Urteil des OLG Koblenz vom 19.04.2010

OLG Koblenz: gerichtsstand des erfüllungsortes, örtliche zuständigkeit, vereinbarte eigenschaft, rückgabe, sma, bezirk, kaufvertrag, rückzahlung, gerät, klagebegehren

OLG
Koblenz
19.04.2010
4 W 206/10 SmA
Aktenzeichen:
4 W 206/10 SmA
8 C 150/10 AG Diez
Oberlandesgericht
Koblenz
Beschluss
In Sachen
K… M…,
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt
gegen
W… S…,
- Beklagter -
wegen Ansprüchen aus Kaufvertrag
hier: Bestimmung des zuständigen Gerichts
hat der 4. Zivilsenat des OberlandesgerichtsKoblenz durch den Präsidenten des OberlandesgerichtsBartz,
den Richter am OberlandesgerichtEisert und den Richter am OberlandesgerichtDr. von Gumpert am
19.04.2010 beschlossen:
Zuständig ist das Amtsgericht Passau.
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der
Kaufsache.
Der Kläger, der in H… im Bezirk des Amtsgerichts Diez wohnt, erwarb von dem Beklagten, der in Passau
wohnt, über das Internet ein Apple iPhone. Der Kläger, der das Gerät noch in Besitz hat, ist der
Auffassung, dass dem Gerät eine vertraglich vereinbarte Eigenschaft fehlt. Er forderte den Beklagten
vergeblich zur Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des iPhone auf.
Mit seiner bei dem Amtsgericht Diez erhobenen Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten die
Rückzahlung des Kaufpreises zuzüglich der gezahlten Versandkosten, insgesamt 705,90 Euro, Zug um
Zug gegen Rückgabe des iPhone. Des Weiteren begehrt er die Feststellung, dass sich der Beklagte mit
der Rücknahme in Annahmeverzug befindet. Auf Hinweis des Amtsgerichts an die Parteien hat der Kläger
mit Einverständnis des Beklagten die Verweisung an das Amtsgericht Passau beantragt. Durch Beschluss
vom 18. Februar 2010 hat das Amtsgericht Diez sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an
das Amtsgericht Passau verwiesen; wegen des Inhalts des Beschlusses wird auf GA 12 Bezug
genommen. Durch Beschluss vom 30. März 2010 hat das Amtsgericht Passau die Übernahme des
Verfahrens abgelehnt. Das Amtsgericht Passau ist der Auffassung, das Amtsgericht Diez sei unter dem
Gesichtspunkt des Erfüllungsorts für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Der
Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Diez entfalte keine Bindungswirkung. Wegen der Begründung
im Einzelnen wird auf GA 15 f. Bezug genommen.
Das Amtsgericht Diez hat die Sache dem Oberlandesgericht Koblenz zur Bestimmung des zuständigen
Gerichts vorgelegt.
II.
Das Oberlandesgericht Koblenz ist nach § 36 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die
Gerichtsstandsbestimmung zuständig. Der Kläger hat gemäß §§ 12,
13 ZPO seinen allgemeinen Gerichtsstand an dem für seinen Wohnort H… örtlich zuständigen
Amtsgericht Diez. Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten, der in Passau wohnt, liegt nach §§ 12, 13
ZPO bei dem Amtsgericht Passau. Das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist der
Bundesgerichtshof. Zur Gerichtsstandsbestimmung ist das Oberlandesgericht Koblenz berufen, weil der
Kläger das in diesem Bezirk gelegene Amtsgericht Diez mit der Sache befasst hat.
Die Zuständigkeitsbestimmung kann auch ohne Antrag der Parteien auf Vorlage eines der beteiligten
Gerichte erfolgen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 37 Rdnr. 2 m.w.Nachw.), hier des Amtsgerichts
Diez.
Die Voraussetzungen für die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Das
Amtsgericht Diez und das Amtsgericht Passau haben sich jeweils durch unanfechtbaren Beschluss für
unzuständig erklärt.
Als örtlich (und sachlich) zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Passau zu bestimmen. Das Amtsgericht
Passau ist zuständig, weil es nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an den Verweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Diez vom 18. Februar 2010 gebunden ist.
1. Verweisungsbeschlüsse sind nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Interesse der Prozessökonomie sowie
zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkter Verzögerungen und
Verteuerungen in der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4
ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht
erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 -
X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309, Tz. 6 m.w.Nachw.). Einem Verweisungsbeschluss kann daher die
gesetzlich vorgesehene bindende Wirkung nur dann abgesprochen werden, wenn er schlechterdings
nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung
rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen
Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGH, aaO). Hierfür genügt es
aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor,
wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständi-
ger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und
offensichtlich unhaltbar ist (BGH, aaO m.w.Nachw.).
2. Bei Anlegung dieses Maßstabs ist die durch das Amtsgericht Diez ausgesprochene Verweisung nicht
als willkürlich anzusehen.
