Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.10.2008
OLG Karlsruhe (gebrauch, haftung, zulassung, medikament, unternehmer, ärztliche verordnung, risiko, einnahme, dosierung, zpo)
OLG Karlsruhe Urteil vom 8.10.2008, 7 U 200/07
Arzneimittelhaftung: bestimmungsgemäßer Gebrauch trotz Überdosierung; Haftung wegen bereits bei
der Zulassung bekannter Nebenwirkungen
Leitsätze
1. § 84 AMG begründet keine Haftung des Arzneimittelherstellers oder des das Medikament vertreibenden
Unternehmers für solche Nebenwirkungen, die bereits bei der Zulassung bekannt und im Hinblick auf den Nutzen
des Arzneimittels im Zulassungsverfahren hingenommen wurden, soweit in der Fachinformation und der
Packungsbeilage darauf hingewiesen ist.
2. Ein bestimmungsgemäßer Gebrauch des Medikaments liegt bei einer Überdosierung um 200 % nicht mehr vor.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 10. August 2007 - 2 O 101/06 -
wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung, dass die Beklagte, die als pharmazeutisches
Unternehmen in Deutschland das Medikament „VIOXX“ vertrieben hat, jeden weiteren materiellen und
immateriellen Schaden zu ersetzen hat, der durch die bei ihr angeblich eingetretenen Nebenwirkungen des
Medikamentes verursacht wurde, nämlich im wesentlichen Haarausfall, Bluthochdruck, erhebliche Schmerzen
im Oberbauch mit Ausstrahlung in den Rücken, Übelkeit, eine Bauchspeicheldrüsenentzündung und eine
Schädigung der Niere, was eine monatelange Odyssee in Kliniken und bei Ärzten sowie einen Dauerschaden
an der Niere und der Bauchspeicheldrüse zur Folge gehabt habe. Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen
des Sach- und Streitstands und der getroffenen Feststellungen im ersten Rechtszug verwiesen wird, hat die
Klage ohne Beiziehung der Krankenunterlagen und Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen,
weil bereits aufgrund des klägerischen Vortrags ein Anspruch aus § 84 AMG nicht schlüssig dargetan sei.
2
Dagegen wendet sich die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags aus dem ersten Rechtszug
mit ihrer Berufung, mit der sie in erster Linie die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht begehrt und
hilfsweise ihr Klagbegehren in vollem Umfang weiter verfolgt. Sie ist insbesondere der Auffassung, das
Landgericht hätte im Rahmen des hier - ähnlich wie in Arzthaftungsprozessen - geltenden
Amtsermittlungsgrundsatzes aufgrund der Behandlungsunterlagen den genauen Sachverhalt erforschen
müssen. Ferner sei die Ansicht des Landgerichts nicht haltbar, nur wegen der Überschreitung der empfohlenen
Tageshöchstdosis sei kein bestimmungsgemäßer Gebrauch des Arzneimittels mehr gegeben. Gleiches gelte
für die Auffassung des Landgerichts, es sei zwischen den Nebenwirkungen zu unterscheiden, die zur
Rücknahme eines Medikaments vom Markt geführt hätten (hier unstreitig thrombotische, kardiovaskuläre
Erscheinungen), weil sie im Verhältnis zum Nutzen des Medikaments unvertretbar seien, und den bei der
Klägerin eingetretenen Nebenwirkungen, die im Zulassungsverfahren bekannt und als hinnehmbar angesehen
worden seien.
3
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das landgerichtliche Urteil. Wegen des
weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 08.10.2008 (II 115).
II.
4
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet.
5
Das angegriffene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die gem. § 529
ZPO zugrunde zu legenden Feststellungen eine anderweitige Entscheidung, § 513 ZPO.
6
1. Eine Haftung der Beklagten gem. § 84 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 AMG scheidet selbst bei Annahme, dass die
Klägerin das Medikament bestimmungsgemäß gebraucht habe, unter den von ihr behaupteten Beschwerden
litte und diese durch die Einnahme von VIOXX verursacht worden wären, deshalb aus, weil die von ihr geltend
gemachten Schäden nicht vom Schutzbereich der Norm erfasst würden. Die Klägerin hat nach ihrem Vortrag
ausschließlich Gesundheitsschäden erlitten, die als mögliche Nebenwirkungen in der Fachinformation und der
Packungsbeilage aufgeführt waren. Für diese Folgen haftet die Beklagte der Klägerin aber nicht nach Sinn und
Zweck des § 84 Abs. 1. S. 1, S. 2 Nr. 1 AMG.
7
a) Dabei kann unterstellt werden, dass das Risiko für arterielle thrombotische kardiovaskuläre Ereignisse,
die zur Rücknahme von VIOXX vom Markt geführt haben, unvertretbare Nebenwirkungen des
Medikaments darstellen. Dies führt entgegen der Auffassung der Klägerin jedoch nicht dazu, dass ein
„unvertretbares Medikament“ vorliege und der Unternehmer daher für alle Schäden, die durch dieses
Medikament verursacht wurden, zu haften hätte. Das stellt eine unzulässige Auslegung der
Haftungsnormen des Arzneimittelrechts dar. Nach § 84 Abs. 1 AMG haftet der Unternehmer dann, wenn
das Arzneimittel, das im Geltungsbereich des Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der
Pflicht zur Zulassung unterliegt, die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt (S. 1),
allerdings nur, wenn es (bei bestimmungsgemäßem Gebrauch) schädliche Wirkungen hat, die über ein
nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (S. 2 Nr. 1). Die
Haftungseinschränkung entspricht der Definition des Verbots bedenklicher Arzneimittel in § 5 AMG.
