Urteil des OLG Stuttgart vom 25.07.2013
OLG Stuttgart: treu und glauben, vertragsstrafe, versicherer, versicherungsnehmer, wiederbeschaffungswert, widerklage, anzeigepflicht, vollkaskoversicherung, auflage, beitragsberechnung
OLG Stuttgart Urteil vom 25.7.2013, 7 U 33/13
Leitsätze
Eine Vertragsstrafenklausel in einem Kfz-Versicherungsvertrag, wonach bei unterlassener
Mitteilung eines Merkmals zur Beitragsberechnung (hier: Jahreskilometerleistung) der
Versicherungsnehmer zur Zahlung einer zusätzlichen Jahresprämie verpflichtet wird, ist gem. §
307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, wenn der Versicherer nicht gleichzeitig auf seine
gesetzlichen Rechte wegen Gefahrerhöhung verzichtet.
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart - 18 O 111/12 - vom
16.01.2013 teilweise abgeändert und neu gefasst:
Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 3.692,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.12.2011 zu bezahlen.
Im Übrigen werden die Klage und die Widerklage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
3. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin 18 % und die
Beklagte 82 %. Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen die Klägerin 8 %
und die Beklagte 92 %.
4. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem
Urteil vollstreckbaren Betrages jeweils abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 30.101,58 EUR
Gründe
I.
1 Die Berufung der Beklagten wendet sich gegen ein Urteil des Landgerichts Stuttgart, mit
dem sie zur Zahlung einer erhöhten Jahresprämie und einer Vertragsstrafe in Höhe von
einer Jahresprämie, insgesamt 2.501,58 EUR nebst Zinsen, verurteilt wurde und ihrer
Widerklage nur in Höhe von 3.692,00 EUR nebst Zinsen stattgegeben und diese in Höhe
von 27.600,00 EUR abgewiesen wurde.
2 Die Parteien streiten über die Zahlung eines rückständigen Versicherungsbeitrags und
einer Vertragsstrafe in Höhe von einer Jahresprämie wegen zu viel gefahrener Kilometer
in der Kfz-Versicherung sowie über die Entschädigung aus der Vollkaskoversicherung
aufgrund eines Verkehrsunfalls am 24.01.2008 in der Nähe von Rom.
3 Die Beklagte hat bei der Klägerin für das ehemals geleaste Kraftfahrzeug BMW 730 d,
amtliches Kennzeichen S-…, unter anderem eine Kaskoversicherung unter der
Versicherungsscheinnummer … mit Versicherungsbeginn am 11.08.2005 abgeschlossen
(Anlage K 1, Bl. 12 ff.). Bestandteil dieses Vertrags sind die „Allgemeinen Bedingungen
der V… Versicherung AG für die Kraftfahrtversicherung (AKB)“ (Anlage K 6, Bl. 84 ff.) und
die „Tarifbestimmungen der V… Versicherung AG für die Kraftfahrtversicherung (TB-KR)“
(Anlage K 6, Bl. 84 ff., 94 ff.). Zu Beginn des Versicherungsvertrags wies das bei der
Klägerin versicherte Kraftfahrzeug einen Kilometerstand von 20.000 km auf und beide
Parteien vereinbarten eine maximale Jahresfahrleistung von 9.000 km (Anlage K 1:
Versicherungsschein, Bl. 12 ff., 14).
4 Die TB-KR lauten unter Ziff. 6 „Anwendung und Änderung von Gefahrenmerkmalen“
auszugsweise wie folgt (Anlage K 6, Bl. 84 ff., 96):
5
„(2 a) Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers
6
Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich zu melden, wenn
sich während der Laufzeit des Vertrages für die Beitragsberechnung relevante Umstände,
die bei Antragstellung anzugeben und im Versicherungsschein unter der Rubrik „Die
Beitragsberechnung für Ihre Kfz-Versicherung beruht auf folgenden Angaben, die wir von
Ihnen erhalten haben“ aufgeführt sind, ändern.
7
Im Übrigen gelten die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zur
Gefahrerhöhung (§§ 16 bis 30 VVG).
8
(2 b) Unrichtige oder unterlassene Angaben
9
Hat der Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Vertrages schuldhaft unrichtige
Angaben gemacht oder die Anzeigepflicht gemäß Abs. 2a schuldhaft verletzt und hat der
Versicherer deswegen einen zu niedrigen Beitrag berechnet, ist der Versicherer
berechtigt, ab Beginn der Versicherungsperiode, in der die Änderung erfolgte, den Beitrag
neu zu berechnen und nachzuerheben.
10 Daneben ist der Versicherer berechtigt, statt seiner gesetzlichen Rechte auf Rücktritt oder
Kündigung eine Vertragsstrafe in Höhe des neuberechneten Jahresbeitrages zu
verlangen.
...“
11 Die AKB lauten unter „C Fahrzeugversicherung“ zur Ersatzleistung auszugsweise wie folgt
(Anlage K 6, Bl. 84 ff., 89):
12
Ҥ 13 Ersatzleistung
13 ...
