Urteil des OLG Stuttgart vom 03.01.2002

OLG Stuttgart: leistungsfähigkeit, getrennt lebende ehefrau, selbstbehalt, richterliche kontrolle, verfassungskonforme auslegung, anpassung, existenzminimum, verfügung, verfahrensordnung, meinung

OLG Stuttgart Entscheidung vom 3.1.2002, 16 WF 395/01
Richtervorlage an das Bundesverfassungsgericht: Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der hälftigen Kindergeldanrechnung bei der
Anpassung von Unterhaltstiteln im Vereinfachten Verfahren nach der neuen Rechtslage
Tenor
Das Verfahren wird gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ausgesetzt. Die Akten sind dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Prüfung der Frage
vorzulegen, ob § 2 des Unterhaltstitelanpassungsgesetzes (Art. 4 des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des
Kindesunterhaltsrechts vom 02.11.2000) insoweit gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG) verstößt, als er eine Anpassung von
Unterhaltstiteln, die bisher auf nicht mehr als 100 % des Regelbetrages abzüglich des hälftigen Kindergeldes lauteten, im Vereinfachten Verfahren
nach § 655 ZPO ermöglicht.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin ist die getrennt lebende Ehefrau des Antragsgegners und hat die am 29.03.1991, 11.08.1994 und 07.09.1996 geborenen
gemeinsamen Kinder in ihrer Obhut. Der Antragsgegner ist nach einem vor dem 01.01.2001 errichteten Titel, nämlich einem zwischen den
Parteien ergangenen Urteil vom 08.12.1999, verpflichtet, an die Kinder bezifferte Beträge von je 100 % des (damaligen) Regelbetrages der 3.
Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes für ein erstes, zweites bzw. drittes Kind zu bezahlen. Die Antragstellerin nimmt ihn im eigenen
Namen im vereinfachten Verfahren gemäß §§ 2 Unterhaltstitelanpassungsgesetz (im folgenden: UTAG; Art. 4 des Gesetzes zur Ächtung der
Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2.11.2000), 655 ZPO auf Abänderung der vollstreckbaren Urkunde
ab 1.1.2001 dahin in Anspruch, dass der Kindergeldabzug entfällt, soweit der geschuldete Betrag zuzüglich des hälftigen Kindergeldes 135 %
des Regelbetrages nicht übersteigt; für das erste Kind wurde zudem eine Unterhaltserhöhung geltend gemacht. Das Familiengericht
(Rechtspfleger) hat nach Anhörung des Antragsgegners durch den angefochtenen Beschluss das Erhöhungsverlangen abgewiesen, im übrigen
(Wegfall der Kindergeldanrechnung) für die Zeit vom 01.01.2001 bis 30.06.2001 antragsgemäß entschieden und darüber hinaus ab 01.07.2001
eine (nicht beantragte) Dynamisierung des Unterhalts entsprechend § 1612 a Abs. 1, 2. Alt. BGB vorgenommen. Als Antragsteller werden im
angefochtenen Beschluss die Kinder, vertreten durch die Mutter, bezeichnet. Der Antragsgegner hat sich in erster Instanz zum
Abänderungsantrag nicht geäußert. Gegen die ihm am 30.06.2001 zugestellte Entscheidung hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde
eingelegt, die am Montag, 16.07.2001, beim Familiengericht einging. Er beruft sich auf fehlende Leistungsfähigkeit. Gegen den Zeitpunkt der
Abänderung oder die Dynamisierung des Unterhalts ab 01.07.2001 wendet er sich nicht.
II.
2
Der Abänderungsantrag ist zulässig. Die Befugnis der Antragstellerin zur Geltendmachung des (erhöhten) Kindesunterhalts im eigenen Namen
ergibt sich aus § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB.
3
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Ob sie auch sonst zulässig ist, hängt ebenso wie ihre Begründetheit von der in der
Beschlußformel zur Prüfung des Bundesverfassungsgerichts gestellten Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 2 UTAG ab. § 655 Abs. 5
ZPO i.V.m. Abs. 3 der Vorschrift (auf beide verweist § 2 UTAG) sieht vor, dass mit der sofortigen Beschwerde nur Einwendungen gegen die
Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens, gegen den Zeitpunkt der Abänderung, gegen die Berechnung des Betrags der anzurechnenden
Kindergeldleistungen sowie die Unrichtigkeit der Kostenfestsetzung geltend gemacht werden und im Falle eines (nach Meinung des
Beschwerdeführers) sofortigen Anerkenntnisses die Kostengrundentscheidung angegriffen werden können. Die nachstehend dargestellten
verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats stellen auch die Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens in Frage. Wenn es zutrifft, dass § 2
UTAG in der vorliegenden Fallkonstellation verfassungswidrig ist, dürfte eine Neufestsetzung entsprechend dieser Vorschrift nicht im
vereinfachten Verfahren erfolgen.
