Urteil des OLG Koblenz vom 22.10.2007
OLG Koblenz: vernehmung von zeugen, beweisverfahren, säumnis, flucht, pfändung, genehmigung, gesundheitszustand, klinik, beratung, beweislast
Erbrecht
Zivil- und Zivilprozessrecht
OLG
Koblenz
22.10.2007
12 U 1677/06
Ein pflichtwidriges Verhalten
Geschäftsnummer:
12 U 1677/06
15 O 38/06 LG Koblenz
Verkündet
am 22.10.2007,
Matysik, Amtsinspektor
als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle
OBERLANDESGERICHT
KOBLENZ
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
in dem Rechtsstreit
F-R D,
Beklagter und Berufungskläger,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
H. H.,
Kläger und Berufungsbeklagter,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen eines Schadensersatzanspruches aufgrund der Anwaltshaftung.
Der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dierkes,
die Richterin am Oberlandesgericht Frey und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Eschelbach
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2007
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 8. November 2006
abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger verlangt vom Beklagten aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen Beratungs- und
Vertretungsmängeln aufgrund eines anwaltlichen Dienstvertrags. Der Kläger ist der Bruder des alkoholkranken und
durch den Betreuer J. N. vertretenen H. H. Dieser hatte im Rahmen einer Erbauseinandersetzung ein von der Mutter
geerbtes Hausgrundstück (9-Familienhaus mit Restaurant in K.) auf den Kläger übertragen. Der notariell beurkundete
Vertrag war von einem Notar in B. unter Mitwirkung eines Vertreters ohne Vertretungsmacht für H. H. abgeschlossen
worden. H. H. erklärte alsdann am 24. August 1998 vor einem Notar in K. die Genehmigung dieses Rechtsgeschäfts. Für
die Übertragung seines Miteigentumsanteils erhielt H. H. 250.000 DM, die er binnen zweier Jahre verbrauchte. Am
25. August 1998, einen Tag nach Abgabe der notariell beurkundeten Genehmigungserklärung, wurde H. H. wegen
seiner Alkoholkrankheit stationär in einem psychiatrischen Krankenhaus, den R. Kliniken, aufgenommen. Die
aufnehmende Ärztin äußerte den Verdacht, dass er die tags zuvor abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärung im Zustand
der Geschäftsunfähigkeit abgegeben haben könnte. Der Betreuer N. beauftragte den Beklagten mit der anwaltlichen
Vertretung des H. H. mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der Erbauseinandersetzung gerichtlich feststellen zu lassen und
eine Neuverteilung des Nachlasses herbeizuführen. Der Beklagte beantragte darauf zunächst die Einholung eines
Sachverständigengutachtens in einem selbständigen Beweisverfahren. Dieser Antrag wurde durch Beschluss des
Landgerichts Köln vom 12. September 2001 – 16 OH 17/01 – abgelehnt, weil kein Rechtsschutzinteresse ersichtlich sei.