(5) Bei Beschädigung des Fahrzeuges ersetzt der Versicherer bis zu dem nach den Abs.
1 bis 3 sich ergebenden Betrag die erforderlichen Kosten der Wiederherstellung. Für
Personenkraftwagen (ausgenommen Taxen, Personenmietwagen, Selbstfahrervermiet-
Personenkraftwagen), für Krafträder bzw. -roller mit Ausnahme der Leicht- und
Kleinkrafträder bzw. -roller und für Campingfahrzeuge bzw. Wohnmobile ersetzt der
Versicherer keine Abschleppkosten. Sofern das Fahrzeug nicht oder nicht vollständig für
den Versicherungsnehmer repariert wird, ersetzt der Versicherer bei einer Abrechnung auf
Gutachten-/Kostenvoranschlagbasis höchstens den Betrag, der sich aus der Differenz von
Wiederbeschaffungswert und Restwert ergibt, soweit die Kosten der Wiederherstellung
diesen Betrag übersteigen.
...
14 (8) Der Schaden wird abzüglich der jeweils vereinbarten Selbstbeteiligung ersetzt.
...“
15 Das von der Beklagten genutzte und zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls von Herrn …, …
einem Freund des Lebensgefährten der Beklagten, gelenkte Kraftfahrzeug BMW 730 d,
erlitt am 24.01.2008 in der Nähe von Rom einen Verkehrsunfall (Unfallprotokoll in
Übersetzung: Anlage B 6, Bl. 159 ff.). Nach dem Unfall verwertete die Leasinggeberin, die
… GmbH, das Kraftfahrzeug der Beklagten und kehrte an diese den Restwertbetrag in
Höhe von 7.808,00 EUR aus.
16 Am Unfalltag des 24.01.2008 wies der Kilometerstand des Kraftfahrzeugs der Beklagten
116.000 km auf, was einer jährlichen Fahrleistung von ca. 32.000 km seit
Versicherungsbeginn entspricht. Die Versicherung wurde zum 04.12.2008 von den
Parteien aufgehoben.
17 Die Klägerin hat gegen die Beklagte als Versicherungsnehmerin mit Schreiben vom
16.03.2009 einen anteiligen höheren Jahresbeitrag für die Kfz-Versicherung und eine
Jahresprämie als Vertragsstrafe gegenüber der Beklagten in Rechnung gestellt (Anlage K
5, Bl. 28 ff):
18 “...
19
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung
712,13 EUR
Fahrzeugversicherung (Kaskoversicherung) 1.789,45 EUR
insgesamt
2.501,58 EUR
20 In der Anlage ist dargestellt, wie sich die einzelnen Beträge errechnen.
...“
21 Das
Landgericht
der Vertragsstrafe von einer Jahresprämie, insgesamt 2.501,58 EUR nebst Zinsen, sowie
zu unbestrittenen Nebenkosten in Höhe von insgesamt 181,49 EUR verurteilt. Auf die
Widerklage der Beklagten hat sie die Klägerin zu 3.692,00 EUR Versicherungsleistung als
„Ersatzleistung“ gem. § 13 Abs. 5 AKB für das von der Beklagten genutzte Kraftfahrzeug
BMW 730 d nebst Zinsen verurteilt und die Widerklage im Übrigen (= 28.611,50 EUR)
abgewiesen. Die Beklagte sei zur anteiligen erhöhten Jahresprämie und zur Vertragsstrafe
in Höhe von 1.789,45 EUR, insgesamt 2.501,58 EUR, nach Nr. 6 Abs. 2 b TB-KR
verpflichtet. Die Beklagte habe entgegen Nr. 6 Abs. 2a TB-KR die jährliche Fahrleistung
von ca. 32.000 km der Klägerin nicht angezeigt. Nach Nr. 6 Abs. 2b TB-KR sei die
Klägerin als Versicherer berechtigt gewesen, wegen des Verstoßes gegen die jährliche
Fahrleistung den „doppelten Beitrag“, der bei richtiger Meldung des Tarifmerkmals
„Jahresfahrleistung“ erhoben worden wäre, für das laufende Versicherungsjahr zu
erheben.
22 Der Beklagten stünden auf die von ihr erhobene Widerklage lediglich 3.692,00 EUR nebst
Zinsen zu. Zwar könne die Beklagte nach § 13 Abs. 5 AKB die erforderlichen Kosten für
die Wiederherstellung bei einem Vollkaskoschaden ersetzt verlangen. Jedoch gelte dies
nach § 13 Abs. 5 S. 3 AKB nicht, wenn das Kraftfahrzeug des Versicherungsnehmers nicht
oder nicht vollständig repariert worden sei. Dies sei hier der Fall, weshalb die Beklagte
gegen die Klägerin als Versicherer bei einer Abrechnung auf Gutachtenbasis höchstens
den Betrag ersetzt verlangen könne, der sich aus der Differenz von
Wiederbeschaffungswert und Restwert ergebe, soweit die Kosten der Wiederherstellung
diesen Betrag überstiegen.
