Urteil des OLG Koblenz vom 28.10.2005
OLG Koblenz: allgemeine versicherungsbedingungen, versicherungsschutz, avb, versicherungsnehmer, öffentlich, vermögensschaden, rüge, umbau, einbau, eigenschaden
Versicherungsvertragsrecht
OLG
Koblenz
28.10.2005
10 U 1366/04
Satzungsgemäße Tätigkeit im Sinne der Einleitung der allgemeinen Versicherungsbedingungen für Vermögensschaden-
Haftpflichtversicherungen für Handwerkskammern sowie Industrie- und Handelskammern ist nicht nur die Tätigkeit im
öffentllich-rechtlichen Bereich zur unmittelbaren Erfüllung der in § 91 Handwerksordnung niedergelegten Aufgaben
sondern auch die privatrechtlichen Hilfsgeschäfte, welche die Klägerin abschließen muss, um ihre öffentlich-rechtlichen
Aufgaben erfüllen zu können.
Geschäftsnummer:
10 U 1366/04
16 O 603/03 LG Koblenz
Verkündet am 28. Oktober 2005
Schäfer, B., Justizangestellte
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
des Oberlandesgerichts
in dem Rechtsstreit
H… K…,
Klägerin und Berufungsklägerin,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
g e g e n
N… Versicherung AG,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die
Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger auf die
mündliche Verhandlung vom 7.10.2005
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 25. Oktober 2004
abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.679,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins seit dem 11.
September 2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G R Ü N D E:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistung aufgrund eines Versicherungsvertrages.
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung, der die allgemeinen
Versicherungsbedingungen der Beklagten für Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen für Handwerkskammern
sowie Industrie- und Handelskammern (im folgenden AVB) zu Grunde liegen. Nach der Einleitung dieser AVB wird dem
Versicherten Versicherungsschutz sowohl für Drittschäden als auch für Eigenschäden gewährt, wobei bezüglich letzterer
folgende Regelung getroffen ist: „Falls nicht besonders ausgeschlossen (Klausel 159) gewährt der Versicherer dem
Versicherungsnehmer auch Versicherungsschutz für Vermögensschäden, die er infolge eines bei Ausübung
satzungsgemäßer Tätigkeit von den (im Versicherungsschein) bezeichneten Organen und Personen fahrlässig
begangenen Verstoßes unmittelbar erlitten hat.“
Im Jahre 2000 führte die Klägerin in ihrem Gebäude auf dem F…Ring in K… Umbauarbeiten durch, in deren Rahmen
auch die Fenster in den an den S… vermieteten Räumen erneuert werden mussten.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei aufgrund einer Vereinbarung mit ihrem Mieter verpflichtet gewesen, in den
Mieträumen zweiflügelige Fenster einbauen zu lassen, da sonst der Umbau dieser Räume als Tonstudios nicht möglich
gewesen wäre. Auf Grund eines Versehens eines Mitarbeiters seien auch für die Mieträume zunächst einflügelige
Fenster bestellt und eingebaut worden, die auf Rüge des Mieters wieder hätten ausgetauscht werden müssen. Zur
Schadensbeseitigung habe sie den Betrag von 12.679,68 € aufwenden müssen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass es
sich um einen Eigenschaden im Sinne der AVB handele, da auch der Umbau ihrer eigenen Immobilien
„satzungsgemäße Tätigkeit“ im Sinne der AVB sei.
Die Beklagte hat ein Fehlverhalten der Mitarbeiter der Klägerin bestritten. Sie hat die Auffassung vertreten, bei der
Planung und Ausführung von Umbauarbeiten handele es sich nicht um „satzungsgemäße Tätigkeit“ im Sinne der
Versicherungsbedingungen, sondern um rein privatwirtschaftliche Betätigung. Jedenfalls fehle es an einem
Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen dem behaupteten Fehlverhalten des Mitarbeiters und dem von der Klägerin
geltend gemachten Schaden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
Diese verfolgt ihren Antrag auf Zahlung von 12.679,68 € nebst Zinsen weiter. Sie macht geltend, wenn die Auffassung
des Landgerichts, dass ein Versicherungsschutz nur im Bereich ihrer öffentlichen Aufgaben bestehe, richtig sei, dann
könne sie keine versicherten Eigenschäden haben. Die öffentlichen Aufgaben richteten sich nach außen. Im
Innenverhältnis arbeite sie privatrechtlich bei solchen Geschäften, die notwendige Grundlage dafür seien, dass sie als
öffentliche Körperschaft tätig werden könne.
