Urteil des OLG Stuttgart vom 29.10.2002

OLG Stuttgart: elterliche sorge, eltern, aufgabenbereich, kindeswohl, jugendamt, dokumentation, vertreter, vergütung, telefon, gespräch

OLG Stuttgart Beschluß vom 29.10.2002, 8 WF 20/02
Verfahrenspflegschaft: Aufgabenbereich und Vergütung des Verfahrenspflegers in Sorgerechtsverfahren
Gründe
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1. Bald, nachdem das AG die elterliche Sorge für das gemeinsame dreijährige Kind der getrennt lebenden Eltern auf die Mutter übertragen hatte,
hat der Vater beantragt, das Sorgerecht ihm Zu übertragen mit der Begründung, die Mutter sei nicht in der Lage, die erforderliche Stetigkeit in der
Betreuung des Kindes zu gewährleisten. Das AG hat unverzüglich für das Kind eine berufsmäßig tätige (auch im früheren Verfahren tätig
gewesene) Verfahrenspflegerin bestellt.
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Nach dem Scheitern von Beratungsgesprächen beim Jugendamt und Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachten kam
es zu einer Vereinbarung zwischen den Eltern über die Handhabung des väterlichen Besuchsrechts.
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Die Verfahrenspflegerin hat beantragt, ihr bei einem - unstreitigen - Satz von 60 DM pro Stunde eine Entschädigung für Zeitaufwand i.H.v. 1.058
DM, zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer, zusammen 1.313 DM, zu gewähren. Der Rechtspfleger hat die Zeitvergütung und anteilige
Telefonkosten um effektiv 377,30 DM gekürzt, weil diese Gespräche nicht erforderlich gewesen seien. Dagegen wendet sich die
Verfahrenspflegerin mit der sofortigen Beschwerde.
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2.a) Die sofortige Beschwerde der Verfahrenspflegerin ist nach § 56g Abs. 5 S. 1 i.V.m. §§ 50 Abs. 5, 67 Abs. 3 FGG ohne Zulassung durch das
AG zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands die Wertgrenze von 300 DM (bzw. nach neuem Recht 150 Euro) übersteigt.
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b) Das Rechtsmittel der Verfahrenspflegerin hat nur teilweise Erfolg.
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aa) Im Ansatz teilt der Senat die überwiegend in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die Aufgabe des Verfahrenspflegers darin
besteht, die Interessen des Kindes zu erkennen und sie in dem Verfahren zur Geltung zu bringen, in dem die Eltern hierzu aufgrund ihrer
eigenen widerstreitenden Interessen nicht mehr in der Lage sind. Ziel des Gesetzgebers war es, dem betroffenen Kind „einen gesetzlichen
Vertreter zur Durchsetzung von tatsächlich formulierten oder auch nur zu ermittelnden Interessen und Wünschen im Verfahren zur Seite zu
stellen” (BVerfG v. 7.6.2000 - 1 BvR 23/00, FamRZ 2000, 1280 [1281] = NJWE-FER 2000, 282; vgl. auch BVerfG FamRZ 1999, 85 [87]).
Gegenstand der Bestellung des Verfahrenspflegers ist es dagegen grundsätzlich nicht, darüber hinaus Tatsachen zu ermitteln, Nachforschungen
für die bestmögliche Entscheidung anzustellen, Hilfepläne zu erstellen, erzieherische oder therapeutische Maßnahmen zu ergreifen oder
zwischen den übrigen Verfahrensbeteiligten zu vermitteln; dies bleibt Aufgabe des Gerichts und des Jugendamts (vgl. z.B. OLG Frankfurt FamRZ
1999, OLG Frankfurt v. 3.7.2001 - 2 WF 82/01, 1293; 2002, 335; KG FamRZ 2000, 1300; KGReport 2001, 383; 2001, 385; OLG Schleswig v.
28.1.2000 - 15 WF 101/99, OLGReport Schleswig 2000, 177; OLG Brandenburg FamRZ 2001, 692; 2001, 1541; 2002, 626; OLG Braunschweig
FamRZ 2001, 776; OLG Dresden v. 19.12.2000 - 15 W 406/00, FamRZ 2001, 1540 [1541]; OLG Naumburg v. 19.6.2001 - 14 WF 75/01,
OLGReport 2001, 559 - juris. Rspr. = OLGReport 2001, 559 (LS); OLG Rostock FamRZ 2002, 969 = JurBüro 2002, 157). Nur der für die
Wahrnehmung dieser verfahrensbezogenen Aufgabe objektiv erforderliche Aufwand ist vergütungsfähig.