23 Das Landgericht berechnet den (berechtigten) Widerklagbetrag wie folgt:
24
Wiederbeschaffungswert (teilrepariertes Fahrzeug) 12.000,00 EUR
- Restwert zugunsten der Beklagten
7.808,00 EUR
=
4.192,00 EUR
- Selbstbehalt in der Vollkaskoversicherung
500,00 EUR
= Widerklagbetrag (LG Tenor Ziff. 2)
3.692,00 EUR
25 Entgegen der Auffassung der Beklagten habe diese einen höheren
Wiederbeschaffungswert als 12.000,00 EUR nicht beweisen können. Nach dem
Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … vom 22.05.2012 (Bl. 376 ff.), dessen
Ergänzungsgutachten vom 17.09.2012 (Bl. 405 ff.) und der mündlichen Anhörung des
Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … im Termin vom 05.12.2012 (Bl. 429 ff.) sowie den
Angaben des Zeugen … könne die Beklagte einen höheren Wiederbeschaffungswert als
12.000,00 EUR im Hinblick auf die beweisbaren Unfallschäden nicht ersetzt verlangen.
Aufgrund der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) …
seien nur die Schäden an der vorderen rechten Fahrzeugseite des BMW 730 d auf den
Unfall vom 24.01.2008 zurückzuführen. Hingegen könnten weder die Schäden an der
rechten Längsseite des Kraftfahrzeuges noch an der linken Kraftfahrzeugseite dem
Unfallereignis vom 24.01.2008 zugeordnet werden. Die Entstehung der beiden
letztgenannten Beschädigungen an der rechten Längsseite des Kraftfahrzeugs sei zwar
technisch möglich, jedoch nicht nachweis- oder beweisbar. Diese Beschädigungen
könnten nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) …
teilweise oder vollständig aus anderen Schadensereignissen herrühren. Unter anderem
lasse sich der Streifschaden rechts auf keinen Fall einem Leitplankenkontakt zuordnen, da
eine Kollision der Fahrzeugseite mit einem Profil einer Leitplanke ein charakteristisches
Schadensbild verursache, was mit dem vorgefundenen Schadensbild am von der
Beklagten verwendeten Kraftfahrzeug nicht korrespondiere. Der Zeuge … könne die auf
objektiven Merkmalen beruhenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH)
… nicht in Zweifel ziehen, weil er das Kraftfahrzeug beim Unfallhergang nicht gesehen,
sondern den BMW 730 d nur an den Fahrzeuglenker zum Unfallzeitpunkt, Herrn …, zuvor
ausgehändigt habe. Es könne deshalb durchaus sein, dass das Kraftfahrzeug bei
Übergabe des Zeugen … an den Fahrzeuglenker noch in „perfektem Zustand“ gewesen
sei.
26 Unter Berücksichtigung der zum Unfallereignis vom 24.01.2008 nicht zuordenbaren
Beschädigungen sei von einem korrigierten Wiederbeschaffungswert von 12.000,00 EUR
auszugehen.
27 Die
Teilberufung
Rechtszug weiter. Die Widerklage wird teilweise in Höhe von weiteren 27.600,00 EUR
weiterverfolgt.
28 Zur Verurteilung aus der Klage behauptet die Beklagte, die Klausel Nr. 6 Abs. 2b TB-KR
sei AGB-widrig. Die Klausel verstoße gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S.
2 BGB. Aus der Klausel sei nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht
nachvollziehbar, in welcher Höhe der neue Beitrag berechnet werde. Dies könnten 50 %,
100 %, 200 % oder 300 % oder gar mehr sein. Der Versicherungsnehmer sei hier der
Willkür des Versicherers ausgesetzt. Auch sei nicht klar, ob der Versicherungsnehmer
„doppelt“ bestraft werde, weil er unter Umständen neben der Vertragsstrafe eine höhere
Jahresprämie zusätzlich bezahlen müsse. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte hinsichtlich
einer Prämienanpassung und/oder der Vertragsstrafe bei Anwendung von Nr. 6 Abs. 2b
TB-KR.
29 Die Berufung rügt zur teilweise abgewiesenen Widerklage, das Landgericht habe den
Wiederbeschaffungswert nicht richtig bestimmt. Der Wiederbeschaffungswert sei nicht nur
in Höhe von 12.000,00 EUR festzustellen, sondern in Höhe von 39.600,00 EUR. Der
Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) … habe in seinem Gutachten (S. 8 f.) ausgeführt, dass es
„technisch möglich“ sei, dass der BMW mit seiner rechten vorderen Ecke gegen die linke
hintere Ecke des Renault Clio gestoßen sei und anschließend bei Fortsetzung seiner
Vorwärtsbewegung mit seiner rechten Längsseite an der linken hinteren Ecke des Renault
Clio entlanggestreift sei.
30 Die Berufung trägt zur Widerklage im zweiten Rechtszug neu vor, dass die weiteren
Beschädigungen, soweit sie nicht auf das Unfallereignis vom 24.01.2008 in der Nähe von
Rom zurückzuführen seien, ebenfalls versichert seien, weil alle Vollkaskoschäden am
versicherten Kraftfahrzeug der Beklagten ersatzpflichtig seien.
