Urteil des OLG Koblenz vom 09.12.2005
OLG Koblenz: versicherer, versicherungsnehmer, treu und glauben, lebensversicherung, prozess, anfechtung, vermittler, versicherungsvertrag, erheblichkeit, rücktritt
OLG
Koblenz
09.12.2005
10 U 975/04
Zum Anwaltsregress bei verlorenem Prozess auf BU-Leistungen - Vortrag zur Entkräftung des Arglistvorwurfs.
Geschäftsnummer:
10 U 975/04
15 0 392/03 LG Koblenz
Verkündet
am 9. Dezember 2005
Schäfer, Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
g e g e n
1. Rechtsanwalt
2. Rechtsanwalt
3. Rechtsanwalt
4. Rechtsanwältin
Beklagte und Berufungsbeklagte,
-Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die
Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger auf die
mündliche Verhandlung vom 18. November 2005
für R e c h t erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 30. Juni 2004 wird
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 30. Juni 2004 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu
vollstreckenden Betrages leisten.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger begehrt von den Beklagten als seinen ehemaligen Prozessbevollmächtigten die Zahlung von
Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzungen in einem von dem Kläger gegen die X-Lebensversicherung
geführten Rechtsstreit, in dem der Kläger letztlich erfolglos Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
geltend machte.
Der Kläger beantragte unter dem 28.12.2000 bei der X-Lebensversicherung den Abschluss einer fondsgebundenen
Lebensversicherung und einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Bl. 28 - 31 d.A.). Dabei hatte er die
Gesundheitsfragen des Antragsformulars insgesamt mit „Nein“ beantwortet, so auch die Frage nach ärztlichen
Behandlungen in den letzten 10 Jahren wegen u.a. Beschwerden der Wirbelsäule und Gelenke sowie nach ärztlichen
Behandlungen in den letzten fünf Jahren und nach dem Vorliegen körperlicher und geistiger Beeinträchtigungen. Der
Kläger gab seinen Hausarzt mit dem Zusatz „Routine 11/2000 ohne Befund“ an. Auf diesen Antrag hin, den ein Herr Y als
Vermittler unterzeichnete, kam es zum Abschluss eines entsprechenden Versicherungsvertrages.
Nachdem der Kläger, der als Auslieferungsfahrer tätig war, aufgrund einer schweren Gehirnerkrankung (hirnorganisches
Psychosyndrom als Folge eines malignen Gehirntumors) am 7.2.2001 arbeitsunfähig wurde, meldete er Ansprüche aus
der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung an. Die X-Lebensversicherung holte im Rahmen der Anspruchsprüfung eine
Auskunft der AOK ein. Aus dieser ergab sich, dass der Kläger seit dem Jahre 1996 wegen einer Vielzahl von
Erkrankungen ärztlich behandelt worden war. U.a. war er im November 2000 wegen eines Bandscheibenvorfalls ärztlich
behandelt worden und deswegen vom 30.10.00 bis 8.11.00 arbeitsunfähig gewesen. Zudem war er am 9.3.2000 wegen
einer Lumboischialgie behandelt worden und vom 9.3.00 bis 20.3.00 arbeitsunfähig gewesen, am 24.8.1999 wegen
einer Lumbago und am 15.4.1998 wegen intermittierender Doppelbilder mit Arbeitsunfähigkeit vom 16. bis 17.4.98
behandelt worden. Insgesamt wies die Auskunft der AOK für den Zeitraum 7.2.1996 bis 2.12.2000 28
Behandlungstermine wegen verschiedener Erkrankungen des Klägers aus. Daraufhin lehnte die Versicherung am 24.
September 2001 die geltend gemachten Ansprüche des Klägers ab und erklärte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag,
weil der Kläger bei dem Ausfüllen des Antrags Vorerkrankungen in erheblichen Umfang nicht angegeben habe. Mit
Schreiben vom 30.10.2001 erklärte der Versicherer zusätzlich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung im Hinblick
auf die verschwiegenen Vorerkrankungen.
Die Beklagten erhoben sodann im Namen des Klägers Klage auf Leistungen aus der
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gegen die X-Lebensversicherung bei dem Landgericht O (2 O 401/01). Der
sachbearbeitenden Beklagten zu 4. teilte der Kläger im Verlauf des Streitverfahrens mit, der ihm seit längerer Zeit gut
bekannte Herr Y sei bei ihm als Versicherungsvertreter des Maklerunternehmens Q erschienen, habe ihm zum Abschluss
des Vertrages geraten und mit ihm zusammen insbesondere die Gesundheitsfragen beantwortet, wobei Herr Y den
Antrag ausgefüllt habe. Diese Angaben des Klägers wurden von den Beklagten nicht in den Prozess vor dem
Landgericht O eingeführt.
