Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 18.12.2008

OVG Berlin-Brandenburg: treu und glauben, befreiung, aufschiebende wirkung, verwirkung, grundstück, behörde, anhörung, einverständnis, vollziehung, bebauungsplan

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 10 S 5.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 57 VwGO, § 58 Abs 2 VwGO, §
70 VwGO, § 146 Abs 4 S 6
VwGO, § 212a Abs 1 BauGB
Vorverlagerung des maßgebenden Zeitpunktes für die
Verwirkung des Widerspruchsrechts auf den Erteilungszeitpunkt
einer Befreiung
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 18. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden einschließlich der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen den Antragstellern als Gesamtschuldnern auferlegt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3 750 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem viergeschossigen, überwiegend als
Wohnhaus genutzten Gebäude bebauten Grundstücks B Straße 3 in Berlin-K. Sie wehren
sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die der Beigeladenen mit Bescheiden
vom 29. und 30. Mai 2006 sowie mit Bescheiden vom 22. Juli 2008 erteilte
Baugenehmigung bzw. Nachtragsgenehmigung mit Befreiungen für die Errichtung eines
neungeschossigen Büro- und Geschäftshauskomplexes mit Tiefgarage auf dem
gegenüberliegenden Eckgrundstück B Straße 1 / A / S. Gegenstand der mit Bescheid
vom 29. Mai 2006 erteilten bauplanungsrechtlichen Befreiung waren unter anderem die
Zulassung der Überschreitung der im Bebauungsplan VI-95 vom 1. Dezember 1969 im
Kerngebiet festgesetzten Baugrenzen sowie der Geschossflächenzahl und der Zahl der
Vollgeschosse, die ein Überschreiten der Abstandsflächen über die Mitte der öffentlichen
Verkehrsfläche hinaus - auch zum Grundstück der Antragsteller hin – zur Folge hat, für
die der Beigeladenen eine bauordnungsrechtliche Befreiung erteilt worden ist. Für die
Möglichkeit der baulichen Inanspruchnahme auch eines Teils der im Bebauungsplan für
das westlich an das Vorhabengrundstück angrenzende Grundstück der Kirchengemeinde
festgesetzten Gemeinbedarfsfläche erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen mit
den Bescheiden vom 22. Juli 2008 eine Nachtragsgenehmigung mit einer
entsprechenden bauplanungsrechtlichen Befreiung.
Gegen diese Befreiungen, die Bau- und die Nachtragsgenehmigung legten die
Antragsteller mit Schreiben vom 29. August 2008 Widerspruch ein, der am 1. September
2008 beim Antragsgegner einging und durch Widerspruchsbescheid vom 17. November
2008 als verfristet zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte er aus, dass die
Antragsteller trotz Kenntnis von dem Bauvorhaben dessen Verwirklichung und die damit
zusammenhängenden Investitionen der Beigeladenen in einem Zeitraum von (über)
zwei Jahren widerspruchslos hingenommen hätten. Ab dem Zeitpunkt, von dem an sich
einem Nachbarn das Vorliegen einer Baugenehmigung aufdrängen muss, sei es diesem
jedoch möglich und zumutbar, sich über deren Inhalt durch Anfrage beim Bauherrn oder
der Baugenehmigungsbehörde Gewissheit zu verschaffen, um gegebenenfalls
unverzüglich Einwendungen zu erheben und den wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn
möglichst gering zu halten. Ein solches zumutbares aktives Handeln und Mitwirken sei
Teil des durch Treu und Glauben geprägten nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses.
An solcher Mitwirkung fehle es. Hiergegen haben die Antragsteller Klage erhoben (VG 13
A 223.08).
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz mit Beschluss vom
18. Dezember 2008 zurückgewiesen. Hierbei hat es die Frage, ob die Antragsteller ihr
Widerspruchsrecht durch zu langes Zuwarten verwirkt haben könnten, dahinstehen
lassen und den Antrag unter Prüfung möglicher Verstöße gegen
abstandsflächenrechtliche und planungsrechtliche Vorschriften sowie gegen das
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abstandsflächenrechtliche und planungsrechtliche Vorschriften sowie gegen das
Rücksichtnahmegebot mangels Verletzung von Nachbarrechten zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. In dem Beschwerdeverfahren haben
sowohl der Antragsgegner als auch die Beigeladene in ihren jeweiligen
Beschwerdeerwiderungen die Frage der Unzulässigkeit des Antrags wegen Verwirkung
des Widerspruchsrechts der Antragsteller wieder aufgegriffen haben und die
Baugenehmigung als bestandskräftig angesehen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.