31 Die Beklagte berechnet die im zweiten Rechtszug weiterverfolgte Ersatzleistung aus der
Vollkaskoversicherung wie folgt:
32
Wiederbeschaffungswert
39.600,00 EUR
abzügl. Restwert
7.808,00 EUR
abzügl. Selbstbehalt in der Vollkasko
500,00 EUR
abzügl. Erstattungsbetrag
3.692,00 EUR
Gesamt
27.600,00 EUR
33 Die Beklagte beantragt:
34 Das angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16.01.2013, AZ: 18 O 111/12, ist
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
35 Gleichzeitig ist die Klägerin/Widerbeklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils
des Landgerichts Stuttgart vom 16.01.13, AZ: 18 O 111/12, im Rahmen der Widerklage zu
verurteilen, an die Beklagte/Widerklägerin EUR 27.600,00 nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit 16.12.2008 zu bezahlen.
36 Die Klägerin beantragt:
37 Die Berufung wird zurückgewiesen.
38 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Soweit die Beklagte im zweiten
Rechtszug neuen Tatsachenvortrag vorbringt, insbesondere zu weiteren und im Einzelnen
unbekannten Unfällen („Altschäden“), bestreitet die Klägerin den neuen Vortrag und rügt
ihn im zweiten Rechtszug als verspätet. Im Übrigen wird auf die Berufungserwiderung
Bezug genommen.
II.
39 Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Der Klägerin steht kein
Klaganspruch in Höhe von 2.501,58 EUR nebst Nebenforderungen (LG Tenor Ziff. 1) zu.
40
A Klage
41 Die Klage in Höhe von 2.501,58 EUR nebst Nebenforderungen ist unbegründet. Die
Berufung der Beklagten ist in gleichem Umfang begründet.
42 1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Differenz eines neu berechneten und
nachzuerhebenden Beitrags aus der Kfz-Versicherung gem. Nr. 6 Abs. 2b TB-KR (Anlage
K 6, Bl. 84 ff., 96).
43 a) Die AKB und die TB-KR sind von den Parteien unstreitig in den Versicherungsvertrag
mit einbezogen, § 314 S. 1 ZPO (LGU S. 2).
44 b) Dahinstehen kann, ob die Klausel zur Nacherhebung und Neuberechnung von Prämien
bei unrichtigen oder unterlassenen Angaben gem. Nr. 6 Abs. 2b S. 1 TB-KR wegen
Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB (= § 9
AGBG) unwirksam ist, § 306 Abs. 1 BGB.
45 c) Nach Nr. 6 Abs. 2b TB-KR kann die Klägerin als Versichererin ab Beginn der
Versicherungsperiode, in der der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht gem. Nr. 6 Abs.
2a TB-KR „schuldhaft“ verletzt hat, den Beitrag neu berechnen und den Differenzbetrag
nacherheben.
46 Unstreitig hat die Beklagte als Versicherungsnehmerin für das von ihr genutzte
Kraftfahrzeug BMW 730 d die erhöhte Kilometerleistung von rund 32.000 km pro Jahr ab
Versicherungsbeginn nicht nachträglich angezeigt.
47 Entgegen Nr. 6 Abs. 2b S. 1 TB-KR ist eine nachvollziehbare Neuberechnung und eine
Nacherhebung in Höhe der Differenz des Jahresbeitrags bei einer maximalen
Jahresfahrleistung von 32.000 km statt, wie ursprünglich angegeben, nur maximal 9.000
km, mit dem Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 16.03.2009 (Anlage K 5, Bl. 28
ff.) nicht erfolgt. Aus dem Schreiben vom 16.03.2009 (Anlage K 5, Bl. 28 ff.) ist nur ein
Betrag in Höhe von insgesamt 2.501,58 EUR unter Aufteilung auf die „Kraftfahrzeug-
Haftpflichtversicherung“ und die „Fahrzeugversicherung (Kaskoversicherung)“ zu
entnehmen. Weder aus dem Anschreiben der Klägerin an die Beklagte noch aus den
dazugehörigen Anlagen (vgl. Anlage K 5) oder den sonstigen vorgelegten Urkunden ist
nachvollziehbar, wie sich die Nachforderung, die wohl aus einem Anspruch aus Nr. 6 Abs.
2b S. 1 TB-KR und einem Anspruch aus Nr. 6 Abs. 2b S. 2 TB-KR (Vertragsstrafe) gebildet
ist, im Einzelnen zusammensetzt. Den Anforderungen einer „Neuberechnung“, wie ein
durchschnittlicher Versicherungsnehmer diesen Begriff in den AVB versteht und verstehen
darf, ist mit dem aus sich heraus nicht verständlichen Schreiben der Klägerin vom
16.03.2009 (Anlage K 5) nicht genügt. Soweit die Klägerin davon ausgehen sollte, dass
die Neuberechnung den Regelungen in ihren AVB in Nr. 6 Abs. 2b TB-KR entsprechen
sollte, erläge sie einem Auslegungsirrtum, der indes keine objektiven Zweifel bei der
Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen für einen durchschnittlichen
Versicherungsnehmer gem. § 305 c Abs. 2 BGB nach sich zieht.