Das Landgericht erlegte H. H. die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auf, die später mit 1.378,95 Euro nebst
Zinsen festgesetzt wurden und bei dem vermögenslosen H. H. nicht beigetrieben werden konnten. Der Beklagte erhob
für H. H., dem dafür in erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, die Hauptsacheklage auf Feststellung der
Nichtigkeit des Grundstücksgeschäfts im Rahmen der Erbauseinandersetzung. Das Landgericht Köln erhob
Zeugenbeweis, unterließ aber die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Kläger „floh“ darauf in einem
Termin vom 20. Juli 2004 „in die Säumnis“, um weitere Befundtatsachen zu ermitteln. Das führte zunächst zu einem die
Klage abweisenden Versäumnisurteil. Aufgrund des Einspruchs und der Einspruchsbegründung sah das Landgericht
immer noch keinen Anlass zur Einholung eines Sachverständigengutachtens und hielt sein Versäumnisurteil durch
Endurteil vom 4. Januar 2005 – 16 O 266/02 - aufrecht. Der Beklagte legte dagegen Berufung ein und rügte, dass ohne
Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht abschließend zu entscheiden gewesen sei. Das Oberlandesgericht
Köln wies die Berufung durch Beschluss vom 6. Mai 2005 – 2 U 13/03 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. H. H. hatte
danach auch die Kosten des Hauptsacheverfahrens zu tragen, die auf 6.507,28 Euro nebst Zinsen für die erste und
2.822,05 Euro nebst Zinsen für die zweite Instanz festgesetzt wurden. Der Kläger ließ einen Freistellungsanspruch seines
Bruders H. H. gegen den Beklagten hinsichtlich der Kostenforderungen pfänden und an sich zur Einziehung überweisen
(AG Montabaur Beschl. vom 12. Dezember 2005 – 14 M 1115/05). Er meint, dieser Anspruch habe sich durch Pfändung
und Überweisung in einen Schadensersatzanspruch umgewandelt, den er in Höhe von 5.075,64 Euro nebst Zinsen
wegen der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens, der Säumniskosten im erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren
und der Kosten des Berufungsverfahrens gegen den Beklagten geltend gemacht hat.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Beklagte habe seinen Bruder H. H. pflichtwidrig nicht darüber beraten, dass ein
selbständiges Beweisverfahren nicht zur Befriedung der Parteien geeignet gewesen sei und die Gefahr einer Ablehnung
des Beweissicherungsantrags als unzulässig bestanden habe. Die „Flucht in die Säumnis“ im erstinstanzlichen
Hauptsacheverfahren, die eine 5/10 Gebühr an Mehrkosten verursacht habe, habe H. H. keinen Vorteil gebracht,
weshalb sie eine anwaltliche Sorgfaltspflichtverletzung dargestellt habe. Außerdem habe er von der erkennbar
aussichtslosen Berufung abraten müssen. Deshalb seien auch die Kosten der Säumnis in erster Instanz und die Kosten
des Rechtsmittelverfahrens pflichtwidrig und schuldhaft vom Beklagten verursacht worden.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und dazu ausgeführt, er habe mit dem Betreuer J. N. die Sach- und
Rechtslage ausführlich erörtert gehabt. Mit Blick auf ein Schreiben der R. Klinik vom 19. März 2001, das Zweifel an der
Geschäftsfähigkeit des H. H. bei der Genehmigung des Grundstücksgeschäfts geäußert gehabt habe, habe er davon
ausgehen können, dass ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen sei und ein Rechtsstreit unter den Brüdern
schon mit einem Gutachten im selbständigen Beweisverfahren zu vermeiden gewesen wäre. Der Betreuer sei über den
Stand der Dinge stets informiert gewesen und habe sich ausweislich einer eidesstattlich versicherten Erklärung damit
einverstanden gezeigt. Schließlich habe auch der Gesundheitszustand des H. H. für eine Beweissicherung gesprochen.
Im Hauptsacheverfahren habe das Landgericht Köln nach der Vernehmung von Zeugen, die H. H. als unauffällig
bezeichnet hatten, darauf hingewiesen, dass „möglicherweise ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens eine
Endentscheidung zu treffen“ sei. Daraufhin sei ihm von dem in der mündlichen Verhandlung anwesenden Betreuer ein
Hinweis auf den Hausarzt von H. H. als Zeuge für Befundtatsachen zur Alkoholkrankheit gegeben worden. Zur
Vermeidung einer Zurückweisung entsprechenden Vorbringens als verspätet habe er sich zur „Flucht in die Säumnis“
entschieden und die Informationen des Betreuers zur Begründung des anschließend eingelegten Einspruchs verwendet.
