Urteil des OLG Karlsruhe vom 17.09.2007

OLG Karlsruhe (treppe, zpo, boden, vorschrift, länge, material, unfall, aufgabe, verletzung, gestaltung)

OLG Karlsruhe Urteil vom 17.9.2007, 19 U 29/07
Verkehrssicherungspflicht: Anspruch auf Schmerzensgeld wegen des Sturzes auf einer Treppe
Leitsätze
Es stellt keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar, wenn eine bereits im Jahr 1938/39 erbeute Treppe in
einem öffentlichen Gebäude nicht nachträglich mit einem Handlauf ausgestattet wird, der über die letzte Stufe
hinausführt.
Tenor
1) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 30. Januar 2007 abgeändert und
neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4) Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO).
2
[Sachverhalt siehe Schlussteil der Entscheidung.]
3
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
4
1) Die Beklagte hat keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Insbesondere ist der Unfall nicht auf die
Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, sondern auf Unachtsamkeit der Klägerin zurückzuführen.
5
a) Die Treppe, an der die Klägerin gestürzt ist, verfügt über ein Geländer auf beiden Seiten. Dieses Geländer
führt bis zur letzten Stufe der Treppe. Dass das Geländer über der letzten Stufe der Treppe endet, stellt weder
einen Verstoß gegen Bauvorschriften noch gegen Unfallverhütungsvorschriften oder sonstige, der
Verkehrssicherheit dienende Normen dar. Die Klägerin hat einen solchen Verstoß auch nicht aufgezeigt. Die
von der Klägerin vorgelegte Pressemitteilung (Anlage K 8) enthält zwar die Empfehlung, dass der Handlauf „in
jedem Fall die erste und letzte Stufe überragen“ sollte. Damit ist aber nichts über eine rechtliche Verpflichtung
ausgesagt. Eine solche, eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten begründende Vorschrift, bereits im Jahr
1938/39 erbaute Treppen nachträglich mit einem Handlauf auszustatten, der die letzte Stufe überragt, ist nicht
ersichtlich. § 10 Abs. 5 AVO LBO enthält keine Vorschrift, die vorgibt, dass der Handlauf einer Treppe über die
letzte Stufe hinaus geführt werden muss. Die Vorschrift bezweckt nicht - wie der Umkehrschluss aus § 10 Abs.
5 Satz 2 Nr. 2 und 3 AVO LBO zeigt - die Länge einer Treppe auch am Handlauf anzuzeigen. Soweit der
Handlauf über die gesamte Länge der Treppe geführt werden muss, genügt dem daher, wenn der Handlauf über
der letzten Stufe endet. Erst recht enthält § 10 Abs. 5 AVO LBO keine Verpflichtung, alte Treppen in der Art
nachzurüsten, dass ein bereits vorhandenes Geländer über die letzte Stufe hinausgeführt wird.
6
Die Beklagte hat auch im Übrigen nicht gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie war angesichts
der Umstände an der Sturzstelle (Gestaltung der Treppe, Fußboden etc.) nicht gehalten, im Streitfall über den
vorhandenen Handlauf hinaus besondere Vorkehrungen gegen Stürze zu treffen. Vielmehr ist der Unfall nicht
auf die Treppengestaltung zurückzuführen, sondern auf Unachtsamkeit der Klägerin. Diese hat selbst erklärt,
sie habe auf der letzten Stufe den Eindruck gehabt, bereits im Erdgeschoss angekommen zu sein. Sie habe
dann die letzte Stufe übersehen. Es ist aber nicht Aufgabe eines Handlaufs, das Ende einer Treppe zu
signalisieren. Ob eine Treppe bereits zu Ende ist oder noch eine weitere (letzte) Stufe folgt, muss vielmehr
jeder Benutzer einer Treppe grundsätzlich selbst beachten.
7
b) Schließlich begründen die Ausleuchtung des Treppenhauses und die Gestaltung der Treppenstufen und des
Erdgeschossbodens aus einheitlichem Material keine Verkehrssicherungspflicht. Dies gilt gleichermaßen für
die konkrete Ausgestaltung des Handlaufs über der letzten Treppenstufe. Auch insoweit ist es Aufgabe des
Treppennutzers, sich zu vergewissern, dass keine weiteren Stufen mehr vorhanden sind. Das Landgericht stellt
selbst fest, dass die Treppe bei entsprechender Konzentration gefahrlos benutzt werden kann. Eine solche
Konzentration ist aber von jedem Treppennutzer zu verlangen, weil allgemein bekannt ist, dass Treppen mit
größeren Gefahren verbunden sind als ebene Strecken. Dass die Treppenstufen im Streitfall nicht oder nur
derart schwer zu erkennen sind, dass die Beklagte rechtlich gehalten wäre, besondere Maßnahmen zu
ergreifen, ergibt sich weder aus den von der Klägerin vorgelegten Lichtbildern noch aus dem vom Gericht
selbst eingenommen Augenschein. Vielmehr lässt sich bei durchschnittlicher, der allgemeinen Treppensituation
angepasster Aufmerksamkeit anhand der auf dem ebenen Boden vorhandenen (Längs- und Quer-)Fugen
unschwer erkennen, wo die Treppe endet. Solche Fugen fehlen nämlich auf der Treppe.
8
2) Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil
die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
9
Sachverhalt
10 Die Klägerin macht gegen die beklagte Universitätsklinik Schmerzensgeldansprüche geltend.
11 Die Klägerin ging im Hauptgebäude der Frauenklinik die Treppe vom 1. Obergeschoss ins Erdgeschoss
hinunter. Das Treppenhaus ist ordnungsgemäß beleuchtet und verfügt über Fenster. Die Treppe wurde
1938/1939 gebaut. Auf beiden Seiten befindet sich ein Geländer; dieses ist auf einem farblich abgesetzten,
podestartigen Seitenrand der Treppe montiert. Der Handlauf endet - ebenso wie der podestartige Seitenrand der
Treppe - über der Mitte der letzten Stufe; er ist an dieser Stelle leicht nach außen gebogen. Die Treppenstufen
sind ebenso wie die Böden aus einem hellen, Terrazzo-ähnlichen Material. Während die Treppenstufen
durchgängig und ohne Fugen gefertigt sind, ist der Boden mit fliesenartigen Längs- und Querfugen versehen.
Da die Klägerin die letzte Stufe der Treppe übersah, stürzte sie und brach sich die Fußgelenke.
12 Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens der Klägerin teilweise
stattgegeben.