Urteil des HessVGH vom 24.01.1989
VGH Kassel: vorläufiger rechtsschutz, örtliche verhältnisse, hauptsache, sonntag, absicht, ausnahme, arbeitsrecht, obsiegen, klageerweiterung, mangel
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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
8. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 Q 31/89
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 123 Abs 2 S 2 VwGO, § 18
Abs 1 S 2 GastG, § 4
SperrzeitV HE
(Einstweilige Anordnung bei Anhängigkeit der Hauptsache
im Berufungsverfahren - Sperrzeitverkürzung)
Gründe
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung
des Antragsgegners, bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens
den Beginn der Sperrzeit für die von ihr betriebene Schankwirtschaft und
Diskothek "C" von Freitag auf Samstag sowie von Samstag auf Sonntag einer
jeden Woche auf 3.00 Uhr, hilfsweise von Samstag auf Sonntag einer jeden Woche
auf 2.00 Uhr festzusetzen.
Auf das hier mit dem als Hilfsantrag bezeichneten Antrag verfolgte Begehren einer
Sperrzeitverkürzung um eine Stunde von Samstag auf Sonntag hat das
Verwaltungsgericht Kassel durch Urteil vom 3. September 1985 -- V/2 E 1261/83 --
den Antragsgegner unter Aufhebung der ablehnenden
Verwaltungsentscheidungen zur Neubescheidung verpflichtet. Über die dagegen
vom Antragsgegner eingelegte unter dem Aktenzeichen 8 UE 68/86 vor dem
Hessischen Verwaltungsgerichtshof anhängige Berufung ist noch nicht
entschieden.
Den mit der einstweiligen Anordnung weiterverfolgten umfangreicheren Antrag auf
Verkürzung der Sperrzeit hat der Antragsteller am 27. Dezember 1988 beim
Antragsgegner gestellt, nachdem dem Bürgermeister der Stadt A eine
dahingehende ständige Ausnahmeregelung aufsichtsrechtlich untersagt worden
war.
Unter Berufung auf das erstinstanzliche Bescheidungsurteil des
Verwaltungsgerichts Kassel sowie auf ihr Vorbringen in der Berufungserwiderung
hält die Antragstellerin jede andere Entscheidung als die einer Sperrzeitverkürzung
für ermessensfehlerhaft.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Antragsschriftsatz nebst Anlagen
sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte 8 UE 68/86 (= VG Kassel V/2 E 1261/83) und
die darin befindlichen Behördenvorgänge (2 Bände) Bezug genommen. Diese sind
dem Eilverfahren beigezogen und zum Gegenstand der Beratung gemacht
worden.
II.
Dem Senat erscheint es zweckmäßig, das Verfahren in die aus der Beschlußformel
zu 1. ersichtlichen Teile zu trennen, um der Antragstellerin -- ihrer eigenen
Anregung folgend -- die Möglichkeit zu belassen, durch entsprechende
Prozeßerklärungen den Mangel der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zur
Entscheidung über den im abgetrennten Verfahren gestellten Antrag zu heilen.
Im übrigen muß dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung schon nach
dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin der Erfolg versagt bleiben.
Er ist bereits unzulässig, soweit mit ihm die Verpflichtung des Antragsgegners
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Er ist bereits unzulässig, soweit mit ihm die Verpflichtung des Antragsgegners
begehrt wird, die Sperrzeit in der Nacht von Samstag auf Sonntag nicht nur -- wie
im Hauptsacheverfahren beantragt -- auf 2.00 Uhr, sondern auf 3.00 Uhr
festzusetzen.
Nach § 123 Abs. 2 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO -- ist für den
Erlaß einstweiliger Anordnungen das Berufungsgericht (nur) zuständig, wenn die
Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist. Gegenstand des
Berufungsverfahrens ist jedoch nur das Begehren auf Neubescheidung über den
Antrag auf Sperrzeitverkürzung um eine Stunde, d.h. von 1.00 Uhr auf 2.00 Uhr.
Für den darüber hinausgehenden Antrag ist der Hessische Verwaltungsgerichtshof
daher nicht zuständig. Insoweit erscheint es dem Senat nicht nur nicht
zweckmäßig, sondern gar unsinnig, auch diesen Verfahrensteil abzutrennen, weil
jedenfalls das primär für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zuständige
Verwaltungsgericht Kassel auch bei einem der Antragstellerin im übrigen unter
anderem anheimzustellenden Verweisungsantrag nicht sinnvoll isoliert über eine
Sperrzeitverkürzung für den Zeitraum von 2.00 Uhr bis 3.00 Uhr entscheiden
könnte, ohne zugleich über den wegen der Anhängigkeit im Berufungsverfahren
der Zuständigkeit des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs unterliegenden Antrag
zu befinden. Der Antragstellerin darüber hinaus die Möglichkeit einzuräumen, die
Zuständigkeit des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs auch für den noch nicht im
Berufungsverfahren anhängigen Teil zu begründen -- etwa durch Klageerweiterung
bzw. -änderung im Wege einer unselbständigen Anschlußberufung --, sieht sich der
erkennende Senat dagegen nicht veranlaßt.
Der danach verbleibende wegen der Anhängigkeit der Hauptsache im
Berufungsverfahren zulässigerweise an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof
gerichtete Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.