Mit Urteil vom 21.2.2002 (Bl. 9 - 13 d.A.) wies das Landgericht O die Klage des Klägers gegen die X-Lebensversicherung
ab, da die Versicherung den Versicherungsvertrag wirksam gemäß § 123 BGB angefochten habe. Der Kläger habe
objektiv Vorerkrankungen in erheblichem Umfang verschwiegen. Für den Kläger habe offensichtlich sein müssen, dass
ein Bandscheibenvorfall und eine damit zusammenhängende Arbeitsunfähigkeit für seinen Beruf eine erhebliche
Bedeutung für das Risiko der Berufsunfähigkeit habe; dies gelte auch für den Umstand, dass der Kläger seit Jahren
immer wieder unter Doppelbildern gelitten habe und insgesamt in der Zeit vor Vertragsabschluss von schlechter
körperlicher Gesamtverfassung gewesen sei.
Hiergegen legte der Kläger Berufung ein und brachte dabei erstmalig vor, der Versicherungsvertreter Y habe die
Gesundheitsfragen beantwortet. Das Oberlandesgericht P ließ diesen neuen Sachvortrag des Klägers gemäß § 531 Abs.
2 ZPO nicht zu und wies die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 26.9.2002 (Bl. 14 - 17 d.A.) zurück.
Der Kläger machte gegenüber den Beklagten mit Schreiben vom 13.12.2002 (Bl. 18 - 19 d.A.) erfolglos
Schadensersatzansprüche wegen Anwaltsverschuldens in dem vor dem Landgericht O geführten Prozess geltend in
Höhe der vorgesehenen Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 450,45 €. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit der
vorliegenden Klage weiter.
Er hat vorgetragen,
die Klageabweisung durch das Landgericht O sei darauf zurückzuführen, dass die Beklagten seinen Vortrag, Herr Y
habe die Gesundheitsfragen in dem Versicherungsantrag beantwortet, nicht in den Prozess eingeführt hätten. Er habe
der Beklagten zu 4. mitgeteilt, dass Herr Y die entsprechenden Versicherungsvordrucke mitgebracht und erklärt habe, die
ihm von dem Kläger wahrheitsgemäß geschilderten sämtlichen Beschwerden einschließlich des erst kürzlich erlittenen
Bandscheibenvorfalls seien nicht wesentlich und müssten deshalb nicht angegeben werden. Hierauf habe er, der Kläger,
vertraut. Die Versicherung habe sich die Kenntnis des Herrn Y als eigenes Wissen zurechnen zu lassen, so dass sie
weder zum Rücktritt noch zur Anfechtung des Versicherungsvertrages berechtigt gewesen sei.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 13.963,92 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
aus 8.108,07 € seit dem 3.7.2002 sowie aus jeweils 450,45 € seit dem 1.9.2002, dem 1.10.2002, dem 1.11.2002, dem
1.12.2002, dem 1.1.2003, dem 1.2.2003, dem 1.3.2003, dem 1.4.2003, dem 1.5.2003, dem 1.6.2003 und dem 1.7.2003
zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem 1.8.2003 bis längstens zum 1.1.2033
einen monatlichen Schadensersatzbetrag in Höhe von 450,45 €, fällig und zahlbar monatlich im voraus, zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen,
der Kläger habe ihnen nicht mitgeteilt, dass Herr Y die Versicherungsantragsvordrucke selbst mitgebracht habe. Herr Y
sei im Übrigen nicht Versicherungsagent der X-Lebensversicherung gewesen, sondern Versicherungsmakler der Q. Der
von dem Kläger dargestellte Sachverhalt sei nicht geeignet gewesen, den Arglisteinwand des Versicherers
auszuräumen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe kein
Schadensersatzanspruch aus Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages zu, da der Kläger den Prozess vor dem
Landgericht O auch bei Vortrag der Sachdarstellung des Klägers zu den Umständen der Beantwortung der
Gesundheitsfragen wegen der erfolgreichen Anfechtung des Versicherungsvertrages durch die Versicherung verloren
hätte. Zugunsten des Klägers könne unterstellt werden, dass er Herrn Y über seine schweren Vorerkrankungen mündlich
unterrichtet habe. Die Versicherung müsse sich dieses Wissen des Herrn Y jedoch nicht zurechnen lassen, da dieser mit
dem Kläger als Versicherungsnehmer kollusiv zum Nachteil des Versicherers zusammengewirkt habe. Dem Kläger
müsse klar gewesen sein, welche Bedeutung die ihm gestellten Gesundheitsfragen für den Versicherer hatten,
insbesondere der erst kürzlich erfolgte Bandscheibenvorfall im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Fahrer. Der
Kläger habe sich deshalb auf die Aussage des Herrn Y, dies sei alles nicht wesentlich, nicht verlassen können und
dürfen. Der Missbrauch der Vertretungsmacht durch Herrn Y sei objektiv evident gewesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der er jeweils wegen des
Zeitablaufs den Zahlungsantrag erhöht und geltend macht, ohne eine entsprechende Beweisaufnahme könne nicht von
einem kollusiven Zusammenwirken des Klägers mit Herrn Y ausgegangen werden. Eine Spontanoffenbarungspflicht
hinsichtlich seiner Beschwerden habe für den Kläger nicht bestanden. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Oberlandesgerichts P, auf die es für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage gegen die X-Lebensversicherung
ankomme, hätte die Frage nach den Umständen bei der Beantwortung der Antragsfragen durch eine Beweisaufnahme
geklärt werden müssen; die daraus resultierende Ungewissheit des Prozessausgangs gehe zu Lasten der Beklagten.