Das Vorgehen sei prozesstaktisch richtig gewesen. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Köln, mit dem
dessen Versäumnisurteil aufrecht erhalten worden sei, sei „in Übereinstimmung mit dem Betreuer“ von H. H. eingelegt
worden. Zur Begründung sei die Nichtvernehmung der Zeugin B., die erstinstanzlich benannt gewesen sei, bemängelt
worden. Noch heute sei ihm und dem Betreuer unverständlich, warum diesem Beweisangebot nicht nachgegangen
worden sei. Im Ganzen liege keine anwaltliche Vertragspflichtverletzung vor und der Kläger habe die Begleichung der
Honorarrechnungen nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt. Im Übrigen erhob der Beklagte die Verjährungseinrede.
Der Kläger hat in einer Replik die anwaltliche Beratung des Betreuers durch den Beklagten mit Nichtwissen bestritten,
auf das sachverständige Zeugnis des Dr. D. im Vorprozess verwiesen, die Unerheblichkeit des Beweisangebots
bezüglich der Zeugin B. im Vorprozess betont und ist schließlich der Verjährungseinrede mit Hinweis auf
Sekundärpflichtverletzungen, die vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss mit erfasst seien, entgegen getreten.
Das Landgericht hat der Klage durch Urteil der 15. Zivilkammer vom 8. November 2006 stattgegeben und den Beklagten
zur Zahlung von 5.075,64 Euro nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Es hat ausgeführt, der Kläger habe nach der
Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs seines Bruders einen Schadensersatzanspruch in Höhe der
Klageforderung. Bei der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens habe es der Kläger versäumt, sofortige
Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss einzulegen. Zudem sei die Eilbedürftigkeit der Beweiserhebung mit
Blick auf den Gesundheitszustand nicht dargelegt worden. Das behauptete Einverständnis des Betreuers entlaste den
Beklagten nicht, weil er nicht vorgetragen habe, dass er zur Beschwerdeeinlegung geraten habe. Auch die „Flucht in die
Säumnis“ im Hauptsacheverfahren habe auf einer Pflichtverletzung beruht, weil nicht schon zuvor die Bedeutsamkeit des
Hausarztes als Zeuge ermittelt worden sei. Es habe auf der Hand gelegen, dass dieser Angaben zur Frage der
Geschäftsfähigkeit hätte machen können. Zudem sei in der Einspruchsbegründung nicht substantiiert vorgetragen
worden, was die darin benannten Zeugen bekunden sollten. Insoweit sei der Einspruch nicht zweckmäßig gewesen.
Schließlich habe der Beklagte seine Pflicht verletzt, von der Berufung abzuraten, weil diese aussichtslos gewesen sei.
Der Vortrag, er habe den Betreuer über die Risiken des Berufungsverfahrens unterrichtet, reiche nicht aus. In der
Berufungsbegründung seien keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen vorgetragen worden, die eine
Gutachteneinholung geboten hätten. Die Gutachteneinholung habe der Ausforschung gedient. Die Verjährungseinrede
greife wegen der Sekundärpflichtverletzungen nicht durch.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, der mit dem Rechtsmittel die Urteilsabänderung dahin
erstrebt, dass die Klage abgewiesen wird. Er meint, der Kläger habe eine nach dem Maßstab des § 829 ZPO in
Verbindung mit § 399 BGB rechtswirksame Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruches nicht schlüssig
dargelegt. Rechte aus dem Dienstvertrag höherer Art seien nicht pfändbar. Das Landgericht habe den
Schadensersatzanspruch hinsichtlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auf einen nicht vom Kläger
angeführten Sachverhalt, nämlich die unterlassene sofortige Beschwerde, gestützt; das sei rechtsfehlerhaft. Zudem sei
H. H. anerkannt pfandlos, so dass kein Schaden entstanden sei. Schließlich sei kein anwaltlicher Beratungsfehler zu
erkennen. Die Unterrichtung und Beratung des Betreuers sei pflichtgemäß erfolgt und dieser habe die Prozessführung in
allen streitgegenständlichen Punkten gebilligt und gefordert. Der Kläger habe die Darlegungs- und Beweislast für einen
anderen Sachverhalt. Insoweit sei die Klage unschlüssig. Das Landgericht habe die Darlegungs- und Beweislast falsch
bewertet und zudem selbst von seinem Standpunkt aus rechtsfehlerhaft sein Beweisangebot auf Vernehmung des
Zeugen N. übergangen.