Der Stattgabe des Antrages steht bereits der Einwand entgegen, daß die
Antragstellerin bei einer Verpflichtung des Antragsgegners zur
Sperrzeitverkürzung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens
besser gestellt würde als bei einem Obsiegen in der Hauptsache selbst. Denn mit
der -- unterstellten -- Zurückweisung der vom Antragsgegner gegen das
erstinstanzliche Bescheidungsurteil eingelegten Berufung bliebe es lediglich bei
der Verpflichtung des Antragsgegners, die Antragstellerin unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden; die mit der einstweiligen
Anordnung begehrte Verpflichtung zur Sperrzeitverkürzung wäre damit im
Hauptsacheverfahren nach den gegenwärtigen Prozeßerklärungen nicht
erreichbar.
Selbst wenn man davon ausgeht, daß es der Antragstellerin unbenommen bliebe,
ihren ursprünglich schriftsätzlich gestellten Klageantrag auf Verpflichtung des
Antragsgegners zur Sperrzeitverkürzung -- da sie erst in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Kassel ohne schriftsätzliche oder im
Sitzungsprotokoll vermerkte Begründung anstelle des ursprünglichen
Verpflichtungsantrages den Bescheidungsantrag gestellt hat, liegt es nahe, daß
dies auf Anregung des Vorsitzenden erster Instanz geschehen ist -- im Wege der
Anschlußberufung auch in zweiter Instanz wieder aufzugreifen, steht einem Erfolg
des Antrages im einstweiligen Anordnungsverfahren das Verbot zwar nicht des
Überschreitens aber der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen.
Es sind auch keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine Ausnahme von diesem
grundsätzlichen Vorwegnahmeverbot zulassen. Anders als etwa in den Fällen einer
vorläufigen Zulassung zum Studium (vgl. dazu Finkelnburg/Jank, Vorläufiger
Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Aufl., Rdnrn. 963 ff. m.w.N.) oder
einer vorläufigen Versetzung eines Schülers in die nächsthöhere Klasse (dazu
Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdnrn. 1023 ff. m.w.N.), die aus Gründen der Effektivität
des Rechtsschutzes geboten sein können, gibt es keine schützenswerte Rechte
der Antragstellerin, vor deren Verlust sie bis zum Abschluß des
Hauptsacheverfahrens bewahrt werden müßte. Insbesondere in diesem
Zusammenhang ist es rechtlich unerheblich, ob die Antragstellerin aufgrund der
versagten Sperrzeitverkürzung wirtschaftliche Einbußen hinnehmen muß oder der
Weiterbetrieb der Diskothek deswegen gar unrentabel ist. Unverzichtbares
Merkmal des Gewerbebetriebes ist lediglich die Absicht der Gewinnerzielung, nicht
aber die Möglichkeit, diese Absicht auch zu verwirklichen (BVerwG, U. v. 05.11.85 --
1 C 14.84 --, GewArch 1986, S. 96 ff.).
Ungeachtet des dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung bereits
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Ungeachtet des dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung bereits
entgegenstehenden Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache hat die
Antragstellerin den von ihr behaupteten Anordnungsanspruch nicht glaubhaft
gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --
).
Nach § 18 Abs. 1 des Gaststättengesetzes -- GastG -- vom 5. Mai 1970 (BGBl. I S.
465, 1298) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Hessischen Verordnung über die
Sperrzeit -- SperrzeitVO -- vom 19. April 1971 (GVBl. I S. 96) beginnt die Sperrzeit
für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten um
1.00 Uhr (nachts) und endet um 6.00 Uhr (morgens).
Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG, § 4 SperrzeitVO kann bei Vorliegen eines
öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse für einzelne
Schank- und Speisewirtschaften sowie öffentliche Vergnügungsstätten die
Sperrzeit entweder verlängert oder befristet und widerruflich verkürzt oder
aufgehoben werden. Diese als repressives Verbot mit Ausnahmevorbehalt
ausgestalteten Vorschriften (BVerwG, U. v. 23.09.76 -- 1 C 7.75 --, GewArch 1977,
S. 24 und ihm folgend Hess. VGH, U. v. 27.10.86 -- 8 UE 1123/84 --, GewArch
1987, S. 245) stellen selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen --
ein öffentliches Bedürfnis oder besondere örtliche Verhältnisse -- die Verkürzung
der allgemeinen Sperrzeit in das Ermessen der Behörde und begründen
mitnichten einen (materiellen) Rechtsanspruch des Gastwirts auf eine solche
Vergünstigung. Der Senat kann daher im vorliegenden Verfahren dahinstehen
lassen, ob die begehrte Sperrzeitverkürzung zu Recht bereits aus Rechtsgründen
abgelehnt werden konnte und ob die hilfsweise angestellten
Ermessenserwägungen des Antragsgegners fehlerhaft waren. Die Rechtmäßigkeit
dieser Ablehnungsentscheidung muß vielmehr einer Prüfung der Hauptsache im
Berufungsverfahren vorbehalten bleiben. Eine der Antragstellerin im einstweiligen
Anordnungsverfahren allein zum Erfolg ihres Verpflichtungsbegehrens verhelfende
Ermessensreduzierung auf Null kann bei summarischer Würdigung des
Antragstellervorbringens nicht festgestellt werden. Vielmehr bleibt dem
Antragsgegner selbst bei einer im Berufungsurteil bestätigten Bindung an die
Rechtsauffassung des Gerichts erster Instanz die Möglichkeit, aus Gründen, die der
Beurteilung des erkennenden Senats einstweilen entzogen sind, eine neuerliche
Entscheidung zu treffen, die -- ebenso wie seine ursprüngliche Entscheidung -- im
Ergebnis zum Nachteil der Antragstellers ergehen kann.
Der Antrag ist daher ... abzulehnen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.