48 2. Die Vertragsstrafen-Klausel in Nr. 6 Abs. 2b S. 2 TB-KR benachteiligt einen
durchschnittlichen Versicherungsnehmer unangemessen entgegen den Geboten von Treu
und Glauben gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, weshalb die Klausel unwirksam
ist, § 306 Abs. 1 BGB.
49 a) Prämienanpassungsklauseln bei unterlassenen Angaben bezüglich der tatsächlichen
Merkmale zur Beitragsberechnung sind im Grundsatz bei schuldhaften Verstößen
zulässig. Dasselbe gilt für Vertragsstrafen, jedenfalls bei vorsätzlichen Verstößen gegen
die Anzeigepflicht (vgl. K 4.3 und K 4.4 der AKB 2008; Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage,
AKB 2008, Buchst. K [= S. 2050]).
50 Bei vorsätzlichen Verstößen des Versicherungsnehmers gegen seine Anzeigepflicht ist
der Versicherer berechtigt, zusätzlich zur Beitragsanpassung nach beispielsweise K 4.3
AKB 2008 eine Vertragsstrafe geltend zu machen, deren Höhe zwischen den Versicherern
variiert. Es handelt sich in solchen Fällen um eine Vertragsstrafenregelung im Sinne der
§§ 339 ff. BGB und nicht um eine sog. Schadenspauschalierung, da die Vereinbarung in
erster Linie die Einhaltung der vereinbarten Merkmale zur Beitragsberechnung sichern
und auf den Versicherungsnehmer einen möglichst wirkungsvollen Druck ausüben soll,
diese richtig anzugeben und die Vereinbarungen auch während der Laufzeit zu beachten.
Eine solche Vertragsstrafe ist grundsätzlich zulässig (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., §§ 16,
17, Rn. 44 a ff.; Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, § 25 Rn. 6 ff. und AKB 2008 zu Buchst. K,
Rn. 7 ff. [= S. 2050 f.]; Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., AKB K, Rn. 5 ff.;
Feyock/Jacobsen/Lemur, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., AKB 2008 zu Buchst. K, Rn. 16
ff.).
51 Ein zusätzlicher Rückgriff. auf die gesetzlichen Institute der vorvertraglichen Anzeigepflicht
(§§ 19 ff. VVG n.F.) und der Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG n.F. bzw. §§ 16 ff. VVG a.F.)
wäre nicht sachgerecht. Bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht und der Gefahrerhöhung
würde den Versicherungsnehmer die harte Strafe der vollständigen Leistungsfreiheit
drohen (§§ 19 Abs. 2, 21 Abs. 2 VVG und § 26 VVG). Dies war von den Versicherer mit
den Klauseln nicht gewollt und würde dem besonderen Charakter der Tarifmerkmale auch
nicht gerecht, da die Einhaltbarkeit der bei der Beitragsberechnung berücksichtigten
Umstände für den Versicherungsnehmer selbst schwer abschätzbar ist (z.B. die
tatsächliche jährliche Fahrleistung) und diese zudem auch häufigen Veränderungen
unterliegen (z.B. Erweiterung des Fahrerkreises).
52 Umstritten ist, ob und mit welcher Begründung die Vertragsstrafe neben den Regelungen
zur vorvertraglichen Anzeigepflicht und Gefahrerhöhung zuzulassen ist. Diese
gesetzlichen Obliegenheitsregelungen sind nach § 32 VVG (= § 34 a VVG a.F.)
halbzwingend. Eine Abweichung zum Nachteil des Versicherungsnehmers ist deshalb
unzulässig.
53 aa) Nach einer hierzu vertretenen Auffassung weicht die Vertragsstrafenregelung als „lex
specialis“ so deutlich vom Obliegenheitenrecht ab, dass eine Anwendung der §§ 19 und
23 VVG n.F. schon von vornherein ausscheidet (Michaelis ZfV 97, 731). Für diese
Auffassung spricht ein Vergleich mit der Regelung zu den Falschangaben beim
Verwendungszweck nach D 1.1 AKB 2008, die einen Unterfall der Gefahrerhöhung
darstellt und für deren Anwendbarkeit verlangt wird, dass mit einem Verstoß gegen die
Verwendungsklausel zugleich eine Gefahrerhöhung einhergeht.
54 Eine solche Gefahrerhöhung ist jedoch gerade nicht typisches Merkmal eines
Tarifmerkmals.
