Urteil des OLG Koblenz vom 04.10.2010
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OLG
Koblenz
04.10.2010
1 Verg 8/10
1. Mit der Pflicht des Auftraggebers, die Eignung der am Auftrag interessierten Unternehmen zu prüfen, korrespondiert
das Recht, die Vorlage von Eignungsnachweisen zu fordern.
2. Vergabekammern und -senate sind nicht befugt, die Entscheidung des Auftraggebers, einen bestimmten Nachweis für
erforderlich zu halten, durch eine eigene zu ersetzen oder Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen. Sie dürfen nur
eingreifen, wenn eine Forderung unzumutbar ist oder nicht mehr der Befriedigung eines mit Blick auf das konkrete
Beschaffungsvorhaben berechtigten Informationsbedürfnisses des Auftraggebers dient, sondern ohne jeden sachlichen
Grund ausgrenzend und damit wettbewerbsbeschränkend wirkt.
Geschäftsnummer:
1 Verg 8/10
VK2 - 28/10 VK Rheinland-Pfalz
In dem Nachprüfungsverfahren
betreffend die Vergabe des Auftrags „Hochwasserschutz für die Koblenzer Stadtteile Lützel, Neuendorf und Wallersheim;
Los 6: Mobiler Hochwasserschutz.“ (2010/S 100-151530)
Verfahrensbeteiligte:
1. Bietergemeinschaft …
Beschwerdeführerin
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
2. …
Beschwerdegegnerin
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
3. Bietergemeinschaft …
Beigeladene
- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
hier: Entscheidung nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Blettner,
den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am OberlandesgerichtDr. Kerber
am 4. Oktober2010 beschlossen:
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen
den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 3. September 2010 wird zurückgewiesen.
I.
Die Beschwerdegegnerin will den Hochwasserschutz für die Stadtteile Lützel, Neuendorf und Wallersheimverbessern.
Das in 6 Lose aufgeteilte Bauvorhaben hat einen geschätzten Gesamtauftragswert von mehr als 30 Mio. €.
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist das Los 6, welches die Herstellung, Lieferung und Montage eines mobilen
Hochwasserschutzsystems beinhaltet. Dieses soll bei Bedarf auf einer aus Stahlbeton bestehenden stationären
Hochwasserschutzanlage errichtet werden. Der geschätzte Wert dieser Teilleistung beträgt 1,3 Mio. €. Der Auftrag soll im
beschleunigten nichtoffenen Verfahren vergeben werden. Die Bewerbungsfrist endete am 15. Juni 2010, 10:00 Uhr.
Zu dem in der Bekanntmachung skizzierten Leistungsumfang gehören auch die Lieferung und der Einbau von 260
Ankerplatten. Diese Verbindungselemente zwischen der Gründung und der mobilen Schutzwand müssen aus Edelstahl
bestehen. Im Übrigen ist die Materialwahl den Unternehmen freigestellt.
Mit dem Teilnahmeantrag war u.a „ein Eignungsnachweis nach DIN 18800-7 mit der Erweiterung für die Herstellung
geschweißter Stahlbauten mit nicht vorwiegend ruhender Belastung“ vorzulegen.
Bei diesem Eignungsnachweis handelt es sich um eine Herstellerqualifikation für Unternehmen, die durch Verschweißen
Stahlbauteile herstellen. Sie bescheinigt, dass ein Unternehmen personell und sachlich so ausgestattet ist, dass die
Herstellung von den Regeln der Technik genügenden und qualitativ hochwertigen Produkten erwartet werden kann.
Unter VI.4.1 der Bekanntmachung ist die Vergabekammer Rheinland-Pfalz (mit Anschrift, Telefon- und Faxnummer) als
zuständige Stelle für Nachprüfungsverfahren bezeichnet. Anschließend heißt es:
VI.4.2) Einlegung von Rechtsbehelfen
Genaue Angaben zu den Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen: Als Rechtsbehelf kann ein Nachprüfungsantrag
bei der unter VI 4.1 genannten Stelle gestellt werden. Wir weisen ausdrücklich auf die Ausschlusswirkungen des § 107
Abs. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere auf die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4
GWB, hin. …
VI.4.3) Stelle, bei der Auskünfte über die Einlegung von Rechtsbehelfen erhältlich sind: wie VI.4.1
Am 8. Juni 2010 reichte die Beschwerdeführerin ihren Teilnahmeantrag ohne Beifügung des Herstellernachweises nach
DIN 18800-7 ein und erhob mit einem weiteren Schreiben vom selben Tag 5 Rügen. Sie beanstandete u.a. die
Forderung nach Vorlage des Herstellernachweises nach DIN 18800-7 und führte zur Begründung aus, als Aluminium
verarbeitendes Unternehmen benötige sie einen derartigen Nachweis nicht. Sollten bei der Abwicklung des Auftrages
„wider Erwarten“Schweißerarbeiten an Stahlteilen erforderlich werden, „werden wir uns eines Subunternehmers
bedienen – der zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht benannt werden kann – der diesen Nachweis vorweisen kann.“
Weder in dem Rügeschreiben noch im Teilnahmeantrag sprach die Beschwerdeführerin die zum Leistungsumfang
gehörenden Ankerplatten an.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2010, bei der Beschwerdeführerin eingegangen am 16. Juni 2010, wies die
Beschwerdegegnerin die Rügen zurück, ohne ausdrücklich auf den Herstellernachweis nach DIN 18800-7 einzugehen.
