Urteil des HessVGH vom 29.11.1990
VGH Kassel: geheime wahl, universität, stimmzettel, feststellungsklage, verfügung, stimmabgabe, geschäftsordnung, geheimhaltung, stimmrecht, hochschule
1
2
3
Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
6. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 UE 2247/87
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 42 Abs 2 VwGO, § 43 Abs
1 VwGO, § 61 Nr 2 VwGO, §
11 Abs 1 S 1 UniG HE
1978, § 10 Abs 2 S 1
HSchulG HE 1978
Verfahren bei der Wahl eines Universitätspräsidenten -
Verletzung des Wahlgeheimnisses - Feststellungsklage als
statthafte Klageart
Leitsatz
1. Macht ein Mitglied eines Hochschulgremiums geltend, bei einer durch das Gremium
vorzunehmenden Wahl in seinem mitgliedschaftlichen Recht auf geheime Wahl verletzt
worden zu sein, so ist die Feststellungsklage jedenfalls dann eine statthafte Klageart,
wenn nicht die umfassende rechtliche Prüfung der Wahlhandlung begehrt wird.
2. Bei einer derartigen Feststellungsklage ist der Wahlvorstand beteiligungsfähig im
Sinne des § 61 Nr 2 VwGO (im Anschluß an das Senatsurteil vom 16. November 1989 -
6 UE 4294/88 - WissR 23, 183).
3. Bei der Wahl eines Universitätspräsidenten hat jedes Mitglied des Konvents der
Universität ein Recht auf Durchführung einer geheimen Wahl.
4. Es verstößt gegen das Recht auf geheime Wahl der Konventsmitglieder, wenn der
Wahlvorstand nicht dafür Sorge trägt, daß die Stimmzettel mit einheitlichem
Schreibgerät markiert werden.
Tatbestand
Die beiden Kläger sind Mitglieder des Konvents der Philipps-Universität Marburg
und begehren im Berufungsverfahren nur noch die Feststellung, daß bei der
Wahlhandlung betreffend die Wahl eines Universitätspräsidenten am 12.
Dezember 1986 ihr Recht auf geheime Wahl verletzt worden ist.
Zur Wahl, die nur noch einen Bewerber betraf, erhielten die Wähler einheitliche
Wahlzettel, die sie in zwei Wahlkabinen kennzeichneten. Wahlumschläge wurden
nicht ausgeteilt. Einheitliches Schreibgerät wurde ebenfalls nicht zur Verfügung
gestellt, so daß die Kennzeichnung unter anderem jeweils mit Bleistift, grünem
Filzstift, schwarzem Filzstift, blauem Filzschreiber, blauem und schwarzem
Kugelschreiber sowie mit schwarzem Kugelschreiber erfolgte. Zahlreiche - später
als ungültig angesehene - Stimmzettel wurden mit der Aufschrift "Protest"
versehen. Alle Stimmzettel wurden nach der Kennzeichnung in eine Wahlurne
eingeworfen. Die Wahl brachte folgendes Ergebnis: 85 abgegebene Stimmen,
davon 42 Ja-Stimmen, 5 Nein-Stimmen, 2 Enthaltungen und 36 ungültige
Stimmzettel. Der sodann durchgeführte zweite Wahlgang ergab 85 abgegebene
Stimmen, davon 43 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen sowie 2 Enthaltungen und 34
ungültige Stimmzettel. Der Sitzungsleiter stellte daraufhin fest, daß die Stelle des
Universitätspräsidenten neu ausgeschrieben werden müsse.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 1986, eingegangen am 19. Dezember 1986,
legte der Bevollmächtigte der Kläger in Vollmacht der Liste "Hochschulunion"
vorsorglich "Rechtsmittel" ein und beantragte, die Wiederholung der Wahl
anzuordnen. Mit Schreiben vom 22. Dezember 1986 erklärte der Bevollmächtigte,
daß er das Rechtsmittel als "Wahlprüfungsantrag" bezeichne. Es sei gegen
zwingende Wahlgrundsätze verstoßen worden, nämlich u. a. gegen § 27 Abs. 11
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
zwingende Wahlgrundsätze verstoßen worden, nämlich u. a. gegen § 27 Abs. 11
der Wahlordnung, wonach die Wahl geheim sei.
