Urteil des OLG Köln vom 10.12.2010
OLG Köln (wiedereinsetzung in den vorigen stand, fortsetzung des mietverhältnisses, wohnung, hauptverhandlung, stpo, räumung, tag, beschwerde, vermieter, stand)
Oberlandesgericht Köln, III-1 Ws 159/10
Datum:
10.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
1. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-1 Ws 159/10
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
1
I.
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Das Amtsgericht Euskirchen hat den Angeklagten mit Urteil vom 1. Juli 2010 wegen
Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt.
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Der Angeklagte hat gegen diese Entscheidungen Berufung eingelegt; er ist indes im
Hauptverhandlungstermin vom 13. September 2010 nicht erschienen. Daraufhin ist sein
Rechtsmittel durch Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bonn vom selben
Tag verworfen worden.
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Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. September 2010 hat der Angeklagte
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des
Hauptverhandlungstermins beantragt und zugleich gegen das - am 14. September 2010
zugestellte - Urteil Revision eingelegt.
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Er hat geltend gemacht, dass er wegen der für den Tag der Hauptverhandlung
angekündigten Zwangsräumung seiner Wohnung diese nicht habe verlassen können.
Das habe sein telefonisch von ihm unterrichteter Verteidiger in der Hauptverhandlung
dem Gericht mündlich mitgeteilt. Das Landgericht habe den Begriff der genügenden
Entschuldigung im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO verkannt.
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Mit seinem Wiedereinsetzungsantrag hat der Angeklagte ein Schreiben seines
Vermieters vom 6. September 2010 vorgelegt, in dem es heißt:
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"Sehr geehrter Herr U.,
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da Sie meiner Aufforderung, Ihre Mietrückstände zu tilgen, nicht nachgekommen
sind, fordere ich sie auf, die Wohnung bis zum 12.09.2010 komplett zu räumen
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und an mich mit sämtlichen Schlüsseln herauszugeben.
Falls Sie dies nicht freiwillig tun, erfolgt am 13.09.2010 die Zwangsräumung."
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Dazu wird weiter vorgetragen, tatsächlich sei der Vermieter dann auch im Laufe des
Tages mit seinem eigenen Wohnungsschlüssel erschienen, um die Räumung zu
vollziehen. Das habe Anlass zu einem Polizeieinsatz gegeben.
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Das Landgericht Bonn hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit
Beschluss vom 21. September 2010 als unbegründet verworfen und zur Begründung
ausgeführt, der Angeklagte habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihm im
Hinblick auf die angedrohte Zwangsräumung die Teilnahme an der
Berufungshauptverhandlung nicht zumutbar gewesen sei.
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Gegen diese, am 28. September 2010 zugestellte Entscheidung hat der Angeklagte mit
Verteidigerschriftsatz vom selben Tag (Eingang bei Gericht am 29. September 2010)
sofortige Beschwerde eingelegt. Darin trägt er ergänzend vor, dass gegen ihn und die
Mitbewohnerin der Wohnung, Frau S-M, bereits seit dem 6. Februar 2010 ein
Räumungstitel bestanden habe. Seine Mitbewohnerin habe sich am Morgen des 13.
September 2010 nicht in der Wohnung befunden, daher habe er diese "bewachen"
müssen. Erst als Frau S-M am Nachmittag erschienen sei, habe er diese kurz zum
Zwecke des Einkaufens verlassen können. Seine Mitbewohnerin habe sich dann im
Beisein der von ihr herbeigerufenen Polizei mit dem Vermieter auf einen Aufschub der
Räumung verständigen können.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat zur Entscheidung über die
sofortige Beschwerde vorgelegt, die sie für begründet erachtet.
14
II.
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1.
16
Die gemäß §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht
eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat
den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht als unbegründet
zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt kein für den Angeklagten
günstigeres Ergebnis.
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a)
18
Eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO ist anzunehmen,
wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalles dem Angeklagten wegen seines
Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (SenE v. 15.11.1996 - Ss
594/96 - = NStZ-RR 1997, 208; SenE v. 07.04.2000 - Ss 11/00 -; SenE v. 24.10.2008 -
83 Ss 76/08 - = NStZ-RR 2009, 86 = JMinBl NW 2009, 54; BayObLG NJW 2001, 1438
[1439] = VRS 100, 351 [352 f.] = NZV 2001, 272; OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 338
[339]; OLG Karlsruhe VRS 118, 211; vgl. auch: Paul in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6.
Aufl., § 329 Rdnr. 10 m.w.N.). Bei der Entscheidung darüber muss das Gericht eine
Abwägung treffen zwischen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, vor Gericht zu
erscheinen, und den persönlichen oder privaten Gründen des Angeklagten, die ihn dazu
bewogen haben, dieser Pflicht nicht nachzukommen (SenE v. 08.12.2009 - 81 Ss 77/09
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- = VRS 118, 182). Grundsätzlich hat die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, Vorrang
gegenüber privaten und geschäftlichen Interessen (SenE v. 23.12.2008 - 81 Ss-OWi
95/08 -; BayObLG NJW 2001, 1438 [1439] = VRS 100, 351 [352] = NZV 2001, 272).