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Aus dem Beschluss des FamG zur Verfahrenspflegerbestellung ergibt sich ebenso wenig wie aus weiteren gerichtlichen Entscheidungen, dass
der Familienrichter den Aufgabenbereich des Verfahrenspflegers über den gesetzlichen Aufgabenbereich hinaus erweitert und dadurch einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. insoweit OLG Stuttgart, Beschl. v. 2.11.2000, Die Justiz 2002, 411; OLG Hamm v. 19.12.2000 - 15 W
406/00, FamRZ 2001, 1540 [1541]).
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bb) Andererseits ist ein Erkennen und eine Wahrnehmung der Interessen eines damals 3- bis 4-jährigen Kindes ohne Befassung mit seinem
Umfeld unmöglich. Deshalb müssen - je nach Alter des Kindes - in begrenztem Umfang auch Gespräche mit dessen Bezugspersonen oder
anderen Auskunftspersonen als notwendig und deshalb von der Aufgabenstellung eines Verfahrenspflegers umfasst angesehen werden mit der
Folge, dass der hierfür anfallende konkrete Zeitaufwand zu vergüten ist. Zu diesem Personenkreis gehören in erster Linie die Eltern, aber je nach
Lage des Falles etwa auch Großeltern, Kindergärtnerinnen bzw. Lehrer, Tagesmütter oder auch Ärzte und Vertreter des Jugendamts, wenn und
soweit dies zur Klärung des Kindesinteresses dient (in diesem Sinn, teilweise auch weiter gehend OLG Karlsruhe v. 27.12.2000 - 2 WF 126/00,
FamRZ 2001, 1166; OLG Zweibrücken v. 7.5.2001 - 6 WF 51/01, FamRZ 2002, 627; OLG München v. 11.2.2000 - 16 WF 1616/99, OLGReport
München 2000, 304 = FamRZ 2002, 563; OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.3.2000 - 2 WF 32/00 - nach Bl. 157 d.A.). Dabei lässt sich die veröffentlichte
Rechtsprechung der OLG schwerlich in gegensätzliche Positionen auseinander dividieren; sie differiert vielmehr je nach Einzelfall nur in
Nuancen.
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Eine zu enge Sichtweise der Vergütungsfähigkeit begründet die Gefahr, dass der Verfahrenspfleger seine Aufgabe nur in der Wahrung von
Förmlichkeiten sieht und sich in weitgehende Passivität zurückzieht; dadurch würde aber die ihm vom Gesetzgeber und vom BVerfG (BVerfG v.
7.6.2000 - 1 BvR 23/00) zugedachte Funktion verfehlt. Geboten ist deshalb eine „mittlere Linie”, die einerseits Vergütungen für Tätigkeiten
außerhalb des konkreten Verfahrenszwecks vermeidet, andererseits dem Verfahrenspfleger genügend Raum lässt, die ihm zugedachte Aufgabe
als „Anwalt des Kindes” ordentlich und engagiert zu erfüllen.
10 cc) Die Frage der Notwendigkeit von (Telefon-)Gesprächen ist grundsätzlich eine Frage des konkreten Einzelfalls. In der Regel können jeweils
die ersten Gespräche mit den Eltern und mit den anderen konkret in Betracht kommenden Personen als notwendig anerkannt werden; darüber
hinaus kommen auch Gespräche nach gewissen Verfahrensabschnitten, etwa nach der Vorlage eines Sachverständigengutachtens, als
erforderlich in Betracht (vgl. insb. OLG Frankfurt FamRZ 2002, 335). Allerdings ist es schwierig, die Notwendigkeit einzelner Gespräche
nachträglich nachzuvollziehen bzw. im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu überprüfen, zumal die Anforderungen an die Dokumentation solcher
Gespräche durch den Verfahrenspfleger hinsichtlich seines Zeitaufwands auch nicht überspannt werden dürfen, um nicht dadurch zu einem
eigenständigen Kostenfaktor zu werden. Indes ist anerkannt, dass die Dokumentation des Zeitaufwands so gestaltet sein muss, dass der geltend
gemachte Vergütungsanspruch auf Plausibilität überprüft werden kann (vgl. OLG Brandenburg v. 14.8.2001 - 9 WF 118/01, FGPrax 2001, 240 =
FamRZ 2002, 626; FPR 2002, 280; OLG Zweibrücken v. 7.5.2001 - 6 WF 51/01, OLGReport Zweibrücken 2002, 155 = FamRZ 2002, 627).