Der Kläger ist der Berufung entgegen getreten.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen. Hinsichtlich der Feststellungen des Landgerichts verweist der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die
Gründe des angefochtenen Urteils
II.
Die Berufung ist begründet.
Die Klage im Anwaltsregressprozess ist schon unschlüssig, weil eine anwaltliche Pflichtverletzung nicht substantiiert
dargelegt wurde; auf die weiteren Fragen zur Schadensverursachung und zum Forderungsübergang sowie zur
Anspruchsverjährung kommt es danach nicht mehr an. Anhand der mitgeteilten Tatsachen ist eine anwaltliche
Pflichtverletzung des Beklagten sogar schon auszuschließen. Der Beklagte hatte die Prozesshandlungen im Vorprozess,
einschließlich des Antrags im selbständigen Beweisverfahren, jeweils im Auftrag des Betreuers des Mandanten H. H.
vorgenommen. Im selbständigen Beweisverfahren hatte der Kläger noch selbst vorgetragen, der Betreuer sei die
treibende Kraft gewesen (LG Köln 16 OH 16/01 Bl. 25 f.). Dann kann er sich im Anwaltsregressprozess nicht auf ein
Bestreiten der Involvierung des Betreuers in die Prozessführung mit Nichtwissen zurückziehen. Wenn der Rechtsanwalt
dem Auftrag des Mandanten Folge leistet, so verletzt er dadurch noch nicht seine anwaltlichen Pflichten, auch wenn die
Prozesshandlungen im Ergebnis erfolglos bleiben. Es wäre vielmehr Sache des Klägers gewesen, eine konkrete
Pflichtverletzung im Einzelnen darzutun und unter Beweis zu stellen. Daran fehlt es. Das Landgericht hat insoweit die
Darlegungslast falsch bewertet. Ein pflichtwidriges Verhalten des Rechtsanwalts ist im Anwaltshaftungsprozess vom
Mandanten oder – wie hier - von dessen Rechtsnachfolger darzulegen und zu beweisen, selbst soweit es dabei um
negative Tatsachen geht (vgl.
BGH
NJW 1987, 1322
, 1323;
1993, 1139
, 1140; WM 2007, 1183, 1185).
1. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens kann der Kläger nicht vom Beklagten ersetzt verlangen.
a) Das selbständige Beweisverfahren war mit der im Kern gleichlautenden eidesstattlichen Erklärung des Betreuers
verbunden, so dass davon auszugehen ist, dieser habe das Verfahren zur Vermeidung eines Rechtsstreits gewollt. Der
Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens war auch nicht fehlerhaft; die ablehnende Entscheidung
des Landgerichts Köln beweist nicht das Gegenteil. Es lag auf der Hand, dass ein Beweisverlust mit weiterem Zeitablauf
drohte, weil eine Verschlechterung des Gesundheitszustands von H. H., der unstreitig schwer alkoholkrank war und
zuletzt Entgiftungen in akuten Phasen seiner Alkoholerkrankung absolviert hatte, nach der Lebenserfahrung zu erwarten
war. Sogar sein Tod als Sekundärfolge seiner schweren Alkoholerkrankung lag nicht fern und hätte gegebenenfalls zur
Perpetuierung der ärztlichen Schweigepflicht geführt (vgl. OLG Naumburg Beschl. vom 9. Dezember 2004 – 4 W 43/04).
Dass vor diesem Hintergrund der Antrag im selbständigen Beweisverfahren abgelehnt werden würde, war für den
jetzigen Beklagten nicht vorherzusehen.
