Urteil des OLG Köln vom 15.10.2008

OLG Köln: öffentliche sicherheit, örtliche zuständigkeit, behörde, abschiebungshaft, obg, sicherungshaft, bezirk, amtshilfeersuchen, aufenthalt, stadt

Oberlandesgericht Köln, 16 Wx 215/08
Datum:
15.10.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
16. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Wx 215/08
Tenor:
Der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom
23.09.2008 - 3 T 309/08 - und die Haftanordnung des Amtsgerichts
Aachen vom 22.08.2008 - 620 XIV 64. B - werden aufgehoben.
Der Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft wird zurückgewiesen.
Der Betroffene ist sofort aus der Haft zu entlassen.
Die notwendigen Auslagen des Betroffenen, die im Verfahren der
Erstbeschwerde und im Verfahren der weiteren Beschwerde entstanden
sind, hat der Antragsteller zu tragen.
G r ü n d e
1
I.
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Der Asylantrag des Betroffenen, der sich seit 1999 in der Bundesrepublik Deutschland
aufhält, wurde durch rechtkräftigen Bescheid des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge im Jahre 2001 abgelehnt. Zugleich wurde dem Betroffenen eine
Ausreisefrist von einem Monat unter Androhung der Abschiebung gesetzt. Der
Aufenthalt des Betroffenen wurde durch wiederholte Aussetzung der Abschiebung
zuletzt am 15.07.2006 bis zum 28.07.2008 geduldet, wobei der Aufenthalt auf das
Saarland beschränkt wurde, da er nicht über einen gültigen Pass verfügt und keine
Passersatzpapiere ausgestellt wurden. In dieser Zeit hielt der Betroffene sich zunächst
in M./Rheinland-Pfalz auf. Bei dem dortigen Landesamt für Ausländer- und
Flüchtlingsangelegenheiten in M., das die jeweiligen Duldungen angeordnet hatte,
erschien der Betroffene nach dem 28.07.2008 nicht mehr, sondern tauchte unter. Er
wurde im August in C. aufgegriffen und am 22.08.2008 durch die belgischen Behörden
im Rahmend des DÜ-Verfahrens von Belgien nach B. überstellt. Die Stadt B. stellte an
diesem Tag im Wege der Amtshilfe für das Landesverwaltungsamt – Zentrale
Ausländerbehörde- in M. beim Amtsgericht einen Antrag auf Sicherungshaft, die das
Gericht bis zum 21.11.2008 angeordnet hat. Die dagegen eingelegte Erstbeschwerde
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blieb ohne Erfolg. Dagegen richtet sich das fristgemäß eingelegte Rechtsmittel des
Betroffenen.
II.
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Die gemäß §§ 3 Satz 2, 7 Abs. 1 FEVG, 27, 29 FGG zulässige sofortige weitere
Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer
Verletzung des Gesetzes beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Die Abschiebungshaft
kann nicht aufrechterhalten werden, weil der Antrag nicht von der zuständigen
Ausländerbehörde gestellt worden ist und deshalb die Haftanordnung unzulässig ist.
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1. Gemäß § 3 S. 1 FEVG setzt die Anordnung der Abschiebungshaft den Antrag der
zuständigen Behörde voraus. Das Vorliegen eines zulässigen Antrags ist
Verfahrensvoraussetzung und in jeder Lage des Verfahrens und damit auch durch
das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen (vgl. OLG München vom 28.09.2006 – 34
Wx 115/06 –; KG vom 25.08.2006 – 25 W 70/05-; OLG Karlsruhe vom 15.05.2008
– 14 Wx 10/08-, alle bei Melchior, Abschiebungshaft, im Anhang).
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2. Im vorliegenden Fall war der Oberbürgermeister der Stadt B. für die Stellung eines
Antrags auf Sicherungshaft örtlich nicht zuständig.
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In Nordrhein-Westfalen wird die örtliche Zuständigkeit für die Ausländerbehörden über §
12 Abs. 2 OBG in § 4 OBG geregelt, da das nordrhein-westfälische Landesrecht
zweifelsfrei davon ausgeht, dass das Ausländerrecht dem Recht der Gefahrenabwehr
zugehört (vgl. OVG NRW vom 10.07.1997, NVwZ-RR 1998, 201 f; VG Düsseldorf v.
17.11.2004 – 24 L 2438/04 -; VG Aachen v. 23.03.2006- 3 L 13/06 -). Die
Ausländerbehörden sind demnach Sonderordnungsbehörden im Sinne des OBG. § 4
OBG stellt für die örtliche Zuständigkeit darauf ab, in welchem Bezirk "die zu
schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden". Das ist dort der Fall, wo der
Ausländer, von dem Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen,
sich in Widerspruch zu ausländerrechtlichen Vorschriften aufhält (vgl. OLG Hamm,
OLGR NRW 2007, 667; Senat vom 08.05.2007, OLGR NRW 2007, 769; OVG NRW vom
10.07.1997, a.a.O.).