55 bb) Eine zweite Auffassung sieht die Vertragsstrafenregelung als für den
Versicherungsnehmer vorteilhafte Abweichung von den gesetzlichen Instituten an
(Schirmer/Marlow, VersR 1997, 782). Bei der Prüfung der Vorteilhaftigkeit der Regelung ist
eine generelle und nicht einzelfallbezogene Abwägung zu treffen, da für
Versicherungsbedingungen der Grundsatz der objektiven Auslegung gilt (vgl. BGH VersR
2006, 1066). Zu beachten ist hierbei, dass die Tarifmerkmale primär dazu dienen, die
Äquivalenz zwischen versichertem Risiko und Versicherungsbeitrag innerhalb der
Versicherungsgemeinschaft herzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigt der
Versicherer ein Druckmittel, das insgesamt - also ohne Berücksichtigung des Einzelfalls -
geeignet ist, den Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss und bei späteren Änderungen
zu wahrheitsgemäßen Angaben zu bewegen, ohne ihn dabei jedoch unangemessen zu
benachteiligen.
56 Eine Einzelfallbetrachtung kann dieser Anforderung nicht gerecht werden. Die der Höhe
nach zwingend gedeckelte Vertragsstrafe muss in einer Gesamtbetrachtung für den
Versicherungsnehmer günstiger als eine drohende unbegrenzte Leistungsfreiheit bei den
gesetzlichen Instituten der Gefahrerhöhung und Verletzung der vorvertraglichen
Anzeigepflicht sein.
57 cc) Die Vertragsstrafe darf auch nicht unverhältnismäßig hoch sein, § 307 Abs. 1 und Abs.
2 Nr. 1 BGB.
58 Ist eine vereinbarte Vertragsstrafe zudem unverhältnismäßig hoch, ist die Vereinbarung
ebenfalls gem. § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Aber auch im Falle der
Wirksamkeit der Vertragsstrafenklausel kommt eine Herabsetzung der vereinbarten Strafe
gem. § 343 Abs. 1 BGB in Betracht. Üblich und verhältnismäßig werden Vertragsstrafen
nach der teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., §§
16, 17, Rn. 44 a ff.; Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 25 Rn. 6 ff. und AKB 2008 zu Buchst. K,
Rn. 7 ff. [= S. 2050 f.]; Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., AKB K, Rn. 5 ff.;
Feyock/Jacobsen/Lemur, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., AKB 2008, Buchst. K, Rn. 16 ff.)
bis zur Höhe des Doppelten des berechtigten Jahresbeitrags angesehen, da eine
Vertragsstrafe deutlich über der Prämiendifferenz liegen muss, um die bezweckte
abschreckende Wirkung zu entfalten.
59 Gerichtlich als angemessen eingestuft wurden Vertragsstrafen in Höhe von 500,00 EUR
bei Überschreitung der in der Kaskoversicherung vereinbarten Laufzeit (AG Heidenheim,
VersR 2009, 628; AG Leutkirch, VersR 2009, 1398 f.).
60 dd) Unzulässig ist in jedem Fall, wenn der Versicherer die Pflichtverletzung hinsichtlich
der Angaben zu Merkmalen zur Beitragsermittlung im Schadensfall mit
Leistungskürzungen verknüpft. Beispielsweise ist eine Verdoppelung der
Selbstbeteiligung bzw. Leistungskürzung um 300,00 EUR im Falle eines Unfalls
überraschend im Sinne von § 305 c BGB, weil die Höhe der Jahreskilometerlaufleistung
gerade keinen Einfluss auf die Höhe der Versicherungsleistung hat (LG Dortmund, NJW-
RR 2009, 249).
61 b) Gemessen an diesen Grundsätzen widersprechen die Klauseln Nr. 6 Abs. 2a und Nr. 6
Abs. 2b TB-KR, auch in einer Gesamtschau, den Geboten von Treu und Glauben, weil der
Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt wird, da die Klausel mit wesentlichen
Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu
vereinbaren ist, § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB.
62 Aus den von der Klägerin verwendeten Klauseln Nr. 6 Abs. 2a TB-KR und Nr. 6 Abs. 2b S.
1 und S. 2 TB-KR ist nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob der Versicherer unter Vereinbarung
der möglichen Vertragsstrafe nach Nr. 6 Abs. 2b S. 2 TB-KR auf die gesetzlichen
Vorschriften bei Gefahrerhöhung (§§ 16 ff. VVG a.F.) verzichtet.
63 Zwar kann aus Nr. 6 Abs. 2b S. 2 TB-KR („statt“) entnommen werden, dass entweder die
Rechte auf Rücktritt oder Kündigung aus dem VVG durch den Versicherer geltend
gemacht werden können oder ersatzweise und unter Ausschluss der
Gefahrerhöhungsrechte (Rücktritt und Kündigung) eine Vertragsstrafe in Höhe des neu
berechneten Jahresbeitrags. Der Versicherer ist aber bei einer Vereinbarung einer
Vertragsstrafe nicht berechtigt, sich die weiteren Rechte bei nicht angezeigten
Gefahrerhöhungen (§§ 16 ff. VVG a.F.) zu sichern. Dies gilt auch, wenn der Versicherer
sich diese Rechte nur wahlweise („statt“ in der Klausel Nr. 6 Abs. 2b S. 2 TB-KR) sichert
oder weiter vorbehält.