Der weitere Gang des selbständigen Beweisverfahrens und eine der Antragstellung nachfolgende Pflichtverletzung des
Beklagten ist vom Kläger nicht vorgetragen worden. Damit fehlt eine ausreichende Tatsachenbasis im Klägervortrag zur
Entscheidung der Frage, ob der Beschluss des Landgerichts Köln im selbständigen Beweisverfahren zutreffend war. Das
muss im Übrigen der Schadensersatzrichter autonom beurteilen (vgl.
BGHZ 72, 328
,
330
;
124, 86
,
96
; 133, 110, 111). Die
Bezugnahme auf die Akte des Beweisverfahrens ersetzt den erforderlichen Parteivortrag nicht. Schließlich ist der Senat
schon aufgrund der mitgeteilten Tatsachen der Ansicht, dass die landgerichtliche Entscheidung im selbständigen
Beweisverfahren nicht zutrifft.
b) Die Versäumung einer Beschwerde als anwaltliche Pflichtverletzung ist nicht Prozessgegenstand, weil der Kläger sein
Begehren nicht auf diesen Klagegrund gestützt hat. Darauf durfte das Landgericht bei seiner Entscheidung in erster
Instanz folglich gar nicht abstellen.
Überdies war es nach Ansicht des Senats auch nicht fehlerhaft, dass der Beklagte die Klage im Hauptsacheverfahren, in
dem alsdann mit Sachverständigenhilfe Beweis zu erheben gewesen wäre, als sachdienlicher ansah als eine
Fortführung des selbständigen Beweisverfahrens in der Beschwerdeinstanz.
2. Die Klageerhebung im Hauptsacheverfahren durch den Beklagten als Prozessbevollmächtigten des H. H., vertreten
durch den Betreuer, war mitsamt der zwischenzeitlichen „Flucht in die Säumnis“ nicht zu beanstanden.
Chronischer Alkoholmissbrauch kann unabhängig von einer akuten Alkoholintoxikation zur Geschäftsunfähigkeit führen
(vgl. BGH Beschl. vom 26. Februar 1992 – XII ZB 145/91; BayObLG FamRZ 1991, 608, 609). Trunksucht kann schon
dadurch zum Ausschluss der freien Willensbestimmung führen, dass die Begehrensvorstellung jeden anderweitigen
vernünftigen Gedanken ausschließt (vgl. BGH WM 1972, 972; BayObLG DAVorm 1991, 104 ff.). Dies war der Streitpunkt
im Hauptsacheverfahren des Vorprozesses und dies musste das Beweisthema sein, das letztlich nur mit Hilfe eines
Sachverständigen sachgerecht auszuschöpfen gewesen wäre. Die „Flucht“ des Beklagten als Prozessbevollmächtigter
„in die Säumnis“ nach einem Fehlschlag der Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung über Befundtatsachen war
sachgerecht. Es war nicht abzusehen gewesen, dass die vom Landgericht Köln vernommenen Zeugen bekunden
würden, H. H. sei ihnen völlig unauffällig begegnet und habe keine Anzeichen einer alkoholischen Beeinträchtigung
gezeigt. Unstreitig litt H. H. unter einer schweren Alkoholerkrankung, die vor dem Hintergrund regelmäßigen suchtartigen
Alkoholkonsums bis zum Kontrollverlust in zeitlicher Nähe zu den Beobachtungen der Zeugen zu mehreren Entgiftungen
geführt hatte. Nicht ohne Grund hat er inzwischen auch einen Betreuer, weil er wegen seiner Alkoholerkrankung seine
Angelegenheiten nicht mehr selbst sachgemäß erledigen kann. Vor diesem Hintergrund der vorhandenen schweren
Alkoholerkrankung waren die Zeugenaussagen, dass keinerlei Alkoholbeeinträchtigung festzustellen gewesen sei,
vollkommen überraschend. Sie erscheinen bei Berücksichtigung der schweren Alkoholerkrankung des H. H. auch kaum
glaubhaft. Jedenfalls waren sie im Vorprozess zur abschließenden Bewertung der Befindlichkeit des H. H. zur Zeit des
Notartermins völlig ungeeignet. Die Klage galt dem Landgericht auch nicht etwa als unschlüssig (vgl. BGHR BGB § 104
