Urteil des OLG Köln vom 31.08.2010

OLG Köln (verbotene eigenmacht, verfügung, besitz, einwendung, grundstück, zpo, eigentümer, erlass, beweisaufnahme, kommentar)

Oberlandesgericht Köln, 23 U 5/10
Datum:
31.08.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
23. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 U 5/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Bergisch Gladbach, 2 Lw 9/10
Tenor:
1. Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des
Amtsgerichts - Landwirtschaftsgericht - Bergisch Gladbach vom 21. Mai
2010 (2 Lw 9/10) wie folgt abgeändert:
Dem Verfügungsbeklagten wird verboten, das Grundstück Gemarkung
E. Flur 0, Flurstück XXX, Größe 2840 qm, zu betreten und
Bewirtschaftungsmaßnahmen vorzunehmen.
Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ein Ordnungsgeld oder
Ordnungshaft in der gesetzlichen Höhe angedroht.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungsbeklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2 , 313 a Abs. 1
ZPO).
2
I.
3
Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers ist begründet. Die Voraussetzungen für
den beantragten Erlass einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO sind
gegeben.
4
1.
5
Der Verfügungskläger hat einen Verfügungsanspruch aus §§ 861, 862 BGB glaubhaft
6
gemacht.
a)
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Der Verfügungsbeklagte hat durch das Beseitigen der Zaunanlage und das Ergreifen
von Bewirtschaftungsmaßnahmen auf dem im Besitz des Verfügungsklägers stehenden
Grundstückes eine verbotene Eigenmacht i. S. d. § 858 BGB begangen. Dass der
Verfügungskläger den Besitz an dem Grundstück freiwillig aufgegeben oder sich mit den
besitzstörenden Maßnahmen des Verfügungsbeklagten einverstanden erklärt hätte, hat
der Verfügungsbeklagte auch in der mündlichen Verhandlung nicht dargetan.
8
b)
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Der Verfügungsbeklagte kann sich nicht darauf berufen, dass er von dem Eigentümer
des Grundstückes, dem Zeugen L., zur Besitzergreifung ermächtigt worden sei (durch
Ermächtigung zur Geltendmachung des Eigentumsherausgabeanspruches aus § 985
BGB; dazu BGH DtZ 1995, 360, 365; Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl., § 985 Rdn. 1).
Er macht insoweit geltend, der Verfügungskläger habe das Grundstück von dem
Eigentümer nur geliehen, so dass sein Besitzrecht infolge des Rückgabeverlangens des
Eigentümers erloschen sei (§ 604 Abs. 2 BGB). Der Verfügungskläger bestreitet dies
und behauptet, er habe das Grundstück gepachtet; als Gegenleistung für die Nutzung
habe er sich dem Eigentümer zur Lieferung von Brennmaterial verpflichtet. Das hätte zur
Folge, dass ihm ein Besitzrecht noch zustünde, da das dann als Pachtvertrag
einzuordnende Nutzungsverhältnis zumindest mangels Ablaufs der Kündigungsfrist
noch nicht beendet wäre. Der Verfügungsbeklagte stützt sich zu seiner Verteidigung auf
eine petitorische Einwendung. Diese ist jedenfalls deshalb unerheblich, weil der
Verfügungskläger den Einwand konkret bestritten hat und eine Beweisaufnahme zu
diesem Einwand im vorliegenden Verfahren auf Erlass der zum Besitzschutz
beantragten einstweiligen Verfügung unzulässig ist.
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aa) Ob im Verfahren der einstweiligen Verfügung gegenüber dem Besitzschutzanspruch
eine petitorische Einwendung erhoben werden kann, ist umstritten. Nach § 863 BGB
kann ein Recht zum Besitz oder zur störenden Handlung nur zur Begründung der
Behauptung geltend gemacht werden, dass die Entziehung oder die Störung des
Besitzes nicht verbotene Eigenmacht sei. Eine verbreitete, wenn nicht sogar
herrschende Ansicht verneint mit Rücksicht auf diese Bestimmung die Zulässigkeit
petitorischer Einwendungen allgemein (vgl. Münchener Kommentar/Joost, BGB, 5. Aufl.,
§ 863 Rdn. 6, zum Einwand aus § 242 BGB Rdn. 7 und zum Verfahren der einstweiligen
Verfügung Rdn. 12 m.w.N.). Das OLG Rostock (OLG-NL 2001, 279; zust.
Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl., § 863 Rdn. 3) nimmt im Anschluss an die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 73, 355 = NJW 1979, 1358 und NJW
1979, 1359) zur petitorischen Widerklage im Hauptsacheverfahren an, dass petitorische
Einwendungen auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dann beachtlich
seien, wenn der Verfügungsbeklagte auf sie einen Gegenantrag stützen könne, der
gleichzeitig im stattgebenden Sinne entscheidungsreif sei. Das Kammergericht hat
weitergehend auch die bloße petitorische Einwendung ausreichen lassen, wenn sie
entscheidungsreif ist (KG ZMR 2000, 818; zust. Lehmann-Richter NJW 2003, 1717; abl.
Schur ZMR 2000, 802, 806). Dabei hat es sich auf eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofes (NJW 1999, 425, 427) gestützt, die dies für das
Hauptsacheverfahren entschieden hat, soweit es sich jedenfalls um die letztinstanzliche
Entscheidung handele.
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bb) Verlangt man mit dem OLG Rostock für die Beachtlichkeit des Einwandes einen
Gegenantrag, so scheitert der Einwand des Verfügungsbeklagten schon daran, dass er
einen solchen Antrag nicht gestellt hat. Abgesehen davon sind die für einen solchen
Antrag geltenden strengen Voraussetzungen nicht dargetan: der Gläubiger muss auf
den Besitz der Sache dringend angewiesen sein und dem Schuldner muss der
vorläufige Besitzverlust zumutbar sein (OLG Rostock OLG-NL 2001, 279, 282 unter II. 3.
der Gründe). Auch nach den Ausführungen des Verfügungsbeklagten in der mündlichen
Verhandlung ist nicht ersichtlich, dass er auf den Besitz des Grundstückes so dringend
angewiesen wäre, dass das Besitzinteresse des Verfügungsklägers zurückstehen
müsste. Einer abschließenden Entscheidung dazu, ob und unter welchen
Voraussetzungen im Verfahren der einstweiligen Verfügung gegenüber
Besitzansprüchen eine petitorische Einwendung zulässig ist, bedarf es hier aber nicht.
Der Senat hält diesen Einwand sowohl bei einer etwaigen Erforderlichkeit eines
Gegenantrages als auch unter dem in Betracht kommenden Gesichtspunkt der
unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB jedenfalls nur dann für zulässig, wenn
der Verfügungskläger die Berechtigung der Besitzstörers ausdrücklich oder infolge
unsubstantiierten Bestreitens (§ 138 Abs. 3 ZPO) zugesteht . Eine Beweisaufnahme –
sei es auch durch präsente Zeugen – scheidet dagegen im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzes grundsätzlich aus. Anderenfalls würde der Besitzschutz, dem das
Gesetz einen besonderen Stellenwert beimisst, wie nicht nur aus den Regelung des §
863 BGB, sondern auch dem Recht zur Selbsthilfe (§ 859 BGB) hervorgeht, in
unzulässigem Umfang ausgehöhlt. Nach diesen Grundsätzen ist der Einwand des
Verfügungsbeklagten unbeachtlich. Der Verfügungskläger ist dem Vorbringen des
Verfügungsbeklagten konkret und – wie ausgeführt - in rechtlich erheblicher Weise
entgegengetreten. Sein Bestreiten ist auch nicht durch das Beweisergebnis der vom
Landwirtschaftsgericht – nach Auffassung des Senats verfahrenswidrig - durchgeführten
Beweisaufnahme entkräftet und unsubstantiiert geworden; denn mit der
Berufungsbegründung hat er eidesstattliche Versicherungen weiterer Zeugen vorgelegt,
die seinen Vortrag stützen. Die Einwendung des Verfügungsbeklagten ist aus diesem
Grunde ausgeschlossen.
12
2.
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Der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund ist
ebenfalls gegeben. Es ist allgemein anerkannt, dass das Vorliegen verbotener
Eigenmacht im Hinblick auf die nach dem Gesetz herausgehobene Bedeutung des
Besitzschutzes regelmäßig schon für sich einen ausreichenden Verfügungsgrund
darstellt (OLG Koblenz RdL 2000, 236 = OLGR 2001, 2; OLG Rostock OLG-NL 2001,
279, 280; KG ZMR 2000, 818; Münchener Kommentar/Joost § 861 Rdn. 16 jew. m.w.N.).
Es besteht kein Grund, von dieser Regel im vorliegenden Fall abzuweichen.
14
II.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Streitwert des Berufungsverfahrens: 1.200,-- €
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