Es ist aber anerkannt, dass private Angelegenheiten das Ausbleiben entschuldigen
können, wenn sie unaufschiebbar oder unter Berücksichtigung des gegen den
Betroffenen erhobenen Schuldvorwurfs von solcher Bedeutung sind, dass ihm das
Erscheinen vor Gericht billigerweise nicht zugemutet werden kann und die öffentlich-
rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise
zurücktreten muss (SenE v. 23.12.2008 - 81 Ss-OWi 95/08 -)
20
b)
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Gemessen an diesen Maßstäben war das Ausbleiben des Angeklagten in der
Berufungshauptverhandlung vom 13. September 2010 nach seinem eigenen Vorbringen
nicht genügend entschuldigt.
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Dabei geht der Senat davon aus, dass eine unmittelbar bevorstehende Zwangsräumung
der Wohnung für den Betroffenen einen Umstand darstellen kann, der sein Fernbleiben
in der Hauptverhandlung zu entschuldigen vermag. Angesichts der erheblichen
Auswirkungen des drohenden Verlustes der Wohnung auf die persönliche
Lebensführung ist es einem Angeklagten grundsätzlich nicht zuzumuten, durch die
Teilnahme am Hauptverhandlungstermin darauf zu verzichten, seine Belange im
Zusammenhang mit der anstehenden Zwangsräumung wahrzunehmen. Ihm ist vielmehr
zuzubilligen, dass er die Vorgänge überwachend begleitet und/oder die ihm zu Gebote
stehenden Maßnahmen ergreift, um die Räumung möglicherweise noch abzuwenden.
Das schließt ein, auch persönlich anwesend zu sein.
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Das bedeutet indessen nicht, dass die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zum
Erscheinen in der Hauptverhandlung in einem solchen Fall stets zurückzutreten hätte;
ihr grundsätzlicher Vorrang bleibt vielmehr unberührt. Von daher war auch im
vorliegenden Fall der Angeklagte gehalten, im Rahmen des Möglichen geeignete
Schritte zu unternehmen, um trotz der angekündigten Zwangsräumung auch an der
Hauptverhandlung teilnehmen zu können.
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Sein Vortrag lässt indessen nicht erkennen, dass er sich in dieser Hinsicht überhaupt
bemüht hat.
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Der Angeklagte war durch das Schreiben seines Vermieters vom 6. September 2010
bereits annähernd eine Woche vor dem 13. September 2010 über dessen Absicht, die
Wohnung notfalls zwangsweise zu räumen, informiert worden. Dem Angeklagten
verblieb damit im Vorfeld ausreichend Zeit, sich mit seinem Vermieter mit dem Ziel einer
Verständigung in Verbindung zu setzen. Auch wenn angesichts seiner knappen
finanziellen Mittel eine Einigung über die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zu
erzielen gewesen wäre, hätte der Angeklagte jedenfalls der Versuch unternehmen
können, eine kurzfristige Verschiebung der Räumung unter Hinweis auf die Kollision
des dafür vorgesehenen Termin mit einer gerichtlichen Ladung zu vereinbaren.
Anhaltspunkte dafür, dass dies von vornherein aussichtslos gewesen wäre, bestehen
nicht. Vielmehr ist es der Mitbewohnerin der Wohnung, Frau S-M, gelungen, sich mit
dem Vermieter hinsichtlich eines Auszugstermins zu verständigen. Es ist nicht
ersichtlich, dass eine entsprechende Verständigung an den Tagen vor dem Terminstag
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nicht möglich gewesen wäre.
Darüber hinaus erschließt sich nach dem Antragsvorbringen nicht, weshalb die Belange
des Angeklagten im Zusammenhang mit der Wohnungsräumung nicht bereits in den
Vormittagsstunden durch Frau S-M, gegen die der Räumungstitel ebenfalls lautete,
wahrgenommen werden konnten, wie es im weiteren Verlauf des Tages dann auch
tatsächlich - und mit dem Ergebnis einer Abwendung der Räumung an diesem Tag -
geschehen ist. Es heißt dazu lediglich, dass sie sich am Morgen des 13.9.2010 nicht in
der gemeinsamen Wohnung befand. Der Vortrag des Angeklagten lässt aber nicht
erkennen, dass auch diese Abwesenheit - etwa wegen beruflicher Verpflichtungen
seiner Mitbewohnerin - unvermeidlich war. Er vermittelt vielmehr insgesamt den
Eindruck, dass der Angeklagte nach Erhalt des Schreibens vom 6. September 2010
nichts unternommen hat, um sich die Möglichkeit zu eröffnen, trotz der Ankündigung
seines Vermieters der Pflicht zum Erscheinen in der Berufungshauptverhandlung
nachzukommen.
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2.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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3.
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Mit der vorliegenden Entscheidung ist das Wiedereinsetzungsverfahren rechtskräftig
abgeschlossen. Über die Revision des Angeklagten gegen das Verwerfungsurteil des
Landgerichts wird nach Antragstellung der Generalstaatsanwaltschaft zu entscheiden
sein.
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