4
Das Familiengericht hat die Akten zu Recht nicht dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Die Durchführung des vereinfachten Verfahrens
beim Familiengericht ist dem Rechtspfleger übertragen. Dieser ist, selbst wenn er die anzuwendenden Vorschriften für verfassungswidrig hält,
nicht zur Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG befugt (vgl. BVerfGE 61, 75, 77; FamRZ 2000, 731, 732 f.). Die Frage stellt sich erstmals für den
erkennenden Senat, der sie in Bezug auf § 2 UTAG bejaht, soweit nach dieser Vorschrift auch Kindesunterhaltstitel einer Anpassung im
Vereinfachten Verfahren nach § 655 ZPO unterliegen, die auf keinen höheren Betrag als 100 % des (bei Errichtung des Titels maßgeblichen oder
des jeweiligen) Regelbetrages abzüglich des hälftigen Kindergeldes lauten.
III.
5
Die Vorfrage, ob § 1612 b Abs. 5 BGB in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 2.11.2000 gegen das Grundgesetz verstößt (auch dann
müßte eine Beschwerde ungeachtet einfach-rechtlicher Beschränkungen der Beschwerdebefugnis als zulässig behandelt werden, weil
Verfahrensrecht, das seiner Zwecksetzung nach zur Durchsetzung einer verfassungswidrigen materiellen Rechtslage dient, ebenfalls gegen die
Verfassung verstößt und insoweit nicht verbindlich sein kann), hat der Senat im Anschluss an OLG Düsseldorf, FamRZ 2001, 1096, bereits
verneint (Beschluß vom 19.10.2001, 16 UF 105/01, zur Veröffentlichung bestimmt). Auf die Gründe ist hier nur insoweit einzugehen, als sie zum
Verständnis der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 2 UTAG in der vorliegenden Fallkonstellation beitragen:
6
Das Kindergeld in seiner Doppelfunktion als steuerlicher Ausgleich für die Belastung durch Kindesunterhalt in Höhe des Existenzminimums und
als staatlicher Beitrag zur Familienförderung wird den Eltern nicht zur freien Verwendung nach eigenem Gutdünken zur Verfügung gestellt,
sondern zur finanziellen Erleichterung ihrer Rechtspflicht, den Unterhaltsbedarf ihrer Kinder zu decken. Können sie diesen aus ihrem sonstigen
Einkommen (ohne Einbezug des Kindergeldes) aufbringen, wirkt es sich für sie entlastend aus (§ 1612 b Abs. 1 BGB). Ist dies nicht der Fall, so
führt die durch § 1612 b Abs. 5 BGB (alter wie neuer Fassung!) gebotene Einbeziehung des Kindergeldes nur dazu, dass der Unterhaltspflichtige
der Verpflichtung, um derentwillen ihm die Vergünstigung gewährt wird, auch tatsächlich nachkommen kann. Eine verfassungswidrige
Überforderung könnte damit nur verbunden sein, wenn er durch die Zahlung des Unterhalts selbst in wirtschaftliche Not gerät (vgl. BGH, FamRZ
1990, 849, 850). Um dies zu verhindern, ist es aber weder erforderlich noch ausreichend, das staatliche Kindergeld zu "unterhaltsfestem"
Einkommen zu erklären. Diese Funktion kommt in der Gerichtspraxis dem notwendigen Selbstbehalt zu, der jedem Unterhaltspflichtigen zur
Selbsterhaltung zu belassen ist, auch soweit Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder in Frage stehen, und der so zu bemessen ist, dass er
merklich über dem Sozialhilfebedarf (also dem Existenzminimum) des in Anspruch Genommenen liegt (BGH, a.a.O. m.w.N.). Diese Rechtslage
wird durch § 1612 b Abs. 5 BGB nicht berührt. Die Vorschrift verhindert nur, dass dem Unterhaltspflichtigen zusätzlich zu seinem Selbstbehalt das
Kindergeld belassen wird, wenn der Unterhalt, zu dessen Leistung er dann noch im Stande ist, hinter dem Betrag von 135 % des Regelbetrages
zurückbleibt, den der Gesetzgeber für die Deckung des Existenzminimums eines Kindes als erforderlich ansieht.
7
Das heißt: Bereits durch die Beachtung des notwendigen Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen ist gewährleistet, dass dieser für den
Eigenbedarf mehr als das eigene Existenzminimum zur Verfügung hat. Durch § 1612 b Abs. 1 und 2 BGB ist gewährleistet, dass der
Barunterhaltspflichtige, der – ggf. zusammen mit dem anderen Elternteil, sofern dieser ebenfalls barunterhaltspflichtig ist – das Existenzminimum
seines Kindes durch Leistungen aus seinem sonstigen Einkommen abdeckt, auch dann in den Genuss des hälftigen Kindergeldes kommt, wenn
es nicht an ihn, sondern an den anderen Elternteil ausbezahlt wird. Durch § 1612 b Abs. 5 BGB wiederum ist gewährleistet, dass der
Unterhaltspflichtige das Kindergeld nicht zusätzlich zum Selbstbehalt für sich selbst verwenden kann, wenn und soweit seine Leistungen zum
Kindesunterhalt hinter dem Existenzminimum des Kindes zurückbleiben, das der Gesetzgeber mit 135 % des Regelbetrags gleichsetzt.
