Urteil des OLG Köln vom 04.11.2009

OLG Köln (kläger, treu und glauben, verhältnis zwischen, akten, interesse, besitz, vergütung, beweislast, sicherheit, zpo)

Oberlandesgericht Köln, 17 U 40/09
Datum:
04.11.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
17. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 U 40/09
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 8 O 480/08
Schlagworte:
BRAO § 55 Abs. 3, § 53 Abs. 10 Satz 1; InsO § 324 Abs. 1 Nr. 6; BGB §
667 Kanzleiabwickler; Insolvenzverwalter; Vergütungs- und
Aufwendungsansprüche des Abwicklers; Herausgabeanspruch
Leitsätze:
1. Ist für einen insolventen ehemaligen Rechtsanwalt (Schuldner)
sowohl ein Abwickler als auch ein Insolvenzverwalter bestellt, so stehen
die auf dem Geschäftskonto des Schuldners eingehenden oder vom
Abwickler eingezogenen Gebühren in der Zeit bis zum Ende der
Abwicklung grundsätzlich dem Abwickler zu.
2. Lässt der Insolvenzverwalter während der laufenden Abwicklung ohne
Einverständnis des Abwicklers solche Gebühren auf sein Anderkonto
transferieren, so steht dem Abwickler gegen den Insolvenzverwalter ein
Herausgabeanspruch nach § 55 Abs. 3, § 53 Abs. 10 Satz 1 BRAO zu.
3. Vergütungs- und Auslagenansprüche des Abwicklers gehen analog §
324 Abs. 1 Nr. 6 InsO denjenigen des Insolvenzverwalters vor.
4. Die Beweislast dafür, dass Überschüsse vorhanden sind, die der
Abwickler zur Fortführung der Abwicklung nicht benötigt, trifft den
Insolvenzverwalter.
5. Der Abwickler hat hingegen keinen Anspruch gegen den
Insolvenzverwalter auf Herausgabe auf dem Insolvenzanderkonto
eingegangener Honorare und Fremdgelder.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02.07.2009 verkündete
Urteil des Landgerichts Aachen - 8 O 480/08 - abgeändert und wie folgt
neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 4.852,01 €
abzüglich eines am 20.05.2008 gezahlten Betrages von 444,93 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
07.03.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 36 %
und die Beklagte 64 %. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz
haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die
Vollstreckung seitens der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des voll-streckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die
andere Partei vor der Vollstre-ckung Sicherheit in Höhe von 110 % des
zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
2
Der Kläger, der durch Verfügung der Rechtsanwaltskammer L. vom 24.07.2007 zum
Abwickler der Kanzlei des ehemaligen Rechtsanwalts H.I. bestellt und dessen
Bestellung zuletzt bis zum 31.12.2009 verlängert worden ist, nimmt die Beklagte auf
Rückgewähr eines Betrages von – zuletzt – 4.407,08 € in Anspruch. Ferner begehrt er
die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei ihr eingehendes Fremdgeld
sowie eingehende Honorare, die aus einem Mandatsverhältnis mit dem früheren
Rechtsanwalt H.I. resultieren, an ihn auszuzahlen.
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Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
4
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt: Dem Kläger stehe als Kanzleiabwickler gegen die Beklagte ein Anspruch
auf Auszahlung der von dieser vereinnahmten Anwaltshonorare aus §§ 55 Abs. 3, 53
Abs. 10 S. 1 BRAO zu. Zu den Gegenständen, auf die sich gemäß § 53 Abs. 10 S. 1
BRAO der Herausgabeanspruch des Abwicklers beziehe, gehörten auch Forderungen.
