Urteil des HessVGH vom 25.06.1991

VGH Kassel: widerruf, öffentlich, anzeige, ehre, meinung, behörde, form, interpol, subjektiv, kenntnisnahme

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Gericht:
Hessischer
Verwaltungsgerichtshof
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 UE 3164/88
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 2
GG
(Folgenbeseitigungsanspruch; Widerruf einer Äußerung
einer Behörde; Werturteile und Meinungsäußerungen)
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage den Widerruf einer Äußerung, die in einem
Schreiben des Bundeskriminalamtes vom 14. Februar 1979 an das
Landeskriminalamt N enthalten war. In diesem Schreiben wird unter Bezugnahme
auf eine Anzeige der Klägerin folgendes ausgeführt:
"Das durch Interpol Paris nach hier weitergeleitete Schreiben der
obengenannten Person wird Ihnen zuständigkeitshalber mit der Bitte um
Kenntnisnahme und gfl. weitere Veranlassung übersandt. Nach dem Inhalt des
Schreibens zu schließen, scheint die Einsenderin vermutlich vermindert
zurechnungsfähig zu sein. ..."
Die Klägerin ist der Auffassung, bei dieser Äußerung handele es sich um eine
ehrenrührige Behauptung, die sie in ihren Persönlichkeitsrechten verletze. Da das
Bundeskriminalamt sich geweigert habe, seine Behauptung zu widerrufen, sei die
Erhebung der Klage geboten gewesen.
Die Klägerin beantragte sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, die Behauptung des Bundeskriminalamtes, die
Klägerin sei "vermindert zurechnungsfähig" zu widerrufen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Aus dem Schreiben vom 14. Februar 1979 ergebe sich eindeutig, daß seitens des
Bundeskriminalamtes nicht die Behauptung aufgestellt worden sei, die Klägerin sei
"vermindert zurechnungsfähig". Dies sei auch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt
gewesen. Das Schreiben enthalte eine auf einer Bewertung des Inhalts der
seinerzeit eingegangenen Anzeige der Klägerin basierende Vermutung des
damaligen Sachbearbeiters. Die verwendete Formulierung, die Anzeigenerstatterin
könne vermindert zurechnungsfähig sein, sei im Jahre 1979 vom
Bundeskriminalamt verwendet worden, um zu verdeutlichen, daß der Text eines
Anzeigenschreibens irreal und unschlüssig sei. So sei offenbar auch im Falle der
Klägerin verfahren worden. Keinesfalls aber habe hiermit die Behauptung
aufgestellt werden sollen, die Klägerin sei vermindert zurechnungsfähig. Sollte die
Klägerin die fragliche Formulierung dennoch als Tatsachenbehauptung verstanden
haben, werde dieses Mißverständnis seitens der Beklagten bedauert.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8.
Juni 1988 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klage sei zwar zulässig;
insbesondere sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben, da die
beanstandeten, nach Meinung der Klägerin ehrkränkenden Äußerungen in einem
amtlichen Schreiben der Beklagten gemacht worden seien. Die Klage sei aber
unbegründet, da der Klägerin der von ihr geltend gemachte öffentlich-rechtliche
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unbegründet, da der Klägerin der von ihr geltend gemachte öffentlich-rechtliche
Folgenbeseitigungsanspruch nicht zustehe. Das von ihr beanstandete Schreiben
der Beklagten enthalte keine ehrkränkenden Tatsachenbehauptungen. In ihm
werde nach seinem eindeutigen Inhalt lediglich eine Vermutung geäußert. Dies
habe die Beklagte im vorliegenden Verfahren nochmals klargestellt.
Gegen den ihr am 28. Juni 1988 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am
28. Juli 1988 Berufung eingelegt. Das Verwaltungsgericht habe ihre Klage zu
Unrecht abgewiesen. Es komme nicht darauf an, wie das Bundeskriminalamt die
fragliche Äußerung gemeint habe. Maßgeblich sei vielmehr der dem
Landeskriminalamt übermittelte Text. Der Inhalt dieses Schreibens habe für sie
Nachteile gehabt. Das Landeskriminalamt habe es an das Gesundheitsamt in W
weitergegeben; dieses habe es zum Anlaß genommen, gegen sie ein
Entmündigungsverfahren einzuleiten.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Wiesbaden
vom 8. Juni 1988 -- VIII E 488/86 -- die Beklagte zu verurteilen, ihre Behauptung,
die Klägerin sei "vermindert zurechnungsfähig", zu widerrufen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehe
der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch nicht zu.
