Urteil des OLG Zweibrücken vom 27.03.2009

OLG Zweibrücken: beschränkung, fahrverbot, einspruch, höchstgeschwindigkeit, verwaltungsbehörde, geschwindigkeitsüberschreitung, strafbefehl, verordnung, ausnahme, fahrlässigkeit

Strafrecht
OLG
Zweibrücken
27.03.2009
1 SsBs 9/09
Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch
1 SsBs 9/09
4287 Js 12992/07
StA Zweibrücken
Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren gegen
J.....
S......
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit,
hier: Rechtsbeschwerde,
hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken
durch den Richter am Landgericht Christoffel als Einzelrichter (§ 80 a Abs. 1 OWiG)
am 27. März 2009
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 16. Dezember
2008 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Der Betroffene befuhr am 28. April 2007 als Führer eines Pkw die Bundesstraße B10 (Kraftfahrstraße). Bei
einer Geschwindigkeitskontrolle wurde festgestellt, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100
km/h um 46 km/h überschritten hatte. Die Kreisverwaltung Südwestpfalz erließ am 13. August 2007 gegen
den Betroffenen einen Bußgeldbescheid, in dem es eine Geldbuße von 100,-- € festsetzte und ein
Fahrverbot von 1 Monat anordnete. Hiergegen legte der Betroffene fristgemäß Einspruch ein. Das
Amtsgericht Pirmasens verhängte gegen den Betroffenen „wegen Überschreitens der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit" eine erhöhte Geldbuße von 200,-- € und sah von der Anordnung eines
Fahrverbots ab. Zur Begründung führte der Bußgeldrichter aus, dass es ausreiche, die Regelgeldbuße
von 100,-- € zu erhöhen, weil der Betroffene verkehrsrechtlich nicht vorbelastet und aus beruflichen und
familiären Gründen auf die Nutzung seines Fahrzeugs angewiesen sei.
Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde beanstandete die
Staatsanwaltschaft das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbots. Der Senat hob mit Beschluss
vom 30. Juli 2008 - 1 Ss 60/08 - das Urteil des Amtsgerichts vom 26. Februar 2008 mit Ausnahme der
Feststellungen zur äußeren Tatseite auf und verwies im Umfang der Aufhebung die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück.
Das Amtsgericht hat nach erneuter Verhandlung gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen
Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerorts um 46 km/h eine Geldbuße von 100,-- €
und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt (§§ 3 Abs. 3, 49 StVO, 24, 25 StVG, 4 BKatV). Mit seiner
Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts; er wendet sich
insbesondere gegen das Fahrverbot.
II.
Das zulässige Rechtsmittel bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1.
von Amts wegen zu prüfen, ob das erstinstanzliche Gericht den seiner Beurteilung unterliegenden
Sachverhalt im richtigen Umfang geprüft hat, insbesondere, ob der Gegenstand des Verfahrens durch
eine nachträgliche Rücknahme des Einspruchs beschränkt wurde. Diese Prüfung ergibt, dass die vom
Betroffenen in der Hauptverhandlung vom 16. Dezember 2008 erklärte Beschränkung seines ursprünglich
unbeschränkt eingelegten Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch nicht mehr wirksam erfolgen
konnte und daher auch der Schuldspruch der Nachprüfung durch das Amtsgericht unterlag.
Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann sowohl ganz wie teilweise zurückgenommen werden
(§ 67 Satz 2 OWiG i.V.m. § 302 StPO). Die Teilrücknahme ist im selben Umfang zulässig, wie eine
Teilanfechtung zulässig gewesen wäre (KK-Bohnert OWiG 3. Aufl. § 67 Rdnr. 99).
Nach der seit dem 1. März 1998 geltenden Regelung in § 67 Abs. 2 OWiG kann ein Einspruch gegen
einen Bußgeldbescheid auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Damit ist § 67 Abs. 2 OWiG
jetzt dem § 410 Abs.2 StPO (Einspruch gegen einen Strafbefehl) und dem § 318 Satz 1 StPO (Berufung)
angepasst. Folglich kommt auch eine Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch in
Betracht. Eine solche Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist beim Einspruch gegen Strafbefehl
und bei der Berufung bzw. Revision unwirksam, wenn die Feststellungen zum Schuldspruch so knapp und
unzulänglich sind, dass sie keine ausreichende Grundlage für die Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs
bieten (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 410 Rdnr. 5 und § 318 Rdnr. 16).