Am 28. Januar 1987 beschloß der Beklagte, die Anträge abzulehnen.
Mit Bescheid vom 3. Februar 1987, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 6.
Februar 1987, wies der Beklagte den Einspruch vom 17. Dezember 1986 zurück
und lehnte den Antrag auf Wiederholung der Präsidentenwahl ab. Zur Begründung
wurde unter anderem ausgeführt, es sei nicht gegen den Grundsatz der geheimen
Wahl verstoßen worden. Es sei auf niemanden unzulässig Druck ausgeübt worden.
Gezinkte Wahlzettel habe es nicht gegeben.
Am 6. März 1987 haben die Kläger des vorliegenden Verfahrens sowie drei weitere
Kläger Klage erhoben und insbesondere vorgetragen, gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1
des Hessischen Universitätsgesetzes wähle der Konvent den Präsidenten mit der
Mehrheit seiner Mitglieder "in geheimer Wahl". Dementsprechend sei in § 27 Abs.
11 der Wahlordnung bestimmt, daß die Wahl geheim sei. Gegen den Grundsatz
der geheimen Wahl habe der Beklagte dadurch verstoßen, daß keine
Wahlumschläge ausgegeben worden seien. Nach § 13 Abs. 1 der Wahlordnung der
Philipps-Universität Marburg bestünden die Wahlunterlagen aus Stimmzetteln für
jede Wahl und Wahlumschlägen. Gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 der Wahlordnung
kennzeichne der Wähler die Stimmzettel unbeobachtet und lege sie in den
Wahlumschlag. Gemäß Abs. 5 werde der Wahlumschlag in Gegenwart des Wählers
ungeöffnet in die Wahlurne geworfen. Nach § 17 Abs. 3 der Wahlordnung sei die
Stimmabgabe ungültig, wenn der Stimmzettel nicht in einem amtlichen
Wahlumschlag abgegeben worden sei. Diese Grundsätze der geheimen Wahl
gälten nicht nur für Fachbereichs- und Konventswahlen, sondern ebenfalls für die
gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 HUG geheime Wahl des Universitätspräsidenten. § 13
Abs. 5 des Hessischen Hochschulgesetzes erkläre ergänzend die Regelungen der
Geschäftsordnung des Hessischen Landtags für anwendbar. Nach §§ 6 Abs. 1, 32
dieser Geschäftsordnung hätten Wahlen "mit verdeckten Stimmzetteln"
stattzufinden.
Die Kläger haben beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses vom 28. Januar 1987 in der Fassung des
Bescheides vom 3. Februar 1987 des Konventsvorstands als Wahlvorstand für die
Wahl des Präsidenten an der Philipps-Universität Marburg die am 12. Dezember
1986 durchgeführte Abstimmung für ungültig zu erklären und den Beklagten zu
verpflichten, eine Wiederholungswahl anzusetzen,
hilfsweise,
festzustellen, daß durch das Abstimmungsverfahren zur Wahl des Präsidenten
der Philipps-Universität Marburg organschaftliche Rechte der Kläger verletzt
worden sind.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist dem Vortrag der Kläger entgegengetreten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Mai 1987 abgewiesen und
zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Ein objektives
Wahlprüfungsverfahren sähen die gesetzlichen und satzungsrechtlichen
Vorschriften für die Wahl des Präsidenten der Philipps-Universität Marburg nicht
vor. Das in § 22 der Wahlordnung vorgesehene Wahlprüfungsverfahren gelte
ausschließlich für die Wahlen zum Konvent und zu den Fachbereichsräten. Eine
persönliche oder organschaftliche Rechtsbetroffenheit gegenüber dem Organ
Konvent könnten die Kläger bei einer gescheiterten Wahl ebenfalls nicht geltend
machen. Es liege in der autonomen Entscheidung der zuständigen
Hochschulorgane, die zur Funktionsfähigkeit der Universität erforderlichen Schritte
einzuleiten. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei unzulässig, da die
Kläger nicht schlüssig darlegen könnten, in eigenen
Wahrnehmungszuständigkeiten bzw. Mitwirkungsrechten verletzt zu sein. Für das
Abstimmungsverfahren gelte im übrigen das Mehrheitsprinzip, wonach
überstimmte Minderheiten auch rechtswidrige Beschlüsse grundsätzlich gegen
sich gelten lassen müßten, soweit dies für sie nicht unmittelbar mit der
Beeinträchtigung eigener mitgliedschaftlicher Rechte verbunden sei. Die Kläger
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
Beeinträchtigung eigener mitgliedschaftlicher Rechte verbunden sei. Die Kläger
seien auch nicht durch die Gestaltung des Wahlverfahrens im Konvent an der
geheimen Stimmabgabe gehindert worden. Bei einem Großformat des
Stimmzettels von 15 x 10 cm habe der Zettel einfach oder zweifach gefaltet
werden können, um der Öffentlichkeit den Einblick zu verwehren. Die Verpflichtung,
einen Wahlumschlag zur Verfügung zu stellen, ergebe sich weder aus § 11 Abs. 1
Satz 1 HUG noch aus der Wahlordnung der Philipps-Universität. § 13 Abs. 1 Ziffer 2
der Wahlordnung, der dies für die Wahlen zum Konvent und zu den
Fachbereichsräten vorsehe, gelte nicht für die Wahl des Universitätspräsidenten.