Zwar fielen Honorarforderungen von Rechtsanwälten prinzipiell auch in die
Insolvenzmasse, so dass ein Konkurrenzverhältnis zwischen insolvenzrechtlichen und
berufsrechtlichen Regelungen bestehe, das vorliegend zugunsten des Abwicklers
aufzulösen sei. Denn dieser müsse in die Lage versetzt werden, die laufenden Mandate
ordnungsgemäß abzuwickeln. Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck der
Abwicklungsvorschriften, welche u.a. der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienten. Da der
Abwickler berechtigt sei, eingehende Honorare zur Finanzierung des laufenden
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Kanzleibetriebs zu verwenden und ihm darüber hinaus Vorschüsse auf sein eigenes
Honorar zustünden, werde der Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters in der
Regel erst nach dem Ende der Abwicklung fällig. Eine Abgrenzung zwischen laufenden
und beendeten Mandaten sei sachfremd und führe dazu, dass der Abwickler verpflichtet
wäre, nach Beendigung jedes einzelnen Mandats die erzielten Honorare an den
Insolvenzverwalter herauszugeben. Dies widerspreche dem Ablauf des
Abwicklungsverfahrens, da der Auftrag des Abwicklers nicht lediglich einzelne Mandate,
sondern die Kanzlei im Ganzen umfasse. Auch der Bundesgerichtshof sei in der in JR
2007, 109, 110 veröffentlichten Entscheidung vom 23.06.2005 - IX ZR 139/04 - davon
ausgegangen, dass der Abwickler während des bestehenden Abwicklungsverhältnisses
allenfalls nach § 271 Abs. 1 Fall 2 BGB verpflichtet sein könne, die Überschüsse
herauszugeben, die offensichtlich nicht mehr für die weitere Abwicklung benötigt
würden. Hierzu sei vorliegend aber nichts vorgetragen. Da die Beklagte danach derzeit
nicht Herausgabe des aus der Abwicklung der Kanzlei Erlangten verlangen könne,
sondern dieser Anspruch erst nach Beendigung der Abwicklung fällig werde, könne
dem klageweise geltend gemachten Anspruch auch nicht nach Treu und Glauben
entgegen gehalten werden, dass nicht heraus verlangt werden dürfe, was sofort
zurückzugewähren sei. Schließlich bestehe auch ein Feststellungsinteresse des
Klägers gemäß § 256 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf den Klageantrag zu 2). Denn der
Kläger habe ein Interesse an der Feststellung, wie sich das rechtliche Verhältnis
zwischen ihm und der Beklagten im Hinblick auf die Mandantengelder gestalte.
Gegen dieses ihr am 31.03.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.04.2009
eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.07.2009
mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der
Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
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Sie macht geltend: Das Landgericht habe sich nicht mit ihrem Sachvortrag
auseinandergesetzt, wonach zwischen den Parteien eine Absprache über die
einvernehmliche Aufteilung der Akten der Anwaltskanzlei I. getroffen worden sei.
Dementsprechend habe sie absprachegemäß die abgeschlossenen Akten in Besitz
genommen, in denen sich Titel über ausstehendes Anwaltshonorar befunden hätten, die
gegenüber den vormaligen Mandanten des Insolvenzschuldners durchzusetzen
gewesen seien. Die Herausgabe dieser Akten habe der Kläger bis heute nicht gefordert.
Auch sei im Rahmen der Absprache zwischen den Parteien keine Regelung getroffen
worden, wonach eingezogene Gelder an den Kläger auszukehren seien.
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Darüber hinaus habe das Landgericht das zwischen der Kanzleiabwicklung und der
Abwicklung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners I.
bestehende Spannungsverhältnis nicht ausreichend berücksichtigt. Der Kläger habe
nämlich nicht dargetan, dass er das von ihr - der Beklagten - eingezogene Geld
benötige, um die bei ihm befindlichen Akten zu Ende führen zu können.
