigkeit für die
Antragstellung nach § 8 AsylVfG setze voraus, daß sich der Ausländer entweder im
Bezirk des Main-Taunus-Kreises oder wenigstens auf dem Gebiet des Landes
Hessen aufhalte. Dieser Aufenthalt müsse vor der Bejahung der Zuständigkeit
positiv festgestellt werden. Ein Asylbewerber, der wie der Antragsteller weder in der
Hessischen Gemeinschaftsunterkunft für ausländische Flüchtlinge noch an einem
anderen Ort in Hessen einen festen Wohnsitz nehme und diesen aktenkundig
mache, setze sich dem begründeten Verdacht aus, sein Verfahren verzögern und
das ihm aufgrund seines Asylantrags erwachsende Bleiberecht zu asylfremden
Zwecken nutzen zu wollen.
Nachdem der Antragsteller am 21.01.1987 persönlich bei dem Landrat des Main-
Taunus-Kreises erschienen war und dieser nunmehr von seiner örtlichen
Zuständigkeit ausging, erklärten die Beteiligten übereinstimmend das Verfahrens
für in der Hauptsache erledigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Nachdem die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt
haben, ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 2 VwGO das Verfahren
einzustellen, der Beschluß des Verwaltungsgerichts Wiesbaden für unwirksam zu
erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und über die Kosten des
Verfahrens nach § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach-
und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Hiernach sind dem Antragsgegner die Kosten des gesamten Verfahrens
aufzuerlegen, da die Beschwerde im Falle einer Fortsetzung des Verfahrens
voraussichtlich Erfolg gehabt hätte. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf
Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht zurückgewiesen. Eine Klage im
Hauptsacheverfahren - gerichtet auf die Entgegennahme und die Bearbeitung des
Asylantrags des Antragstellers - wäre offensichtlich zulässig und begründet
gewesen.
Es kann offenbleiben, ob in der Weigerung des Antragsgegners, den Asylantrag
des Antragstellers entgegenzunehmen, ein Verwaltungsakt zu sehen war (so
Huber, Ausländer- und Asylrecht, Rdnr. 609; weit. Nachw. bei Fritz in GK-AsylVfG, §
8 Rdnr. 30). Selbst wenn man das Schreiben des Landrats des Main-Taunus-
Kreises vom 27.10.1986 als Verwaltungsakt ansähe, wäre es unschädlich, daß der
Antragsteller offenbar hiergegen bisher nicht Widerspruch eingelegt hat, da
mangels einer Rechtsbehelfsbelehrung die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen
(§§ 70 Abs. 2, 58 AGVwGO) und somit keine Bestandskraft eingetreten wäre.
Ein Anordnungsanspruch ergab sich daraus, daß der Antragsgegner verpflichtet
war, den gestellten Asylantrag des Antragstellers entgegenzunehmen und zu
bearbeiten. Ein Asylantrag liegt nach § 7 Abs. 1 AsylVfG vor, wenn sich dem
schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers
entnehmen läßt, daß er im Geltungsbereich des Asylverfahrensgesetzes Schutz
vor politischer Verfolgung sucht. Diese Voraussetzungen waren hier von
vornherein gegeben. Die Stellung eines Asylantrags gemäß § 8 Abs. 1 AsylVfG
bewirkt unmittelbar, daß ein Verwaltungsverfahren nach § 9 HVwVfG anhängig wird
(vgl. Kopp, VwVfG, 3. Aufl., § 22 Rdnr. 10 m.w.N.), dessen Gegenstand Prüfung,
Vorbereitung und Erlaß von Verwaltungsakten durch die Ausländerbehörde bzw.
durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sind. Da die
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durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sind. Da die
Ausländerbehörde auf Antrag tätig wird, ist für ein Ermessen hinsichtlich der
Durchführung des Verwaltungsverfahrens kein Raum (§ 22 Satz 2 Nr. 1 HVwVfG).
Der Landrat des Main-Taunus-Kreises war aufgrund des Fehlens von Angaben über
die ladungsfähige Anschrift des Antragstellers im Asylantrag vom 22.10.1986 auch
nicht befugt, seine örtliche Zuständigkeit zu verneinen. Nach § 8 Abs. 1 Sätze 2
und 4 AsylVfG in Verbindung mit der Verordnung zur Bestimmung einer
gemeinsamen Ausländerbehörde für die Antragstellung nach § 8 AsylVfG vom
11.08.1982 (GVBl. I S. 191) ist der Landrat des Main-Taunus-Kreises die
zuständige Behörde für die Stellung von Asylanträgen für Ausländer, die sich im
Gebiet des Landes Hessen aufhalten. Diese Voraussetzungen waren hier bei der
Antragstellung gegeben. Der Bevollmächtigte des Antragstellers führte in der
Antragsschrift vorn 22.10.1986 aus, dieser halte sich im Zuständigkeitsbereich des
Landrats des Main-Taunus-Kreises auf und sei zur Zeit bei Freunden in Frankfurt
am Main wohnhaft. Macht ein Rechtsanwalt derartige Angaben zum Aufenthalt
eines Antragstellers und bestehen - wie im vorliegenden Fall - keine tatsächlichen
Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit, so hat die Behörde grundsätzlich von ihrer
örtlichen Zuständigkeit auszugehen. Zwar ist jeder Asylbewerber verpflichtet, der
zuständigen Ausländerbehörde seinen genauen Aufenthaltsort bekannt zu geben
(§ 17 Abs. 1 AsylVfG). Die Behörde ist jedoch nicht bereits deswegen, weil im
Asylantrag nicht die genaue Anschrift genannt ist, befugt, den Antrag
zurückzugeben, mithin im Ergebnis davon auszugehen, daß kein wirksamer
Asylantrag gestellt ist. Dies liefe letztlich darauf hinaus, daß die Anforderungen an
die Stellung eines Asylantrags entgegen den Intentionen des Gesetzgebers
überspannt würden. So verzichtet § 7 Abs. 1 AsylVfG im Interesse des durch Art.