Es ergebe sich auch nichts Gegenteiliges aus der Geschäftsordnung der Philipps-
Universität Marburg oder der ergänzend anzuwendenden Geschäftsordnung des
Hessischen Landtages.
Gegen das dem Bevollmächtigten am 29. Juni 1987 zugestellte Urteil haben die
Kläger am 27. Juli 1987 Berufung eingelegt und ergänzend vorgetragen, § 16 Abs.
6 HHG verlange, in der Wahlordnung die Zuständigkeit zur Entscheidung über
Wahlanfechtungen zu regeln. Deshalb sei § 22 der Wahlordnung entsprechend
heranzuziehen. Es stehe somit ein objektives Wahlprüfungsverfahren zur
Verfügung. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 19. April 1983 (DÖV 1983, 862) komme den Organteilen bei einem Streit über
ihre organschaftlichen Befugnisse eine beschränkte Rechtssubjektivität zu. Daher
sei die Klage der Kläger insoweit zulässig, als sie eine Beeinträchtigung ihrer
organschaftlichen Befugnisse geltend machten. Sie hätten vorgetragen, in ihren
gesetzlichen Rechten auf Durchführung einer geheimen Wahl beeinträchtigt
worden zu sein. Deshalb habe das Verwaltungsgericht auch den hilfsweise
gestellten Feststellungsantrag nicht für unzulässig erachten dürfen.
Schließlich sei das kunstvolle Falten der Stimmzettel zur Wahrung des
Wahlgeheimnisses ungeeignet, wenn nur ein geringer Teil der Wahlberechtigten die
Stimmzettel falte. Außerdem seien diese Stimmzettel bei der Auszählung leicht
wiederzuerkennen. Darüber hinaus hätte der Beklagte den Wahlberechtigten
einheitliches Schreibgerät zur Verfügung stellen müssen.
Nachdem die Klage ursprünglich gegen den Konvent erhoben war, haben die
Kläger mit Zustimmung des Beklagten die Klage umgestellt; Beklagter ist
nunmehr der Konventsvorstand als Wahlvorstand.
Die Kläger haben zunächst beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. Mai 1987 sowie den
Beschluß vom 28. Januar 1987 in der Fassung des Bescheides vom 3. Februar
1987 des Konventsvorstands als Wahlvorstand für die Wahl des Präsidenten der
Philipps-Universität Marburg aufzuheben und die am 12. Dezember 1986
durchgeführte Wahl für ungültig zu erklären sowie den Beklagten zu verpflichten,
eine Wiederholungswahl anzuordnen,
hilfsweise,
festzustellen, daß durch das Wahlverfahren am 12. Dezember 1986 die Kläger
in ihren organschaftlichen Rechten, insbesondere in ihrem Recht, den Präsidenten
der Philipps-Universität geheim zu wählen, verletzt worden sind,
weiter hilfsweise (vgl. Bl. 8 des Schriftsatzes vom 30. Oktober 1987),
festzustellen, daß das Recht der Kläger auf eine geheime Wahl bei der
Wahlhandlung am 12. Dezember 1986 verletzt worden ist.