11 Deshalb hält es der Senat für geboten, in Fortführung früherer Erwägungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände einen
pauschalierten Zeitaufwand anzusetzen und den tatsächlich geltend gemachten Zeitaufwand auf ein sachlich angemessenes Maß zu reduzieren.
12 dd) Im vorliegenden Fall hat der Rechtspfleger diese Sichtweise seiner Festsetzung zwar im Ansatz zutreffend zugrunde gelegt, jedoch i.E. einen
zu engen Maßstab angelegt.
13 Von den geltend gemachten Telefongesprächen der Verfahrenspflegerin mit der Mutter des Kindes mit einer Dauer von insgesamt 73 Minuten
hat er nur 23 Minuten (2 Gespräche von 11 und 12 Minuten) als vergütungsfähig erachtet; von den Telefongesprächen mit dem Vater mit einer
Dauer von 4 Stunden und 40 Minuten (280 Minuten) hat er nur 1 Gespräch mit einer Dauer von 14 Minuten akzeptiert. Diese Zeiten sind nach
Ansicht des Senats zu kurz, um dem Verfahrenspfleger ein ausreichendes Bild von den für die Interessenwahrnehmung des Kindes im Verfahren
maßgeblichen Umständen zu verschaffen.
14 Hier erscheint es unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten des Falles sachgerecht, für die Gespräche mit dem Vater eine Gesprächsdauer von
insgesamt 2 Stunden - ohne dass es einer genauen Aufteilung auf die tatsächlichen Telefongespräche bedarf - als noch im Rahmen des
normalen Aufgabengebiets der Verfahrenspflegerin liegend und somit als vergütungsfähig anzusehen. Dagegen überschreitet - auch unter
Berücksichtigung der „schwierigen Persönlichkeit des Vaters” - der Umfang der mit diesem tatsächlich geführten Telefongespräche von 4
Stunden und 40 Minuten das Maß dessen, was als objektiv notwendig nachvollzogen werden kann. Den Vater zur Teilnahme an den
Beratungsgesprächen beim Jugendamt zu motivieren, geht ebenso über den Aufgabenbereich eines Verfahrenspflegers hinaus wie die
Erläuterung der Rechtslage oder der Sichtweise des Gerichts. Somit sind nicht nur 14 Minuten Telefongespräche, sondern - höchstens - 120
Minuten zu vergüten. Dies ergibt zusätzliche 106 DM Zeitvergütung und (geschätzte) 14 DM weitere Telefonkosten, zusammen 120 DM.
15 Die mit der Mutter geführten Gespräche mit einem Zeitaufwand von 73 Minuten können danach in vollem Umfange als notwendig anerkannt
werden. Somit sind weitere 50 Minuten und erhöhte Telefonkosten von 5 DM, zusammen 55 DM, ergänzend zu vergüten.
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17 ee) Die weitergehende Beschwerde der Verfahrenspflegerin - und damit auch ihr Antrag auf Festsetzung weiterer 204,30 DM - war dagegen
zurückzuweisen, weil es sich insoweit um einen Zeitaufwand gehandelt hat, der nicht mehr in nachvollziehbarer Weise durch ihre
Aufgabenstellung nach §§ 50, 67 FGG gedeckt war, selbst wenn er letztlich auch dem Kindeswohl dienlich gewesen sein dürfte. Wie bereits
ausgeführt, überschreitet es den Aufgabenbereich eines Verfahrenspflegers, wenn er einem anderen Verfahrensbeteiligten - hier dem Vater - die
im Interesse des Kindes liegende Lösung des Konflikts durch lange Gespräche nahe bringen und dadurch zwischen den Eltern vermitteln will.
Eine so weitreichende, kaum begrenzbare Vergütungspflicht für alle Tätigkeiten, die ein nur am Kindeswohl orientierter Verfahrenspfleger nach
eigenen Maßstäben für zweckmäßig erachtet (vgl. OLG Naumburg v. 19.6.2001 - 14 WF 75/01, OLGReport 2001, 559), hätte eine andere
gesetzliche Regelung erfordert.
18 Die Zulassung einer weiteren Beschwerde (§ 56g Abs. 5 S. 2 FGG) kommt hier nicht in Betracht.