8
Schließlich habe das Landgericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
23.06.2005 – IX ZR 139/04 – fehlinterpretiert und verkannt, dass diese Entscheidung
nicht die Herausgabepflicht bezüglich des verbliebenen Vermögens nach Abschluss der
Kanzleiabwicklertätigkeit betroffen habe, sondern über einen Herausgabeanspruch
betreffend die verwalteten Barmittel, mithin während der Kanzleiabwicklungstätigkeit,
befunden worden sei. Zudem habe das Landgericht die Beweislast falsch bewertet,
indem es ausgeführt habe, es sei nichts dazu vorgetragen worden, ob Überschüsse
vorhanden seien, die der Kläger nicht mehr zur weiteren Verfahrensabwicklung
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benötige. Ihr - der Beklagten - sei nicht bekannt, ob der Kläger Überschüsse aus der
Abwicklung verwalte oder bei ihm verwaltete Beträge bereits zur Insolvenzmasse
auskehren könne, da der Kläger die Auskunftserteilung hierzu verweigere. Es sei Sache
des Klägers, zu beweisen, dass er Anspruch auf die bei ihr verwaltete Masse habe.
Die Beklagte beruft sich schließlich auf die dolo-agit – Einrede und vertritt in diesem
Zusammenhang die Auffassung, der Kläger müsse die eingeklagten Beträge im Fall des
Obsiegens unverzüglich wieder an sie zurückerstatten, da er diese nach seinem
eigenen Vortrag nicht zur Fortführung der Abwicklungstätigkeit bzw. zur Deckung seiner
Vergütungsansprüche benötige. Die Beklagte meint, aufgrund dessen stehe ihr ein
Zurückbehaltungsrecht an den vereinnahmten Geldern zu, bis die Vergütung des
Klägers festgesetzt worden sei und dieser nachgewiesen habe, dass die bei ihm
verwaltete Masse nicht ausreiche.
10
Die Beklagte beantragt,
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die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
12
Der Kläger beantragt,
13
die Berufung zurückzuweisen.
14
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines
erstinstanzlichen Vorbringens und trägt ergänzend vor: Er benötige die von der
Beklagten vereinnahmten Gelder. Die von ihm "vereinbarten" Honorare würden seine
Vergütung nicht abdecken, weshalb er die zuständige Rechtsanwaltskammer L. als
Bürgin habe in Anspruch nehmen müssen, welche Abschläge auf die
Abwicklervergütung zahle.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16
II.
17
Die zulässige Berufung der Beklagten ist hinsichtlich des Klageantrags zu 2) begründet.
Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
18
1.
19
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die
Beklagte ein Herausgabeanspruch aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO zusteht.
20
Nach diesen Vorschriften ist der Abwickler berechtigt, die zur Kanzlei gehörenden
Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts
in Besitz zu nehmen, herauszuverlangen und hierüber zu verfügen. Er hat nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch das Recht, eingehende Gebühren in
Besitz zu nehmen und sie im Rahmen des Erforderlichen für Aufwendungen und
Vorschüsse auf die spätere Vergütung zu verwenden (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005,
IX ZR 139/04). Die diesbezügliche Zugriffsberechtigung des Kanzleiabwicklers ergibt
sich aus dessen gesetzlich normierter Verfügungsberechtigung.
21
Allerdings war im Streitfall auch die Beklagte als Insolvenzverwalterin über das
Vermögen des ehemaligen Rechtsanwalts I. berechtigt, dessen Bankguthaben
einzuziehen. Diese war nämlich bereits vor der am 24.07.2007 erfolgten Bestellung des
Klägers zum Abwickler der Rechtsanwaltskanzlei I. durch Beschluss vom 20.07.2007
zur vorläufigen Insolvenzverwalterin über das Vermögen des ehemaligen
Rechtsanwalts I. mit Zustimmungsvorbehalt bestellt und ermächtigt worden,
Bankguthaben und sonstige Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie
eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die streitgegenständlichen Gelder befanden
sich auch nicht auf einem gesonderten Abwicklungskonto, sondern wurden auf das
vormals von dem Schuldner unterhaltene Privat- und Geschäftskonto überwiesen und
von dort auf das von der Beklagten eingerichtete Insolvenzanderkonto transferiert.