Während im Urteilsverfahren für den Bußgeldrichter im gleichen Maß wie für den Strafrichter als inhaltliche
Mindestanforderung gilt, dass das objektive und subjektive Tatgeschehen so konkret und exakt
wiedergegeben wird, dass dem Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtsanwendung hinsichtlich
der inneren und äußeren Tatseite möglich ist, ist dies vom Bußgeldbescheid nicht zu fordern. Dessen
Inhalt beschränkt sich in der Regel auf die standardisierte Erfassung des äußeren Sachverhalts, so dass
die Ordnungswidrigkeit nach Person, Tatzeit und Tatort daten- und rastermäßig individualisiert wird.
Feststellungen zur inneren Tatseite fehlen im Allgemeinen völlig. Gleichwohl erachtet die überwiegende
Rechtsprechung (Beschluss des Senats vom 12. Januar 2006 DAR 2006, 342; OLG Rostock NZV 2002,
137; KG NZV 2002, 466; Lemke OWiG § 67 Rdnr. 31; a.A. OLG Jena DAR 2001, 323) eine derartige
Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch jedenfalls dann für zulässig, wenn die
Verwaltungsbehörde die Regelsätze der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV)) als Ahndung angeordnet
hat. Die Beträge des Bußgeldkatalogs, an denen die Behörde grundsätzlich gebunden ist, gehen von
fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen aus (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV). Setzt die
Verwaltungsbehörde für einen dem Katalog entsprechenden Tatbestand ohne weiteres die dort
vorgesehene Geldbuße fest, gibt sie damit zu erkennen, dass sie dem Betroffenen fahrlässiges Handeln
zur Last legt.
Dies gilt aber nicht, wenn von Anfang an der Verdacht vorsätzlichen Zuwiderhandelns besteht (vgl. KK-
Bohnert OWiG 3. Aufl. § 67 Rdnr. 58 g; OLG Celle NZV 1999, 524;) oder wenn eine nachträgliche
Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch dazu führen würde, dass die dem
Bußgeldbescheid zugrunde liegende Schuldform (Fahrlässigkeit) nicht mehr mit den vom
Rechtsbeschwerdegericht aufrechterhaltenen Feststellungen in Übereinstimmung zu bringen ist (vgl.
Meyer-Goßner a.a.O. § 302 Rdnr. 6; Bayerisches Oberstes Landgericht MDR 1988, 883) .
So liegt der Fall hier.
Wie dem Beschluss des Senats vom 30. Juli 2008 (Bl. 103, 108 d.A.) zu entnehmen ist, lag nach den
aufrechterhaltenen Feststellungen des (ersten) amtsgerichtlichen Urteils vom 26. Februar 2008 zur
äußeren Tatseite die Annahme einer vorsätzlichen statt einer fahrlässigen
Geschwindigkeitsüberschreitung nahe (vgl. BGH NJW 1997, 3252, 3253; KG VRS 113, 314; OLG Hamm
VRS 90, 210, 211; OLG Bamberg DAR 2006, 464). Die aufrechterhaltenen Feststellungen würden somit
im Widerspruch zu der Annahme stehen, dass bei Verkehrsordnungswidrigkeiten vom Vorwurf der
fahrlässigen Begehungsweise auszugehen ist, wenn die Verwaltungsbehörde die Regelsätze des
Bußgeldkatalogs angewendet hat. Bei Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch
wäre das Amtsgericht an diese Annahme gebunden. Umgekehrt hat aber die Aufrechterhaltung eines
Teils der Feststellungen des (ersten) amtsgerichtlichen Urteils zur Folge, dass diese Feststellungen für
das weitere Verfahren verbindlich sind und nicht mehr in Frage gestellt werden dürfen (innerprozessuale
Bindungswirkung). Dieser Widerspruch kann nur dadurch gelöst werden, dass eine Beschränkung des
Einspruchs nicht mehr wirksam erfolgen kann. Denn es kann nicht in der Macht der Verfahrensbeteiligten
liegen, diese durch die Entscheidung des Senats als Rechtsbeschwerdegericht herbeigeführte Bindung
ihrerseits durch eine Erklärung wieder zu beseitigen, die das Amtsgericht nunmehr an „andere
Feststellungen“ binden würden (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht a.a.O. S. 883). Dies hat zur
Folge, dass das Amtsgericht unter Bindung an die aufrechterhaltenen Feststellungen des ersten
amtsgerichtlichen Urteils zu Recht die Schuldform aufgeklärt hat, da die Beschränkung des Einspruchs in
diesem Verfahrensstadium nicht mehr wirksam erfolgen konnte.
