Urteil des OLG Zweibrücken vom 30.09.2008

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OLG
Zweibrücken
30.09.2008
5 UF 13/08
übergegangenem Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII
Aktenzeichen:
5 UF 13/08
42 F 238/07
Amtsgericht Speyer
Verkündet am: 30. September 2008
Schöneberger, Amtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Familiensache
1. Dr. Dr. …
R…
2. Dr. …
R…
Beklagte und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …, …, …,
gegen
Stadt …,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …, …, …,
wegen übergegangenem Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes,
hat der 5. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat
durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Hoffmann, den Richter am Oberlandesgericht Geisert
und die Richterin am Oberlandesgericht Bastian–Holler
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2008
für Recht erkannt:
I.
vom 10. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
II.
III.
Den Beklagten bleibt vorbehalten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.
IV.
Gründe:
I.
Die Klägerin macht gegen die Eltern des am … 1978 geborenen K… R… auf sie übergegangene
Unterhaltsansprüche ab 1. März 2007 in Höhe von monatlich je 23,00 € geltend. Der Beklagte zu 1) ist von
Beruf niedergelassener Zahnarzt.
Der Sohn der Beklagten steht seit dem 21. September 2006 wegen einer paranoiden Schizophrenie für
die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Behördenangelegenheiten,
Wohnungsangelegenheiten und Vermögenssorge unter Betreuung und befindet sich seit dem 24. Januar
2007 im Heimbereich des Pfalzklinikums „Betreuen, Fördern und Wohnen“ in ….
Seit dem 24. Januar 2007 erhält der Sohn der Beklagten von der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt und
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach SGB XII in Höhe von monatlich 3 857,90 €.
Mit Schreiben vom 19. Februar 2007 hat die Klägerin die Beklagten aufgefordert, einen monatlichen
Unterhaltsbeitrag in Höhe von 46,00 € gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII zu zahlen.
Wegen des weiteren Sach– und Streitstandes im erstinstanzlichen Verfahren wird auf die dort
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Speyer hat mit Urteil vom 10. Januar 2008 die Beklagten verurteilt, an
die Klägerin ab März 2007 monatlich jeweils 23,00 € zu zahlen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII der Übergang von Ansprüchen gegen
einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltsverpflichteten kraft Gesetzes vermutet werde, was zur Folge
habe, dass es den Beklagten obliege darzulegen und zu beweisen, dass weder ein Unterhaltsanspruch
ihres Sohnes Karsten noch die Voraussetzungen nach dem Sozialgesetzbuch vorliegen würden.
Die Unterhaltspflicht der Beklagten ergebe sich aus den §§ 1601 ff. BGB als Verwandte gerader Linie.
Gemäß § 1611 BGB entfalle ein Unterhaltsanspruch nur dann, wenn die Inanspruchnahme der Beklagten
grob unbillig wäre. Hiervon könne angesichts der Tatsache, dass von den Beklagten insgesamt nur
monatlich 46,00 € verlangt werde, während andererseits der Sozialhilfeträger monatlich fast 4 000,00 €
aufbringe, nicht die Rede sein.
Gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII würden die Beklagten jeweils zu gleichen Teilen haften.
Im Übrigen wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die Klageabweisung begehren.
Die Beklagten tragen vor, aus § 94 Abs. 2 Satz 3 SGB XII ergebe sich für die Unterhaltsverpflichtung von
Eltern behinderter volljähriger Kinder eine Koppelung an das Kindergeld. Da die Behinderung ihres
Sohnes nach Ablauf des 25. Lebensjahres eingetreten sei, würden sie jedoch kein Kindergeld beziehen,
so dass sie auch nicht gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII zahlungspflichtig seien.
Im Übrigen liege eine unzumutbare Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 2 SGB XII vor, da eine
völlige Entfremdung zu ihrem Sohn eingetreten sei.
Davon abgesehen habe die Klägerin bisher keine schriftlichen Nachweise erbracht, dass sich ihr Sohn
immer noch in der Einrichtung Pfalzklinik befinde.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 10. Januar 2008, Az.:
42 F 238/07, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten und Berufungskläger gegen das
Endurteil des Amtsgerichts Speyer vom 10. Januar 2008,
Az.: 42 F 238/07, zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, dass sich der klagegegenständliche Anspruch aus § 94 Abs. 2 SGB XII ergebe und
betragsmäßig auf eine Summe von jeweils 26,00 € begrenzt sei.
