Urteil des OLG Koblenz vom 07.12.2010

OLG Koblenz: wiedereinsetzung in den vorigen stand, elektronische post, entscheidungsformel, fax, berufungsschrift, beleidigung, verschulden, formerfordernis, quelle, stg

OLG
Koblenz
07.12.2010
1 Ws 563, 564/10
Geschäftsnummer:
1 Ws 563, 564/10
3111 Js 18691/08. 6 Ns – LG Mainz
3111 Js 18691/08 – StA Mainz
In der Strafsache
g e g e n
...
w e g e n Beleidigung
hier: Verwerfung der Berufung als unzulässig; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch die Vorsitzende Richterin am
Oberlandesgericht Blettner, den Richter am Oberlandesgericht Summa und die Richterin am
Oberlandesgericht Hardt
am 7. Dezember 2010 b e s c h l o s s e n :
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 6. kleinen Strafkammer des
Landgerichts Mainz vom 22. Oktober 2010 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) mit der
Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der angefochtene Beschluss insgesamt wie folgt neu gefasst
wird:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird Ziffer 1 der Entscheidungsformel des Beschlusses
des Amtsgerichts Alzey vom 22. September 2010 aufgehoben.
Der Antrag des Angeklagten, ihm gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das
Urteil des Amtsgerichts Alzey vom 12. August 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,
wird als unzulässig verworfen.
2. Auf den Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Berufungsgerichts werden Ziffer 2 und 3 der
Entscheidungsformel des Beschlusses des Amtsgerichts Alzey vom 22. September 2010 aufgehoben.
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Alzey vom 12. August 2010 wird gemäß
§ 322 Abs. 1 Satz 1 StPO auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unzulässig verworfen.
G r ü n d e:
I.
Das Amtsgericht Alzey hat den Angeklagten durch Strafbefehl vom 9. Juni 2009 wegen Beleidigung in drei
Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 60 € verurteilt und einen bei dem
Angeklagten sichergestellten Laptop, einen PC-Tower und eine externe Festplatte eingezogen. Auf den
dagegen eingelegten Einspruch des Angeklagten, den dieser in der Hauptverhandlung (mit Zustimmung
der Staatsanwaltschaft) auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Amtsgericht Alzey ihn
durch Urteil vom 12. August 2010 wegen der rechtskräftig festgestellten Taten zu einer Gesamtgeldstrafe
von 60 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt und hat den sichergestellten PC-Tower und die externe Festplatte
eingezogen.
Der Angeklagte, dem in der Hauptverhandlung eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung erteilt
worden war, hat mit Schreiben vom 18. August 2010, das er am 19. August 2010 ausschließlich per E-
Mail, die mit einer digitalen Unterschrift versehen war, an das Amtsgericht Alzey mit dem Hinweis „Fax
defekt“ übersandt hat, gegen das Urteil Berufung eingelegt. Mit Schreiben vom 24. August 2010, das am
25. August 2010 in den Postgang gelangt ist, hat der Strafrichter den Angeklagten darauf hingewiesen,
dass das übermittelte Berufungsschreiben nicht den Formerfordernissen entspreche. Gleichzeitig hat er
ihm Gelegenheit gegeben, binnen einer Woche den unter dem Stichwort „Fax defekt“ bezeichneten
Sachverhalt näher darzulegen, und hat ihn über die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags und die
Anforderungen nach § 45 Abs. 1 und 2 StPO belehrt.
Daraufhin ist am 1. September 2010 ein Schreiben des Angeklagten vom 31. August 2010 bei dem
Amtsgericht Alzey eingegangen, das u.a. folgenden Wortlaut hat (Bl. 366 ff. d.A.):
„hiermit stelle ich alle erforderlichen Anträge für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Technik
hatte mich im Stich gelassen.
Es ist richtig, dass ich die Berufung auf das Strafmaß und die Einziehung meiner Computer beschränke.
…“
Mit Beschluss vom 22. September 2010 hat das Amtsgericht Alzey den „Antrag des Angeklagten auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Versäumung der Frist zur Einlegung der
Berufung … verworfen“ (Ziffer 1 des Entscheidungstenors), seine Berufung gegen das Urteil vom 12.
August 2010 als unzulässig verworfen (Ziffer 2 des Entscheidungstenors) und dem Angeklagten die
Kosten der Berufung auferlegt (Ziffer 3 des Entscheidungstenors). Dieser Beschluss ist dem Angeklagten
am 25. September 2010 mit der Belehrung zugestellt worden, dass er binnen einer Woche schriftlich
Antrag auf Einscheidung des Berufungsgerichts stellen könne.
