Urteil des OLG Köln vom 11.02.2006

OLG Köln: wohl des kindes, bangladesch, elterliche sorge, kindeswohl, umzug, trennung, französisch, elternrecht, sorgerecht, kindergarten

Oberlandesgericht Köln, 4 UF 229/05
Datum:
11.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 UF 229/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 41 F 441/05 (EASO)
Tenor:
1.)
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss
des Amtsgerichts - Familiengericht - Bonn vom 5.12.2005 - 41 F 441/05
EA SO - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2.)
Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin Q in C
bewilligt.
G r ü n d e
1
I.
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Die gemäß §§ 621 g, 621 Abs. 1 Nr. 1, 620 c ZPO zulässige - insbesondere frist- und
formgerecht eingelegte - sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache
keinen Erfolg. Zu Recht hat das Familiengericht im Wege des einstweiligen
Anordnungsverfahrens das Aufenthaltsbestimmungsrecht bezüglich der beiden
gemeinsamen Kinder der Beteiligten zu 1.) und 2.) vorläufig bis zur Entscheidung in der
Hauptsache nach § 1671 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB auf die Kindesmutter übertragen.
Nach der Trennung der Kindeseltern steht zu erwarten, dass die Aufhebung dieses
Teilbereiches der gemeinsamen Sorge und deren Übertragung auf die Kindesmutter
dem Wohl der Kinder am Besten entspricht. Dem steht die beabsichtigte
Berufsaufnahme der Kindesmutter in Bangladesch und der damit verbundene Umzug
der Kindesmutter und ihrer beiden Kinder sowie die dadurch bedingte Beeinträchtigung
des Umgangs des Beteiligten zu 2.) (Kindesvater) mit den Kindern nicht entgegen.
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Insbesondere verletzt die getroffene Entscheidung den Beteiligten zu 2.) in seinen
Grundrechten aus Artikel 6 GG nicht in unzumutbarer Weise.
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Artikel 6 Abs. 2 GG schützt die Eltern-Kind-Beziehung und sichert den Eltern das Recht
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auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Dieses Freiheitsrecht dient in erster Linie dem
Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der
Elternverantwortung ist. Allerdings bedarf das Elternrecht, das den Eltern gemeinsam
zusteht, insbesondere auch für den Fall, dass die Eltern sich bei der Ausübung ihres
Rechts nicht einigen können, der gesetzlichen Ausgestaltung. Dem dient § 1671 Abs. 2
Nr. 2 BGB, der bestimmt, dass einem Elternteil auf Antrag die elterliche Sorge oder ein
Teil der elterlichen Sorge (wie hier das Aufenthaltsbestimmungsrecht) allein zu
übertragen ist, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und
die Übertragung auf die Antragstellerin dem Wohl des Kindes am Besten entspricht (so
BVerfG FPR 2003, 671 = FamRZ 2003, 1731 m.w.N.).
Ein Regelungsbedürfnis ergibt sich ohne Weiteres aus dem Streit der Kindeseltern, ob
die Kinder in Deutschland zu verbleiben haben oder ob es der Kindesmutter erlaubt ist,
zusammen mit ihren Kindern nach Bangladesch zu ziehen, um hier eine Arbeitsstelle
aufzunehmen. Diesbezüglich fehlt es den Kindeseltern an einem Mindestmaß an
Übereinstimmung bzw. Kooperationsbereitschaft, das es gestatten würde, beide neben
dem Sorgerecht im Übrigen auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur gemeinsamen
Ausübung zu belassen.
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Es ist allerdings umstritten, inwieweit es dem sorgeberechtigten Elternteil gestattet ist,
zusammen mit gemeinsamen Kindern in einen fernliegenden Staat umzuziehen mit der
Folge der dadurch bedingten tatsächlichen Beeinträchtigung des Umgangsrechtes des
anderen Elternteils. Nach der weitest gehenden Auffassung wird die Befugnis des
Personensorgeberechtigten bzw. des Elternteils, dem die Sorgeberechtigung zum
Zwecke der Umsiedlung übertragen werden soll den Aufenthalt des Kindes zu
bestimmen, durch das Umgangsrecht des anderen Elternteils grundsätzlich nicht
beeinträchtigt. Nach einer vermittelnden Auffassung bedarf es der Gewichtung der
Sorgerechtseignung des Elternteils und einer Abwägung der Gründe, Deutschland zu
verlassen. Bei deutlich besserer Eignung des Elternteils, der ins Ausland verziehen will,
müsse - so diese Auffassung - das Umgangsrecht als das "schwächere Recht"
zurücktreten. Schließlich wird auch die Auffassung vertreten, dass der Umzug in ein
entfernteres fremdes Land mit dem Kind im Zweifelsfall zu unterbleiben habe. Hier
gerieten Umgangs- und Sorgerecht in ein Konfliktverhältnis. Die Vermutung des § 1626
Abs. 3 Satz 1 BGB spreche für die Kindeswohlschädlichkeit eines solchen Vorhabens,
wenn die Ausübung des Umgangsrechts auf Seiten des anderen Elternteils hierdurch
wesentlich erschwert oder ganz vereitelt werde (vgl. zum Meinungsstreit OLG
Zweibrücken NJW-RR 2004, 1588 m.w.N.).
