Urteil des HessVGH vom 27.07.1988

VGH Kassel: aussetzung, obsiegen, anbau, grundstück, anfechtungsklage, quelle, zivilprozessrecht, rechtskraft, öffentlich, dokumentation

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
3. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 TE 1829/88
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 94 VwGO
(Aussetzung des Rechtsstreits wegen Abrißverfügung bei
anhängiger zivilrechtlicher Nachbarklage)
Gründe
Die Kläger wenden sich im Wege der am 6. März 1987 vor dem Verwaltungsgericht
Wiesbaden erhobenen Anfechtungsklage gegen die Verfügung des Beklagten vom
3. Juni 1986, mit der ihnen aufgegeben wurde, einen illegal errichteten Anbau in
der Größe von ca. 7,0 m x 4,0 m x 2,60 m an und auf der Grundstücksgrenze zum
Nachbargrundstück der Beigeladenen zu 1 (Passage) bis spätestens drei Monate
nach Unanfechtbarkeit der Verfügung zu beseitigen.
Mit am 14. September 1986 bei dem Landgericht Wiesbaden eingegangener Klage
haben die Beigeladenen von den Klägern den Abriß des vorgenannten Bauwerks
verlangt. Das Landgericht gab der Klage durch Urteil vom 5. Januar 1988 teilweise
statt. Es verurteilte die Kläger zum Abriß des Wohnhausanbaus, soweit dieser auf
dem Grundstück der Beigeladenen zu 1 steht und wies im übrigen die Klage ab.
Gegen dieses Urteil haben die Beigeladenen Berufung eingelegt, mit der sie weiter
den gesamten Abriß des Gebäudes erstreben.
Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren mit Beschluß vom 11. April 1988
gemäß § 94 VwGO ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei geboten,
das zivilrechtliche Verfahren bis zur Rechtskraft abzuwarten, weil dies vorgreiflich
sei.
Gegen diesen Beschluß haben die Beigeladenen zu 1 am 26. April 1988
Beschwerde eingelegt. Sie sind der Auffassung, die Voraussetzungen für eine
Verfahrensaussetzung nach § 94 VwGO lägen hier nicht vor, weil dem
verwaltungsgerichtlichen und dem zivilgerichtlichen Verfahren unterschiedliche
Streitgegenstände zugrunde lägen.
Der Beklagte meint, die Beschwerde sei unzulässig, da die Beigeladenen zu 1 kein
eigenes Beschwerderecht hätten. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt ihrer gegenseitigen Schriftsätze Bezug genommen.
Die Beschwerde ist zulässig. Die Beigeladenen zu 1 sind befugt, gegen den
Aussetzungsbeschluß Beschwerde einzulegen. Sie haben im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich alle Rechte eines Beteiligten (§
63 Nr. 3 VwGO), soweit diese nicht ausdrücklich oder ihrer Natur nach dem Kläger
und Beklagten vorbehalten sind (vgl. Kopp, VwGO, 7. Aufl., § 66 Rdnr. 3). Die
Anfechtung von Entscheidungen über die Aussetzung des Verfahrens gehört nicht
zu den allein den Hauptbeteiligten vorbehaltenen Rechten.
Die Beschwerde ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die
Aussetzung des Verfahrens zu Unrecht angeordnet. Nach § 94 VwGO kann das
Gericht das Verfahren u.a. aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits
ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen
Rechtsstreits bildet. Vorgreiflichkeit der Entscheidung in einem anderen
Rechtsstreit bedeutet, daß die Entscheidung, die in dem auszusetzenden
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Rechtsstreit bedeutet, daß die Entscheidung, die in dem auszusetzenden
Verfahren ergehen soll, nicht ergehen kann, ohne daß auch über eine in beiden
verfahren gemeinsame Vorfrage entschieden wird. Das bedeutet allerdings nicht,
daß die vorgreifliche Entscheidung für das auszusetzende Verfahren bindend sein
muß; es genügt vielmehr, daß die im anderen Verfahren zu erwartende
Entscheidung geeignet ist, einen rechtlich erheblichen Einfluß auf die Entscheidung
im auszusetzenden Verfahren auszuüben (vgl. Kopp, a.a.O., § 94 Rdnr. 4; Zöller,
ZPO, 15. Aufl., § 148 Rdnr. 5; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 46.
Aufl., § 148, Anm. 1 A a). Die Beteiligten an beiden Rechtsverhältnissen brauchen
dabei nicht dieselben zu sein.
Im vorliegenden Fall hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts keinen
rechtlichen Einfluß auf das anhängige Verfahren. Obsiegen die Beigeladenen zu 1
in dem zivilrechtlichen Verfahren in vollem Umfange und würden die Kläger zum
Abriß des Anbaus verurteilt, so bleibt die Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren hiervon unberührt. Ob die Beseitigungsverfügung des Beklagten
gegenüber den Klägern zu Recht ergangen ist, beurteilt sich ausschließlich nach
öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so daß die Beigeladenen zu 1 in dem
Zivilprozeß gegen die Kläger einerseits obsiegen, andererseits die Kläger dennoch
mit ihrer Klage im Verwaltungsprozeß Erfolg haben können (vgl. OLG Frankfurt,
Urteil vom 7. Januar 1988, NJW - RR 1988, 403 (404)). Da die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts nicht teilweise von dem Zivilrechtsstreit abhängt, liegen die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 94 VwGO nicht vor. Die vom
Verwaltungsgericht angeordnete Verfahrensaussetzung mußte daher auch
aufgehoben werden.
Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.