Der Kläger beantragt wegen des Zeitablaufs nunmehr,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 26.576,52 € nebst 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus 8.108,07 € seit dem 3.7.2002 sowie aus je 450,45 € seit dem 1.9.2002, dem 01.10.2002, dem
01.11.2002, dem 01.12.2002, dem 01.01.2003, dem 01.02.2003, dem 01.03.2003, dem 01.04.2003, dem 01.05.2003,
dem 01.06.2003, dem 01.07.2003, dem 01.08.2003, dem 01.09.2003, dem 01.10.2003, dem 01.11.2003, dem
01.12.2003, dem 01.01.2004, dem 01.02.2004, dem 01.03.2004, dem 01.04.2004, dem 01.05.2004, dem 01.06.2004,
dem 01.07.2004, dem 01.08.2004, dem 01.09.2004, dem 01.10.2004, dem 01.11.2004, dem 01.12.2004, dem
01.01.2005, dem 01.02.2005, dem 01.03.2005, dem 01.04.2005, dem 01.05.2005, dem 01.06.2005, dem 01.07.2005,
dem 01.08.2005, dem 01.09.2005, dem 1.10.2005 sowie seit dem 1.11.2005 zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn beginnend mit dem 1.12.2005 bis längstens zum
1.1.2033 einen monatlichen Schadensersatzbetrag in Höhe von 450,45 €, fällig monatlich im Voraus, zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und verteidigen das landgerichtliche Urteil.
Der zunächst zuständige 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat am 8.3.2005 einen Beweisbeschluss
erlassen (Bl. 176 - 177 d.A.), der mit Beschluss des nunmehr zuständigen Senats vom 18.11.2005 (Bl. 225 - 226 d.A.)
aufgehoben wurde.
Der Senat nimmt im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie auf den Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug (§ 540 Abs. 1 ZPO).
II.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus
Schlechterfüllung des zwischen den Parteien geschlossenen Anwaltsvertrags verneint.
Unstreitig haben die Beklagten es unterlassen, die klägerische Darstellung der Umstände bei der Beantwortung der
Versicherungsantragsfragen in dem Prozess vor dem Landgericht O vorzutragen. Gleichwohl begründet dies keinen
Schadensersatzanspruch des Klägers, da dieser auch bei einem erstinstanzlich entsprechenden Sachvortrag den
Prozess vor dem Landgericht O gegen die X-Lebensversicherung verloren hätte. Der Versicherer hat sich nämlich zu
Recht auf seine Leistungsfreiheit hinsichtlich der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen Arglistanfechtung des
Versicherungsvertrags (§§ 123 BGB, 22 VVG) aufgrund der falschen Gesundheitsangaben des Klägers in dem
Versicherungsantrag berufen; dies gilt auch dann, wenn der Sachvortrag des Klägers hinsichtlich der Umstände der
Beantwortung der Gesundheitsfragen im Versicherungsantrag rechtzeitig von den Beklagten geltend gemacht worden
wäre.
Der Versicherer ist berechtigt, den Versicherungsvertrag nach § 123 BGB anzufechten, wenn der Versicherungsnehmer
ihn arglistig getäuscht und dadurch zum Abschluss des Versicherungsvertrags überhaupt oder zu den vereinbarten
Bedingungen veranlasst hat. Diese Voraussetzungen hat der Versicherer zu beweisen, wobei allein die Vorlage eines
von dem Versicherungsnehmer unterschriebenen, aber von einem Agenten ausgefüllten Antragsformulars die
substantiierte Behauptung des Versicherungsnehmers, über gefahrerhebliche Umstände aufgeklärt zu haben, nicht zu
widerlegen vermag (vgl. Senatsurteil vom 11.11.1994 – 10 U 586/94 – VersR 1995, 689).