8
Diese Gleichsetzung ist gerechtfertigt. Ab 1999 betrug das Existenzminimum eines Kindes – ermittelt auf der Grundlage des Sozialhilfebedarfs –
jährlich 6.696,00 DM = monatlich 558,00 DM (BT-Drucksache 13/9561, S. 4), wobei, verteilt auf die einzelnen Altersstufen, in der ersten
Altersstufe 461,00 DM, in der zweiten 544,00 DM und in der dritten 670,00 DM anzusetzen waren. Nach der Regelbetragsverordnung 1999, die
bei Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 1612 b Abs. 5 BGB noch gültig war, hätten diese Beträge in der 1. und 3. Altersgruppe
zwischen 128 und 135 % und in der 2. Altersgruppe zwischen 121 und 128 % der Regelbeträge gelegen. Wenn der Gesetzgeber in § 1612 b
Abs. 5 BGB 135 % des jeweiligen Regelbetrages als maßgebliche Größe für die Bestimmung des Existenzminimums gewählt hat, so hält sich
dies ganz offensichtlich im Rahmen zulässiger Pauschalierung. Mit anderen Worten: Dem Kind kommt nach der gesetzlichen Neuregelung nicht
mehr zugute, als es zum Leben existenziell benötigt. Dem Unterhaltspflichtigen wird (weil sein notwendiger Selbstbehalt unangetastet bleiben
soll) mehr als das für den eigenen Lebensbedarf unabdingbar Notwendige belassen. Weggenommen wird ihm nur eine Vergünstigung, die ihm
der Staat gerade deshalb gewährt, weil ihm die Leistung des Existenzminimums des Kindes ermöglicht werden soll. Eine verfassungswidrige
Ungleichbehandlung im Verhältnis zwischen dem Barunterhaltspflichtigen und dem Barunterhaltsberechtigten ist hiernach nicht gegeben.
IV.
9
§ 2 UTAG sieht vor, dass Urteile, Beschlüsse und andere Schuldtitel, in denen Unterhaltsleistungen für ein minderjähriges Kind nach dem
bisherigen Recht zuerkannt, festgesetzt oder übernommen sind, auf Antrag im vereinfachten Verfahren nach § 655 ZPO dahin abgeändert
werden können, dass die Anrechnung von kindbezogenen Leistungen (insbesondere Kindergeld) nach Maßgabe der Neuregelung des § 1612 b
Abs. 5 BGB unterbleibt. § 655 ZPO sieht die Abänderung eines Unterhaltstitels im vereinfachten Verfahren vor, wenn sich ein für die Berechnung
kindbezogener Leistungen, die im Unterhaltstitel angerechnet wurden, maßgebender Umstand ändert. In seinem originären Anwendungsbereich
kann eine Änderung im Extremfall allerdings auch darin bestehen, dass die Anrechnung gänzlich unterbleibt, z.B. wenn der Unterhaltspflichtige
seine Kindergeldberechtigung dem Grunde nach (etwa durch Umzug ins Ausland) verliert. Im Regelfall wird sich jedoch nur eine geringfügige
Änderung der Höhe nach ergeben, wenn das Kindergeld entweder durch Entscheidung des Gesetzgebers für alle Kinder geändert wird oder
wenn die Kindergeldberechtigung für ein anderes (erstes) Kind entfällt und für ein (bisher) drittes oder viertes Kind nur noch ein vermindertes
Kindergeld bezahlt wird. Die hiernach zu berücksichtigenden Veränderungen bei der Kindergeldanrechnung gehen regelmäßig mit einer
Erleichterung der Barunterhaltslast für den Unterhaltspflichtigen einher: Gesetzliche Änderungen der Kindergeldhöhe waren bisher stets solche
nach oben, nicht nach unten. Der Wegfall der Kindergeldberechtigung für ein älteres Kind steht meist im Zusammenhang mit dessen
wirtschaftlicher Verselbständigung, also dem Wegfall oder der Verminderung der Barunterhaltsbedürftigkeit, wodurch sich die Leistungsfähigkeit
des Unterhaltspflichtigen für den Unterhalt der übrigen Kinder erhöht. Deshalb steht im originären Anwendungsbereich des § 655 ZPO zu
erwarten, dass die nach dieser Vorschrift vorzunehmende Abänderung des titulierten Unterhalts die Leistungsfähigkeit des Schuldners für den
neuen Zahlbetrag nicht oder kaum beeinträchtigt. Die Änderung der Kindergeldanrechnung gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB n.F. hingegen, die im
Verfahren nach §§ 2 UTAG, 655 ZPO durchgesetzt werden soll, bringt für die Unterhaltsschuldner durchweg eine finanzielle Mehrbelastung mit
sich, die sich, wie noch näher darzustellen ist, gerade in den untersten Einkommensgruppen gravierend auswirkt.