64 Jedenfalls ist die genannte Vertragsstrafenklausel nicht eindeutig und kann in mehrfacher
Hinsicht ausgelegt werden. Zweifel gehen bei Mehrdeutigkeit insoweit zu Lasten des
Klauselverwenders, § 305 c Abs. 2 BGB.
65 Für die Mehrdeutigkeit sprechen auch die Regelungen in Nr. 6 Abs. 2a und 2 b TB-KR,
weil in Nr. 6 Abs. 2a Abs. 2 TB-KR die Rechte bei nicht angezeigten Gefahrerhöhungen
unberührt bleiben sollen. Nr. 6 Abs. 2a lautet auszugsweise wie folgt (Anlage K 6, Bl. 82
ff., 96):
66 „Im Übrigen gelten die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zur
Gefahrerhöhung (§§ 16 bis 30 VVG).“
67 Dahinstehen kann, ob die Vertragsstrafenklausel, die auf eine bloße schuldhafte
Nichtanzeige, somit auf eine vorsätzliche, grob fahrlässige und auch leicht fahrlässige
Nichtanzeige abstellt, zusätzlich gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, § 306 Abs. 1
BGB unwirksam ist.
68
B Widerklage
69 1. Die Widerklage der Beklagten ist lediglich in der vom Landgericht zu Recht
zugesprochenen Höhe von 3.692,00 EUR nebst Zinsen berechtigt. Soweit die Beklagte
mit der Berufung weitere Ansprüche mit der Widerklage geltend macht, ist die Berufung
unbegründet.
70 Entgegen der Auffassung der Beklagten sind dem Landgericht Beweiswürdigungsfehler
nicht entgegenzuhalten. Der Senat ist an die Feststellungen des Landgerichts gebunden,
§ 529 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
71 Das Landgericht hat im Anschluss an die überzeugenden Feststellungen des
Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … zutreffend festgestellt, dass der BMW beim Unfall vom
24.01.2008 lediglich nachweisbare Schäden an der rechten vorderen Fahrzeugseite
erlitten hat. Die weiter geltend gemachten Schäden an der rechten Längsseite und an der
linken Seite des Kraftfahrzeugs sind dem Unfallereignis vom 24.01.2008 in der Nähe von
Rom nicht zuordenbar.
72 Der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) … hat dies in seinem Gutachten vom 22.05.2012 (Bl.
376 ff.), in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.09.2012 (Bl. 405 ff.) und in seiner
mündlichen Anhörung vom 05.12.2012 vor dem Landgericht Stuttgart (Bl. 429 ff.)
überzeugend und widerspruchsfrei festgestellt.
73 Bereits im ersten Gutachten vom 22.05.2012 (Bl. 376 ff., 381 ff.) hat der Sachverständige
Dipl.-Ing. (FH) … ausgeführt, dass nach dem geschilderten Unfallablauf allenfalls an der
linken Längsseite des BMW ein Leitplankenkontakt stattgefunden haben könnte. Die durch
die Lichtbilder dokumentierten Beschädigungen seien jedoch keinesfalls mit einem
Leitplankenkontakt vereinbar. Der Gesamtschaden an der linken Längsseite des BMW
lasse sich mit dem geschilderten Unfallablauf nicht in Einklang bringen (Bl. 383). Diese
Auffassung hat der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) … in seinem Ergänzungsgutachten
vom 17.09.2012 (Bl. 405 ff.) bestätigt und ferner ausgeführt, dass die Beschädigungen an
der linken Längsseite des BMW, aber auch die Entstehung der Beschädigungen an der
rechten Längsseite des BMW, im Zusammenhang mit dem für den 24.01.2008
angegebenen Schadensereignis zwar technisch möglich, aber nicht nachweisbar seien
(Bl. 406 f.). Zu der behaupteten Leitplankenkollision führt der Sachverständige Dipl.-Ing.
(FH) … ergänzend an, dass zwischen den Eindellungen am linken vorderen Kotflügel und
an den beiden linken Türen des BMW keine Verbindung bestanden habe. Es handele sich
lediglich um einzelne, punktuelle Kontaktstellen. Sie könnten deshalb dem Kontakt zu
einer Fahrbahnbegrenzung nicht zugeordnet werden, da dieser entweder streifend oder an
nur einer Stelle der linken Fahrzeuglängsseite erfolge. Zudem seien die vorgefundenen
Kontaktspuren an den Karosserieteilen (Anstoßmerkmale) in unterschiedlichen Höhen
angeordnet, sodass der Kontakt zu einer Fahrbahnbegrenzung, Betonmauer oder
Leitplanke für die Verursachung nicht in Betracht komme. Diese Ausführungen hat der
Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) … auch bei seiner mündlichen Anhörung vor dem
Landgericht am 05.12.2012 bestätigt (Bl. 430).