Bereits im allgemeinen Rahmen von § 123 BGB in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere
aber auch nach §§ 16 ff VVG und auch insoweit für § 123 BGB von Erheblichkeit können den Versicherungsnehmer aber
Offenbarungspflichten hinsichtlich gefahrerheblicher Umstände treffen, auch wenn der Versicherer hiernach nicht
ausdrücklich gefragt hat. Auch § 18 Abs. 2 VVG ist zu entnehmen, dass insbesondere die Anfechtung wegen arglistiger
Täuschung auch und gerade auf ein derartiges pflichtwidriges Verschweigen gestützt werden kann. Auch beim
Abschluss einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung kann eine solche Offenbarungspflicht gerade auch hinsichtlich
des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers gegeben sein, da dieser grundsätzlich als gefahrerheblicher
Umstand von geradezu zentraler Bedeutung für die Kalkulation des mit dem Vertrag abzusichernden Risikos anzusehen
ist.
Die vorliegend bei dem Kläger gegebenen Doppelbilder, die bereits mehrfach über längere Zeit aufgetreten waren, und
die mehrfachen Rückenbeschwerden mit nachfolgendem Bandscheibenvorfall dürften objektiv kaum als in diesem
Zusammenhang unerheblich anzusehen sein und deshalb sehr wohl im Rahmen sowohl von §§ 16 ff VVG als auch
damit zugleich im Rahmen von § 123 BBB eine Offenbarungspflicht begründet haben.
Nach § 16 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für
die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind die Gefahrumstände, die
geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt
abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich
gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich. Der Versicherer ist zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt, wenn der
Versicherungsnehmer für die Übernahme der versicherten Gefahr erhebliche Umstände bei Abschluss des Vertrags
verschweigt. Im Falle ausdrücklicher und schriftlicher Befragung kommt es nicht einmal darauf an, ob der
Versicherungsnehmer Kenntnis von der Erheblichkeit des Gefahrumstands hatte. Es ist Sache des Versicherers, das
Risiko von Beschwerden, Krankheiten und Gesundheitsstörungen, gegebenenfalls unter Einschaltung der
Gesellschaftsärzte oder nach Rückfrage bei den behandelnden Ärzten, zu beurteilen. Da ein Versicherungsnehmer in
der Regel mangels medizinischer Kenntnisse nicht in der Lage ist, die Gefahrerheblichkeit körperlicher Beschwerden zu
beurteilen, muss er alle, auch die als belanglos empfundenen Krankheiten oder Beschwerden, anzeigen (BGH VersR
1994, 711; 2000, 1486; Senatsurteile in NVersZ 2001, 413, 2002, 260, OLGReport 2002, 339; Senatsbeschluss vom
8.9.2003 in VersR 2004, 229; OLG Saarbrücken, VersR 2005, 341).
Für die Anfechtung nach § 123 BGB ist vom Versicherer jedoch der positive Nachweis nicht nur des objektiven
Pflichtverstoßes, sondern auch der den Arglistvorwurf begründenden Umstände zu verlangen, insbesondere der
Nachweis eines das Wissen von der Offenbarungspflicht und der Erheblichkeit für die Willensentschließung der
Gegenseite, den Täuschungswillen und die unredliche Übervorteilungsabsicht umfassenden subjektiv unredlichen
Verhaltens (Senatsurteil vom 11.11.1994, a.a.0.). Dabei kann im Rahmen von § 286 ZPO der Nachweis objektiver
Indizien einen Rückschluss auf die naturgemäß schwierig zu beweisenden „inneren Tatsachen“ auf Seiten des
Versicherungsnehmers zulassen.
Hat der Versicherungsnehmer den Agenten mündlich zutreffend über seinen Gesundheitszustand unterrichtet, aber die
Ausfüllung des Fragebogens dem Agenten überlassen und nur unterschrieben, so scheidet Arglist grundsätzlich aus.