10 In diesem Verfahren kann der Antragsgegner nur Einwendungen gegen die Zulässigkeit des Verfahrens als solchen, gegen den Zeitpunkt der
Abänderung oder gegen die Berechnung des Betrags der anzurechnenden Leistungen geltend machen. Die Einwendung, er sei zur Leistung
des geänderten Unterhaltsbetrages nicht im Stande, ist ihm verschlossen. Er wird damit auch nicht im Beschwerdeverfahren gehört (§ 655 Abs. 5
ZPO). Das Gesetz eröffnet ihm allerdings in § 656 ZPO die Möglichkeit, im Wege der Klage eine entsprechende Abänderung des nach § 655 ZPO
ergangenen Beschlusses zu verlangen. Über diese Möglichkeit ist er im Abänderungsbeschluss zu belehren (§§ 655 Abs. 6, 649 Abs. 3 ZPO).
Eine solche Klage auf "Abänderung der Abänderung" ist jedoch nur zulässig, wenn sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses
erhoben wird.
11 Das Gesetz mutet dem Unterhaltsschuldner, der mit einem Verfahren gemäß § 655 ZPO (ggf. i.V.m. § 2 UTAG) überzogen wird, also zu, auch
dann einen (sogleich vollstreckbaren) Unterhaltstitel im vereinfachten Verfahren gegen sich ergehen zu lassen, wenn er sich für den neu
festzusetzenden Unterhalt nicht für leistungsfähig hält, und diesen Einwand sodann in einem Nachverfahren geltend zu machen, wobei er, wenn
er die Frist versäumt, mit diesem Einwand jedenfalls so lange ausgeschlossen bleibt, bis sich in den für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen
Umständen eine Änderung ergibt. Dahinter steht die gesetzgeberische Erwägung, dass die Neufassung des § 1612 b Abs. 5 BGB in einer
Vielzahl von Fällen zu einer Neufestsetzung des Unterhalts führen muss und dass hierfür ein leicht zu handhabendes Massenverfahren zur
Verfügung gestellt werden muss. Hierdurch wird im Interesse einer generellen Verfahrensbeschleunigung und -erleichterung die Effektivität des
Rechtsschutzes für den Unterhaltsschuldner im Einzelfall in Frage gestellt.
1.
12 Die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG) abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet in zivilrechtlichen
Streitigkeiten – ebenso wie Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG für den Bereich des öffentlichen Rechts – nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den
Gerichten offensteht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf
allerdings einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein
Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken.
Solche Einschränkungen müssen aber mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den einzelnen
Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belasten. Darin findet die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers zugleich ihre Grenze. Der
Rechtsweg darf danach nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfGE 88, 118, 123
f.).
13 In § 2 UTAG i.V.m. § 655 ZPO beschneidet der Gesetzgeber die Verteidigungsmöglichkeiten des Antragsgegners im Interesse einer
Verfahrensvereinfachung bei der Anpassung bereits bestehender Unterhaltstitel (in denen die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners
regelmäßig schon überprüft wurde) an die neue Rechtslage gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB. Er nimmt in Kauf, dass im vereinfachten Verfahren
Unterhaltstitel errichtet werden, die der materiellen Rechtslage nicht entsprechen, weil der neu festzusetzende Unterhalt die Leistungsfähigkeit
des Schuldners überfordert, und verweist ihn in diesen Fällen auf die Wahrnehmung seiner Rechte in einem von ihm selbst zeitnah
anzustrengenden Nachverfahren, in dem erstmals eine richterliche Kontrolle stattfindet (das vereinfachte Verfahren ist dem Rechtspfleger
übertragen). Diese Hintansetzung der Interessen des Schuldners ist nur dann gerechtfertigt, wenn und soweit der Gesetzgeber davon ausgehen
konnte, dass die Neufestsetzung in der Regel zu einem auch materiell richtigen Unterhaltsbetrag führt. Wäre dies nicht der Fall, kann der
Gesichtspunkt der Verfahrensvereinfachung nicht so schwer wiegen, dass in Bezug auf die Auswirkung der Regelung auf den einzelnen
Rechtsuchenden (Unterhaltsschuldner) der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet ist (vgl. hierzu BVerfG a.a.O.). Käme es nämlich bei einer
Neufestsetzung ohne Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen in der Mehrzahl der Fälle zu einem materiell unrichtigen
Zahlbetrag, der nur im Wege der Anpassungskorrekturklage nach § 656 ZPO berichtigt werden könnte, so hätte die gesetzliche Regelung zur
Folge, dass das gerechte Ergebnis (welches Ziel jeder rechtsstaatlichen Verfahrensordnung sein muss) überwiegend nur auf einem Umweg
erreicht wird; das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren führte nicht zu einer Vereinfachung, sondern zu einer Komplizierung der
Durchsetzung des materiellen Rechts. Hinzu kommt, dass eine Anpassung des im Vereinfachten Verfahrens festgesetzten Zahlbetrages nur auf
Initiative des Unterhaltspflichtigen erfolgt, die er zusätzlich zu seinen Anstrengungen zur Rechtsverteidigung im Vereinfachten Verfahren selbst
entfalten muss, und zwar innerhalb einer Ausschlussfrist, deren Versäumung unwiederbringliche Rechtsnachteile nach sich zieht. Eine solche
Verfahrensgestaltung wäre mit dem Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht vereinbar. Dies muss auch gelten, wenn die Ausgestaltung
des Vereinfachten Verfahrens nicht alle hiervon betroffenen Unterhaltsschuldner, aber doch einzelne (nicht nur kleine) Gruppen von ihnen in der
beschriebenen Weise benachteiligt, sofern diese sich tatbestandlich von den übrigen abgrenzen lassen; der Vorteil der Typisierung kann eine
teilweise benachteiligende Regelung nur rechtfertigen, wenn von der Benachteiligung nicht ganze Personengruppen betroffen sind (BGH,
FamRZ 1983, 40, 43 m.w.N.), und mindert sich auf 0, wenn die nachteilig Betroffenen ihrerseits von einer typisierenden Regelung erfasst (d.h.:
von der generellen Regelung ausgenommen) werden könnten.