Die Inanspruchnahme der Beklagten in Höhe einer bescheidenen Summe von 46,00 € monatlich sei
angesichts der Tatsache, dass Sozialleistungen in Höhe von rund 4 000,00 € erbracht würden, nicht
unbillig.
Der Sohn der Beklagten sei psychisch schwer erkrankt und befinde sich weiterhin in Klingenmünster,
wobei allein im Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 29. Februar 2008 insgesamt 27 474,45 € an Heimkosten
aufgewandt worden seien.
Der Senat hat nach Beiziehung der Betreuungsakte des Sohnes der Beklagten beim Amtsgericht Landau
in der Pfalz, Zweigstelle Bad Bergzabern, Az.: XVII 77/07, die Beklagten mit Verfügung vom 6. Mai 2008
darauf hingewiesen, dass ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO keine Erfolgsaussicht bietet.
In der mündlichen Verhandlung am 9. September 2008 wurde die Betreuungsakte zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gemacht.
Wegen des weiteren Sach– und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf die dort gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen und das Verhandlungsprotokoll verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus einem nach § 94 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII
übergegangenem Unterhaltsanspruch des volljährigen Sohnes der Beklagten Karsten Rick gemäß
§§ 1601 ff. BGB einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von jeweils 26,00 € ab März 2007.
1.
SGB XII voraussetze, dass die Eltern volljähriger behinderter Kinder Kindergeld beziehen würden, ist dies
unzutreffend.
Nach dem so genannten Grundsatz der Pauschalabgeltung gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII wird der
Übergang des bürgerlich–rechtlichen Unterhaltsanspruchs für Unterhaltspflichtige von behinderten oder
pflegebedürftigen volljährigen Personen der Höhe nach begrenzt. Der Privilegierung liegt dabei der
Schutzgedanke zugrunde, dass durch die Behinderung ihres erwachsenen Kindes ohnehin schwer
getroffene Eltern nicht auch noch mit hohen Pflegekosten belastet werden sollen. In dieser Zielsetzung
erschöpfen sich allerdings Bedeutung und Anliegen dieser Vorschrift (so Decker in Oestreicher, SGB XII
und SGB II, Stand: 54. Ergänzungslieferung, § 94 SGB XII Rdnrn. 175 und 177).
Ausweislich der Richtlinien zur Grundsicherung und Sozialhilfe in Rheinland–Pfalz, SHR 94.08, enthält
§ 94 Abs. 2 SGB XII die widerlegbare Vermutung, dass der Anspruch in Höhe der genannten Beträge
übergeht und mehrere Unterhaltspflichtige zu gleichen Teilen haften, wobei eine Prüfung der
Leistungsfähigkeit in diesen Fällen nicht erforderlich ist. Eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Eltern
kommt dann nicht in Betracht, wenn Anspruch auf Kindergeld besteht; dies gilt nur dann nicht, sofern der
Einsatz des Kindergeldes dazu führen würde, dass die unterhaltspflichtige Person selbst
Leistungsberechtigter wird.
Eine Einschränkung oder Beschränkung des Anspruchsübergangs auf den Bezug von Kindergeld enthält
die Vorschrift des § 94 Abs. 2 SGB XII jedoch nicht. Die Höhe des Kindergeldes ist dabei nur ein
rechnerischer Anhaltspunkt zur Bestimmung der Pauschalsätze. Steigt das Kindergeld, dann steigen auch
die Pauschalsätze des § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (vgl. auch den ursprünglichen Gesetzesentwurf der
Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 15/1514, S. 66, 67; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008,
§ 94 Rdnr. 24).
2.
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII bzw. § 1611 BGB einwenden, liegt eine solche nach Überzeugung des
Senates nicht vor.
Eine unbillige Härte im Sinne von § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII ist insbesondere dann vorhanden, wenn mit
der Heranziehung des Unterhaltspflichtigen soziale Belange vernachlässigt werden (vgl.
Grube/Warendorf, a.a.O., § 24 Rdnr. 29).
Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern des behinderten volljährigen Sohnes Rick nicht leistungsfähig in
Bezug auf eine monatliche Zahlung in Höhe von jeweils 26,00 € sind, bestehen nicht. Insbesondere unter
Berücksichtigung der Tatsache, dass für den Sohn der Beklagten monatliche Sozialleistungen in Höhe
von ca. 4 000,00 € aufgewandt werden, die die Allgemeinheit trägt, erscheint eine Inanspruchnahme der
in guten Einkommensverhältnissen lebenden Eltern in Höhe von jeweils 26,00 € offensichtlich nicht
unbillig.
Soweit sich die Beklagten auf eine völlige Entfremdung von ihrem Sohn berufen, ist festzustellen, dass der
Sohn gemäß der beigezogenen Betreuungsakte des Amtsgerichts Landau in der Pfalz, Zweigstelle Bad
Bergzabern, Az.: XVII 77/07, an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist.
Die von den Beklagten angeführten drei Einstiegsversuche ihres Sohnes in das Familienanwesen stellen
keine schwere Verfehlung des Sohnes dar. Zum einen hat der Sohn nichts aus dem Anwesen seiner
Eltern entwendet, zum anderen litt er schon damals an einer schweren seelischen Erkrankung.
Andere Härtegründe, wie etwa eine nachhaltige unzumutbare Beeinträchtigung anderer
Familienangehöriger durch die Heranziehung der Beklagten sind nicht ersichtlich und von den Beklagten
auch nicht dargetan.
Soweit sich die Beklagten auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2004, FamRZ
2004, 1097 – 1099, berufen, ist diese schon vom Sachverhalt her nicht vergleichbar. In dem dortigen Fall
wurde ausgeführt, dass der Übergang des Unterhaltsanspruchs eines Elternteils auf den Träger der
Sozialhilfe wegen unbilliger Härte ausgeschlossen sein kann, wenn der Elternteil wegen einer auf seine
Kriegserlebnisse zurückzuführende psychische Erkrankung nicht in der Lage war, für das auf
Elternunterhalt in Anspruch genommene Kind zu sorgen.
Soweit die Beklagten eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Juli 2003 (FamRZ 2003 S. 1468
– 1471) anführen, ist darin eine Vernachlässigung sozialer Belange insbesondere dann bejaht, wenn
hierdurch das weitere Verbleiben des Hilfeempfängers im Familienverband gefährdet erscheint, wenn die
Heranziehung in Anbetracht der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltsverpflichteten zu einer
unbilligen Härte führen würde oder wenn der Unterhaltspflichtige vor Eintreten der Sozialhilfe den
Hilfeempfänger über das Maß seiner Unterhaltsverpflichtung hinaus betreut und gepflegt hat.
Ein vergleichbarer Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Soweit sich die Beklagten im Termin vor dem Senat pauschal und unsubstantiiert darauf berufen haben,
dass ihr Sohn nicht krank sei, wird dies durch den Inhalt der beigezogenen Betreuungsakte und die dort
eingeholten Sachverständigengutachten widerlegt, wobei die Beklagten für ihre gegenteilige Behauptung
auch keinen Beweis angetreten haben.
3.
weiterhin im Heimbereich des Pfalzklinikums … befindet. Darüber hinaus lässt sich dem von der
gesetzlichen Betreuerin vorgelegten Vermögensverzeichnis des Sohnes K… entnehmen, dass er über
keinerlei Vermögen verfügt und somit nicht in der Lage ist sich selbst zu unterhalten (§ 1602 BGB).
4.
findet seine Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5.
über die aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Anspruchsübergang den Bezug des staatlichen Kindergeldes
durch die Eltern voraussetzt - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich nicht entschieden wurde und
eine Klärung dieser Rechtsfrage für die Allgemeinheit von grundsätzlicher Bedeutung ist und auch der
Fortbildung des Rechtes dient.
Hoffmann Geisert Bastian–Holler
Beschluss
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf
782,00 €
(Rückstand von März 2007 bis Juli 2007: 5 x 46,00 € = 230,00 € + laufender Unterhalt: 12 Monate x
46,00 € = 552,00 €)
festgesetzt.
Hoffmann Geisert Bastian–Holler