Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 29.01.2007
OVG Berlin-Brandenburg: anspruch auf bewilligung, gesetzlicher vertreter, kosovo, stiefmutter, bedürftigkeit, aufenthaltserlaubnis, unterhaltspflicht, familienrecht, sozialversicherung
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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
OVG 12 M 29.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom
29. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend
entschieden, dass der aus dem Kosovo stammende Kläger, der die Erteilung eines
Visums zur Familienzusammenführung mit seinem im Bundesgebiet lebenden Vater
begehrt, nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO keinen Anspruch auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das
erstinstanzliche Verfahren hat. Zwar bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung im
Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg (1.). Der Kläger ist jedoch
nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage, die Kosten der
Prozessführung aufzubringen (2.).
1. Dem Kläger steht voraussichtlich nach § 32 Abs. 3 AufenthG in der Fassung des
Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen
Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) ein Anspruch auf Erteilung des begehrten
Visums zu.
a) Zwar spricht einiges dafür, dass der Vater des Klägers nicht allein
personensorgeberechtigt im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG ist, weil ihm das Sorgerecht
durch das Urteil des Amtsgerichts Peje vom 12. Januar 2006 aufgrund der im Kosovo
geltenden familienrechtlichen Vorschriften nicht vollständig übertragen werden konnte
(vgl. Art. 112 des hier noch maßgeblichen Gesetzes über die Ehe und die
verwandtschaftlichen Beziehungen vom 24. Februar 1984; ebenso nunmehr Art. 141
Abs. 1 des UNMIK-Gesetzes Nr. 2004/32 vom 20. Januar 2006 – Familiy Law of Kosovo).
Nach der Rechtsprechung des Senats ist § 32 Abs. 3 AufenthG jedoch in denjenigen
Fällen, in denen das anzuwendende Heimatrecht des nachzugswilligen Kindes keine
vollständige Sorgerechtsübertragung auf den im Bundesgebiet lebenden Elternteil
zulässt, analog anwendbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2007 –
OVG 12 B 2.05 -).
b) Ferner dürften auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gegeben sein. Es ist
insbesondere nicht ersichtlich, dass der Lebensunterhalt des Klägers im Bundesgebiet
nicht gesichert wäre (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das insoweit nach § 2 Abs. 3 AufenthG
zu berücksichtigende Einkommen liegt über dem Bedarf, den Kläger, sein Vater und
seine Stiefmutter nach dem SGB II beanspruchen können. Der Regelbedarf nach § 20
SGB II beläuft sich auf 898,00 Euro. Hinzu kommen die Kosten für die Unterkunft (175,00
Euro und 470,00 Euro), sodass sich insgesamt ein Bedarf von 1543,00 Euro ergibt.
Dem stehen das für den Kläger zu gewährende Kindergeld in Höhe von 153,00 Euro, das
monatliche Nettoeinkommen des Vaters in Höhe von durchschnittlich 1728,30 Euro (im
Jahr 2006) bzw. 1939,51 Euro (Januar bis April 2007) und das monatliche Einkommen der
Stiefmutter (im Jahr 2006 brutto ca. 2.800,00 Euro) gegenüber. Auch wenn von dem
Einkommen der Stiefmutter noch Steuern und Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung (§
11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB II) und von beiden Einkommen die Beträge nach § 11 Abs. 1
Satz 1 Nr. 6, § 30 SGB II und nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Höhe von maximal 620,00
Euro abzusetzen sind (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.
April 2007 – OVG 12 B 16.07 -), und wenn man ferner nach § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II die
von dem Vater des Klägers angegebenen Unterhaltsleistungen (125,00 Euro monatlich)
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von dem Vater des Klägers angegebenen Unterhaltsleistungen (125,00 Euro monatlich)
absetzt, liegt das zu berücksichtigende Einkommen noch über dem errechneten Bedarf.