Wusste allerdings der Versicherungsnehmer oder nahm billigend in Kauf, dass der Versicherer nicht zutreffend
unterrichtet werden würde, so kann er sich nicht auf die Angaben gegenüber dem Agenten berufen. Hat der Agent dem
Versicherungsnehmer erklärt, die ihm mitgeteilten Umstände müssten nicht angezeigt werden, liegt jedoch keine
Erfüllung der Anzeigepflicht vor und kann von Arglist ausgegangen werden, wenn der Versicherungsnehmer mit dem
Agenten kollusiv zusammengewirkt hat oder bei einem evidenten Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Agenten,
wenn es also um schwerwiegende Umstände ging und daher evident war, dass der Agent den Vertrag durch unrichtige
Hinweise „unter Dach und Fach“ bringen wollte (vgl. Prölss-Martin, VVG, 27. Aufl., § 22 Rdnr. 10, §§ 16, 17 Rdnr. 27 a,
jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen).
Vorliegend waren die Vorerkrankungen des Klägers gerade im Hinblick auf seine Tätigkeit als Fahrer von evidenter
zentraler Bedeutung für die Beurteilung des zu versichernden Risikos Berufsunfähigkeit. Selbst wenn der Vortrag des
Klägers zuträfe, dass er den Vermittler Y wahrheitsgemäß über sämtliche Vorerkrankungen und Beschwerden mündlich
unterrichtet habe, läge ein kollusives Zusammenwirken zwischen Kläger und Vermittler vor, das sich die Versicherung
nicht zurechnen lassen müsste. Dem Kläger hätte sich aufdrängen müssen, dass der Vermittler verpflichtet war, diese
Beeinträchtigungen der Versicherung anzuzeigen; gleichwohl hat er hingenommen, dass diese Unterrichtung durch das
zutreffende Ausfüllen des Fragebogens unterbleibt. Zudem musste der Kläger aufgrund der angeblichen Äußerung des
Herrn Y davon ausgehen, dass dieser den Versicherer auch nicht anderweitig von den Vorerkrankungen des Klägers
informieren werde. Da mithin die Arglistanfechtung des Versicherers selbst dann erfolgreich war, wenn der Vermittler Y
deren Versicherungsagent und nicht nur Versicherungsmakler gewesen sein sollte, kommt es auf die Entscheidung
dieser Frage nicht an; der Beweisbeschluss vom 8.3.2005, der diese Frage klären sollte, war daher aufzuheben.
Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, der erkennende Senat habe für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage
vor dem Landgericht O auf die Rechtsprechung des für das dortige Berufungsverfahren zuständigen Oberlandesgerichts
P abzustellen. Dementsprechend wären die Umstände der Beantwortung der Gesundheitsfragen im Antragsformular und
die Agenteneigenschaft des Vermittlers Y durch eine Beweisaufnahme zu klären gewesen und die dadurch bestehende
Ungewissheit des Prozessausgangs gehe zu Lasten der Beklagten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur zuletzt BGH Urteil vom 16.6.2005 – IX ZR 27/04 –
= NJW 2005, 3071 m.w.N.) muss, wenn im Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte
Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang eines anderen Verfahrens (Vorprozess)
abhängt, das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre. Welche
rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne
Belang; vielmehr ist die Sicht des Regressgerichts maßgeblich. Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den
Sachverhalt zugrunde zu legen, der dem Gericht des Vorprozesses bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts
unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre. Wird dem Rechtsanwalt vorgeworfen, der Misserfolg des Mandanten im
Vorprozess sei auf mangelhaften Prozessvortrag zurückzuführen, hat das Regressgericht deshalb grundsätzlich von dem
Sachverhalt auszugehen, der dem Gericht des Vorprozesses bei pflichtgemäßem Verhalten des dortigen
Prozessbevollmächtigten – nunmehrigen Regressbeklagten – unterbreitet worden wäre. Es kommt nicht darauf an,
welche Tatsachen das Gericht des Vorprozesses mutmaßlich festgestellt hätte, sondern welche Beweiserhebungen nach
Auffassung des Regressrichters zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich sind (BGH a.a.0.).
Daraus folgt für den vorliegenden Rechtsstreit, dass für die Frage der Erfolgsaussicht des Vorprozesses bei dem
Landgericht O die rechtliche Beurteilung des erkennenden Senats maßgeblich ist und welche Beweiserhebungen nach
dessen Ansicht zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich sind. Da der Senat eine Beweisaufnahme aus den
dargelegten Gründen für nicht notwendig erachtet, kommt es auf eine eventuell andere Auffassung des
Oberlandesgerichts P nicht an. Insbesondere ergibt sich für den Senat auch unter Zugrundlegung des – zugunsten des
Klägers unterstellten – klägerischen Sachvortrags keine Unsicherheit hinsichtlich des hypothetischen Prozessausgangs
bei dem Landgericht O.
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 543 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 33.333,27 € (3,5-facher Jahresbetrag der Berufungsunfähigkeitsrente
sowie Rückstände) festgesetzt.
Weiss Schwager-Wenz Zeitler-Hetger