Nachdem inzwischen eine weitere Wahl durchgeführt worden war, die zu der
Ernennung des derzeitigen Präsidenten der Philipps-Universität Marburg geführt
hat, haben die Beteiligten den Hauptantrag übereinstimmend in der Hauptsache
für erledigt erklärt. Das Verfahren betreffend die dem nunmehr amtierenden 11.
Konvent nicht mehr angehörenden drei weiteren Kläger wurde mit Beschluß vom
13. März 1990 vom vorliegenden Verfahren abgetrennt.
Die verbliebenen beiden Kläger beantragen noch,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. Mai 1987 hinsichtlich der
Kläger Prof. Dr. A. und Prof. Dr. L. zu ändern und festzustellen, daß das Recht der
Kläger auf eine geheime Wahl bei der Wahlhandlung am 12. Dezember 1986
verletzt worden ist.
27
28
29
30
31
32
33
34
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (ein Heft sowie die Wahlordnung der
Philipps-Universität Marburg) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Sach- und Streitstandes wird auf die vorgenannten Unterlagen sowie auf den Inhalt
der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt
worden ist, ist es entsprechend § 125 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 2 VwGO
einzustellen. Zur Klarstellung ist auszusprechen, daß das Urteil des
Verwaltungsgerichts insoweit wirkungslos ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz
1 ZPO in entsprechender Anwendung).
Im übrigen hat die Berufung der Kläger Erfolg, denn das Recht der Kläger auf eine
geheime Wahl ist bei der Wahlhandlung am 12. Dezember 1986 verletzt worden.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben. Sie ist
auch begründet.
Die Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben. Die Beteiligten
streiten über die Frage, ob ihnen als Mitgliedern des Konvents der Philipps-
Universität Marburg ein Recht auf geheime Wahl zusteht und ob dieses Recht
durch den Beklagten verletzt worden ist. Da es insofern um Fragen des
Hochschulrechts geht, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit
nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO. Fähig, an diesem
verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein, sind nicht nur die Kläger als
natürliche Personen (§ 61 Nr. 1 VwGO). Vielmehr ist gemäß § 61 Nr. 2 VwGO auch
der beklagte Vorstand des Konvents der Philipps-Universität Marburg als
Wahlvorstand beteiligungsfähig. Nach § 61 Nr. 2 VwGO sind beteiligungsfähig auch
Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Darunter fallen unter
anderem solche Organe einer Hochschule, um deren Rechte und Pflichten es in
dem Verwaltungsstreitverfahren geht, obwohl diese Organe im übrigen als
"innerorganisatorische Subjekte" keine Rechtsfähigkeit besitzen (vgl. Hess. VGH,
Urteil vom 16. November 1989 - 6 UE 4294/88 -, S. 17 des amtlichen Umdrucks,
veröff. in WissR 23, 183; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Dezember 1983
- 9 S 1682/82 -, KMK-HSchR 1984, 344 ff., 346). Nach § 26 der Wahlordnung der
Philipps-Universität Marburg vom 2. Februar 1979 (ABl. 1979, 134) in der Fassung
der Änderung vom 11. Mai 1984 (ABl. 1984, 692) nimmt der Vorstand des
Konvents für die Wahl des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der weiteren
Mitglieder der Ständigen Ausschüsse die Aufgaben des Wahlvorstandes wahr. Der
Wahlvorstand ist für die Vorbereitung und die Durchführung dieser Wahlen
verantwortlich. Da das Handeln des Wahlvorstands im vorliegenden Rechtsstreit
Streitgegenstand ist, ist der Wahlvorstand beteiligungsfähig (vgl. die Urteile des
Senats vom 16. November 1989 - 6 UE 4294/88 - und 11. November 1986 - 6 UE
2237/87 -). Die in der Auswechselung des Beklagten liegende Klageänderung (§ 91
VwGO). ist zulässig, denn der Konventsvorstand hat der Klageänderung
zugestimmt. Darüberhinaus ist die Sachdienlichkeit des Beteiligtenwechsels zu
bejahen. Durch die Auswechselung des Beklagten wird der Streitstoff nicht
verändert und die endgültige Beilegung des Streites gefördert, da der neue
Beklagte im Unterschied zu dem bisherigen Beklagten im Hinblick auf das
Begehren der Kläger auch passiv legitimiert ist (vgl. das zitierte Urteil des Senats
vom 16. November 1989).