2. Der Kläger ist jedoch nicht bedürftig im Sinne von §§ 114, 115 ZPO.
a) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann hier entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Kläger nach §
1610 Abs. 2 BGB gegen seinen im Bundesgebiet lebenden Vater einen
unterhaltsrechtlichen Anspruch auf Prozesskostenvorschuss habe. Dieser Anspruch, der
einer Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe vorgeht, ist zwar in der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt (vgl. z.B. VGH
München, Beschluss vom 27. März 2007 – 5 C 06.2392 -, zitiert nach juris; OVG
Hamburg, FamRZ 2006, 1615; OVG Münster, Beschluss vom 26. November 1998 - 19 E
612/98 -, zitiert nach juris). Der (materielle) Unterhaltsanspruch des im Kosovo lebenden
Klägers gegen seinen Vater richtet sich jedoch nicht nach §§ 1601 ff. BGB, sondern nach
dem im Kosovo geltenden Unterhaltsrecht. Dieses Recht wäre gemäß Art. 18 Abs. 1
EGBGB auch dann anzuwenden, wenn der Kläger seinen Vater von dem Kosovo aus vor
einem deutschen Gericht auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch nähme. Die
familienrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches sind nach Art. 18 Abs. 2
EGBGB nur dann anwendbar, wenn das berufene ausländische Recht dem
Anspruchsteller einen Unterhaltsanspruch generell versagt (vgl. dazu auch OLG
Brandenburg, FamRZ 2006, 1766). Hierfür besteht kein Anhaltspunkt (vgl. Art. 289 ff.
des UNMIK-Gesetzes Nr. 2004/32 vom 20. Januar 2006 – Familiy Law of Kosovo).
Ob der Kläger nach kosovarischem Familienrecht einen Anspruch auf
Prozesskostenvorschuss gegen seinen Vater hat, lässt sich dem Familiengesetz vom 20.
Januar 2006 nicht entnehmen. Art. 290 des Familiengesetzes bestimmt zwar, dass die
Eltern verpflichtet sind, ihren minderjährigen Kindern Unterhalt zu leisten. Der konkrete
Umfang dieser Unterhaltspflicht ist jedoch nicht ersichtlich. Ebenso wenig hat der Senat
Hinweise auf die Ausgestaltung der Unterhaltspflicht in der gerichtlichen Praxis. Das ist
allerdings auch nicht entscheidungserheblich.
b) Im auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichteten Klageverfahren kommt
es für die Frage nach der Bedürftigkeit gemäß §§ 114, 115 ZPO nicht allein auf die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des minderjährigen nachzugswilligen Klägers,
sondern auch auf die wirtschaftliche Situation seines bereits im Bundesgebiet lebenden
Elternteils an. Der Vater des Klägers ist hier zwar nicht unmittelbar Verfahrensbeteiligter,
sondern nur gesetzlicher Vertreter seines Sohnes. In tatsächlicher Hinsicht betreibt
jedoch nicht der minderjährige Kläger, sondern sein Vater den Nachzug in das
Bundesgebiet. In rechtlicher Hinsicht steht dem Vater aufgrund der Schutzwirkungen von
Art. 6 Abs. 1 GG ebenfalls ein Anspruch auf Erteilung eines Visums zur
Familienzusammenführung mit seinem Sohn zu (vgl. z.B. BVerwGE 102, 12 ff.; VGH
Mannheim, Urteil vom 16. März 2005 – 11 S 2885/04 -, zitiert nach juris, Rn. 24; OVG
Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2003 – 8 B 26.02 -, zitiert nach juris, Rn. 22 ff.; zur
vergleichbaren Problematik bei der Ausweisungsverfügung vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR
2004, 791). Dies rechtfertigt es, im Prozesskostenhilfeverfahren auf die wirtschaftliche
Situation des Vaters abzustellen, die hier im Übrigen auch in materiell-rechtlicher
Hinsicht maßgeblich ist. Hinzu kommt, dass im Ausland befindliche minderjährige Kinder,
für die eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen beansprucht wird, nicht besser
gestellt werden dürfen, als Kinder, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten und auf die
gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB deutsches Familienrecht mit der Folge anzuwenden ist,
dass ihnen im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe unter Berufung auf § 1610 BGB versagt werden kann.