Das von ihr beanstandete Schreiben enthalte keine ehrkränkenden
Tatsachenbehauptungen; vielmehr werde darin nur eine Vermutung geäußert, wie
sich aus dem klaren Wortlaut des Schreibens ergebe. Es komme nicht darauf an,
ob sich die Klägerin subjektiv in ihrer Ehre verletzt fühle. Entscheidend sei, ob eine
Tatsachenbehauptung aufgestellt werde, die objektiv geeignet sei, sie in ihrer Ehre
zu verletzen. Dies sei nicht der Fall und sei auch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt
gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und den vom
Bundeskriminalamt vorgelegten Aktenhefter Bezug genommen. Er ist zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis
zu Recht abgewiesen. Allerdings ist es zu Unrecht von der Zulässigkeit der Klage
ausgegangen. Zwar kann die Klägerin den von ihr geltend gemachten
Folgenbeseitigungsanspruch in Form eines öffentlich-rechtlichen
Widerrufsanspruchs vor den Verwaltungsgerichten im Wege der allgemeinen
Leistungsklage geltend machen, da die beanstandete Äußerung von einem
Beamten des Bundeskriminalamtes bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben
gemacht worden ist (vgl. BVerwGE 59, 319 (325 f.)). Jedoch ist nachträglich das
Rechtsschutzbedürfnis für das von der Klägerin verfolgte Begehren dadurch
entfallen, daß das Bundeskriminalamt mit Schriftsatz vom 29. August 1986
ausdrücklich erklärt hat, in dem Schreiben vom 14. Februar 1979 sei nicht die
Behauptung aufgestellt worden, die Klägerin sei vermindert zurechnungsfähig.
Dies sei auch zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen. Weiter heißt es dort:
"Sollte die Klägerin die fragliche Formulierung dennoch als Tatsachenbehauptung
verstanden haben, so wird dieses Mißverständnis seitens der Beklagten bedauert".
Mit dieser klarstellenden Äußerung hat die Klägerin der Sache nach das erreicht,
was sie mit dem von ihr klageweise geltend gemachten Widerrufsanspruch
begehrt. Bei dieser Sachlage vermag der Senat ein rechtlich schützenswertes
Interesse der Klägerin an der weiteren gerichtlichen Durchsetzung des von ihr
geltend gemachten Widerrufsanspruchs nicht zu erkennen. Nunmehr dient das
gerichtliche Verfahren nicht mehr der Beseitigung eines Eingriffs in ihr
Persönlichkeitsrecht, sondern es befriedigt lediglich ihr Bedürfnis nach
Genugtuung. Hierfür können die Gerichte jedoch nicht in Anspruch genommen
werden (vgl. BGH, NJW 1977, 1681 (1682); Palandt/Thomas, BGB, 50. Aufl., Einf.
vor § 823 Rn. 27; Schwerdtner, Münchner Kommentar, 2. Aufl., § 12 Rn. 340).
Im übrigen wäre die Klage aber auch unbegründet. Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Widerruf der fraglichen Äußerung. Denn nach allgemeiner Meinung
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Anspruch auf Widerruf der fraglichen Äußerung. Denn nach allgemeiner Meinung
kann nur der Widerruf rechtsverletzender unwahrer Tatsachenbehauptungen, nicht
aber der von Werturteilen und Meinungsäußerungen verlangt werden (vgl. BGHZ
10, 104 (105 f.), BGH, NJW 1989, 774 f., Schwerdtner, a.a.O., Rn. 344). Denn
niemand kann im Wege der Zwangsvollstreckung gezwungen werden, eine
Überzeugung aufzugeben oder eine Würdigung zurückzunehmen (vgl. BGH,
a.a.O.).
Bei der Äußerung, die Klägerin scheine vermindert zurechnungsfähig zu sein,
handelt es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, deren Richtigkeit einer
objektiven Klärung durch Beweis zugänglich ist, sondern um ein Werturteil (vgl. zur
Abgrenzung BVerfGE, 61, 1 (8 f.), OLG Zweibrücken, NVwZ 1982, 332 f.). Der
Äußerung fehlt das tatsächliche Substrat, das -- dessen Unwahrheit einmal
unterstellt -- einen Widerrufsanspruch rechtfertigen könnte. In dem Schreiben vom
14. Februar 1979 wird bereits nach seinem Wortlaut vom Verfasser dieses
Schreibens ausweislich der Wortwahl "scheint die Einsenderin vermutlich
vermindert zurechnungsfähig zu sein" nicht eine Tatsache behauptet, sondern
lediglich eine persönliche, auf Vermutungen beruhende Einschätzung
vorgenommen, die einem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich ist, sondern als
subjektive Wertung nur abgelehnt oder akzeptiert werden kann.
Da die Klägerin trotz Hinweises auf die Rechtslage in der mündlichen Verhandlung
an ihrem Klageantrag festgehalten hat, scheidet auch eine Umdeutung ihres
Antrags aus.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.