Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 29.03.2017

OVG Berlin-Brandenburg: rücknahme der klage, prozesskostenvorschuss, bedürftigkeit, ratenzahlung, kurzarbeit, link, quelle, sammlung, erwerbstätigkeit, freibetrag

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 M 75.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 166 VwGO, § 120 Abs 4 ZPO,
§ 115 ZPO, § 114 ZPO, § 1360a
Abs 4 BGB
Prozesskostenhilfe: Anspruch eines Ehegatten auf
Prozesskostenhilfe im Verfahren um die Erteilung eines Visums
zum Ehegattennachzug; Berücksichtigung der wirtschaftlichen
Verhältnisse des in Deutschland lebenden Ehegatten
Leitsatz
Im Visumsverfahren zum Ehegattennachzug kann der Prozesskostenhilfe begehrende
nachzugswillige Ehegatte grundsätzlich nicht auf einen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss
gegenüber dem im Bundesgebiet lebenden Ehegatten verwiesen werden. Allerdings sind die
wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des im Bundesgebiet lebenden Ehegatten bei
der Prüfung der Bedürftigkeit (§§ 114, 115 ZPO) zu berücksichtigen.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom
11. August 2009 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten
werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Festsetzung monatlicher Raten hat keinen
Erfolg.
1. Der Einwand der Beschwerde, dass das Verwaltungsgericht allein die wirtschaftlichen
und persönlichen Verhältnisse der Klägerin habe berücksichtigen dürfen und sie nicht auf
einen Prozesskostenvorschuss gegenüber ihrem unterhaltsberechtigten Ehemann
verwiesen werden könne, wenn dieser – wie von dem Verwaltungsgericht erkannt – einen
Anspruch auf Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung habe, greift nicht durch. Auf die
ohnehin nicht unumstrittene oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, wonach der
unterhaltsberechtigte Ehegatte bei einem Anspruch des Unterhaltspflichtigen auf
Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung nicht auf einen Prozesskostenvorschuss verwiesen
werden darf, sondern ihm uneingeschränkt Prozesskostenhilfe bewilligt werden muss
(vgl. z.B. OLG München, Beschluss vom 12. November 1992, FamRZ 1993, 714; a.A. z.B.
KG, Beschluss vom 9. August 1989, FamRZ 1990, 183) kommt es ebenso wenig an wie
auf die Frage, ob der Beschluss des Bundesgerichtshofs zum
Prozesskostenvorschussanspruch des minderjährigen Kindes vom 4. August 2004 (NJW-
RR 2004, 1662 f.) auf Unterhaltsansprüche von Ehegatten übertragbar ist.
Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats ein - wie die Klägerin - im Ausland
lebender Ehegatte, der ein auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug
gerichtetes Klageverfahren betreibt, nicht darauf verwiesen werden, von seinem bereits
im Bundesgebiet lebenden Ehegatten einen Prozesskostenvorschuss nach § 1360 a Abs.
4 BGB zu fordern (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 3. März 2008 – OVG 12
M 120.07 – und vom 31. März 2009 – OVG 12 M 19.09 -; für den vergleichbaren Fall des
Kindernachzugs s. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – OVG
12 M 29.07 -, juris). Dieser in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannte
Anspruch (vgl. z.B. VGH München, Beschluss vom 27. März 2007 – 5 C 06.2392 -, juris;
OVG Hamburg, FamRZ 2006, 1615; OVG Münster, Beschluss vom 26. November 1998 -
19 E 612/98 -, juris) richtet sich hier nicht nach §§ 1360 ff. BGB, sondern nach dem in
Serbien geltenden Unterhaltsrecht (Art. 18 Abs. 1 EGBGB). Ob der Klägerin nach
serbischem Recht ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss zusteht, ist hier nicht
entscheidungserheblich.