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Im Hinblick auf die vorzitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nach
Auffassung des Senates der letzteren Auffassung nicht gefolgt werden. Die
vorgenommene Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes allein auf die
Antragstellerin erfordert allerdings im Hinblick auf die betroffenen Rechtspositionen von
Antragstellerin und Antragsgegner eine Prüfung dahin, ob die beabsichtigte
Verlagerung des Aufenthaltes der Kinder für das Kindeswohl nachteilig ist zur
Voraussetzung (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2000, 1603). Die Prüfung nach den
genannten Kriterien ergibt, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes
auf die Antragstellerin für das Kindeswohl nicht nur nicht nachteilig ist, sondern ihm am
Besten entspricht.
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Dies schon deshalb, weil damit eine andernfalls mit einer Berufsaufnahme der
Antragstellerin in Bangladesch notwendigerweise verbundene Trennung der
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Kindesmutter von ihren Kinder verhindert und somit deren stärkere gefühlsmäßigen
Bindungen an die Antragstellerin als bislang betreuender Bezugsperson Rechnung
getragen und insoweit Kontinuität gewahrt wird. Die betroffenen Kinder sind bisher ganz
überwiegend von der Kindesmutter betreut worden. Der Kindesvater hat sich
studienbedingt weitgehend in Italien aufgehalten und ist nur gelegentlich mit seinen
Kindern zusammengetroffen. Bisher hatte die Antragstellerin die Hauptlast der
Kindererziehung wie auch des Unterhaltes der Familien insgesamt zu besorgen. Das
stellt keinen Vorwurf an den Kindesvater dahin dar, er habe sich nicht ausreichend um
seine Kinder gekümmert. Die Kindeseltern wussten um die berufliche Situation des
Antragsgegners. Hierauf galt es sich einzustellen. Gleichwohl ist es eine objektive
Tatsache, dass die konkrete Familiensituation dazu geführt hat, dass die beiden Kinder
weitgehend an die Mutter gebunden und die sozialen Kontakte zum Kindesvater eher
locker sind.
Unter diesen Gesichtspunkten hält es der Senat nicht mit dem Kindeswohl vereinbar,
die beiden Kinder beim Kindesvater zu belassen und der Kindesmutter zuzumuten,
alleine ihre Arbeit in Bangladesch aufzunehmen. Schon der recht ungesicherte soziale
Status des Kindesvaters in Deutschland spricht gegen eine solche Lösung. Der
Antragsgegner hat kaum Bindungen in Deutschland. Er hat hier nur vorübergehend
studiert. Seine überwiegenden sozialen Kontakte liegen in seiner Heimat und in Italien.
Die beiden noch recht jungen betroffenen Kinder wären geistig und seelisch überfordert,
wenn sie aus ihrem von der Kindesmutter geprägten sozialen Umfeld herausgerissen
würden und nun mit dem Kindesvater allein zusammen leben müssten.
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Andererseits kann der Kindesmutter nicht zugemutet werden, nur um ein umfassendes
Umgangsrecht des Kindesvaters zu gewährleisten, ihre berufliche Entwicklung
hintanzustellen und (möglicherweise arbeitslos) in Deutschland zu verbleiben. Die
Antragstellerin ist Akademikerin und hat nach Abschluss ihres Studiums bisher stets in
internationalen Organisationen gearbeitet. Das sich nun der Antragstellerin eröffnende
Betätigungsfeld für die EU-Kommission in Bangladesch gibt ihr eine gute berufliche
Perspektive, die mittelfristig auch die Entwicklung ihrer Kinder in wirtschaftlicher
Hinsicht gewährleisten kann. Dies gesichert zu wissen, muss auch im Interesse des
Antragsgegners liegen. Dabei ist zu beachten, dass die Antragstellerin - so wie sie in
der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht erklärt hat - durchaus die
Möglichkeit hat, nach etwa drei Jahren eventuell wieder ins europäische Ausland oder
sogar nach Deutschland zurückzukehren. Auch dies ergibt für den Antragsgegner eine
Perspektive, wonach er in nicht zu ferner Zukunft sein Umgangsrecht wieder in
erheblich größerem Umfang als momentan ausüben kann. Soweit der Antragsgegner
befürchtet, dass eine Beeinträchtigung des Umgangsrechtes gerade auch deswegen
eintreten könnte, weil ihm nunmehr ein Bleiberecht in Deutschland verweigert werden
könnte, ist auch dies in die Entscheidung mit einzubeziehen, kann letztendlich aber kein
durchgreifender Gesichtspunkt für eine andere Entscheidung sein. Hierbei ist zunächst
zu berücksichtigen, dass die ausländerrechtlichen Fragen und Probleme zunächst in
der Person des Antragsgegners begründet sind. Er wird sich mit der Ausländerbehörde
auseinander zu setzen und darauf zu verweisen haben, dass ihm ein Umgangsrecht mit
seinen Kindern möglich sein muss. Die Ausländerbehörden haben im Rahmen der von
ihnen zu treffenden Entscheidungen gerade auch die Grundrechte des Antragsgegners
mit zu berücksichtigen. Soweit diese verletzt sind, steht dem Antragsgegner der
Rechtsweg offen.