22
a)
23
Da sich weder aus den Vorschriften der BRAO noch aus denjenigen der
Insolvenzordnung entnehmen lässt, dass einer der Parteien hinsichtlich des Rechts zur
Inbesitznahme der auf dem Geschäftskonto eingehenden Gelder der Vorrang gebührt
(so auch Sattler/Rickert, ZInsO 2006, 76; Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339, 340), ergibt
sich in derartigen Situationen – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – ein
Konkurrenzverhältnis zwischen dem Kanzleiabwickler und dem Insolvenzverwalter, die
gleichermaßen zur Verfügung über die auf dem Geschäftskonto des Schuldners
eingehenden Honorare berechtigt sind. Dieses Konkurrenzverhältnis ist auch nach
Auffassung des Senats dahin aufzulösen, dass die auf dem Geschäftskonto des
Schuldners eingehenden oder von dem Abwickler eingezogenen Gebühren bis zum
Ende der Abwicklung bei dem Abwickler zu verbleiben haben, der hieraus die
laufenden Ausgaben bestreiten sowie Vorschüsse auf seine Vergütung entnehmen darf.
24
Anderenfalls würde zum Einen das Institut der Abwicklung, das durch die Insolvenz
eines Rechtsanwalts nicht entbehrlich wird, da beide Amtsträger unterschiedliche Ziele
verfolgen, in sinnwidriger Weise entwertet. Die Bestellung eines Kanzleiabwicklers
dient dem Zweck, eine "verwaiste" Kanzlei nach dem Tod bzw. Zulassungsverlust des
Kanzleiinhabers einem möglichst schnellen Ende zuzuführen (vgl.
Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl. 2008, § 55 BRAO Rn.
3). Der Kanzleiabwickler soll im Interesse der Mandanten und der Rechtssicherheit die
laufenden Angelegenheiten sicherstellen, fortführen und abwickeln (vgl. Sattler/Rickert,
ZInsO 2006, 76; Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339; Nolzen. Die Abwicklung einer
Rechtsanwaltskanzlei, Diss. 2008, S. 20 ff.). Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist
dagegen auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger gerichtet. Seine auch dem
öffentlichen Interesse, nämlich der Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Wahrung des
Ansehens der Anwaltschaft, dienenden Aufgaben kann der Abwickler nur sinnvoll
wahrnehmen, wenn er über alle für die Abwicklung benötigten Gegenstände, Güter,
Unterlagen und Einrichtungen verfügen kann (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom
30.11.2006, 6 U 220/06, BeckRS 2007, 04456).
25
Entscheidend kommt zum Anderen hinzu, dass kein berechtigtes Interesse der Masse
daran besteht, dass der Insolvenzverwalter die auf dem Geschäftskonto des Schuldners
eingehenden Gelder bereits während der Abwicklung in Besitz nimmt. Unter der Geltung
der Konkursordnung wurde aus der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 6 KO, nach der
diejenigen Aufwendungen, die zur Erhaltung und Mehrung des Nachlasses eingesetzt
wurden, als Masseschulden vorrangig zu befriedigen waren, gefolgert, dass auch die
Vergütungs- und Aufwendungsersatzansprüche des Abwicklers Vorrang vor sonstigen
26
Masseschulden haben, da der amtlich bestellte Kanzleiabwickler eine Art besondere
Nachlasspflegschaft übernehme (vgl. Sattler/Rickert, ZInsO 2006, 76, 77;
Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339, 340; LG Hamburg, NJW 1994, 1883 f.). Nach §§ 53,
54, 55, 209 InsO sind zwar die Vergütungs- und Auslagenansprüche des