Mit Schreiben vom 30. September 2010, eingegangen beim Amtsgericht Alzey am 1. Oktober 2010, hat
der Betroffene beantragt, „den Beschluss dem Berufungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.“
Mit Beschluss vom 22. Oktober 2010 hat der Vorsitzende der für die Berufung zuständigen kleinen
Strafkammer den Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Berufungsgerichts als unbegründet
verworfen (Ziffer 1 des Entscheidungstenors) und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist als unzulässig zurückzuweisen (Ziffer 2 des
Entscheidungstenors).
Gegen diesen, dem Angeklagten am 3. November 2010 zugestellten Beschluss hat er mit am 5.
November 2010 beim Landgericht Mainz eingegangenen Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt. Zur
Begründung hat er ausgeführt, er habe die Berufungserklärung per E-Mail übermittelt, weil sein Drucker –
ein Multifunktionsgerät – am 18. August 2010 plötzlich versagt habe. Da er die Erklärung deshalb weder
habe ausdrucken noch per Telefax versenden können, sei ihm nur die elektronische Übermittlung
geblieben. Auch widerrufe er „die Erklärung, die Berufung auf das Strafmaß zu beschränken“ und „fechte
das Urteil in seiner Gesamtheit an.“
II.
Das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, das sich sowohl gegen die Verwerfung des
Wiedereinsetzungsantrages durch das Landgericht als auch „die Verwerfung seines Antrags auf
Entscheidung des Berufungsgerichts als unbegründet“ richtet, ist zulässig. Es hat jedoch im Ergebnis
keinen Erfolg in der Sache.
1. Die Zulässigkeit der form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde ergibt sich aus
Folgendem:
a) Soweit sich die sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags des
Angeklagten gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist durch den Beschluss des
Berufungsgerichts richtet, ist die sofortige Beschwerde gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaft.
Dem steht nicht entgegen, dass bereits das gegen die Verwerfung seines Wiedereinsetzungsantrags
durch den Beschluss des Amtsgerichts Alzey vom 22. September 2010 gerichtete Rechtsmittel des
Angeklagten als sofortige Beschwerde gemäß § 46 Abs. 3 StPO auszulegen war, über die nicht die
Strafkammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. GVG) zu entscheiden
hatte, sondern das zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 46 Abs. 3 StPO
zuständige Berufungsgericht, d.h. die kleine Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der
Hauptverhandlung maßgeblichen Besetzung (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 46 Rn. 8 m.w.N.) und die
nicht nur zu der – vom Berufungsgericht tatsächlich getroffenen – originären eigenen Entscheidung über
den Wiedereinsetzungsantrag, sondern auch zur Aufhebung der Entscheidung des nach § 46 Abs. 1 StPO
unzuständigen Gerichts des ersten Rechtszugs hätte führen müssen. Da demnach eine erste
Sachentscheidung des Berufungsgerichts vorliegt, steht § 310 StPO, wonach die weitere Beschwerde nur
gegen eine Verhaftung, eine einstweilige Unterbringung oder in bestimmten Fällen gegen eine
Anordnung des dinglichen Arrestes zulässig ist, der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die
Entscheidung des Berufungsgerichts nicht entgegen.
b) Nicht anders verhält es sich, soweit sich die sofortige Beschwerde gegen „die Verwerfung seines
Antrags auf Entscheidung des Berufungsgerichts als unbegründet“ richtet.
Zwar ist eine Anfechtung der nach § 319 Abs. 2 StPO durch das Berufungsgericht ergangenen
Entscheidung grundsätzlich ausgeschlossen (Meyer-Goßner a.a.O. § 319 Rn. 5 m.w.N.). Die sofortige
Beschwerde ist aber dann ausnahmsweise statthaft, wenn das Berufungsgericht der Sache nach eine nur
formal auf § 319 Abs. 2 StPO gestützte Erstentscheidung getroffen hat, weil das Amtsgericht die Berufung
aus einem anderen als dem in § 319 Abs. 1 StPO genannten Grunde verworfen hat oder zur Verwerfung
aus einem anderen als dem in § 319 Abs. 1 StPO genannten Grunde verworfen hat oder zur Verwerfung
der Berufung nicht (mehr) befugt war (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 47 <48>; Meyer-Goßner a.a.O. § 319
Rn. 5; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 322, Rn. 4).