2.
14 Ob die Anpassung bestehender Unterhaltstitel in der Mehrzahl der Fälle zu einem materiell richtigen Ergebnis führt, lässt sich nicht ohne einen
Blick auf die Praxis der Unterhaltsbemessung in der Vergangenheit beantworten. Die Überprüfung ergibt, dass die Anpassung im vereinfachten
Verfahren dann regelmäßig nicht zu einer Überforderung der Unterhaltsschuldner führt, wenn der zuvor festgesetzte Unterhalt mehr als eine
Einkommensgruppe über dem Regelbetrag gelegen hat, jedoch überwiegend zu einer Überforderung der Leistungsfähigkeit derjenigen, die
bisher Kindesunterhalt in Höhe eines Betrages geschuldet haben, der den Regelbetrag abzüglich des hälftigen Kindergeldes nicht überstieg.
15 a) Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung hat die große Mehrzahl der Familiengerichte in Deutschland die Bemessung von Unterhalt
für minderjährige Kinder nach der Düsseldorfer Tabelle vorgenommen. Diese orientierte die Höhe des Kindesbedarfs in den jeweiligen
Altersgruppen (die denjenigen der Regelbetragsverordnung entsprechen) am Einkommen des Unterhaltspflichtigen und an der Zahl der
Unterhaltsberechtigten, denen er Unterhalt schuldete. Die Beratungspraxis der Notare und der Jugendämter, bei denen ein Unterhaltspflichtiger
ebenfalls Unterhaltstitel (in Form vollstreckbarer Urkunden) errichten lassen konnte, hat sich an derselben Rechtsprechung orientiert. Von der
gesetzlichen Neuregelung potentiell betroffen sind Unterhaltspflichtige, die bisher Unterhalt nach Gruppe 1 bis 5 der Düsseldorfer Tabelle (100
bis 128 % des Regelbetrages) leisten mussten.
16 Ein höherer Bedarf als der Mindestbedarf (der regelmäßig mit 100 % des Regelbetrages angesetzt wurde) wurde dem Kind dabei regelmäßig nur
zuerkannt, wenn dem Unterhaltspflichtigen nach Leistung des Barunterhaltes zumindest der Bedarfskontrollbetrag nach Gruppe 2 oder der
entsprechend höheren Gruppe der Düsseldorfer Tabelle verblieb. Nur wenige Oberlandesgerichte (Frankfurt, Rostock und Thüringen) sehen in
ihren unterhaltsrechtlichen Leitlinien keine Beachtung des Bedarfskontrollbetrages vor (der eine ausgewogene Verteilung des Einkommens
zwischen Unterhaltsberechtigtem und -verpflichtetem gewährleisten soll).
17 Bis 1995 (vor Erhöhung des gesetzlichen Kindergeldes) entsprach es herrschender Meinung, dass zur Bedarfskontrolle der Kindesunterhalt mit
den Bedarfsbeträgen (also nicht mit den um das hälftige Kindergeld verminderten Zahlbeträgen) vom Einkommen des Verpflichteten abzusetzen
war (vgl. das Berechnungsbeispiel von Scholz , FamRZ 1993, 125, 133). Nachdem das Kindergeld ab 1996 deutlich erhöht worden ist und
nunmehr auch die Funktion eines Steuerentlastungsbetrages übernommen hat (der bisher ein selbstverständlicher Einkommensbestandteil war),
wird dies nicht mehr einheitlich gehandhabt. Eine Vielzahl von Gerichten setzt zur Bedarfskontrolle nur noch die Zahlbeträge vom Einkommen
ab. Mit welcher statistischen Häufigkeit das eine oder andere praktiziert wird, lässt sich aus Sicht des Senats nicht zuverlässig beurteilen; relativ
sicher ist nur, dass beide Berechnungsmethoden angewendet werden, ohne dass zwischen ihnen von einem eindeutigen Regel-Ausnahme-
Verhältnis gesprochen werden könnte. Dies ist dem Senat sowohl aus Gesprächen mit Kollegen wie aus Erörterungen mit Anwälten bekannt, die
mit der Bemessungspraxis bei anderen (erst- und zweitinstanzlichen) Familiengerichten vertraut sind. Wurde bei der Erstfestsetzung von
Unterhalt die zweite Methode praktiziert, musste z.B. ein Unterhaltspflichtiger mit einem Nettoeinkommen zwischen 2.700,00 und 3.100,00 DM
(wenn die Unterhaltsfestsetzung nach dem 1.7.1999 erfolgt ist), der (nur) für drei minderjährige Kinder Unterhalt schuldet, Unterhalt nach Gruppe
3 der Düsseldorfer Tabelle (also von 114 % des Regelbetrages) leisten, wenn ihm von seinem anrechenbaren Einkommen nach Abzug der
Zahlbeträge noch 1.700,00 DM oder mehr verblieben. Hält sich das verbleibende Einkommen im Bereich dieser Untergrenze, so kann die
gesetzliche Neuregelung je nach Alter der Kinder dazu führen, dass im vereinfachten Verfahren ein Unterhalt festgesetzt wird, wonach ihm nur
noch ein Einkommen zwischen 1.379,00 und 1.475,00 DM verbleibt: Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Kindesbedarf nach Gruppe 3, 3.