Das Vorbringen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren rechtfertigt es nicht, den
angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Ergebnis zu ändern. Hierbei ist
vorauszuschicken, dass der Gesetzgeber mit § 212 a Abs. 1 BauGB bereits eine
Interessenwertung für den Fall vorgenommen hat, dass ein Dritter mit Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens vorgeht,
indem er die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen und die sofortige Vollziehung als
Regelfall vorgesehen hat. Soll der Antrag dennoch Erfolg haben, erfordert dies bei der
nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung
der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen, dass das Interesse der
Antragsteller, von der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung vorerst verschont zu
bleiben, das Interesse der Allgemeinheit und der Beigeladenen an der unverzüglichen
Ausnutzung der Baugenehmigung ausnahmsweise überwiegen müsste. Dies setzt bei
der durch § 212 a Abs. 1 BauGB getroffenen Wertentscheidung des Gesetzgebers einen
offensichtlich gegebenen Abwehranspruch des Dritten voraus, der hier nicht erkennbar
ist.
1. Vielmehr kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage schon
deshalb nicht in Betracht, weil alles dafür spricht, dass einem möglichen Erfolg des
Rechtsmittels schon die Bestandskraft der unter Befreiungen erteilten Baugenehmigung
entgegen steht. Denn das Widerspruchsrecht der Antragsteller dürfte verwirkt und der
Widerspruch der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung und
Befreiung vom 29. und 30. Mai 2006 damit verfristet gewesen sein.
a) Dass das Verwaltungsgericht die Zurückweisung des vorläufigen Rechtsschutzantrags
nicht auf diesen rechtlichen Aspekt gestützt hat, stellt kein prozessuales Hindernis im
Beschwerdeverfahren dar. Zwar ist das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4
Satz 6 VwGO grundsätzlich auf die Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe
beschränkt. Es ist aber nicht gehindert, die Entscheidung zu Lasten eines Antragstellers
auch auf andere rechtliche Gesichtspunkte zu stützen, die einem Erfolg der Beschwerde
erkennbar entgegenstehen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese rechtlichen Aspekte
vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung – aus welchen Gründen auch immer –
(letztlich) nicht berücksichtigt worden sind. Insoweit bleibt es für das Beschwerdegericht
bei den Prüfungselementen, wie sie bei einer uneingeschränkten Beschwerdemöglichkeit
gegeben wären (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 146 RNr. 43; OVG
Münster, Beschluss vom 18. März 2002, NVwZ 2002,1390).
b) Im Einzelnen: Die Antragsteller haben erst mit dem am 1. September 2008 bei dem
Antragsgegner eingegangenen Schreiben vom 29. August 2008 Widerspruch gegen die
Baugenehmigung erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Recht zum Widerspruch bereits
verwirkt. Zwar setzte der nur an die Beigeladene übersandte Baugenehmigungsbescheid
gegenüber den Antragstellern mangels Bekanntgabe durch die Behörde zunächst
keinen regulären Fristenlauf für die Einlegung eines Widerspruchs in unmittelbarer
Anwendung der §§ 57, 58 und 70 VwGO in Gang, weil dies wegen des
Schriftformerfordernisses für Baugenehmigungen (§ 71 Abs. 2 Satz 1 BauOBln) die
Übergabe einer Ausfertigung des Bescheids auch an diese als betroffene Nachbarn
erfordert hätte. Von dem Zeitpunkt an, von dem ab anzunehmen ist, dass der Nachbar
sichere Kenntnis von der erteilten Baugenehmigung erlangt hat oder zumindest hätte
erlangen müssen, hat er sich jedoch in aller Regel nach Treu und Glauben so behandeln
zu lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen
Kenntniserlangung bzw. in demjenigen Zeitpunkt amtlich bekannt gegeben worden, in
dem er diese Kenntnis hätte erlangen müssen. Maßgebend ist insoweit nicht der
Zeitpunkt des Erkennens, sondern der Erkennbarkeit der (später) geltend gemachten
Beeinträchtigung (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005 – OVG 10 B 10.05 –
sowie Beschluss vom 15. Mai 2008 – OVG 10 N 21.06 -). Von diesem Zeitpunkt an läuft
im Hinblick auf die Regelung des § 58 Abs. 2 VwGO, wonach bei unterbliebener oder
unrichtig erteilter Rechtsbehelfsbelehrung für die Einlegung des Rechtsbehelfs die
Jahresfrist gilt, auch in diesen Fällen eine einjährige Widerspruchsfrist. Mit Ablauf der
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Jahresfrist gilt, auch in diesen Fällen eine einjährige Widerspruchsfrist. Mit Ablauf der
Jahresfrist ist dann nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig Verwirkung anzunehmen
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 1988, BRS 48 Nr. 180; Urteil vom 25. Januar
1974, BVerwGE 44, 294).