Bei der Prüfung der Bedürftigkeit des nachzugswilligen Ehegatten (§§ 114,115 ZPO) ist
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Bei der Prüfung der Bedürftigkeit des nachzugswilligen Ehegatten (§§ 114,115 ZPO) ist
nicht allein auf dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse, sondern auch auf die
wirtschaftliche Situation des bereits im Bundesgebiet lebenden Ehegatten abzustellen
(OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 3. März 2008 – OVG 12 M 120.07 – und vom
31. März 2009 - OVG 12 M 19.09 -; für den vergleichbaren Fall des Kindernachzugs s.
auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – OVG 12 M 29.07 -,
juris). Zum einen darf, worauf das Verwaltungsgericht hingewiesen hat, ein
nachzugswilliger Ehegatte in Visumsstreitigkeiten nicht besser gestellt werden als ein
bereits nachgezogener Ehegatte. Zum anderen – und dies ist ausschlaggebend – steht
dem bereits im Bundesgebiet lebenden Ehegatten aufgrund der Schutzwirkungen des
Art. 6 Abs. 1 GG ebenfalls ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zur
Familienzusammenführung mit dem im Ausland lebenden Ehegatten zu (vgl. auch
BVerwG, Urteil vom 27. August 1996, BVerwGE 102, 12 ff.; Urteil vom 3. Mai 1973,
BVerwGE 42, 141 ff.). Die Frage nach der Bedürftigkeit kann daher nicht davon abhängig
gemacht werden, wer von den Eheleuten - zufällig oder willentlich –Klage erhebt. Es ist
vielmehr gerechtfertigt, im Prozesskostenhilfeverfahren stets auch auf die wirtschaftliche
Situation des bereits im Bundesgebiet lebenden Ehegatten abzustellen, die im Übrigen
auch in materiellrechtlicher Hinsicht mit ausschlaggebend ist.
2. Soweit die am 1. September erhobene und nach der Rücknahme der Klage mit
Schriftsatz vom 25. September 2009 begründete Beschwerde im Wesentlichen erstmalig
geltend macht, dass sich die Einkommensverhältnisse des Ehemannes der Klägerin
aufgrund von Kurzarbeit verschlechtert hätten und die festgesetzten Raten daher
herabgesetzt werden müssten, ist hier für ein Verfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO kein
Raum. Insoweit ist zunächst das Verwaltungsgericht als „das Gericht“ im Sinne von §
120 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuständig (vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, Kommentar, 67. Aufl., § 120 Rn. 8).
Unabhängig davon ist nicht mit Erfolg glaubhaft gemacht, dass das Verwaltungsgericht
die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Ehemannes der Klägerin
unzutreffend gewürdigt hat bzw. dass eine Aufhebung der festgesetzten Ratenzahlung
wegen einer Änderung dieser Verhältnisse gerechtfertigt wäre. Das Ausmaß der
behaupteten Kurzarbeit, die ohnehin von einer gewissen Dauer sein müsste, lässt sich
dem vorgelegten Gehaltsnachweis für August 2009 nicht entnehmen. Auch die weiteren,
von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts abweichenden Angaben –
vor allem zum Kindesunterhalt - sind nicht glaubhaft gemacht, sondern lediglich
behauptet und stehen zum Teil im Widerspruch zu früheren Angaben der Klägerin.
Punktuelle Nachweise für Unterhaltszahlungen reichen nicht aus. Sollte die Klägerin an
einem Abänderungsverfahren gemäß § 120 Abs. 4 ZPO festhalten bzw. einen derartigen
Antrag bei dem zuständigen Verwaltungsgericht stellen, dürfte es geboten sein, dass ihr
Ehemann eine von ihm ausgefüllte und unterschriebene Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse vorlegt.
Sollte das Einkommen des Ehemannes der Klägerin tatsächlich auf Dauer sinken, ist
zweifelhaft, ob die Beigeladene der Klägerin im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG
nach der Einreise und Ablauf des Visums eine Aufenthaltserlaubnis zur
Familienzusammenführung erteilen kann. Bei der Ermittlung des zur Sicherung des
Lebensunterhaltes erforderlichen Einkommens (§ 2 Abs. 3 AufenthG) sind nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sämtliche in § 11 Abs. 2 SGB II
angeführten Beträge abzuziehen. Dies gilt nicht nur für die von der Beigeladenen
angesetzte Pauschale gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II, sondern auch für den Freibetrag
bei Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 30 SGB II (vgl.
Urteil vom 26. August 2008, BVerwGE 131, 370 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer
Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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