Altersstufe, der seinerzeit maßgeblichen Düsseldorfer Tabelle und 135 % des Regelbetrags in derselben Altersstufe beträgt 107,00 DM, das
Dreifache hiervon 321,00 DM; in diesem Umfang hat der Kindergeldabzug nach der gesetzlichen Neuregelung zu unterbleiben; war der
Bedarfskontrollbetrag von 1.700,00 DM beachtet worden, dem Pflichtigen aber auch kein höherer Betrag verblieben, so reduziert sich das für ihn
selbst verfügbare Einkommen nach einer Neufestsetzung ohne Rücksicht auf seine Leistungsfähigkeit auf den genannten (untersten) Betrag von
1.379,00 DM. Gehörten die drei Kinder der ersten Altersstufe an, beträgt der Unterschied zwischen 114 % und 135 % des Regelbetrages der
Düsseldorfer Tabelle, Stand: 01.07.1999, je 75 DM, das Dreifache hiervon 225 DM; nach Abzug dieses Betrages vom Bedarfskontrollbetrag von
1.700 DM blieben dem Unterhaltspflichtigen noch 1.475 DM.
18 Ergab sich, dass der Unterhaltspflichtige aus dem laufenden Einkommen nicht einmal den Regelbetrag (ohne Kindergeldabzug) aufbringen
konnte, so sah bereits § 1612 b Abs. 5 BGB in der bis 31.12.2000 gültigen Fassung vor, dass der Kindergeldabzug gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB
insoweit unterblieb, als der vom Schuldner aufzubringende Betrag hinter dem Regelbetrag zurückblieb. Auch schon vor Inkrafttreten dieser
Regelung entsprach es (zunächst) ganz herrschender Meinung, dass zur Sicherung des Mindestbedarfs nach § 1610 Abs. 3 BGB (also des
Regelbedarfs nach der Regelunterhalt-Verordnung) auch das Kindergeld einzusetzen war (BGHZ 104, 158 = FamRZ 1988, 705; FamRZ 1992,
539; 1987, 270 – Zählkindvorteil; noch weiter gehend FamRZ 1991, 182, 184; 1992, 1064, 1065: Einkommenszurechnung des Kindergeldes
außerhalb eines Mangelfalles; vgl. auch die Anm. C zur Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.1996). Auch in der in FamRZ 1997, 806 veröffentlichten
Entscheidung, in der der BGH seine Rechtsprechung zur Anrechnung von Kindergeld modifiziert hat, hat er es nicht für "unterhaltsfest" erklärt,
sondern seinen Einsatz für Unterhaltszwecke von Billigkeitserwägungen abhängig gemacht (und in einer späteren Entscheidung ohne nähere
Begründung bejaht, vgl. FamRZ 1999, 372, 374).
19 Bei einem vor dem 31.12.2000 errichteten Titel, der keinen höheren Zahlbetrag als den Regelbetrag abzüglich des hälftigen Kindergeldes
ausweist, kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Unterhaltspflichtige bei seiner Errichtung den vollen Regelbetrag aus dem
laufenden Einkommen (ohne Kindergeldeinbezug) aufbringen konnte.