Statthafte Klageart ist die Feststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Es
kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei einer Wahlprüfungs- oder
Wahlanfechtungsklage um eine Feststellungsklage oder um eine Klage eigener Art
handelt (vgl. dazu ebenfalls das Urteil des Senats vom 16. November 1989 - 6 UE
4294/88 -, S. 17 des amtlichen Umdrucks, m.w.N.), denn es geht vorliegend nicht
mehr um eine umfassende Prüfung der Wahlhandlung, sondern lediglich darum, ob
den Klägern ein eigenes Recht auf Sicherstellung der geheimen Wahl zusteht und
ob dieses Recht durch die Organisation des Wahlverfahrens seitens des
Wahlvorstands verletzt wurde. Rechtsverhältnisse im Sinne von § 43 VwGO sind
auch die durch organschaftliche Befugnisse und Verpflichtungen
gekennzeichneten Rechtsbeziehungen zwischen Organteilen und Organen einer
35
36
37
gekennzeichneten Rechtsbeziehungen zwischen Organteilen und Organen einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 10. März 1981 - II
OE 12/80 -, NVwZ 1982, 44 f.; Kopp, VwGO, 8. Aufl., 1989, Rdnr. 11 zu § 43;
Redeker/von Oertzen, VwGO, 9. Aufl., 1988, Rdnr. 15 zu § 43; Gern, VBlBW 1989,
449 f. betreffend das Kommunalverfassungsstreitverfahren). Die
Feststellungsklage muß sich dabei nicht auf die umfassende Rechtsstellung als
Organ oder Organteil beziehen. Feststellungsfähig sind vielmehr auch Teile von
Rechtsverhältnissen (Kopp, a.a.O., Rdnr. 12 zu § 43 VwGO). Es begegnet daher
keinen Bedenken, einzelne Rechtsfragen - wie die Frage des Verstoßes gegen das
Recht eines Konventsmitglieds auf geheime Wahl - mit der Feststellungsklage
geltend zu machen. Die Kläger haben ein berechtigtes Interesse an der baldigen
Feststellung (§ 43 Abs. 1 VwGO), denn es besteht Wiederholungsgefahr. Es ist
nicht ausgeschlossen, daß etwa bei der Wahl des Vizepräsidenten, dessen
Amtszeit nach § 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Universitäten des Landes
Hessen - HUG - vom 6. Juni 1978 (GVBl. I S. 348) in der Fassung des
Änderungsgesetzes vom 28. Oktober 1987 (GVBl. I S. 181) zwei Jahre beträgt,
oder bei den Wahlen von Gruppenvertretern - z. B. bei der Wahl von
Gruppenvertretern des Senats durch die Mitglieder von Gruppen im Konvent (§ 17
Abs. 2 HUG) - ebenfalls kein einheitliches Schreibgerät oder keine Wahlumschläge
zur Verfügung gestellt werden.
Die Kläger sind auch in einem organschaftlichen (mitgliedschaftlichen) Recht
betroffen. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, daß der
Feststellungsantrag entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig ist, wenn den
Klägern organschaftliche (mitgliedschaftliche) Rechte zustehen, deren Verletzung
möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 12. August 1981 - 7 B 145.80 -, NVwZ
1982, 243; Beschluß vom 9. Oktober 1984 - 7 B 187.84 -, KMK-HSchR 1985, 453 f.;
OVG Münster, Urteil vom 18. Januar 1973 - XIII A 237/70 -, OVGE 28, 208 ff., 211 f.).
