Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2017
OVG Berlin-Brandenburg: aufenthaltserlaubnis, schwangerschaft, behörde, auflage, fristablauf, link, sammlung, quelle, akteneinsicht, duldung
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 2.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 2 M 44.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 166 VwGO, § 114 ZPO, § 28
Abs 1 VwVfG, § 45 Abs 2
VwVfG, § 7 Abs 2 S 2 AufenthG
Zum maßgebenden Zeitpunkt für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe bei Änderung der Sach- und Rechtslage
Leitsatz
Tritt nach einem Antrag auf Prozesskostenhilfe eine Änderung der Sach- und Rechtslage
zugunsten des Antragstellers ein und erledigt sich der Rechtsstreit dadurch, ist bei der
rückwirkenden Bewilligung nicht zu Lasten des Antragstellers – wie sonst – auf den Zeitpunkt
der Entscheidungsreife abzustellen. Grundsätzlich maßgebend für den Beurteilungszeitpunkt
bleibt das materielle Recht.
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom
25. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
Gründe
Der pakistanische Kläger wehrt sich im Klageverfahren gegen die mit Bescheid vom 7.
Juni 2006 erfolgte Verkürzung der Geltungsdauer seiner befristet erteilten
Aufenthaltserlaubnis infolge der Trennung von seiner deutschen Ehefrau schon wenige
Monate nach der Eheschließung. Sein Prozesskostenhilfeantrag wurde vom
Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 25. Juni 2007 unter Bezugnahme auf den im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschluss vom 6. September 2006 – VG
10 A 335/06 - abgelehnt. Mit der Prozesskostenhilfebeschwerde macht der Kläger
geltend, dass bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage der Umstand, dass er am
15. März 2007 Vater eines deutschen Kindes geworden und ihm deshalb am 22. Mai
2007 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei, hätte mit einbezogen werden müssen.
Ebenso die vorangegangene Zeit der Schwangerschaft.
Die Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Versagung von
Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die
Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 der
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung -
ZPO – biete, ist nicht zu beanstanden.
Die zwischenzeitliche materiell-rechtliche Erledigung des Rechtsstreits durch die
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und die beabsichtigte Abgabe einer
verfahrensbeendenden Erklärung durch den Kläger stehen der Entscheidung über die
Prozesskostenhilfebeschwerde nicht entgegen, auch wenn die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe prinzipiell voraussetzt, dass eine Sachentscheidung noch aussteht,
denn das Gesuch war bereits vor dem Erledigungseintritt im positiven Sinne
entscheidungsreif (vgl. hierzu OVG Bln, Beschluss vom 5. März 1998, NVwZ 1998, 650;
BayVGH, Beschluss vom 6. August 1996, NVwZ-RR 1997, 500; OVG Bln, Beschluss vom
18. Januar 2005 – OVG 2 M 5.05 -).
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist hinsichtlich der Beurteilung der
Erfolgsaussichten der Klage jedoch nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des
Prozesskostenhilfeantrags abzustellen, die in der Regel gegeben ist, wenn der
Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung (§ 118 Abs. 1 ZPO) hatte (vgl. OVG Hbg,
Beschluss vom 6. August 2003, DVBl. 2004, 844) und die Verwaltungsvorgänge
vorliegen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 23. April 2002, NVwZ-RR 2002, 791). Dieser
Zeitpunkt ist nur in den Fällen, in denen nach Erledigung des Rechtsstreits „rückwirkend“
über die Prozesskostenhilfe entschieden werden soll, maßgeblich, wenn es darum geht,
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über die Prozesskostenhilfe entschieden werden soll, maßgeblich, wenn es darum geht,
zu beurteilen, ob der Antragsteller alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, um
die erstrebte Prozesskostenhilfe zu erlangen (vgl. BayVGH, a.a.O.). Auf diesen Zeitpunkt
ist aber nicht zu Lasten des Betroffenen abzustellen, wenn nach der Entscheidungsreife
die Klage durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage Aussichten auf Erfolg aufweist.
Vielmehr ist dann ab diesem Zeitpunkt Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Hier wäre allerdings aufgrund der materiell-rechtlichen Situation für die Frage der
Rechtmäßigkeit der mit Bescheid vom 7. Juni 2006 gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG
erfolgten Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis auf die Sach- und
Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (vgl. BVerwG,
Urteil vom 28. Mai 1991, InfAuslR 1991, 268 sowie zur Ausweisung NdsOVG, Beschluss
vom 13. April 2005, NVwZ 2005, 968 m. w. N., so dass durch die spätere Geburt des
Kindes des Klägers oder auch die bei Erlass des Bescheids noch nicht bekannte
Schwangerschaft – sofern diese überhaupt ausgereicht hätte – jedenfalls keine
Änderung der Erfolgsaussichten der Klage eingetreten sein kann. Entsprechenden
Veränderungen kann in solchen Fällen nur durch die Neuerteilung einer
Aufenthaltserlaubnis z. B. zu einem anderen Aufenthaltszweck oder (zunächst) durch die
Erteilung einer Duldung Rechnung getragen werden. Unter diesen Umständen ist nicht
zu beanstanden, dass sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Erfolgsaussichten der
Klage an dem Beschluss vom 6. September 2006 im Verfahren VG 10 A 335/06
orientiert hat.
Eine Erfolgsaussicht der Klage gegen den Bescheid vom 7. Juni 2006 ist auch nicht
deshalb gegeben, weil dieser durch einen Anhörungsmangel (§ 28 Abs. 1 VwVfG)
verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sein könnte. Soweit der Kläger meint, dass er
mit dem Anhörungsschreiben vom 5. Oktober 2005 - über den Hinweis auf die
Nichterfüllung der Zwei-Jahres-Frist des § 31 Abs. 1 AufenthG hinaus - auch auf die
Möglichkeit der Geltendmachung von Härtegesichtspunkten im Sinne des § 31 Abs. 2
AufenthG hätte aufmerksam gemacht werden müssen, überspannt er die
verfahrensrechtlichen Anforderungen. Eine ausnahmsweise Verpflichtung der Behörde
zu einem besonderen Hinweis auf Ausnahmefälle kann nur dann gegeben sein, wenn für
deren Vorliegen überhaupt ein erkennbarer Anlass besteht (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG,
8. Auflage 2003, § 28 RNr. 21). Dass die Behörde am 5. Oktober 2005 die erstmals mit
Bescheinigung vom 24. Juli 2006 bestätigte Schwangerschaft nicht in ihr
Anhörungsschreiben mit einbeziehen konnte und sie dementsprechend keinen Anlass
hatte, auf die Möglichkeit der Geltendmachung von Härtegesichtspunkten im Sinne des
§ 31 Abs. 2 AufenthG hinzuweisen, versteht sich von selbst. Im Übrigen hat der Kläger
weder innerhalb der ihm gesetzte Anhörungsfrist noch nach der erst nach Fristablauf
durch seinen Prozessbevollmächtigten beantragten Akteneinsicht mit angekündigter
Stellungnahme je von seinem Anhörungsrecht Gebrauch gemacht. Auf die Frage der
Heilungsmöglichkeit von Verfahrensmängeln (§ 45 Abs. 2 VwVfG) kommt es deshalb
nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer
Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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