Urteil des OLG Koblenz vom 26.04.2007
OLG Koblenz: verbotene eigenmacht, wohnung, hausrat, wegnahme, billigkeit, deckung, berechtigung, trennung, initiative, quelle
Familienrecht
OLG
Koblenz
26.04.2007
9 UF 82/07
§ 1361 a BGB ist nicht lex specialis zu § 861 BGB. Nach einer eigenmächtigen Wegnahme von Hausratsgegenständen
kann gegenüber dem Anspruch aus § 861 BGB nue eingewendet werden, dass die Gegenstände zur Deckung eines
Notbedarfs benötigt werden.
Geschäftsnummer:
9 UF 82/07
10 F 455/06
AG Trier
OBERLANDESGERICHT
KOBLENZ
BESCHLUSS
in der Familiensache
I… N…,
- Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin
gegen
J… N…,
- Antragsteller und Beschwerdegegner -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Der 9. Zivilsenat – 2. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter
am Oberlandesgericht Bock und die Richterinnen am Oberlandesgericht Peters und Semmelrogge
am 26. April 2007
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Trier vom 11. Januar
2007 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Am 01. August 2006 nahm die Antragsgegnerin verschiedene
Hausratsgegenstände aus der vormals ehelichen Wohnung an sich, um sie zukünftig in ihrer Wohnung zu verwenden.
Der Antragsteller begehrt vor dem Familiengericht Rechtsschutz nach § 861 BGB.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat dieses der Antragsgegnerin aufgegeben, dem Antragsteller wieder Mitbesitz an
den Hausratsgegenständen einzuräumen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die geltend macht, der Antragsteller sei mit der Wegnahme
einverstanden gewesen. Hierüber habe das Familiengericht Beweis erheben müssen.
II.
Die nach §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 7 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige befristete Beschwerde der
Antragsgegnerin ist in der Sache unbegründet.
Die Entscheidung des Familiengerichts ist richtig. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten
wird, dass – um Rechte aus § 861 BGB geltend zu machen – kein Hausratsverteilungsverfahren im umfassenden Sinne
anhängig gemacht werden muss, wenn der Anspruch auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes auf § 861 BGB gestützt
wird. Die Voraussetzungen des § 861 BGB sind vorliegend erfüllt.
1. Nach § 621 Abs. 4 ZPO ist nicht mehr zu prüfen, ob das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu
Recht oder Unrecht angenommen hat. Jedoch teilt der Senat die Auffassung des Familiengerichts, dass – obwohl es sich
nicht um ein Hausratsverfahren im engeren Sinne handelt – das Familiengericht zuständig ist. Der Anspruch aus § 861
BGB hängt eng mit der Hausratsteilung zusammen. Gründe der Praktikabilität und Prozesswirtschaftlichkeit sprechen
dafür, über diesen Anspruch durch das Familiengericht im Hausratsverfahren zu entscheiden (BGH, FamRZ 1982, 1200;
OLG Frankfurt, FamRZ 2003, 47; Münchener-Kommentar/Wacke, BGB, 4. Aufl., § 1361 a Rn. 16 m.w.N.). Deshalb ist
statthaftes Rechtsmittel hier auch die befristete Beschwerde nach §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 7 ZP0.
2. Die Frage, ob bei eigenmächtiger Entfernung von Hausratsgegenständen durch einen Ehegatten der andere unter
Bezugnahme auf § 861 BGB die Rückschaffung verlangen kann, oder ob die Vorschriften über den Hausrat nach § 1361
a BGB, § 8 ff HausrVO vorgehen, ist umstritten (vgl. die Darstellung des Streitstands bei
Johannsen/Henrich/Brudermüller, Eherecht, 4. Aufl., § 1361 a BGB Rn. 58 ff).
In jüngerer Zeit haben die Oberlandesgerichte Nürnberg und Karlsruhe die Auffassung vertreten, dass § 1361 a BGB die
Vorschrift des § 861 BGB überlagert und ein Herausgabeanspruch trotz verbotener Eigenmacht nicht besteht, wenn der
Gegenstand nach den Kriterien des § 1361 a Abs. 1 und 2 BGB dem Ehegatten, der diesen gegen den Willen des
anderen aus der gemeinsamen Wohnung entfernt hat, zuzusprechen ist (OLG Nürnberg, FamRZ 2006, 486; OLG
Karlsruhe, FamRZ 2007, 59; so auch Schwab-Motzer, Hb. des Scheidungsrechts, 5. Aufl. VIII Rn. 9 m. w. N.). Nach dieser
Auffassung ist dann ein Hausratsverteilungsverfahren durchzuführen und der Hausrat nach Billigkeit zu verteilen.
Der Senat hatte sich in der Vergangenheit (Beschluss vom 27. Januar 2003 – 9 UF 719/02 – unveröffentlich) der
Auffassung angeschlossen, dass der nur Besitzschutz Erstrebende kein Zuweisungsverfahren nach § 1361 a BGB
anstrengen muss. § 1361 a BGB sei nicht lex specialis gegenüber § 861 BGB. Dieser werde lediglich durch § 1361 a
BGB dann modifiziert, wenn der andere Ehegatte geltend machen könne, gerade den eigenmächtig entfernten
Gegenstand zur Deckung seines Notbedarfs selbst zu benötigen (so auch: OLG Frankfurt, FamRZ 2003, 47; OLG Köln,
FamRZ 2001, 174; OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 760 für die ehel. Wohnung; ähnlich: Brudermüller a.a.O. Rn. 63 f). Zur
Feststellung dessen bedürfe es jedoch keines umfassenden Hausratsverfahrens.
Hieran wird festgehalten.