Das Verwaltungsgericht hat aber zu Unrecht eine derartige individuelle
Rechtsbetroffenheit der Kläger verneint. Die Kläger rügen nicht nur die Verletzung
von Verfahrensrechten. Es handelt sich bei dem Recht auf geheime Wahl des
Universitätspräsidenten auch nicht nur um ein Recht des Konvents als einer
Mehrheit von Sachwaltern. Vielmehr dient die Geheimhaltung der Wahl auch dem
individuellen Interesse eines jeden einzelnen Konventsmitglieds an ungestörter
und unbeeinflußter Stimmabgabe. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau von
§ 27 Abs. 11 der Wahlordnung mit Regelungen des Hessischen Hochschulrechts,
insbesondere mit § 10 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 HHG. Zwar
hat der Konvent der Philipps-Universität Marburg in § 27 Abs. 11 der Wahlordnung
nur bestimmt, daß die Wahl geheim ist. § 10 HHG, der schon nach seiner
Überschrift nicht nur die Pflichten, sondern auch die Rechte der Mitglieder der
Hochschule betrifft, enthält aber in Abs. 2 Satz 1 die Regelung, daß die Mitglieder
das Recht - und darüber hinaus sogar die Pflicht - haben, nach Maßgabe des
Gesetzes und der Grundordnung an der Selbstverwaltung mitzuwirken. Darüber
hinaus zeigt insbesondere § 14 Abs. 1 Satz 1 HHG, daß es sich bei dem
Stimmrecht um ein individuelles Recht des Stimmberechtigten handelt. Nach der
genannten Vorschrift sind die Mitglieder von Gremien bei der Ausübung "ihres
Stimmrechts" an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Nach § 14 Abs. 2 HHG
haben alle Mitglieder von Gremien das gleiche Stimmrecht.
Bei dem Recht zur geheimen Stimmabgabe handelt es sich auch um ein
Mitgliedschaftsrecht im obigen Sinne, denn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 HUG wählt der
Konvent den Präsidenten auf Vorschlag des Senats mit der Mehrheit seiner
Mitglieder in geheimer Wahl. Die Stimmen werden dabei nicht von dem Konvent
als Gremium abgegeben, sondern durch die einzelnen Konventsmitglieder. Jedes
Konventsmitglied trifft - wenn es an der Wahl teilnimmt - eine eigene
Wahlentscheidung, die sich von der Entscheidung der anderen Konventsmitglieder
unterscheiden kann. Daß auch der Bundesgesetzgeber insofern von
organschaftlichen Mitwirkungsrechten ausgeht, ergibt sich aus den §§ 36 und 37
des Hochschulrahmengesetzes - HRG -. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 HRG ist die
Mitwirkung an der Selbstverwaltung der Hochschule nicht nur die Pflicht, sondern
auch das Recht der Mitglieder nach § 36 Abs. 1 und 2 HRG. Die Mitglieder eines
Gremiums haben durch ihre Mitwirkung dazu beizutragen, daß das Gremium seine
Aufgaben wirksam erfüllen kann. Das Nähere über Rechte und Pflichten der
Mitglieder wird durch Landesrecht geregelt (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 und 3 HRG).
Das Stimmrecht der Stimmberechtigten in den Hochschulgremien umfaßt bei
geheimen Wahlen auch die Geheimhaltung der Wahlentscheidung. Andernfalls
könnte das Stimmrecht durch Verstöße gegen den Grundsatz der Geheimhaltung
von Wahlentscheidungen so beeinträchtigt werden, daß eine selbständige,
38
39
40
41
42
43
von Wahlentscheidungen so beeinträchtigt werden, daß eine selbständige,
unbeeinflußte und damit freie Ausübung des Stimmrechts nicht mehr
gewährleistet wäre.
Nach allem ist festzuhalten, daß den einzelnen Konventsmitgliedern nicht nur die
Pflicht, sondern auch das von dem Konvent in seiner Gesamtheit unabhängige
organschaftliche Recht zusteht, bei der Wahl des Universitätspräsidenten ihre
Stimme abzugeben und daß sie ein Recht auf Durchführung einer geheimen Wahl
haben. Daraus folgt, daß nach § 10 Abs. 3 HHG alle Mitglieder der Hochschule sich
so zu verhalten haben, daß die Mitglieder des Konvents nicht gehindert werden, ihr
Recht auf geheime Wahl wahrzunehmen. Die in der Vorschrift normierte
Verpflichtung trifft auch den Konventsvorstand, der als Wahlvorstand für ein
ordnungsgemäßes Wahlverfahren verantwortlich ist. Es erscheint möglich, daß das
Recht der Kläger auf geheime Wahl verletzt wurde, indem nicht ausreichend für die
Geheimhaltung der Wahl Sorge getragen wurde.