Das Schreiben endet mit dem Satz:
„Nach alledem bleibt zusammenfassend festzustellen, dass wir ihren Rügen (mit Ausnahme der unzutreffenden DIN-
Bezeichnung, welche bereits korrigiert worden ist), nicht abhelfen werden.“
Nachdem die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mitgeteilt hatte, ihr Teilnahmeantrag könne wegen
Unvollständigkeit nicht berücksichtigt werden, stellte diese am 13. Juli 2010 einen Nachprüfungsantrag.
Diesen hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 3. September 2010, zugestellt am 7. September 2010, in Anwendung
des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB als unzulässig verworfen.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der mit einem Eilantrag nach § 118 Abs.1 Satz 3 GWB verbundenen
sofortigen Beschwerde.
II.
Der Einantrag ist abzulehnen, weil die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde bestenfalls als sehr gering
einzuschätzen sind und zudem ein öffentliches Interesse an einem Fortgang der Arbeiten an dem Gesamtobjekt besteht
(§ 118 Abs. 2 GWB).
1. Es kann hier dahin stehen, ob die Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB durch die Vergabekammer deshalb
rechtsfehlerhaft war, weil sich die Beschwerdegegnerin in ihrem Schreiben vom 8. Juni 2010 nicht ausdrücklich mit der
Rüge im Zusammenhang mit der Herstellerqualifikation nach DIN 18800-7 befasst hatte. Es kann auch offen bleiben, ob
ein Wettbewerbsteilnehmer durch den Hinweis in der Bekanntmachung auf § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ausreichend
über eine Rechtsmittelfrist informiert wurde.
2. Die Beschwerde ist schon deshalb kaum erfolgversprechend, weil derzeit kein Vergaberechtsverstoß feststellbar ist.
a) Mit der Pflicht des Auftraggebers, die Eignung der am Auftrag interessierten Unternehmen zu prüfen, korrespondiert
das Recht, die Vorlage von Eignungsnachweisen zu fordern. Es ist grundsätzlich Sache des Auftraggebers, das
Anforderungsprofil an die Eignung zu bestimmen und die zum Nachweis erforderlichen Unterlagen festzulegen. Hat der
Auftraggeber – wie hier – seine Festlegung ordnungsgemäß bekannt gemacht, ist er daran gebunden; er darf einen
Bewerber, der geforderte Nachweise nicht vorlegt, nicht als geeignet ansehen und ihn folglich auch nicht zur
Angebotsabgabe auffordern.
b) Bei der Bestimmung des Eignungsprofils und der Festlegung der Eignungsnachweise ist der Auftraggeber
weitgehend frei. Vergabekammern und -senate sind nicht befugt, die Entscheidung des Auftraggebers, einen bestimmten
Nachweis für erforderlich zu halten, durch eine eigene zu ersetzen oder Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen. Sie
dürfen nur eingreifen, wenn eine Forderung unzumutbar ist – wobei sich die Unzumutbarkeit noch nicht allein daraus
ergibt, das ein Unternehmen zur Vorlage nicht in der Lage ist – oder nicht mehr der Befriedigung eines mit Blick auf das
konkrete Beschaffungsvorhaben berechtigten Informationsbedürfnisses dient, sondern ohne jeden sachlichen Grund
ausgrenzend und damit wettbewerbsbeschränkend wirkt.
c) Hier sieht der Senat keine Veranlassung, die Forderung der Beschwerdegegnerin nach Vorlage der
Herstellerqualifikation nach DIN 18800-7 zu beanstanden. Eine Vergaberechtswidrigkeit lässt sich nicht allein daraus
ableiten, dass die Mitglieder der Beschwerdeführerin in ihren Betrieben keine Bauteile aus Stahl herstellen.
Zum Leistungsumfang gehören 260 Ankerplatten und damit Stahlbauteile, die unstreitig auch durch das Verschweißen
einzelner Elemente hergestellt werden. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sind diese Ankerplatten
unerlässliche Bestandteile des bestellten mobilen Hochwasserschutzsystems, denn erst über sie wird die notwendige
Verbindung mit der stationären Hochwasserschutzanlage und damit die Funktionstauglichkeit des Gesamtsystems
hergestellt. Dieses Gesamtsystem, dass bei einer Beauftragung der Beschwerdeführerin aus Stahl- und Aluminiumteilen
bestünde, wird im Ernstfall einer hohen dynamischen Belastung ausgesetzt. Die Beschwerdegegnerin hat deshalb ein
berechtigtes Interesse daran, nur Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern, die mit ihrem Teilnahmeantrag ein
bestimmtes Maß an Qualifikation für beide Werkstoffe nachweisen. Ob alternativ eine technische Lösung ohne
Ankerplatten möglich wäre, ist unerheblich, weil eine solche nicht den Vorgaben des Auftraggebers entspräche.