Die Befürworter des Vorrangs des § 1361 b BGB verweisen darauf, dass so widersprüchliche Ergebnisse und ein Hin
und Her im possessorischen und auf § 1361 a BGB gestützten Verfahren vermieden werde. Es erscheine nicht sinnvoll,
dass zunächst nach § 861 BGB die Zurückschaffung der Hausratsgegenstände angeordnet werde, um alsdann in einer
weiteren Entscheidung die Hausratsgegenstände gerade dem zuzuordnen, der die verbotene Eigenmacht begangen
habe. Für eine vorrangige Anwendung von § 1361 a BGB unter Ausschluss bzw. Überlagerung von § 861 BGB spreche
vor allem, dass dieses Verfahren speziell auf die Situation im Zusammenhang mit der Trennung ausgerichtet sei und
somit erlaube, dort möglichen Billigkeitserwägungen vorrangig Rechnung zu tragen.
Diese Argumentation überzeugt nicht. § 861 BGB und § 1361 a BGB verfolgen unterschiedliche Zwecke. § 861 BGB will
einen schnellen Besitzschutz gewährleisten, während § 1361 a BGB eine ausgewogene Verteilung des Hausrats nach
Billigkeit Geltung verschaffen will. Beide Ziele haben auch in der Trennungsphase ihre Berechtigung. Weil das
Hausratsverfahren kompliziert ausgestaltet ist, hat der Ehegatte, dessen (Mit)Besitz von dem anderen durch die
verbotene Eigenmacht entzogen wurde, ein berechtigtes Interesse auf schnellen Besitzschutz, ohne seinerseits die
Initiative für die Einleitung eines Hausratsverfahrens ergreifen zu müssen. Verlangt man ein solches, wird hierdurch einer
eigenmächtigen Hausratsverteilung Vorschub geleistet. Eine dahingehende Rechtsprechung müsste auch unerwünschte
Auswirkung auf die anwaltliche Beratungspraxis haben. Es mag sein, dass der Gegenstand als Folge eines späteren
Verfahrens, welches sich auf den gesamten Hausrat bezieht, wieder zurückgegeben werden muss. Das ist jedoch mit
Rücksicht darauf hinzunehmen, dass andernfalls dem Faustrecht der Weg geebnet würde.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der geschädigte Ehegatte im Ansatz kein Interesse an der Durchführung eines
Hausratsteilungsverfahrens hat. Er will nur, dass der weggenommen Gegenstand wieder in die Ehewohnung zurück
gelangt. Nicht selten hat auch der andere Ehegatte kein Interesse an einem Hausratsverfahren, so, wenn nur um eine
oder zwei Sachen gestritten wird. Dem geschädigten Gatten wird aber, folgt man der gegenläufigen Ansicht, auferlegt,
ein Hausratsverfahren einzuleiten und in diesem Zusammenhang alle erforderlichen Tatsachen darzulegen, die dem
Richter seine Billigkeitsentscheidung ermöglichen. Damit werden die Parteirollen auf den Kopf gestellt, denn es ist Sache
des Ehegatten, der Hausratsgegenstände für sich allein beansprucht, darzulegen, dass er (gerade) diese zur Führung
eines Haushalts während des Getrenntlebens benötigt und die Überlassung nach den Umständen des Falles der
Billigkeit entspricht. Dabei ist aufzuzeigen, was insgesamt an verteilungsfähigen Hausrat vorhanden ist und in wessen
Eigentum diese Gegenstände stehen. Anzugeben ist weiter, wer unter Beachtung welcher Überlegungen die jeweiligen
Gegenstände erhalten soll (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB, 65. Aufl., Rn. 12 Anhang zu §§ 1361 a, 1361 b Abschnitt 3).
Es erscheint unangemessen, den von einer verbotenen Eigenmacht Betroffenen – will er diese nicht hinnehmen – als
aktive Partei in dieses Verfahren zu zwingen. Aber selbst wenn für solche Fälle verlangt würde, dass der Geschädigte nur
die Voraussetzungen der verbotenen Eigenmacht darzulegen braucht, während der andere Ehegatte – will er diesen
Gegenstand zugewiesen erhalten – widerklagend eine Verteilung des gesamten Hausrates beantragen müsse, erscheint
es richtig, dem Betroffenen einer eigenmächtigen Hausratsverteilung sein Recht auf schnelle Entscheidung, die § 861
BGB ermöglicht, nicht zu nehmen. Demgegenüber ist es demjenigen, der verbotene Eigenmacht verübt, durchaus
zuzumuten, die Gegenstände zunächst zurück zu schaffen, bis über die Hausratsverteilung entschieden werden kann.
3. Die Voraussetzungen des § 861 BGB hat das Familiengericht mit zutreffenden Ausführungen als gegeben
erachtet. Der Senat nimmt auf die angefochtene Entscheidung insoweit Bezug.
Gegenüber dem Anspruch aus § 861 BGB kann nach § 863 BGB nur eingewandt werden, dass der Antragsteller die
Wegnahme gestattet hat. Das ist hier nicht der Fall. Entgegen der Auffassung der Beschwerde, reicht es hierfür nicht aus,
dass der Antragsteller nichts tut oder er nicht widerspricht. Mehr hat die Antragsgegnerin aber nicht behauptet, denn sie
lässt vortragen, „einen der Mitnahme entgegenstehenden Willen hat der Beschwerdegegner jedenfalls anlässlich des
Auszuges der Beschwerdeführerin nicht bekundet“. Einer Beweisaufnahme bedarf es deshalb nicht.
Die Antragsgegnerin hat auch nicht dargelegt, dass sie auf einzelne von ihr mitgenommene Hausratsgegenstände
dringend angewiesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 FGG, 20 HausrVO.
Bock Peters Semmelrogge