Die somit zulässige Klage ist begründet. Der beklagte Wahlvorstand hat bei den
Wahlgängen vom 12. Dezember 1986 das Recht der Kläger auf geheime Wahl
verletzt.
Es kann dahinstehen, ob für das Verfahren zur Wahl des Präsidenten der Philipps-
Universität Marburg die die Wahlen zum Konvent und zu den Fachbereichsräten
betreffenden §§ 1 bis 25 der Wahlordnung der Philipps-Universität entsprechende
Anwendung finden. Bejahte man diese Frage, so wäre die Klage schon deshalb
begründet; weil die Wahl nicht unter Verwendung von Wahlumschlägen
durchgeführt wurde (vgl. §§ 13 Abs. 1 Nr. 2, 14 Abs. 1, 4 und 5 der Wahlordnung).
Hält man - wie das Verwaltungsgericht - diese Vorschriften nicht für entsprechend
anwendbar, so ist die Klage zumindest aus einem anderen Grund begründet. Der
Wahlvorstand hat nämlich nicht die nötigen Vorkehrungen getroffen, um - soweit
dies möglich war sicherzustellen, daß die Wahlentscheidungen der Kläger geheim
blieben. Er hat nicht angeordnet und dafür Sorge getragen, daß die Stimmzettel
mit einheitlichem Schreibgerät markiert würden. Verneint man für die Wahl des
Universitätspräsidenten die entsprechende Anwendung der in der Wahlordnung
betreffend die Wahlen zum Konvent und zu den Fachbereichsräten getroffenen
Regelungen, so ergibt sich aus der Wahlordnung nicht, wie im einzelnen die
Geheimhaltung der Wahlentscheidungen sichergestellt werden soll. Auch die die
Durchführung von Wahlen betreffenden Regelungen der Geschäftsordnung des
Hessischen Landtags, die nach § 13 Abs. 5 HHG sinngemäß anzuwenden sind,
enthalten dazu nur wenige Angaben. § 87 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des
Hessischen Landtags verlangt lediglich, daß die vom Landtag vorzunehmenden
Wahlen mit verdeckten Stimmzetteln erfolgen. Die Verwendung von
Wahlumschlägen und einheitlichem Schreibgerät ist nicht ausdrücklich
vorgeschrieben.
Es ist jedoch in Rechtsprechung und Literatur geklärt, was unter einer geheimen
Wahl zu verstehen ist. Da von einer (wirklichen) Wahlentscheidung des einzelnen
Stimmberechtigten nur dann gesprochen werden kann, wenn er seine Stimme
unbeeinflußt, d.h. frei von jeglichem Zwang abgeben kann, ist bei geheimen
Wahlen sicherzustellen, daß jeder Wahlberechtigte seine Stimme abgeben kann,
ohne daß er dabei von anderen Wählern oder Dritten beobachtet werden kann.
Eine Verletzung des Wahlgeheimnisses liegt dabei schon dann vor, wenn der
Wahlberechtigte aufgrund der konkreten Verhältnisse im Wahlraum nicht sicher
sein kann, daß er bei der Stimmabgabe unbeobachtet ist. Es ist somit maßgeblich
darauf abzustellen, ob ein Unsicherheitsgefühl eines Wahlberechtigten nach den
Umständen des Einzelfalles objektiv gerechtfertigt ist (vgl. zu allem Hess. VGH,
Urteil vom 5. März 1985 - II OE 42/82 -, S. 12 des amtlichen Umdrucks; OVG
Lüneburg, Urteil vom 28. Februar 1984 - 2 OVG A 37/83 -, OVGE 37, 473 ff., 476 ff.;
Beschluß vom 7. März 1990 - 10 M 5/90 -, NVwZ-RR 1990, 503 ff.; Bad.-Württ.
VGH, Urteil vom B. April 1968 - I 652/67 -, ESVGH 19, 159 f.; Schlempp,
Kommentar zur Hessischen Gemeindeordnung - HGO -, Stand: 18. Nachlieferung,
März 1990, Anm. II. zu § 55; Schneider/Jordan, Hessische Gemeindeordnung,
Stand: 10. Lieferung, Februar 1989, Erl. 2.2 zu § 55; Seifert, Bundeswahlrecht,
Kommentar, 3. Aufl., 1976, Rdnr. 33 und 34 zu Art. 38 GG).
