Urteil des OLG Karlsruhe vom 14.07.2004

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OLG Karlsruhe Urteil vom 14.7.2004, 7 U 111/03
Wirkungen der Insolvenzeröffnung: Unzulässigkeit der Aufrechnung bei Herstellung der Aufrechnungslage durch Erwerb der
Schuldnerstellung durch den Gläubiger
Tenor
I. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des LG Baden-Baden vom 6.5.2003 - 2 O 561/02 - wird zurückgewiesen.
II. Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I. Die zulässige Berufung des beklagten Landes, mit dem es unter Wiederholung des Vortrags im ersten Rechtszug das
Klagabweisungsbegehren weiter verfolgt, hat keinen Erfolg. Das angegriffene Urteil, auf das wegen des Sach- und Streitstands im ersten
Rechtszug und der getroffenen Feststellungen verwiesen wird, weist keine Rechtsfehler auf (§ 513 ZPO). Die Aufrechnung mit
Lohnsteuerrückständen gegen die unstreitige Werklohnforderung der Insolvenzschuldnerin i.H.v. 5.649,55 Euro ist durch § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
ausgeschlossen.
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1. Die Annahme, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasse den Erwerb der Schuldnerstellung nicht, findet im Gesetz keine Grundlage, das Gegenteil ergibt
sich bereits aus dem Wortlaut der Norm. Maßgebend ist allein, dass die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise hergestellt wurde. Auf welche
Weise dies geschehen ist, ist ohne jede Bedeutung (BGH v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 [344] = MDR 2004, 353 = ZIP 2003,
2370 [2371]). Die vom beklagten Land befürwortete einschränkende Auslegung würde Sinn und Zweck der Norm widersprechen.
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Auch die Anfechtbarkeit der Begründung der Aufrechnungslage nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO (i.V.m. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO) hat das LG zu Recht
bejaht.
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a) Dass durch die Erteilung der Aufträge vom 15.1.2001 (I 77) und vom 19.2.2001 (I 73) die Möglichkeit der Aufrechnung geschaffen wurde und
dass dies eine Rechtshandlung i.S.v. § 129 InsO darstellt, steht außer Zweifel. Denn unter der Begriff der Rechtshandlung ist jede
Willensbetätigung zu verstehen, die - gewollt oder ungewollt - rechtliche Wirkungen auslöst, sodass alle Arten gläubigerbenachteiligender
Maßnahmen erfasst werden (BGH v. 12.2.2004 - IX ZR 98/03, BGHReport 2004, 771 [772] = NJW 2004, 1660 [1661]). Das beklagte Land
bezweifelt dies auch nicht.
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b) Die Herstellung der Aufrechnungslage ist auch in inkongruenter Weise erfolgt, weil das beklagte Land darauf keinen Anspruch hatte. Es
bestand weder eine Verpflichtung zum Vertragsschluss noch war die Insolvenzschuldnerin verpflichtet, die offene Lohnsteuerforderung des
beklagten Landes durch die Herstellung einer Aufrechnungsmöglichkeit zu tilgen (BGH, Urt. v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [240] =
MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486 [488]; v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 [344] = MDR 2004, 353 = ZIP 2003, 2370
[2371]).
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Nicht nachvollziehbar ist, weshalb das beklagte Land meint, die Entscheidung des BGH vom 5.4.2001 (BGH, Urt. v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98,
BGHZ 147, 233 [240] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486 [488]) betreffe eine andere Fallgestaltung. Dort (wie hier) hatte der Gläubiger
einer gegen die Insolvenzschuldnerin gerichteten Forderung Verträge mit dieser abgeschlossen, aufgrund derer er etwas zur Insolvenzmasse
schuldete und später gegen die so begründete und gegen ihn gerichtete Forderung aufgerechnet. Die Fallgestaltung ist also völlig identisch.
Ebensowenig ist nachvollziehbar, weshalb das beklagte Land seine Schuldnerstellung nicht aufgrund eigener Erschließung herbeigeführt haben
sollte (Berufungsbegründung S. 4, II 29), denn der Abschluss der Verträge mit der Insolvenzschuldnerin beruht zweifelsfrei auf einem eigenen
Entschluss des beklagten Landes.
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Ohne Bedeutung für die Frage der Kongruenz oder Inkongruenz ist eine eventuelle Kenntnis des beklagten Landes. Die Kenntnis spielt für die
Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Inkongruenz keine Rolle, die Begriffsbestimmung ist davon unabhängig. Die Kenntnis ist lediglich bei
einzelnen Anfechtungstatbeständen der §§ 130 ff. InsO, nicht jedoch bei § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO weitere Voraussetzung der Anfechtung.
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c) Es besteht auch keine Veranlassung, diesen Fall durch teleologische Reduktion aus dem Anwendungsbereich von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO
herauszunehmen. Um „gesetzliche Sicherungsansprüche” (vgl. S. 2 der Berufungsbegründung, II 19) geht es nicht. Im Übrigen sind damit auch
lediglich die Fälle gemeint, in denen Kraft der gesetzlichen Regelung unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen Sicherungsrechte
entstehen (Karsten Schmitt in Kilger, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 30 KO Rz. 20). Solche Sicherungen stehen hier ebenso wenig im Streit wie
Ansprüche, die aus gesetzlichen Vorschriften entstanden sind. Die Aufrechnungslage wurde vom beklagten Land durch Begründung
vertraglicher Ansprüche herbeigeführt.
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d) Auf die Kenntnis des beklagten Landes kommt es nicht an. Die Kenntnis ist für den Anfechtungstatbestand aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht
erforderlich. Deshalb kann offen bleiben, ob bestimmte im Dienste des beklagten Landes stehende Personen Kenntnis vom Bestehen der
Lohnsteuerforderungen bzw. von der Krise der Insolvenzschuldnerin und der Antragstellung hatten.
10 2. Die durch den Abschluss der Verträge geschaffene Möglichkeit einer Aufrechnung benachteiligt auch die Insolvenzgläubiger objektiv (§ 129
Abs. 1 InsO), denn der Insolvenzmasse entgeht der Unterschied zwischen dem Nennwert der Werklohnschulden des beklagten Landes und der
bloßen Quote auf ihre Lohnsteuerforderung (BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233 [238] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486
[488]; v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 [344] = MDR 2004, 353 = ZIP 2003, 2370 [2371]).
11 3. Als Konsequenz des Ausschlusses der Aufrechnung gem. §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann der Kläger die Werklohnforderungen
unabhängig und ohne Rücksicht auf das Bestehen einer Gegenforderung des beklagten Landes durchsetzen (BGH v. 5.4.2001 - IX ZR 216/98,
BGHZ 147, 233 [238] = MDR 2001, 1013 = BGHReport 2001, 486 [488]; v. 9.10.2003 - IX ZR 28/03, BGHReport 2004, 343 [344] = MDR 2004, 353
= ZIP 2003, 2370 [2371]).
12 II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
13 Die Revision wird nicht zugelassen, da Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.