Insolvenzverwalters neben den Gerichtskosten als einzige Kosten des
Insolvenzverfahrens privilegiert. Gleichwohl ist der Senat mit der herrschenden Meinung
der Auffassung, dass Vergütungs- und Auslagenansprüche des Abwicklers – nunmehr
analog § 324 Abs. 1 Nr. InsO – denjenigen des Insolvenzverwalters vorgehen (vgl. OLG
Celle, BRAK-Mitteilungen 2002, 198 f.; Hartung/Römermann, a.a.O., § 55 Rn. 84;
Franke/Böhme, AnwBl. 2004, 339, 340; Siegmann in: Münchener Kommentar zur InsO,
2. Aufl., § 324 Rn. 12; Marotzke in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2002, § 1967 Rn. 38;
vgl. auch OLG Rostock, a.a.O., für den Fall, dass der Abwickler vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens bestellt wurde; vgl. auch Ueberfeldt, DStR 2008, 2386, 2388 für die
Abwicklung einer Steuerberaterpraxis a. A. wohl Nolzen, a.a.O., S. 226 f., der eine
einzelfallbezogene Betrachtungsweise vertritt, die indes weder praktikabel noch aus
Gründen der Rechtssicherheit vertretbar erscheint). Hierfür spricht zunächst, dass die
Abwicklung auch der Insolvenzmasse zugute kommen kann, soweit aus ihr
Honorarforderungen entstehen, die als Überschuss in die Insolvenzmasse eingehen
(vgl. auch Hartung/Römermann, a.a.O., § 55 Rn. 84). Darüber hinaus rechtfertigt auch
der Umstand, dass die Tätigkeit des Abwicklers öffentlichen Interessen dient, eine
Privilegierung der Vergütungsforderungen des Abwicklers. Könnte der Abwickler wegen
seines Vergütungsanspruchs nur quotale Befriedigung aus der Masse erlangen, so
könnte dieser die Rechtsanwaltskammer, welche eine nachrangige Bürgenhaftung trifft,
in Anspruch nehmen. Es erscheint aber nicht gerechtfertigt, dass die Rechtsanwaltschaft
– finanziell – das Risiko der Insolvenz eines ihrer früheren Mitglieder zu tragen hat,
obwohl die Abwicklung, die gerade auch die Sicherheit des Rechtsverkehrs bezweckt,
im allgemeinen Interesse liegt. In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen,
dass die Übernahme der Abwicklung nicht im Belieben des Abwicklers steht. Dieser
kann die Übernahme vielmehr nach § 55 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 53 Abs. 5 S. 3 und 4 BRAO
nur aus wichtigem Grund ablehnen, wozu u.a. Arbeitsüberlastung, gesundheitliche
Gründe und die Gefährdung seiner eigenen Leistungsfähigkeit zählen können, nicht
aber die Liquiditätsschwäche der abzuwickelnden Rechtsanwaltskanzlei (vgl.
Hartung/Römermann, a.a.O., § 55 BRAO Rn. 26; Kleine-Cosack, BRAO, 5. Aufl. 2008, §
55 Rn. 3). Da die Bürgenhaftung der Rechtsanwaltskammer nur hinsichtlich der
Vergütung des Abwicklers, nicht jedoch bezüglich seiner Aufwendungsersatzansprüche
besteht (vgl. Kleine-Cosack, a.a.O., § 55 Rn. 7), müsste der Abwickler, der nur quotale
Befriedigung aus der Masse erlangt, das Risiko tragen, mit seinen
Aufwendungsersatzansprüchen teilweise auszufallen. Gegen eine Gleichstellung der
Abwicklervergütung mit den Masseverbindlichkeiten des § 55 InsO spricht letztlich auch,
dass diese auf Handlungen des Insolvenzverwalters beruhen oder in anderer Weise aus
der Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Masse in der Verantwortung des
Verwalters entstanden sind, was auf die Tätigkeit des Abwicklers nicht zutrifft (vgl. OLG
Celle, a.a.O.).