Die Beklagte begehrt Zurückweisung der Berufung. Sie ist der Auffassung, dass das angefochtene Urteil zutreffend ist.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf das landgerichtliche Urteil sowie auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Der Senat hat Beweis erhoben gemäß dem
Beweisbeschluss vom 7. Juli 2005 (Bl. 153 f. GA).
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages die
Erstattung des aufgrund der zunächst fehlerhaften Bestellung der Fenster entstandenen Mehraufwandes verlangen.
Der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung (maßgeblicher
Versicherungsschein 14.8.1998) schließt auch einen Versicherungsschutz der Klägerin für so genannte Eigenschäden
ein. Diese werden in den dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen der Beklagten dahingehend
definiert, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer auch Versicherungsschutz gewährt für Vermögensschäden,
die er infolge eines bei Ausübung satzungsgemäßer Tätigkeit von den bezeichneten Organen und Personen fahrlässig
begangenen Verstoßes unmittelbar erlitten hat.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Im vorliegend streitigen Schadensfall ist der Verstoß des Mitarbeiters
der Klägerin auch bei „Ausübung satzungsgemäßer Tätigkeit“ begangen worden.
Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass im Wege der Auslegung ermittelt werden muss, was unter Ausübung
satzungsgemäßer Tätigkeit im Sinne der AVB der Beklagten ist. Es hat weiterhin richtig erkannt, dass grundsätzlich
allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie sie von einem verständigen und redlichen
Versicherungsnehmer unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise verstanden werden, wobei neben dem
Wortlaut auch der Sinnzusammenhang der AVB, in den die Bestimmung hineingestellt ist, sowie der mit der Klausel
erkennbar verfolgte Zweck für die Auslegung maßgebend sind (BGH VersR 1991, 417). Dabei kommt es auf die
Verständnismöglichkeit eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch
– auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der
Verfasser der Bedingungen bei ihrer Abfassung vorstellte (BGH VersR 2000, 1090).
Streitig ist zwischen den Parteien die Auslegung des Begriffs der „satzungsmäßigen Tätigkeit“. Während die Klägerin der
Auffassung ist, dass „satzungsmäßige Tätigkeit“ nicht nur dann vorliege, wenn sie die ihr übertragenen öffentlichen
Aufgaben erfülle, sondern immer auch dann, wenn sie in diesem Rahmen privatrechtlich tätig werde und Hilfsgeschäfte
ausführe, die ihrer Aufgabenerfüllung dienten, wozu auch der Erwerb und die Bewirtschaftung von Grundstücken
gehörten, will die Beklagte unter „satzungsmäßiger Tätigkeit“ allein ein Tätigwerden der Klägerin im Bereich der ihr durch
die Handwerksordnung übertragenen öffentlichen Aufgaben sehen. Das Landgericht ist der Auffassung der Beklagten
gefolgt.