20 Überprüft man sämtliche Einkommensgruppen nach dem obigen Schema und unterstellt (was der Rechtswirklichkeit in vielen Fällen
nahekommen dürfte), dass die letzte Unterhaltsfestsetzung oder -anpassung nach dem 1.1.1996 erfolgt ist und dass bei der bisherigen
Unterhaltsfestsetzung die Bedarfskontrollbeträge bzw. bei einer Festsetzung des Unterhalts nach der Einkommensgruppe 1 der notwendige
Selbstbehalt zwar beachtet wurden, hierbei aber nur die Unterhaltszahlbeträge (und nicht die Tabellenbeträge) berücksichtigt worden sind, so
kann bei einer Neufestsetzung des Unterhalts ohne Überprüfung der Leistungsfähigkeit im Extremfall (also wenn bei der Erstfestsetzung der
Bedarfskontrollbetrag bzw. in Gruppe 1 der notwendige Selbstbehalt nicht wesentlich überschritten war) zu Lasten des Unterhaltspflichtigen
folgendes herauskommen (alle Beträge in DM):
21
nach Neuregelung verbleibendes Einkommen
Erstfestsetzung nach Verbleibendes Einkommen
bei 1 Kind
bei 2 Kindern bei 3 Kindern
Gruppe 1
1.300/1.500
1.165/1.365
1.030/1.230
880/1.080
Gruppe 2
1.600
1.465 - 1.500 1.330 - 1.400 1.187 - 1.300
Gruppe 3
1.700
1.593 - 1.625 1.486 - 1.550 1.379 - 1.475
Gruppe 4
1.800
1.721 - 1.750 1.658 - 1.700 1.587 - 1.650
Gruppe 5
1.900
1.864 - 1.875 1.828 - 1.850 1.792 - 1.825
22 Die meisten Unterhaltsschuldner mit minderjährigen Kindern stehen im Erwerbsleben und leisten den Unterhalt aus Erwerbseinkommen. Der
Mindestselbstbehalt für Erwerbstätige ist bei Inkrafttreten der Neuregelung mit monatlich 1.500,00 DM (für nicht Erwerbstätige mit 1.300 DM)
angenommen worden. Die letzte Anhebung des notwendigen Selbstbehaltes in der Düsseldorfer Tabelle, von deren regelmäßiger Anwendung
in der Praxis der Gesetzgeber ausgehen konnte und musste, lag 5 Jahre zurück; auf Grund des fortschreitenden Anstiegs sowohl der
Verbraucherpreise als auch der Durchschnittseinkommen in diesem Zeitraum war absehbar, dass ein Selbstbehalt in dieser Höhe seiner
Funktion, dem Unterhaltspflichtigen einen fühlbar über dem eigenen Existenzminimum liegenden Eigenbedarf zu gewährleisten, nur noch
unvollständig gerecht wurde. Zum 1.7.2001 sind die Selbstbehaltssätze der Düsseldorfer Tabelle erwartungsgemäß um knapp 10 % angehoben
worden.
23 Die obige Berechnung zeigt, dass eine Neufestsetzung des Unterhalts ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners in den Fällen
nahezu zwangsläufig zu einer Unterschreitung des Selbstbehalts und damit zu einer Überforderung des Unterhaltsschuldners führt, in denen
bisher Unterhalt nach Gruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle (abzüglich des hälftigen Kindergeldes) tituliert worden ist. In den Fällen, in denen der
Unterhalt bisher nach Gruppe 2 der Düsseldorfer Tabelle bemessen wurde, ist dies – gemessen am seinerzeit maßgeblichen Selbstbehalt – nicht
zwangsläufig, aber häufig der Fall. Erst bei einer ursprünglichen Unterhaltsfestsetzung oberhalb von Gruppe 2 der Düsseldorfer Tabelle (Gruppe
3 bis 5) ist eine Überforderung des Unterhaltsschuldners durch die Neuregelung kaum zu befürchten. Zum einen ist der Extremfall (bei der
bisherigen Festsetzung wurde der Bedarfskontrollbetrag "ausgereizt") nicht der Regelfall. Zum zweiten stellt eine Barunterhaltspflicht für drei
minderjährige Kinder heutzutage die Ausnahme dar (die Durchschnittsfamilie hat ein bis zwei Kinder). Zum dritten schließlich ist vorliegend
unterstellt worden, dass bei der Bedarfskontrolle nicht die Bedarfs-, sondern die Zahlbeträge abgesetzt wurden, was, wie ausgeführt, einer zwar
verbreiteten, aber nicht durchgängigen Praxis entspricht (wurden statt dessen die Bedarfsbeträge abgesetzt, verblieb dem Schuldner der
Kindergeldanteil, den er nach § 1612 b Abs. 1 BGB vom Tabellenunterhalt absetzen konnte, wodurch sich der Zahlbetrag entsprechend
verringerte, zusätzlich zum Bedarfskontrollbetrag; die gesetzliche Neuregelung, wonach ihm der Kindergeldanteil ganz oder teilweise
"weggenommen" wird, gefährdet seine Leistungsfähigkeit somit nicht, so lange der seinerzeit maßgebliche Bedarfskontrollbetrag höher war als
der – neue – notwendige Selbstbehalt). In den wenigen Fällen, in denen die Neufestsetzung im vereinfachten Verfahren trotzdem auch bei
Schuldnern, die bisher schon Unterhalt nach einer höheren als der zweiten Einkommensgruppe geschuldet haben, zu einer Unterschreitung des
Selbstbehalts führt, sieht der Senat die Korrekturmöglichkeit nach § 656 ZPO als ausreichend zur Vermeidung eines verfassungswidrigen
Ergebnisses an. Das Gleiche gilt für die (statistisch wohl wenigen) Fälle, in denen bisher eine Unterhaltsfestsetzung auf einen höheren als den
Regelbetrag ohne Rücksicht auf den Bedarfskontrollbetrag vorgenommen worden ist.