Im vorliegenden Fall wurden die Antragsteller mit dem als "Anhörung" überschriebenen
Schreiben des Antragsgegners vom 12. April 2006 auf das Bauvorhaben aufmerksam
gemacht, das Ihnen unter Beifügung des Lageplans vom 22. (gemeint: 21.) November
2005 am 18. April 2006 persönlich von einem Mitarbeiter des Antragsgegners
ausgehändigt wurde, worüber ein handschriftlicher Vermerk gefertigt worden ist. In dem
Anhörungsschreiben wurde auf den beabsichtigten Neubau eines Büro- und
Geschäftshauses mit Tiefgarage (64 PKW-Stellplätze) hingewiesen und es wurden alle
beabsichtigten bauplanungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Befreiungen als
rechtliche Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung aufgeführt. Es sei
beabsichtigt, diese Befreiungen zu erteilen. Den Antragstellern wurde Gelegenheit zur
Stellungnahme innerhalb von drei Wochen mit folgendem Hinweis gegeben: "Sollten Sie
sich innerhalb dieser genannten Frist nicht schriftlich geäußert haben, ist davon
auszugehen, dass Sie keine Einwendungen gegen das o. g. Vorhaben haben." Zusätzlich
sollen nach dem handschriftlichen Vermerk bei der Übergabe der Unterlagen an die
Antragsteller von dem Behördenmitarbeiter "kurze Erläuterungen zu den
planungsrechtlichen und bauordnungsrechtlichen Belangen / Befreiungen abgegeben"
worden sein, der darüber hinaus geäußert haben soll, dass "Abstandsflächen, die über
die gesetzliche nachbarschützende Wirkung hinausgehen, ... nicht betroffen" sind. Auf
dem Schriftstück befindet sich zudem der spätere handschriftliche Vermerk: "bis zum
17.5.06 ist keine schriftliche Äußerung beim BWA eingegangen". Unter diesen
Umständen durfte die Baugenehmigungsbehörde nach Ablauf der Stellungnahmefrist
aufgrund des passiven Verhaltens der Antragsteller auf deren Einverständnis mit dem
Bauvorhaben schließen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. April 2002, BRS 65 Nr.
195) und die Baugenehmigung vom 30. Mai 2006 mit der Befreiung vom 29. Mai 2006
erteilen. Hiermit hätten die Antragsteller bereits nach Ablauf der 3-Wochen-Frist, also ab
dem 9. Mai 2006, rechnen müssen, da sie sich nicht innerhalb der ihnen eingeräumten
Stellungnahmefrist geäußert haben. Dieses Unterlassen geht nach dieser Vorbereitung
der Baugenehmigung durch die Behörde, die unter ausdrücklicher Einbeziehung der
Nachbarn in das Verfahren erfolgt ist, zu Lasten der Antragsteller, so dass jedenfalls
spätestens ab der Erteilung der Baugenehmigung und Befreiung vom 29. und 30. Mai
2006 die Jahresfrist für den Widerspruch lief. In dieser Zeit hätte es den Antragstellern
oblegen, sich nach der zwischenzeitlichen Erteilung der Baugenehmigung zu erkundigen
und ggf. ohne Säumen ihre nachbarlichen Einwendungen geltend zu machen, um durch
ein solches zumutbares aktives Handeln einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn
zu vermeiden oder dessen Vermögensverlust so gering wie möglich zu halten (vgl. OVG
Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005 – OVG 10 B 10.05 -, m. w. N.). Bei Einlegung des
Widerspruchs am 1. September 2008 – also nach 2 ¼ Jahren - war die Widerspruchsfrist
jedenfalls verstrichen.