74 Den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs unter Berücksichtigung der nicht möglichen
Unfallereignisse hat das Landgericht entgegen der Auffassung der Beklagten keineswegs
aus dem Nichts geschöpft, sondern aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen
Dipl.-Ing. (FH) … in der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2012 (Bl. 430) zutreffend
festgestellt. Der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) … hat einen Wiederbeschaffungswert von
12.000,00 EUR brutto vor Schadenseintritt, unter Herausrechnung der nicht zuordenbaren
Beschädigungen, festgestellt. Der Wiederbeschaffungswert belaufe sich bei
Berücksichtigung des Schadens an der Fahrzeugecke vorne rechts für das Fahrzeug der
Beklagten auf 12.000,00 EUR brutto, weil sich der Wiederbeschaffungswert des
Fahrzeugs von 22.000,00 EUR auf 12.000,00 EUR reduziere, weil die Beschädigungen
rechts, die weiter nach hinten verlagerten Schäden, nicht vom Unfallereignis am
24.01.2008, sondern als Vorschaden einzustufen seien (Bl. 430).
75 Zutreffend führt das Landgericht auch an, dass die Angaben des Zeugen … nicht geeignet
waren, die objektiven Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) … in Zweifel
zu ziehen. Der Zeuge … habe zwar angegeben, das Fahrzeug sei, bevor der
Fahrzeuglenker … mit dem Kraftfahrzeug der Beklagten einen Unfall am 24.01.2008
gehabt hätte, in einem perfekten Zustand übergeben worden. Das Landgericht stellt
jedoch zutreffend darauf ab, dass der Zeuge … das Kraftfahrzeug durchaus in
unbeschädigtem Zustand dem Fahrzeuglenker … übergeben haben kann. Soweit dies
nicht der Fall war, stünden die Angaben des Zeugen … im unüberbrückbaren Widerspruch
zu den auf objektiven Umständen beruhenden Feststellungen des Sachverständigen
Dipl.-Ing. (FH) … , weil dieser aufgrund objektiver Anknüpfungstatsachen aufgrund der
vorgelegten Lichtbilder und der Unfallaufnahme seine Feststellungen getroffen hat.
76 Das Landgericht hat die berechtigte Widerklagforderung in Höhe von 3.692,00 EUR nebst
Zinsen folglich zutreffend berechnet wie folgt:
77
Wiederbeschaffungswert
12.000,00 EUR
- Restwert (bereits an die Beklagte ausgekehrt)
7.808,00 EUR
- Selbstbehalt
500,00 EUR
=
3.692,00 EUR
78 2. Soweit die Beklagte mit der Widerklage im zweiten Rechtszug „Altschäden“ geltend
macht, die durch die Vollkaskoversicherung bei der Klägerin mit versichert seien, fehlt
hierzu hinreichender Vortrag.
79 Zwar sind auch weitere Beschädigungen aufgrund anderer Unfallereignisse möglich und
gegebenenfalls versichert. Als Mindestvoraussetzung für den Vortrag für einen weiteren
Versicherungsfall in der Vollkaskoversicherung ist jedoch notwendig, dass jedenfalls der
Unfallzeitpunkt und die Unfallörtlichkeit der weiter behaupteten Unfälle, somit weitere
selbständige Versicherungsfälle, zusätzlich benannt und dargelegt werden. Dem ist die
Beklagte im ersten Rechtszug nicht nachgekommen.
80 Für den „Unfall“ in der Vollkaskoversicherung ist der Versicherungsnehmer darlegungs-
und beweisbelastet (Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, AKB 2008 zu A.2.3 Rn. 2 [= S.
1965]). Der Schaden muss einem konkret dargestellten Unfall wenigstens in etwa
zugeordnet werden können. Wenn feststeht, dass die Schäden nach Art und
Beschaffenheit nur auf einem Unfall nach den Bedingungen der Vollkaskoversicherung im
versicherten Zeitraum beruhen können, so können diese Feststellungen ausreichend sein,
um die Leistungspflicht des Versicherers zu begründen (Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage,
AKB 2008 zu A.2.3 Rn. 2 mit Rspr.-Nachw.).
81 Jedoch gilt dies nicht, wenn sich der Unfall nicht an der behaupteten Stelle, wie hier vom
Sachverständigen festgestellt, oder nicht unter den vorgetragenen Umständen ereignet
hat, sondern zu einer anderen Zeit oder an anderer Stelle. In diesem Fall ist der Beweis für
den Versicherungsfall nicht erbracht (Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, AKB 2008 zu A.2.3
Rn. 2 [= S. 1965]). Ein solcher Unfall - hier: mehrere frühere nicht näher bekannte Unfälle
(„Altfälle“) - ist dann schon nicht Gegenstand des Prozesses (Prölss/Martin, VVG, 28.
Auflage, AKB 2008 zu A.2.3 Rn. 2; OLG Hamm r+s 2005, 194). So liegt der Fall hier.
82 Zudem sind keine Gründe dargetan oder ersichtlich, weshalb die Beklagte den Vortrag
bezüglich der von der Klägerin bestrittenen „Altfälle“, der zudem unzureichend ist, erst im
zweiten Rechtszug gehalten hat. Der neue Vortrag ist im zweiten Rechtszug nicht
zuzulassen, §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.
III.
83 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
84 Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, 711
S. 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.
85 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Sache hat
keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des
Revisionsgerichts.