24 Dagegen rechtfertigt der Zweck des vereinfachten Verfahrens nicht die Einbeziehung von Unterhaltstiteln, in denen – wie vorliegend – bisher
Unterhalt nach Gruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle (abzüglich des hälftigen Kindergeldes) festgesetzt wurde. Eine Neufestsetzung ohne
Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wie sie im Vereinfachten Verfahren nach § 655 ZPO erfolgt, führt hier in den
meisten Fällen zu einer unterhaltsrechtlichen Überforderung. Zu Lasten des Schuldners, dem im Vereinfachten Verfahren der meist allein Erfolg
versprechende Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit nicht gestattet wird, wird ein Titel errichtet, der überwiegend nicht der materiellen
Rechtslage entspricht und der (jedenfalls so lange sich keine zusätzlichen Abänderungsgründe ergeben) perpetuiert wird, wenn der
Unterhaltspflichtige sich nicht zeitnah in einem ordentlichen Verfahren (welches das Vereinfachte Verfahren seiner Zielsetzung nach gerade
vermeiden helfen will) zur Wehr setzt. Diese Abhilfemöglichkeit scheint desto unzulänglicher, als zu dem auf Schuldnerseite betroffenen
Personenkreis in überdurchschnittlichem Umfang auch Menschen mit geringer "sozialer Kompetenz" gehören, die mehr als andere Gefahr
laufen, die Wahrnehmung ihrer Rechte zu versäumen, d.h. konkret, den Einwand fehlender Leistungsfähigkeit nicht oder nicht rechtzeitig in
einem gesonderten, von ihnen anzustrengenden Verfahren vorzubringen, vor allem wenn er im Vereinfachten Verfahren – einfach-rechtlich
zutreffend – bereits als unbeachtlich zurückgewiesen worden ist. Die einander ergänzenden Regelungen der §§ 655, 656 ZPO werden von den
Bürgern trotz entsprechender (formularmäßiger) Belehrung durch das Familiengericht nicht verstanden, was für den Senat daraus offensichtlich
ist, dass in den einschlägigen Beschwerdeverfahren regelmäßig (nur oder in erster Linie) fehlende Leistungsfähigkeit eingewandt wird, obwohl
dieser Einwand von der ersten Instanz unter Hinweis auf die Gesetzeslage jeweils schon zurückgewiesen worden ist. Für die Inanspruchnahme
anwaltlichen Rates fehlt den Unterhaltspflichtigen, die bisher nur den Regelbetrag als Kindesunterhalt aufbringen mussten, das Geld. Die
Rechtsantragstellen der Amtsgerichte sind mangels hinreichender personeller Ausstattung angesichts der Vielzahl der Fälle, in denen sich das
Problem stellt, mit einer vergleichbaren (individuellen) Rechtsberatung überfordert. Durch die konkrete Verfahrensgestaltung wird die Mehrzahl
der Unterhaltspflichtigen, die sich in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren mit (mindestens teilweisem) Erfolg gegen eine
Unterhaltserhöhung um einen Betrag, der dem hälftigen anteiligen Kindergeld ganz oder überwiegend entspricht, wehren könnten, regelrecht
überrollt. Ein solches Verfahren widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen.
V.
25 § 2 UTAG unterwirft alle dort aufgezählten Schuldtitel über Kindesunterhalt, die vor dem 1.1.2001 errichtet wurden, ohne Rücksicht auf die Höhe
des titulierten Betrages auf entsprechenden Antrag des Unterhaltsgläubigers der Abänderung im Vereinfachten Verfahren. Eine
verfassungskonforme Auslegung, wonach Titel, die nicht mehr als den seinerzeit gültigen Regelbetrag abzüglich des hälftigen Kindergeldes
ausweisen, nicht nach dieser Vorschrift abänderbar sind, gibt die Vorschrift nicht her. Erst recht ist nicht zu erwarten, dass die Rechtspfleger,
denen die Durchführung des Vereinfachten Verfahrens übertragen ist, die verfassungsrechtliche Problematik ernst genug für eine Vorlage an
den Richter gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG nehmen.
26 Formulierungsschwierigkeiten bei der gesetzlichen Fassung eines – nach Überzeugung des Senats gebotenen – Ausnahmetatbestandes von
der Anwendung des § 2 UTAG, die es im Interesse der Rechtsklarheit rechtfertigen könnten, die Vorschrift auf alle Schuldtitel zu erstrecken, sind
nicht zu erkennen.
VI.
27 Die Entscheidung über die Beschwerde des Antragsgegners hängt (nur noch) von der Klärung der in der Beschlußformel gestellten
verfassungsrechtlichen Frage ab. Eine mündliche Verhandlung (die im vorliegenden Verfahren nicht vorgesehen ist) verspricht keine weitere
Sachaufklärung. Dass der im Vereinfachten Verfahren abzuändernde Unterhaltstitel keinen höheren Betrag als den seinerzeit geltenden
Regelbetrag abzüglich des hälftigen Kindergeldes ausweist, ist aktenkundig (Anl. zu Bl. 1). Wenn § 2 UTAG in dieser Fallkonstellation einer
verfassungsrechtlichen Prüfung standhält, ist die Beschwerde zurückzuweisen, wenn nicht (hiervon geht der Senat aus), hat sie Erfolg.