Soweit die Antragsteller ihr zögerliches Verhalten damit erklären wollen, dass im März
2008 die Baustelleneinrichtung erfolgt und erst damit für sie der Baubeginn erkennbar
geworden sei, steht dies der Verwirkung nicht entgegen. Solche tatsächlichen Vorgänge
im Rahmen eines Baugeschehens, wie der Beginn der Bauarbeiten, die auf eine
vorangegangene Erteilung einer Baugenehmigung schließen lassen, sind in der Regel für
einen möglichen Fristbeginn relevant (vgl. hierzu OVG Bln-Bbg, a. a. O.). Sind die
Nachbarn jedoch - wie hier – zuvor unter Anhörung und Fristsetzung mit Gelegenheit zur
Stellungnahme schon in das Verwaltungsverfahren einbezogen worden, spricht viel
dafür, dass dadurch der maßgebende Zeitpunkt für eine mögliche Erkennbarkeit der
geltend zu machenden Beeinträchtigungen gewissermaßen auf den Erteilungszeitpunkt
"vorverlegt" wird, zumal ihnen für den Fall der Nichtäußerung angekündigt worden ist,
dass von ihrem Einverständnis ausgegangen, und die Befreiung sodann erteilt werden
würde. Unter diesen Umständen durfte die Beigeladene als Bauherrin darauf vertrauen,
dass jedenfalls nach Ablauf der Jahresfrist von der Erteilung der Baugenehmigung an
kein Rechtsbehelf mehr eingelegt wird und Bestandskraft im Interesse allseitiger
Rechtssicherheit eintritt. In der Folgezeit hatte die Beigeladene dann auch weiteren
Planungsaufwand für eine Änderungsplanung und tätigte Investitionen, indem sie einen
am 29. Juni 2006 geschlossenen Grundstückstauschvertrag mit der benachbarten
Kirchengemeinde später erfüllte, wie sich dem Vermerk vom 4. Juli 2008 (Bl. 78 VV)
entnehmen lässt, so dass auch diese Voraussetzungen für eine Verwirkung des Rechts
auf Einlegung des Widerspruchs erfüllt sind (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember
2005, a. a. O.).
Soweit das bereits im März 2006 aufgestellte und von den Antragstellern offenbar auch
wahrgenommene Baustellenschild mit einer bildlichen Darstellung des Bauvorhabens
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wahrgenommene Baustellenschild mit einer bildlichen Darstellung des Bauvorhabens
(Blatt 60 d. A.) dessen tatsächliche Dimensionen nicht zutreffend wiedergegeben haben
soll, kommt es hierauf angesichts des nachfolgenden detaillierten Anhörungsschreibens
vom 12. April 2006 nicht an. Diesem Schild kann jedoch zumindest eine zusätzliche
"Anstoßfunktion" in dem Sinne beigemessen werden, dass sich auf dem
gegenüberliegenden Grundstück demnächst eine Bautätigkeit entfalten würde. Unter
diesen Umständen konnte das nachfolgende Anhörungsschreiben vom 12. April 2006
die Antragsteller jedenfalls nicht überraschen, wobei die im Einzelnen zwischen den
Beteiligten umstrittenen Umstände bei der persönlichen Übergabe der Unterlagen und
der Erläuterung des Bauvorhabens durch den Behördenmitarbeiter keiner Klärung
bedürfen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob der Antragsteller zu 1) bei der
Übergabe des Lageplans "zugegen" gewesen ist. Denn entscheidend ist, dass den
Antragstellern mit der Übergabe des Anhörungsschreibens am 18. April 2006 unter
schriftlicher Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen des Bauvorhabens
Gelegenheit gegeben worden ist, sich innerhalb von drei Wochen hierzu zu äußern.