Weiterhin muß zum Zwecke der Geheimhaltung gewährleistet sein, daß der
Wahlberechtigte anhand seines Stimmzettels auch nach Abschluß des
Wahlvorgangs nicht identifiziert werden kann (OVG Lüneburg, Urteil vom 28.
Februar 1984, a.a.O., dasselbe, Beschluß vom 7. März 1990, a.a.O.,
44
45
46
47
48
49
50
Februar 1984, a.a.O., dasselbe, Beschluß vom 7. März 1990, a.a.O.,
Schneider/Jordan, a.a.O., Schlempp, a.a.O.).
Gegen den letztgenannten Grundsatz ist hier verstoßen worden. Zwar konnten die
Kläger unbeobachtet von anderen Mitgliedern des Konvents ihre Stimmen
abgeben; es waren zwei Wahlkabinen aufgestellt, in denen die Stimmzettel
gekennzeichnet wurden.
Der Beklagte hat aber gegen das Recht der Kläger auf geheime Wahl verstoßen,
indem er keine genügenden Vorkehrungen traf, um zu gewährleisten, daß das
Wahlverhalten der Kläger auch nach der Stimmabgabe geheim blieb. Einheitliches
Schreibgerät zur Markierung der Stimmzettel wurde nämlich nicht zur Verfügung
gestellt, so daß die Wahlberechtigten sich der ihnen gehörenden
Schreibwerkzeuge besonderer Farbe oder Schriftqualität bedienen mußten und
dies auch für andere erkennbar war. Es war möglich, daß aus der besonderen Art
der Kennzeichnung der Stimmzettel das Wahlverhalten von Wählern rekonstruiert
wurde. Diese Gefahr ist mit den Grundsätzen der freien und geheimen Wahl
innerhalb der Universitätsorgane nicht zu vereinbaren. Das gilt insbesondere,
wenn der Wähler in Kenntnis einer möglichen Überprüfbarkeit seine Stimme
abgibt, so daß es an einer freien Wahlentscheidung fehlt (vgl. zu allem das bereits
zitierte Urteil des OVG Lüneburg vom 28. Februar 1984, a.a.O., S. 478, und den
Beschluß desselben Gerichts vom 7. März 1990, a.a.O., S. 504).
Nach allem ist der Berufung und der Klage, soweit diese weiterverfolgt werden, und
soweit die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, auf
Kosten des Beklagten (§ 154 Abs. 1 VwGO). stattzugeben.
Es entspricht billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und
Streitstandes (§ 161 Abs. 2 VwGO), die auf den erledigten Teil des Verfahrens
entfallenden Kosten den Klägern zu je einem Viertel und dem Beklagten zur Hälfte
aufzuerlegen, denn wie über den ursprünglich gestellten Hauptantrag zu
entscheiden gewesen wäre, ist nach wie vor offen. Zwar spricht einiges dafür, daß
§ 16 Abs. 6 HHG die Zulässigkeit einer gerichtlichen Wahlanfechtung auch im Falle
der Wahl eines Universitätspräsidenten voraussetzt. Es ist jedoch ungeklärt, wie
dieses Wahlanfechtungsverfahren im einzelnen ausgestaltet wäre und ob hier
seine - bisher nicht geklärten - verfahrensmäßigen Voraussetzungen erfüllt wären.
Die Kostenregelungen betreffend den in der Hauptsache für erledigt erklärten Teil
des Verfahrens sowie den vom Senat in der Sache entschiedenen Teil des
Verfahrens sind in einer einheitlichen Kostenentscheidung zusammenzufassen, die
- in entsprechender Anwendung des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO - die von jedem
Beteiligten zu tragenden Kostenanteile berücksichtigt. Hierbei stellt der Senat in
Rechnung, daß der erledigte Teil des Verfahrens etwa zwei Drittel und der mit
Urteil entschiedene Teil nur ein Drittel des ursprünglichen Streitgegenstands
umfaßt und daß davon bis zur Abtrennung jeweils nur zwei Fünftel anzusetzen
sind, weil bis zur Abtrennung auch die drei weiteren Kläger am Verfahren beteiligt
waren.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in entsprechender Anwendung.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO
liegen nicht vor.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.