Das Amtsgericht Passau ist als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten nach §§ 12, 13
ZPO örtlich zuständig.
Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Diez kommt allein unter dem Gesichtspunkt des besonderen
Gerichtsstands des Erfüllungsortes nach § 29 Abs. 1 ZPO in Betracht. Danach ist für Streitigkeiten aus
einem Vertragsverhältnis und über dessen Bestehen das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige
Verpflichtung zu erfüllen ist. Das Amtsgericht Diez hat mit jedenfalls nicht unvertretbaren Erwägungen
angenommen, dass der Erfüllungsort für das Klagebegehren des Klägers nicht an seinem Wohnsitz,
sondern am Wohnsitz des Beklagten in Passau liegt.
Der Erfüllungsort nach § 29 Abs. 1 ZPO bestimmt sich - sofern keine gesetzlichen Sonderregelungen
eingreifen - nach dem Leistungsort, der sich aus § 269 Abs. 1 und 2 BGB ergibt. Insoweit stellt § 269 Abs.
1 BGB als Dispositivnorm die von Gesetzes wegen zu beachtende Regel auf, dass die Leistung an dem
Ort zu erfolgen hat, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen
Wohnsitz hatte (BGHZ 157, 20, Tz. 12 m.w.Nachw.). Zwar zeigt das Amtsgericht Passau zutreffend auf,
dass nach herrschender Auffassung für Ansprüche des Käufers auf Rückgewähr des Kaufpreises und die
hiermit im Zusammenhang stehenden Ansprüche der Ort als Erfüllungsort anzusehen ist, an dem sich die
Kaufsache bestimmungsgemäß nach dem Vertrag befindet, da an diesem "Austauschort" die Kaufsache
zurückzugewähren ist (vgl. BayObLG, MDR 2004, 646; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 29 ZPO Rdnr.
45; Musielak/ Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 29 Rdnr. 28 "Kaufverträge"; MünchKommZPO/Patzina, 3. Aufl., § 29
Rdnr. 62; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 29 Rdnr. 25 "Kaufvertrag").
Diese Auffassung ist jedoch nicht unumstritten. Das Amtsgericht Diez hat in seinem Hinweis an die
Parteien, auf den es in seinem Verweisungsbeschluss Bezug genommen hat, unter anderem einen
Beschluss des Landgerichts Krefeld vom 27. Juli 1977 (MDR 1977, 1018) angeführt. Nach dieser
abweichenden Auffassung ist der Erfüllungsort für
die beiderseitigen Verpflichtungen der Kaufvertragsparteien bei Rückabwicklung des Kaufvertrags nicht
einheitlich, sondern für jede Verpflichtung gesondert zu beurteilen. Unter Zugrundelegung dieses
Rechtsstandpunkts ist nach § 269 Abs. 1 BGB der Erfüllungsort für den Rückgewähr- und
Schadensersatzanspruch des Käufers - hier des Klägers - der Wohnort des Verkäufers, hier des
Beklagten. Das Amtsgericht Diez hat auf der Grundlage dieser Auffassung folgerichtig angenommen, dass
es auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsortes örtlich zuständig ist, sondern dass der
besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 Abs. 1 ZPO bei dem für den Wohnsitz des
Beklagten zuständigen Amtsgericht Passau liegt.
Der vom Amtsgericht Diez eingenommene Rechtsstandpunkt entbehrt nicht jeder rechtlichen Grundlage
und ist nicht offensichtlich unhaltbar (vgl. auch Senat, Beschluss vom 26. Februar 2010 - 4 W 69/10 SmA,
unveröffentlicht). Das vom Amtsgericht Diez zitierte Landgericht Krefeld begründet betreffend den
Rückzahlungsanspruch des Käufers nach Wandlung seine von der herrschenden Meinung abweichende
Auffassung eingehend und mit Argumenten, die auch auf der Grundlage des seit dem 1. Januar 2002
geltenden Kaufrechts nicht von vorneherein abweisbar sind (vgl. auch Stöber, NJW 2006, 2661; AG
Bergisch-Gladbach, ZGS 2009, 431). Dem entspricht es, dass diese Auffassung in anerkannten
Kommentierungen zu § 29 ZPO vereinzelt geteilt wird (Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 29
Rdnr. 6) beziehungsweise weiterhin Beachtung findet und zitiert wird (vgl. etwa Musielak, Münchener
Kommentar, Stein/Jonas, Zöller, jeweils aaO). Es ist deshalb nicht als objektiv willkürlich anzusehen, dass
das Amtsgericht Diez sich die vorgenannte Auffassung zu eigen gemacht und auf dieser Grundlage seine
eigene örtliche Zuständigkeit verneint hat.
Bartz
Eisert
Dr. von Gumpert
Präsident
des Oberlandesgerichts
Richter
am Oberlandesgericht
Richter
am Oberlandesgericht
.