16 Abs. 2 Satz 2 gebotenen wirksamen Schutzes von Ausländern, die politische
Verfolgung geltend machen, auf förmliche Anforderungen bei der Antragstellung
und läßt sogar konkludent gestellte Anträge zu (vgl. Stelkens ZAR 1985, 15, 17).
Im übrigen ist es möglich, daß ein Asylbewerber noch gar keinen festen Wohnsitz
begründet hat und er schon deswegen nicht in der Lage ist, die vom
Antragsgegner geforderte Meldebescheinigung vorzulegen. Jedenfalls kann er
hierdurch nicht gehindert sein, seine Anerkennung als Asylberechtigter zu
beantragen.
Mußte vier Landrat nies Main-Taunus--Kreises nach allem zum Zeitpunkt der
Antragstellung von seiner örtlichen Zuständigkeit ausgehen, so durfte er nach § 24
Abs. 3 HVwVfG die Entgegennahme des Antrags auch nicht deshalb verweigern,
weil er mangels eines festen Wohnsitzes des Antragstellers bzw. entsprechender
Angaben den Verdacht hegte, der Antragsteller verfolge mit seinem Antrag
asylfremde Zwecke und strebe einen möglichst langen Aufenthalt im
Bundesgebiet an. Unabhängig davon, ob aus dem bloßen Fehlen von Angaben
über die Anschrift im Asylantrag derart weitreichende Schlüsse gezogen werden
können - hiergegen dürfte das spätere Verhalten des Antragstellers und die
Entwicklung anderer dem Senat bekannter Verfahren sprechen -, sind Behörden
selbst in Fällen offensichtlich rechtsmißbräuchlicher Anträge grundsätzlich
verpflichtet, diese zu bearbeiten und die gesetzlich vorgeschriebenen Schritte
vorzunehmen (vgl. Stelkens a.a.O.; Kopp, VwVfG, § 22 Rdnr. 31 m.w.N.).
Im Hinblick auf die vorn Antragsgegner befürchteten Konsequenzen einer
Bejahung seiner Zuständigkeit in Fällen der vorliegenden Art ist folgendes
festzustellen:
Aus der Nichterfüllung der ihm gemäß § 17 Abs. 1 AsylVfG obliegenden
Verpflichtungen im weiteren Verfahrensverlauf trotz entsprechender
Aufforderungen kann geschlossen werden, daß der betreffende Asylbewerber in
Wahrheit asylrechtlichen Rechtsschutz unter den vom Gesetz festgelegten
Voraussetzungen nicht erstrebt. Fehlen also nicht lediglich im Asylantrag Angaben
über den genauen Aufenthaltsort des Ausländers, sondern weigert sich dieser in
der Folgezeit beharrlich, entsprechende Mitteilungen zu machen, so hat ein von
ihm eingelegtes Rechtsmittel grundsätzlich schon deshalb keinen Erfolg (vgl.
Hess.VGH, B. v. 08.10.1986 - 10 UE 1246/86 -). Diese Verletzung seiner
Mitwirkungspflichten kann dem Asylbewerber bereits im behördlichen Verfahren
entgegengehalten und bei der Entscheidung über den Asylantrag zu seinen Lasten
berücksichtigt werden (vgl. auch zu den vom Antragsgegner erwähnten Fällen des
Nichterscheinens zur persönlichen Anhörung § 8 Abs. 3 Satz 2AsylVfG). Schließlich
sind die zuständigen Behörden in der Lage, bei Zweifeln an der Richtigkeit der von
einem Asylbewerber gemachten Angaben diese - etwa durch Einholung einer
Meldeauskunft - zu überprüfen. Soweit im übrigen entsprechend den
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Meldeauskunft - zu überprüfen. Soweit im übrigen entsprechend den
Ausführungen des Antragsgegners Rechtsanwälte wissentlich falsche Angaben
zum Aufenthalt von Asylbewerbern machen sollten, kann dem auch mit
standesrechtlichen Maßnahmen entgegengetreten werden.
Schließlich stand dem Antragsteller auch ein Anordnungsgrund zur Seite, da die
Wahrnehmung des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG von der
Entgegennahme und Bearbeitung des Asylantrags durch der Antragsgegner
abhing und darüber hinaus die einem Asylbewerber nach § 20 Abs. 1 AsylVfG
zustehende Aufenthaltsgestattung die Stellung eines Asylantrags voraussetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluß ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.