Sind danach Vergütungs- und Aufwendungsansprüche des Abwicklers vorrangig vor
sonstigen Masseschulden zu befriedigen, so wird die Masse nicht geschmälert, wenn
dem Abwickler die eingehenden Gebühren – bis auf einen sich bei Ende der
Abwicklung ergebenden Überschuss, der dann ohnehin herauszugeben ist – zur
Fortführung seiner Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden. Damit besteht grundsätzlich
auch kein Interesse des Insolvenzverwalters daran, die auf dem Geschäftskonto des
Schuldners eingehenden Gebühren bereits während der Abwicklung zur Masse zu
27
ziehen.
b)
28
Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Abwickler Überschüsse erwirtschaftet, die
offensichtlich für die weitere Abwicklung nicht benötigt werden, bedarf keiner
Entscheidung. Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die darlegungspflichtige
Beklagte keine Tatsachen vorgetragen hat, die darauf schließen lassen, dass
vorliegend entsprechende Überschüsse erwirtschaftet worden sind.
29
Die Beklagte trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Überschüsse vorhanden
sind, welche zur Fortführung der Abwicklung nicht benötigt werden. Würde nämlich die
Beklagte einen Herausgabeanspruch aus § 667 BGB gegen den Kläger geltend
machen, müsste sie dessen Voraussetzungen beweisen. In diesem Fall träfe den Kläger
auch nicht die Beweislast dafür, dass auf dem Geschäftskonto des Schuldners
vorhandenes Guthaben für die weitere Abwicklung benötigt wird, da der Auftraggeber für
die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs aus § 667 BGB beweispflichtig ist,
während der Auftragnehmer nur die bestimmungsgemäße Verwendung der Gelder
beweisen muss (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005, IX ZR 139/04, zitiert nach juris; vgl.
auch Nolzen, a.a.O., S. 212). Die Beklagte könnte sich insofern auch nicht mit Erfolg auf
die Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse berufen, da ihr gemäß § 666 BGB ein
Auskunftsanspruch über den Stand der Geschäfte zusteht (vgl. auch BGH, a.a.O.;
Nolzen, a.a.O.). Diesen muss sie gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen.
30
Die Tatsache, dass die Beklagte die Gelder bereits auf das von ihr geführte Anderkonto
hat transferieren lassen, vermag an dieser Beweislastverteilung nichts zu ändern. Es ist
allgemein anerkannt, dass – auch über die Fälle der Eingriffskondiktion hinaus (vgl.
hierzu Schwab in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 812 Rn. 370) – derjenige,
der Verfügungen über fremde Konten bzw. Sparbücher trifft, die Beweislast für seine
Verfügungsberechtigung trägt (vgl. BGH, NJW 1986, 2107, 2108; OLG Bamberg, ZEV
2004, 207, 208; OLG Köln, NJW 1993, 939 f.). Dieser Grundsatz ist wegen der
vergleichbaren Interessenlage auf den Streitfall übertragbar.
31
c)
32
Auch die von der Beklagten vorgetragene Vereinbarung, wonach besprochen worden
sei, dass der Kläger die "laufenden" Akten übernehme, während sie diejenigen
Unterlagen in Besitz nehme, in welchen Forderungen gegen Mandanten aus
abgeschlossenen Akten offen stünden, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen.
Nach der Sachdarstellung der Beklagten haben die Parteien lediglich die
Besitzverhältnisse bezüglich der Akten geregelt. Eine derartige Regelung besagt aber
nicht, dass die Parteien rechtsverbindlich vereinbart haben, der Beklagten sollten die
Honorare auf Dauer zufließen. Soweit die Beklagte schließlich in der
Berufungsbegründung ausführt, bei der Aufteilung der Akten sei keine Regelung
darüber getroffen worden, dass die eingezogenen Gelder an den Kläger auszukehren
seien, trägt sie selbst nicht vor, der Kläger sei damit einverstanden gewesen, dass die
Gelder ihr zufließen sollten.
33
2.