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Die Erziehungsgeeignetheit der Antragstellerin steht nach Auffassung des Senates nicht
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in Frage. Diese ergibt sich schon daraus, dass sie bisher ihre Kinder weitgehend allein
und problemlos erzogen hat. Auch der Bericht des Jugendamtes der Stadt C vom
13.12.2005 spricht insoweit eine eindeutige Sprache.
Schließlich erscheint es zur Überzeugung des Senates gewährleistet, dass die beiden
betroffenen Kinder auch in Bangladesch ausreichend versorgt sind. Die Antragstellerin
tritt in Bangladesch eine gehobene Stelle an. Sie verfügt über ein gutes Einkommen und
ist aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und der dortigen sozialen Strukturen in
der Lage, Haushaltshilfekräfte anstellen zu können. Das alles erleichtert ihr die
Betreuung ihrer Kinder neben einer Vollzeitbeschäftigung. Auch können die Kinder in
einem französischen Kindergarten untergebracht werden. Insoweit ist darauf
hinzuweisen, dass die Kinder jedenfalls schon jetzt französisch verstehen. Schließlich
ist die Sprache, mit der sie mit dem Antragsgegner kommunizieren, französisch. Die
beiden Kinder sind in einem Alter, in dem sie noch relativ leicht und spielerisch eine
fremde Sprache erlernen können. Die Zweisprachigkeit kann durchaus ihre geistige
Entwicklung fördern. Stellt man die derzeit ungesicherte soziale Position des
Kindesvaters dagegen, so kann nach Auffassung des Senates nicht zweifelhaft sein,
dass es dem Kindeswohl besser entspricht, wenn die Kinder mit ihrer Mutter nach
Bangladesch ziehen.
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Auch die Befürchtungen des Antragsgegners, der Umzug nach Bangladesch habe eine
dauerhafte Trennung von wichtigen Bezugspersonen sowie die Fremdbetreuung durch
Personen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, und ein Aufwachsen in einer
völlig fremden Umgebung in einem muslimischen Land zur Folge, erscheinen nicht
durchgreifend. Dass der Umzug auch Belastungen für die Kinder mit sich bringt, kann
auch nach Auffassung des Senates nicht zweifelhaft sein. Allerdings erscheinen diese
Belastungen für die Kinder durchaus verkraftbar - ihrer seelisch geistigen Entwicklung
sogar förderlich - und sind gerade auch im Hinblick auf eine mögliche Alternative des
Verbleibens in Deutschland zu akzeptieren.
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Es bedarf auch keiner ausdrücklichen Entscheidung dazu, dass die Ausübung des (Mit)-
Sorgerechts und des Umgangsrechtes des Antragsgegners gesichert ist. Hier hat sich
die Antragstellerin in glaubhafter Weise kooperationsbereit gezeigt und
Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen, um das notwendigerweise eingeschränkte
Elternrecht des Antragsgegners soweit wie möglich gesichert zu sehen. Wegen der
Einzelheiten hierzu wird auf den Vermerk des Familienrichters zur Anhörung der
Kindeseltern im Termin am 2.12.2005 (Bl. 46, 47 der Hauptakten) verwiesen.
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Im Hinblick darauf, dass die sofortige Beschwerde des Antragsgegners erfolglos ist, ist
der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Beschlusses
gegenstandslos.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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II.
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Dem Antragsgegner war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, auch wenn seine sofortige
Beschwerde keinen Erfolg hat. Im Hinblick auf den schwierigen Prozessstoff und die
Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsgegner muss es ihm ermöglicht werden,
seine Rechte im Beschwerdeverfahren nochmals überprüfen zu lassen.
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III.
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Der Beschwerwert beträgt 1.000,-- EUR (2 x 500,-- EUR) gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1
RVG.
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