2.
Der Umstand, dass das Amtsgericht es unterlassen hat, den Betroffen darauf hinzuweisen, dass eine
Verurteilung wegen „vorsätzlichen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit“ anstelle einer
fahrlässigen Begehung in Betracht kommen könnte, rechtfertigt nicht die Annahme eines Verstoßes gegen
die in § 265 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG normierte Hinweispflicht. Dies war im vorliegenden Fall
ausnahmsweise nicht erforderlich. Denn der Senat hatte bereits mit seinem Beschluss vom 30. Juli 2008
für die neue Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht darauf hingewiesen, dass eine Verurteilung wegen
vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht kommt, da keine Anhaltspunkte ersichtlich sind,
die für ein fahrlässiges Verhalten sprechen könnten. Damit hat sich für das erstinstanzliche Gericht ein
erneuter und wiederholender Hinweis erübrigt. Aufgrund der Ausführungen des Senats war der Betroffene
in der Lage, seine Verteidigung entsprechend einzurichten. Der Rechtsbeschwerderechtfertigung ist zu
entnehmen, dass der Betroffene von dem Hinweis des Senats Kenntnis hatte. Ob der entsprechende Teil
des Senatsbeschlusses in der neuen Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Gerichts nochmals
verlesen wurde, ist unbeachtlich (vgl. BGHSt 22, 29; LR-Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 265 Rdnr. 12 m.w.N.;
KK-Engelhardt StPO 6. Aufl. § 265 Rdnr. 21).
3.
Das angefochtene Urteil hält sowohl im Schuldspruch als auch in der Rechtsfolgenbestimmung rechtlicher
Nachprüfung stand.
Das Fahrverbot ist eingehend und im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
begründet (vgl. BGHSt 38, 125 und 231). Danach kann das Fahrverbot unter Geltung der Bußgeldkatalog-
Verordnung (BKatV) und angesichts erheblich angewachsener Verkehrsdichte nicht mehr lediglich als
„ultima ratio“ angesehen werden, die in aller Regel erst dann angewendet werden dürfte, wenn auch
durch verschärfte Geldbußen nicht auf den Betroffenen eingewirkt werden konnte (vgl. BVerfG DAR 1996,
196).
Nach den Feststellungen der Bußgeldrichterin sind die Voraussetzungen eines Regelfalles gemäß § 25
Abs. 1 S. 1 StVG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV erfüllt, so dass die Anordnung eines Fahrverbotes sowohl wegen
grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers grundsätzlich angezeigt war. Hinreichenden
Anlass dafür, ausnahmsweise von der Maßnahme abzusehen, hat das Amtsgericht trotz sorgfältiger
Prüfung nicht gesehen. Diese tatrichterliche Würdigung (vgl. BGH a.a.O., 237) lässt Rechtsfehler nicht
erkennen und ist deshalb vom Rechtsbeschwerdegericht hinzunehmen. Zutreffend ist insbesondere der
Standpunkt des Amtsrichters, wonach eine Ausnahme vom Fahrverbot nicht allein deshalb gewährt
werden muss, weil der Betroffene beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist (vgl. BayObLG DAR
1994, 368; OLG Frankfurt NZV 1994, 77; OLG Oldenburg NZV 1993, 198; OLG Düsseldorf NZV 1993, 37)
oder als sogenannter „Vielfahrer“ anzusehen ist (OLG Düsseldorf a.a.O.). Das erstinstanzliche Gericht hat
auch die familiäre Situation des Betroffenen und die verkehrspsychologische Beratung bedacht.
Auch der Aspekt des erheblichen Zeitablaufs und die Verhältnismäßigkeit sind berücksichtigt und rechtlich
nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.
Christoffel