34
Die Berufung ist hingegen begründet, soweit die Beklagte sich gegen die Feststellung
35
wendet, sie sei verpflichtet, bei ihr eingehendes Fremdgeld und eingehende Honorare,
die aus einem Mandatsverhältnis mit dem früheren Rechtsanwalt H.I. resultieren, an den
Kläger zu zahlen.
a)
36
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte Honorarzahlungen, die auf
ihrem Insolvenzverwalteranderkonto eingehen, an ihn auskehrt. Ein solcher Anspruch
lässt sich nicht aus §§ 55 Abs. 3, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO herleiten. Danach darf der
Abwickler "die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des anwaltlichen
Verwahrung unterliegenden Treuguts" in Besitz nehmen. Ausstehende Gebühren sind
aber weder "zur Kanzlei gehörende Gegenstände" noch "Treugut". Zwar ist unter einem
"Gegenstand" alles zu verstehen, was Objekt von Rechten sein kann (vgl. Nolzen,
a.a.O., S. 123; Heinrichs/Ellenberger in: Palandt, BGB, 68. Aufl., vor § 90 Rn. 2). Auch ist
der Kanzleiabwickler nach § 55 Abs. 3 BRAO berechtigt, ausstehende
Honroraransprüche einzuziehen. Hiervon ist aber ein Herausgabeverlangen gegenüber
einem Dritten, der die Außenstände bereits berechtigterweise eingezogen hat, zu
unterscheiden. Auch aus der Tatsache, dass der Abwickler nach § 55 Abs. 3 BRAO zur
Einziehung ausstehender Honoraransprüche des früheren Rechtsanwalts nicht
verpflichtet ist, lässt sich entnehmen, dass Außenstände nicht schlechthin dem Zugriff
des Abwicklers unterliegen. Vielmehr gehört die Einziehung ausstehender Honorare
nicht primär zu den Aufgaben des Abwicklers, sondern fällt in den Pflichtenkreis des
früheren Anwalts, seiner Erben bzw. seines Nachlassverwalters (vgl. auch Schwärzer,
BRAK-Mitteilungen 2008, 108). Treugut können schließlich nur solche Gegenstände
sein, die bereits vorhandenes Treugut der konkreten Kanzlei sind (so auch Nolzen
a.a.O., S. 124). Das ergibt sich bereits daraus, dass es sich um der anwaltlichen
Verwahrung unterliegende Werte handeln muss.
37
b)
38
Auch ein Herausgabeanspruch des Klägers hinsichtlich zukünftig bei der Beklagten
eingehender Fremdgelder besteht nicht.
39
Insoweit steht den Mandanten des Insolvenzschuldners gegen diesen ein
Herausgabeanspruch aus § 667 BGB zu. Diesen muss die Beklagte, soweit
Fremdgelder bei ihr eingehen, nach § 80 InsO erfüllen (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2005,
IX ZR 139/04, zitiert nach juris). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger
zum Abwickler der Kanzlei des Insolvenzschuldners bestellt worden ist, da hiervon die
privatrechtlichen Rechtsbeziehungen des Insolvenzschuldners nicht berührt werden.
Vielmehr bestehen die gesetzlichen Pflichten des Abwicklers unabhängig von und
neben den privatrechtlichen Pflichten des Insolvenzschuldners (vgl. BGH, Urteil vom
07.07.1999, VIII ZR 131/98, zitiert nach juris).
40
3.
41
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
42
4.
43
Der Senat lässt die Revision zu, da die Frage, ob dem Kanzleiabwickler hinsichtlich des
44
Rechts zur Inbesitznahme der auf dem Geschäftskonto des früheren Rechtsanwalts
eingehenden Gelder bei einer sich zeitlich mit der Abwicklung überschneidenden
Bestellung eines Insolvenzverwalters der Vorrang gebührt, grundsätzliche Bedeutung
hat und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.06.2005 – IX ZR
139/04 - nicht abschließend geklärt ist.