c) Der Vater des Klägers verfügt über Einkommen, das er nach § 115 ZPO zur
Bestreitung der Prozesskosten einzusetzen hat. Dieses Einkommen beläuft sich nach
den zuletzt eingereichten Unterlagen auf monatlich durchschnittlich 2.632,16 Euro
(brutto). Setzt man hiervon nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1. a) ZPO in Verbindung mit §
82 Abs. 2 SGB XII die entrichteten Steuern und die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung
ab, so ergibt sich ein monatliches Einkommen von 1939,51 Euro. Hiervon sind ferner
nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) ZPO in Verbindung mit Nr. 1 der Bekanntmachung zu §
115 der Zivilprozessordnung vom 11. Juni 2007 (BGBl. I S. 1058) 174,00 Euro für den
erwerbstätigen Vater des Klägers sowie ein Betrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a)
ZPO in Höhe von 382,00 Euro abzusetzen. Dies gilt jedoch nicht im Hinblick auf die
Ehefrau des Vaters, weil sie eigenes Einkommen in entsprechender Höhe erzielt (§ 115
Abs. 1 Satz 6 ZPO). Zu berücksichtigen sind außerdem nach § 115 Abs. 1 Satz 7 ZPO
die Unterhaltszahlungen des Vaters an die im Kosovo lebenden Kinder in Höhe von
125,00 Euro monatlich (1.500 Euro jährlich), die er in Form einer Geldrente leistet. Dabei
kann offen bleiben, ob diese Zahlungen den gesetzlich zu gewährenden Unterhalt
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kann offen bleiben, ob diese Zahlungen den gesetzlich zu gewährenden Unterhalt
übersteigen und ob sie tatsächlich regelmäßig in der genannten Höhe erbracht werden.
Schließlich sind noch die von dem Vater des Klägers geleisteten Unterkunftskosten in
Höhe von 175,00 Euro abzusetzen (§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Somit ergibt sich ein
einzusetzendes Einkommen von 1083,51 Euro.
Die Kosten der Prozessführung werden voraussichtlich 1282,26 Euro betragen. Sie
setzen sich aus den Gerichtskosten und der Vergütung des Verfahrensbevollmächtigten
zusammen. Bei dem hier zugrundezulegenden Streitwert in Höhe von 5000,00 Euro
fallen nach § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Anlage 1, Nr. 5110 des
Kostenverzeichnisses 3,0 Verfahrensgebühren an, die sich nach § 34 GKG in Verbindung
mit Anlage 2 zu § 34 GKG auf jeweils 121,00 Euro, d.h. insgesamt 363,00 Euro belaufen.
Die Kosten für den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers werden voraussichtlich
919,26 Euro betragen (2,5 Gebühren zu jeweils 301,00 Euro nach Nr. 3100 und 3104 der
Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG in Verbindung mit Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG + 20 Euro
Auslagenpauschale nach Nr. 7002 + Mehrwertsteuer von 19 %).
Da nach § 115 Abs. 2 ZPO monatliche Raten in Höhe von 633,51 Euro einzusetzen sind
(300 Euro zuzüglich des 750 Euro übersteigenden Teils des einzusetzenden
Einkommens) und Prozesskostenhilfe nach § 115 Abs. 4 ZPO nicht bewilligt wird, wenn
die Kosten der Prozessführung vier Monatsraten voraussichtlich nicht übersteigen, ist
der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit abzulehnen.
Nichts anderes gilt, wenn man die von dem Vater des Klägers angegebenen
Lebensversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 228,00 Euro von dessen
Einkommen absetzt, so dass sich ein einzusetzendes Einkommen von 855,51 Euro
ergibt. Dann beträgt eine Monatsrate 405,51 Euro, sodass auch in diesem Fall die
Prozesskosten vier Monatsraten nicht überschreiten. Die Lebensversicherungsbeiträge
sind allerdings nicht zu abzusetzen, weil insoweit keine Nachweise erbracht worden sind.
Angesichts dessen brauchte der Senat auch nicht der Frage nachzugehen, inwieweit es
sich um einzusetzendes Vermögen handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer
Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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