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Ein solcher Aufenthaltsort des Betroffenen besteht in B. nicht. Der Betroffene wurde am
22.09.2008 in B. den deutschen Behörden von den belgischen Behörden überstellt.
Ansonsten hat der Betroffene sich nie – soweit aktenkundig - in B. aufgehalten. Damit
fehlt es im Bezirk B. an einem Tatbestand, von dem Gefahren für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung ausgehen.
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3. Die Antrag stellende Behörde wird auch nicht durch das Amtshilfeersuchen der
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zuständigen Behörde in M. - Landesverwaltungsamt – Zentrale Ausländerbehörde-
selbst zur zuständigen Behörde. Ob und in welchem Umfang durch ein rechtlich
zutreffendes Amtshilfeersuchen eine Zuständigkeitsverlagerung erfolgen kann (vgl.
dazu OLG Karlsruhe vom 15.05.2008 – 14 Wx 10/08-), kann hier offen bleiben.
Die Voraussetzungen einer Amtshilfe, die wegen des Gebots der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung bei zu beachtenden Zuständigkeitsnormen – wie hier – einzuhalten sind,
liegen für die Antragstellung nicht vor. Diese Voraussetzungen sind in § 5 VwVfG bzw. §
5 VwVfG NW inhaltsgleich geregelt. Danach setzt die Leistung von Amtshilfe voraus,
dass sie zur rechtmäßigen Aufgabenerfüllung tatsächlich erforderlich ist (vgl. OLG
Karlsruhe, a.a.O. m.w.N.). Diese Fälle sind in § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VwVfG umschrieben.
Hier liegt keiner dieser Fälle vor. Für die Ausländerbehörde in M. war die Antragstellung
gegenüber dem Amtsgericht B. weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen
unmöglich ( Nr. 1 und 2). Vielmehr bedurfte es lediglich der Übersendung des Antrags
mit den dazugehörigen Unterlagen per Telefax an das Gericht. Der zuständigen
Behörde war die Überstellung jedenfalls einen Tag zuvor bekannt gemacht worden, wie
ihr Schreiben vom 21.08.2008 (Bl. 9 GA) ausweist. Damit verblieb genügend Zeit, um
die Antragstellung vorzubereiten und diesen Antrag einschließlich Anlagen dem
Amtsgericht per Fax zu übermitteln. Tatsächlich hat die antragstellende Behörde das
Schreiben der Zentralen Ausländerbehörde auch rechtzeitig dem Gericht zugeleitet.
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Auch die weiteren Alternativen des § 5 Abs. 1 VwVfG rechtfertigen eine Amtshilfe nicht.
Weder liegt der Fall der fehlenden Unterlagen (Nr. 4) vor, noch war eine unmittelbare
Antragstellung durch die Zentrale Ausländerbehörde in M. mit wesentlich größerem
Aufwand verbunden (Nr.5). Schließlich bedurfte es zur Antragstellung auch keines
Mitarbeiters vor Ort, der dort Kenntnis von bisher nicht bekannten Tatsachen erhält, die
sich nur dort ermitteln lassen (Nr. 3). Für die Antragstellung bestand ein solches
Bedürfnis für weitere Ermittlungen vor Ort nicht. Soweit für die im Falle einer
Haftanordnung erfolgenden richterlichen Anhörung des Betroffenen die Anwesenheit
eines Vertreters der antragstellenden Behörde erforderlich gewesen sein mag, ist dies
unabhängig von der Antragstellung zu beurteilen. Zur Erfüllung der Voraussetzungen
des § 3 FEVG ist allein auf die
Antragstellung
abzustellen. Ob die zuständige Behörde für ihr weiteres Vorgehen um Amtshilfe
ersuchen kann, spielt dafür keine Rolle.
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Da die Voraussetzungen einer Erforderlichkeit der Amtshilfe zu verneinen sind, bestand
für die zuständige Behörde in M. kein Grund, abweichend von den gesetzlichen
Zuständigkeitsvorschriften im Wege der Amtshilfe vorzugehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 16 FEVG. Unabhängig davon, ob der Betroffene
durch sein Verhalten Anlass zur Anordnung der Abschiebungshaft gegeben hat, hat er
jedenfalls keine Ursache dazu gesetzt, dass der Haftantrag durch eine nicht zuständige
Behörde gestellt wurde.
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