Hierzu hätte es genügt, einen Fachmann mit der Angelegenheit zu betrauen, oder
zumindest zu erkennen zu geben, dass eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Baugenehmigung beabsichtigt ist, um so rechtzeitig die notwendigen Signale für die
Behörde und die Beigeladene für eine entsprechend zurückhaltende Disposition zu
setzen.
Soweit die Antragsteller mit der Beschwerde sinngemäß vortragen, gewissermaßen
"arglistig" durch den Behördenmitarbeiter über die Regelungen des
Abstandsflächenrechts getäuscht und damit zu einem Absehen von der
Widerspruchseinlegung veranlasst worden zu sein, bestehen hierfür keine Anhaltspunkte.
Dass die Behörde in Kenntnis eines Baurechtsverstoßes den Antragstellern zugeraten
haben könnte, keinen Widerspruch einzulegen, ist nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat der
das Anhörungsschreiben aushändigende Behördenmitarbeiter den behördlichen
Rechtsstandpunkt gegenüber den Antragstellern formuliert und dies auch dokumentiert,
wie aus dem handschriftlichen Vermerk auf dem Schreiben vom 12. April 2006
ersichtlich ist. Selbst wenn diese Rechtsauffassung möglicherweise falsch gewesen sein
sollte, wogegen jedenfalls die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem
angefochtenen Beschluss vom 18. Dezember 2008 sprechen, könnte hieraus kein
arglistiges Handeln der Behörde zu Lasten der Antragsteller hergeleitet werden. Diese
waren nicht gehindert, Rechtsrat einzuholen und sich sachkundig zu machen, wie sie es
später auch getan haben (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 13. März 2008 - OVG 2 S
104.07 -). Hierzu ist ihnen schriftlich unter Fristsetzung Gelegenheit gegeben worden,
ohne dass ihnen nach Ablauf der dreiwöchigen Frist schon das Widerspruchsrecht
genommen wäre. Soweit die Antragsteller möglicherweise aus der von ihrem
Prozessbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren behaupteten grundsätzlichen
Vertrauenshaltung gegenüber Behördenmitarbeitern und Verwaltungen von
Einwendungen abgesehen haben sollten, kann ihnen das Risiko einer möglichen
behördlichen Fehlbeurteilung der Rechtslage, zu deren Überprüfung die Gerichte berufen
sind, nicht abgenommen werden, wenn sie es versäumen, zumindest ihre
verfahrensmäßigen Rechte zu wahren.
c) Unabhängig davon dürften hier besondere Umstände gegeben sein, die es sogar
geboten erscheinen lassen, eine Verwirkung des Rechts zur Einlegung des Widerspruchs
noch deutlich vor Ablauf der regelmäßig zur Orientierung heranzuziehenden Jahresfrist
des § 58 Abs. 2 VwGO anzunehmen. Die Antragsteller haben sich selbst darauf berufen,
mit der im März 2008 erfolgten Baustelleneinrichtung und den damit
zusammenhängenden tatsächlichen Vorgängen im Rahmen des Baugeschehens von
dem Baubeginn Kenntnis erlangt zu haben. Hierbei dürfte ihnen anhand des Bauschilds
der Umfang des Vorhabens deutlich geworden sein, dessen Verwirklichung demgemäß
der Beigeladenen erhebliche Kosten verursachen würde. Daher liegt es nahe, die Frist,
binnen derer gegen die Baugenehmigung ohne Verstoß gegen den Grundsatz von Treu
und Glauben Widerspruch hätte eingelegt werden müssen, hier deutlich kürzer zu
bemessen, so dass sie jedenfalls am 1. September 2008, als der Widerspruch bei
dem Antragsgegner einging und über 5 Monate seit der Baustelleneinrichtung im März
2008 vergangen waren, verstrichen war. Mit einer solchen Abkürzung der Frist wird ihnen
auch nichts Unzumutbares abverlangt, da es ihnen freisteht, zunächst nur vorsorglich
und sogar ohne Begründung Widerspruch einzulegen. Jedenfalls aber erscheint ein
Zuwarten mit der Einlegung des Widerspruchs bei einem so umfangreichen und
demgemäß kostspieligen Bauvorhaben wie dem vorliegenden offensichtlich mit dem
berechtigten Interesse des Bauherrn unvereinbar, darüber alsbald Gewissheit zu
erlangen, ob das Vorhaben irgendwelchen Angriffen ausgesetzt ist oder nicht (vgl. OVG
Bln-Bbg, Urteil vom 20. Dezember 2005 - OVG 10 B 10.05 – m. w. N.).