So liegt der Fall hier. Denn das Amtsgericht darf die Berufung gemäß § 319 Abs. 1 StPO nur dann in
eigener Zuständigkeit als unzulässig verwerfen, wenn die Berufung verspätet eingelegt ist und keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt. Ist – wie hier – ein Wiedereinsetzungsantrag
gestellt, so muss das Amtsgericht die Akten dem Berufungsgericht vorlegen, das gemäß § 46 Abs. 1 StPO
über das Wiedereinsetzungsgesuch entscheidet und – wenn diesem nicht stattzugeben ist – die Berufung
gemäß § 322 Abs. 1 Satz 1 StPO im Beschlusswege als unzulässig verwirft (Senat, Beschluss vom
13.11.2000 – 1 Ws 649/00; Meyer-Goßner a.a.O. § 319 Rn. 7 i.V.m. § 346 Rn. 4 und 16). In der hier
vorliegenden Fallgestaltung hätte die Berufungskammer den Antrag nach § 319 Abs. 2 StPO demnach
nicht als unbegründet verwerfen dürfen. Sie hätte vielmehr den auf § 319 Abs. 1 StPO gestützten
Beschluss des Amtsgerichts über die Berufungsverwerfung aufheben und die Berufung in eigener
originärer Zuständigkeit nach § 322 Abs. 1 StPO verwerfen müssen (BGHSt 16, 115 <118>; NStZ 97, 148;
Meyer-Goßner a.a.O. § 346 Rn. 10 m.w.N.). Da die prozessual gebotene Entscheidung gemäß § 322 Abs.
2 StPO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist, kann für die tatsächlich erfolgte Verwerfung des
Antrags auf Entscheidung des Berufungsgerichts als unbegründet nichts anderes gelten.
2. Das Rechtsmittel ist im Ergebnis nicht begründet. Es führt – aus den bereits im Zusammenhang mit den
Ausführungen zur Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde dargelegten Gründen lediglich zur Neufassung
der Entscheidungsformel des angefochtenen Beschlusses.
a) Die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Alzey vom 12. August 2010 ist –
innerhalb der Frist des § 314 Abs. 1 StPO – nicht in der nach derselben Bestimmung zulässigen Form (zu
Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich) eingelegt worden.
Die Einlegung der Berufung durch elektronische Post vom 19. August 2010 war unzulässig. Die
Voraussetzungen des § 41a StPO, wonach Erklärungen als elektronisches Dokument eingereicht werden
können, lagen nicht vor. In Rheinland-Pfalz besteht für die Strafgerichtsbarkeit noch keine
Rechtsverordnung entsprechend § 41a Abs. 2 StPO über die Zulassung elektronischer Dokumente. Es
kommt deshalb nicht darauf an, dass die elektronische Post der Angeklagten entgegen dem
Formerfordernis des § 41a Abs. 1 StPO auch nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach
dem Signaturgesetz versehen worden ist (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2007 – 1 Ws 283/07; s. auch
OLG Oldenburg NJW 2009, 536).
Erst mit der Stellung des Wiedereinsetzungsantrags am 1. September hat der Angeklagte durch seinen
Hinweis, an der „Berufungsbeschränkung“ festzuhalten, der Form des § 314 Abs. 1 StPO entsprechend
zum Ausdruck gebracht, dass er Berufung gegen das Urteil vom 12. August 2010 einlege. Die nach
derselben Bestimmung geltende Wochenfrist war jedoch bereits am 19. August 2010 um 24.00 Uhr
abgelaufen.
b) Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen zu Recht als unzulässig
verworfen.
Der Angeklagte hat schon keinen Sachverhalt vorgetragen, der ein der Wiedereinsetzung
entgegenstehendes Verschulden ausschließt (stg. Senatsrechtsprechung; Meyer-Goßner a.a.O. § 45 Rn.
5 m.w.N.). Der Angeklagte war ausweislich der Sitzungsniederschrift ausdrücklich darüber belehrt worden,
dass er die Berufung binnen einer Woche ab Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder
schriftlich einlegen kann. Wenn ihn also sein Druck-/Faxgerät am 18. August 2010 im Stich gelassen
haben sollte, hätte er am 19. August 2010 (dem letzten Tag der Berufungseinlegungsfrist) zum etwa 20 km
von seinem Wohnort entfernt gelegenen Amtsgericht Alzey fahren und die Berufung zu Protokoll der
Geschäftstelle erklären oder im Gericht eine handschriftliche Berufungsschrift abgeben können. Auch
hätte er eine handschriftlich verfasste Berufungsschrift als Eilbrief von einer Poststelle aus oder als Fax
von einem Fremdgerät aus versenden können. Darauf, dass es außerdem an jeglicher Glaubhaftmachung
des Gerätedefekts fehlt, kommt es mithin nicht mehr an.