c) Soweit die Beschwerdeführerin erstmals im Nachprüfungsverfahren vorgetragen hat, sie werde im Falle einer
Auftragserteilung die Ankerplatten nicht selbst herstellen, sondern bei einem Unternehmen mit der geforderten
Herstellerqualifikation beziehen, räumt sie ein, dass ihr insoweit die technische Leistungsfähigkeit fehlt. Zugleich macht
sie geltend, sie wolle dieses Defizit durch die Inanspruchnahme fremder Ressourcen ausgleichen. Dies ist zwar
grundsätzlich möglich (§ 8a Nr. 10 VOB/A 2006), wäre aber im Teilnahmeantrag darzulegen gewesen (OLG Frankfurt v.
30. 5. 2003 - 11 Verg 3/03 - NZBau 2003, 636). Allein aufgrund des eingereichten Teilnahmeantrages konnte die
Beschwerdegegnerin nicht prüfen, ob die Kombination Bewerber-Drittunternehmen als geeignete Einheit eingestuft
werden kann.
Dem steht auch die von der Beschwerdeführerin angeführte Rechtsprechung (BGH v. 10.06.2008 - X ZR 78/07 -
kann
einem Bieter unzumutbar sein, bereits mit der Angebotsabgabe den Drittunternehmer zu benennen oder gar eine
Verpflichtungserklärung vorzulegen. Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass die §§ 8 Nr. 4 Abs. 4, 10 Nr. 5 Abs. 3
VOB/A 2006 dem Auftraggeber die Möglichkeit einräumten, sich bei Öffentlicher Ausschreibung bzw. im Offenen
Verfahren die Nachforderung von Erklärungen und Nachweisen im Zusammenhang mit einem möglichen
Drittunternehmereinsatz vorzubehalten. Demgegenüber dürfen bei der Eignungsprüfung im Teilnahmewettbewerb nur
die mit dem Teilnahmeantrag vorgelegten Unterlagen berücksichtigt werden (§ 8a Nr. 3 Satz 3 VOB/A 2006).
Im Übrigen ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es der Beschwerdeführerin unzumutbar oder gar objektiv
unmöglich gewesen wäre, bereits Mitte Juni 2010 mitzuteilen, welche Teilleistung sie nicht im eigenen Betrieb erbringen
will, und sie auch nicht in der Lage gewesen wäre, zumindest das/die als Hersteller der Ankerplatten in Frage
kommende(n) qualifizierte(n) Unternehmen zu benennen. Ihr Rügeschreiben vom 8. Juni 2010 erweckt eher den
Eindruck, als habe sie bis dahin dem Umstand, dass zum Leistungsumfang auch 260 Ankerplatten aus Edelstahl
gehören, nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet.
Die in diesem Rügeschreiben – welches im Übrigen nicht Bestandteil des Teilnahmeantrages ist – angesprochenen
Schweißerarbeiten, die „wider Erwarten“ bei der Auftragsausführung notwendig sein könnten, können nicht die zur
Herstellung der Ankerplatten sein, denn diese sind, wie ein fachlich geeigneter Bieter wissen sollte, mit Sicherheit
notwendig. Gemeint sein können nur eventuell notwendige Schweißerarbeiten vor Ort (siehe dazu den Schriftsatz der
Beschwerdegegnerin an die Vergabekammer v. 20.07.2010, S. 4 unter 3.a). Ob auch diese Arbeiten die Forderung nach
Vorlage einer Herstellerqualifikation nach DIN 18800-7 rechtfertigen, kann offen bleiben.
3. Da es mit der Beigeladenen mindestens ein Unternehmen gibt, das die Hürde der vorgezogenen Eignungsprüfung zu
Recht genommen hat, kann die Beschwerde auch unter dem Gesichtspunkt „zweite Chance“ keinen Erfolg haben.
4. Angesichts des derzeit nicht erkennbaren Erfolgs des Rechtsmittels gewinnt auch der Umstand Bedeutung, dass ein
gewichtiges Interesse am zügigen Fortgang der Arbeiten besteht. Wie die Beschwerdegegnerin bereits in der
Bekanntmachung mitgeteilt hatte, ist es unerlässlich, den Einbau der Verankerungselemente in die Bauarbeiten zu
integrieren, die Gegenstand anderer Lose sind. Die Arbeiten an der stationären Hochwasserschutzanlage sind seit
einiger Zeit so weit fortgeschritten, dass die Ankerplatten mit der Unterkonstruktion verschweißt bzw. dort einbetoniert
werden können. Eine weitere Verzögerung der Auftragsvergabe im Los 6 hätte faktisch einen Baustopp mit nachteiligen
finanziellen Auswirkungen zu Lasten der Stadt – und damit der Allgemeinheit – zur Folge.
Blettner Summa Dr. Kerber