Der vom Landgericht für richtig erachteten Auslegung vermag der Senat nicht zu folgen. Zunächst ist davon auszugehen,
dass es sich bei der fraglichen Klausel um die Beschreibung des versprochenen Versicherungsschutzes für
Eigenschäden handelt. Leistungsbeschreibende (risikoabgrenzende) Klauseln der AVB sind von einer Inhaltskontrolle
nicht ausgenommen. Dabei ist auch im Rahmen der Auslegung einer in ihrem Inhalt nicht eindeutigen
Versicherungsklausel darauf zu achten, dass bei Anwendung einer generalisierenden Betrachtungsweise der
Versicherungsschutz nicht in einem den Vertragszweck gefährdenden Maß hinter der Risikodeckung zurückbleibt, die
die Versicherten im Hinblick auf den Gegenstand und Zweck des Versicherungsvertrages zu erwarten berechtigt sind
(OLG Koblenz VersR 1989, 1192). Die Auslegung eines eher allgemein gehaltenen Leistungsversprechens darf nicht
dazu führen, dass unter vorrangiger Berücksichtigung der Interessen des Versicherers der Versicherungsschutz für den
Versicherungsnehmer in seinem Kernbereich bis zur Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt wird. Das wäre jedoch, was den
versprochenen Versicherungsschutz für den Eigenschaden betrifft, dann der Fall, wenn der Begriff „satzungsmäßige
Tätigkeit“ dahingehend ausgelegt würde, dass davon allein und ausschließlich die öffentlich-rechtliche Tätigkeit der
Klägerin im Rahmen der durch § 91 Handwerksordnung festgelegten Aufgaben erfasst wird. Bei Ausführung dieser
Aufgaben ist es zwar denkbar, dass die Bediensteten der Klägerin betroffenen Dritten Schäden zufügen, für welche die
Klägerin haften muss. Dabei handelt es sich jedoch um ebenfalls versicherte Drittschäden. Es ist jedoch nur schwer
vorstellbar, dass in diesem öffentlich-rechtlichen Bereich der Aufgabenerfüllung unmittelbare Schäden für die Klägerin
verursacht werden. Unmittelbare Schädigungen der Klägerin können demgegenüber bei den privatrechtlichen
Hilfsgeschäften entstehen, welche die Klägerin abschließen muss, um ihre öffentlich-rechtlichen Aufgaben erfüllen zu
können. Auch diese Hilfsgeschäfte gehören zur „satzungsmäßigen Tätigkeit“ der Klägerin. Zu den Hilfsgeschäften gehört
auch die Verwaltung und Renovierung einer eigen genutzten Immobilie, und zwar auch insoweit, als sie teilweise einer
Vermietung zugeführt wird, weil der entsprechende Raum noch nicht für die Eigennutzung benötigt wird.
Der Klägerin ist ein Vermögensschaden in Höhe der geltend gemachten 12.679,68 € dadurch entstanden, dass einer
ihrer Bediensteten fehlerhaft für die vermieteten Räume einflüglige statt zweiflüglige Fenster bestellt hat, was aufgrund
der Beweisaufnahme erwiesen ist.
Der Schaden ist auch unmittelbar durch die Handlung eines Bediensteten der Klägerin, nämlich die Bestellung der nicht
brauchbaren Fenster verursacht worden. Wie die Beweisaufnahme durch die Vernehmung der Zeugen M… und B…
ergeben hat, war die Klägerin gegenüber ihrer Mieterin verpflichtet, in die Mieträume zweiflüglige Fenster einbauen zu
lassen, da nur so es möglich war, in diesen Räumen, wie beabsichtigt, Tonstudios einzubauen. Durch die Bestellung und
den Einbau einflügliger Fenster, die ausgetauscht werden mussten, ist der Klägerin der geltend gemachte Schaden
unmittelbar entstanden. Die Rüge des Fehlers durch die Mieterin war hierfür nicht ursachlich. Den Verantwortlichen der
Klägerin war bekannt, dass die Mieträume zu dem gemieteten Zweck nicht nutzbar waren beim Einbau einflügliger
Fenster. In Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung der Kläger waren sie gehalten, auch ohne Rüge des Mieters, den
vereinbarten Zustand herstellen zu lassen.
Da der Anspruch der Klägerin somit begründet ist, ist auf ihre Berufung das angefochtene Urteil abzuändern und der
Klage stattzugeben.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben
sind.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 12.679,68 € festgesetzt.
Weiss Schwager-Wenz Richterin am Oberlandesgericht
Zeitler-Hetger kann wegen Urlaubs
nicht unterschreiben.
Weiss