2. Hinsichtlich der Nachtragsgenehmigung nebst Befreiung vom 22. Juli 2008 war der
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2. Hinsichtlich der Nachtragsgenehmigung nebst Befreiung vom 22. Juli 2008 war der
Widerspruch der Antragsteller vom 1. September 2008 nicht verfristet.
Die noch mögliche Anfechtung der Nachtragsgenehmigung vom 22. Juli 2008 schlägt
jedoch nicht auf die Bestandskraft der Baugenehmigung vom 30. Mai 2006 durch. Eine
Nachtragsgenehmigung tritt zwar in Bezug auf die zugelassenen Änderungen ergänzend
an die Stelle der entsprechenden Regelungen in der ursprünglichen Baugenehmigung
und bildet mit ihnen eine einheitliche Baugenehmigung. Kennzeichnend für eine
Nachtragsgenehmigung ist jedoch, dass sie im Vergleich zum Gesamtvorhaben kleinere
Änderungen eines bereits genehmigten, aber noch nicht (vollständig) ausgeführten
Vorhabens zulässt und sich nur auf die Feststellung beschränkt, dass die zur Änderung
vorgesehenen Teile des Vorhabens mit den im bauaufsichtlichen
Genehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften
übereinstimmen (vgl. Knuth in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauOBln, 6.
Aufl. 2008, § 71 RNr. 7 m. w. N.), so dass im Falle ihrer Anfechtung die ursprüngliche
Baugenehmigung davon nicht berührt wird. Nur im umgekehrten Fall besteht
Akzessorietät, weil der Nachtragsgenehmigung mit dem Erlöschen der ursprünglichen
Baugenehmigung die Grundlage entzogen wird (vgl. OVG Bln, Urteil vom 15. April 2005 –
OVG 2 B 13.02 – m.w.N., Kerkmann/Sattler, Tektur-, Nachtrags- und
Änderungsgenehmigung im Baurecht, BauR 2005, 47, 52).
Die Nachtragsgenehmigung vom 22. Juli 2008 betraf nur die Befreiung von der
Ausweisung des von Westen her an das Grundstück der Beigeladenen angrenzenden
Kirchengrundstücks als Gemeinbedarfsfläche, soweit die beiden nördlichen "Ecken"
(Flurstücke 2349 und 2351) im Umfang von insgesamt 68 qm für die Begradigung des
Grundstücks im Bereich der Tiefgarage unter dem Gelände in Anspruch genommen
werden sollten (vgl. Lageplan vom 21. November 2005, zuletzt geändert am 27. März
2008). Rechtsverletzungen der Antragsteller sind hierdurch jedoch nicht ersichtlich,
zumal in diesem Bereich der Müllraum in der Tiefgarage liegt, dem die
Flächenübernahme diente. Dieser Bereich steht auch im Übrigen zu dem Grundstück
der Antragsteller in keiner Beziehung. Die von ihnen vorgetragene Zunahme der
Verkehrsbelastung durch die mit der Flächenerweiterung ermöglichte Vergrößerung der
Tiefgarage und damit erhöhte Nutzung auch der ihrem Grundstück gegenüberliegenden
Tiefgaragenausfahrt, bleibt insoweit unsubstanziiert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es
entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen den
Antragstellern aufzuerlegen, weil sich die Beigeladene im Beschwerdeverfahren mit der
Stellung eines Zurückweisungsantrags im Schriftsatz vom 13. Februar 2009 einem
Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66
Abs. 3 Satz 3 GKG).
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