Nr. 2 Willensbestimmung, freie 1 Substantiierung), sondern es erhob immerhin zunächst (Zeugen-) Beweis. Darauf, dass
es hiernach annehmen würde, es seien keine ausreichenden Befundtatsachen für eine Gutachtenerstattung zu erwarten,
hätte es jedenfalls nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 139 Abs. 1 ZPO hinweisen müssen, um eine
Überraschungsentscheidung zu vermeiden, die alsdann jedoch getroffen wurde. Die Annahme des Landgerichts Köln
und später des Oberlandesgerichts Köln, dass keine ausreichenden Befundgrundlagen für eine weitere Beweiserhebung
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens verfügbar seien, trifft nach der im Regressprozess maßgeblichen
Ansicht des Senats auch nicht zu. Sie geht darüber hinweg, dass
- H. H. unstreitig schwer alkoholkrank ist und wegen dieser Alkoholkrankheit inzwischen unter Betreuung steht,
- im Bereich medizinischer Bewertungsfragen die Anforderungen an die Sachdarstellung und Beweisführung nicht
überspannt werden dürfen,
- H. H. sich wiederholt in stationärer Behandlung befand, so dass Krankenunterlagen der Klinik und des Hausarztes
vorhanden sein mussten,
- dessen Behauptung des regelmäßigen Trinkens bis zum Kontrollverlust im fraglichen Zeitraum im Raum stand und
- mit dem behandelnden Hausarzt, den Klinikärzten und den beschaffbaren Krankenunterlagen sowie mit einer
Exploration des dafür verfügbaren Probanden zahlreiche Befundtatsachen für ein Sachverständigengutachten zu
beschaffen gewesen wären.
3. Die anwaltliche Vertretung des H. H. durch den Beklagten im Berufungsverfahren war vor dem genannten Hintergrund
ebenfalls nicht pflichtwidrig, sondern sachgerecht. Zwar muss der Rechtsanwalt von einer offensichtlich aussichtslosen
Berufung abraten (vgl. Senat Urt. vom 12. Juni 2006 – 12 U 315/05); ein solcher Fall lag aber erkennbar nicht vor.
Die Annahme des Oberlandesgerichts Köln, die Zeugin B. habe nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage machen und
deshalb zur sicheren Feststellung der Geschäftsunfähigkeit des H. H. bei der notariell beurkundeten Erklärung der
Genehmigung der Erbauseinandersetzung bezüglich des Hausgrundstücks nichts beitragen können, geht daran vorbei,
dass diese Zeugin nur Befundtatsachen für ein nachfolgendes Gutachten, auf das sie selbst verwiesen hatte, liefern
sollte. Im Kern war mit der Berufung daher zu Recht auch die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens
bemängelt worden. Die Berufungsentscheidung verfehlt das Thema dieses Berufungsangriffs und enthält außerdem eine
unzulässige Beweisantizipation; dies verletzt Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH VersR 2007, 967). Sie ist deshalb nicht dazu
geeignet, eine anwaltliche Pflichtverletzung des Beklagten bei der Einlegung und Begründung der Berufung im
Vorprozess zu belegen.
Schließlich war auch die Berufung vom Betreuer genau mit dem Ziel der Gutachteneinholung gewollt und kann auch aus
diesem Grund keine anwaltliche Pflichtverletzung darstellen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf
§§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Ein Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO. Der Senat folgt der zitierten höchstrichterlichen
Rechtsprechung. Dass die Entscheidungen des Landgerichts Köln und des Oberlandesgerichts Köln im Vorprozess
damit nicht vereinbar sind, zwingt das Regressgericht im Anwaltshaftungsprozess nicht zur Revisionszulassung.
Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt 5.075,64 Euro.
Dierkes Frey Dr. Eschelbach