Danach ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen (Abs. 1). Bedenklich sind solche
Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete
Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über
einen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (Abs. 2).
Somit stellt das Gesetz nicht auf ein unvertretbares Medikament ab, sondern auf die schädlichen
Wirkungen, die ein vertretbares Maß überschreiten, also unvertretbar sind. Damit ist der Blick auf Sinn und
Zweck der Haftung und die Differenzierung innerhalb der einzelnen Haftungsalternativen eröffnet.
8
b) Im Schadensrecht wird die Haftung wegen der sehr weitgehenden Erfolgseignung durch Vermittlung der
Kausalität im Sinne der Äquivalenz- oder Adäquanztheorie durch eine wertende Beurteilung eingeschränkt.
Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und
Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt; es muss sich um Nachteile handeln,
die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die
verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (st. Rspr, vgl. bereits BGH, NJW
1958, 1041, 1042; 1999, 3203, 3204; 2005, 1420, 1421 f.). Der Nachteil muss zu der vom Schädiger
geschaffenen Gefahrenlage in einem inneren Zusammenhang stehen, eine bloß zufällige äußere
Verbindung genügt nicht. Diese Grundsätze gelten für das gesamte Schadensersatzrecht und schließen
hier einen Anspruch der Klägerin wegen der geltend gemachten Schäden aus.
9
c) Die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels wird trotz der zu befürchtenden Nebenwirkungen in der
Zulassungsentscheidung von Amts wegen auf der Grundlage der positiven Ergebnisse einer Abwägung von
zu erwartendem Nutzen und zu befürchtenden Risiken festgestellt. Deshalb werden als nicht ersatzpflichtig
solche Verletzungen bewertet, die nach der Nutzen-Risiko-Bewertung als sozialadäquat eingeordnet
werden, weil und soweit sie beim Gebrauch von Arzneimitteln vom Verkehr hingenommen werden (vgl.
Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 84 Anmerkung 25; Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch,
Band 2, § 82 Rn. 6). Durch diese Sozialadäquanz wird gleichzeitig der Schutzzweck der Norm bestimmt.
Wegen der speziellen im Gesetz geregelten Sicherheitsanforderungen und Zulassungsregelungen, die auf
den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse von einer Nutzen-Risiko-Bewertung auf der Grundlage
gesetzlich definierter Kriterien abstellen (§§ 5, 25 Abs. 2, speziell Nr. 5 AMG), kommt es auf diese
gesetzlichen Kriterien an. Danach sind als wissenschaftlich unvertretbare Wirkungen solche einzuordnen,
die eine Versagung der Zulassung nach § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG begründen oder begründet hätten, wenn sie
im Zulassungsverfahren schon bekannt gewesen wären (Kloesel/Cyran a.a.O.). Die Haftung nach § 84
Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG soll daher nach der amtlichen Begründung in erster Linie eingreifen, wenn bei der
Zulassungsprüfung entsprechend dem damaligen Stand der Wissenschaft schädliche Wirkungen, die das
vertretbare Maß übersteigen, nicht erkannt wurden oder die Verkehrsunfähigkeit auf einem
Produktionsfehler beruht (vgl. Ausschussbericht zum Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom
24.08.1976 unter II. Allgemeiner Teil, Nr. 6. Haftung für Arzneimittelschäden, zitiert nach Koesel/Cyran
a.a.O., Abschnitt M 2) .
10
Entgegen der in der Senatssitzung geäußerten Auffassung der Klägerin spricht auch die
Gesetzesentstehung und der Anlass für die Einführung der Gefährdungshaftung, nämlich die Contergan-
Katastrophe nicht dafür, den Unternehmer für den Eintritt jeder Nebenwirkung haften zu lassen, wenn sich
nach der Zulassung herausstellt, dass das Medikament unvertretbare Nebenwirkungen hat. Gerade im
Hinblick auf die durch das Schlafmittel eingetretenen schweren Schädigungen, die bei der Zulassung nicht
bekannt waren und für deren Ausgleich zunächst jede Entschädigungsregelung fehlte, wurden
Gefährdungshaftung sowie Melde- und Kontrollpflichten nach der Zulassung begründet, weil aus
wissenschaftlicher Sicht das Auftreten schwerer, bei der Zulassung aber unbekannter Nebenwirkungen
auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden konnte (Amtliche Begründung zum Gesetz zur
Neuordnung des Arzneimittelrechts A. Allgemeiner Teil [noch für einen Entschädigungsfonds];
Ausschussbericht zum Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24.08.1976 unter II.
Allgemeiner Teil, Nr. 1, Mängel des geltenden Rechts, Nr. 3, Die Dauerüberwachung der zugelassenen
Arzneimittel, Nr. 6 Haftung für Arzneimittelschäden, zitiert nach Koesel/Cyran a.a.O., Abschnitt M 2.).
Diese Zielrichtung spricht für den beschränkten Schutzbereich und nicht für die Auslegung, die die Klägerin
der Norm beilegen will.
11
d) Sämtliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, die die Klägerin auf die Einnahme von VIOXX zurückführt,
sind Nebenwirkungen, die bei der Zulassung bekannt und im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung als
vertretbar angesehen wurden. Das stellt sie nicht in Abrede, meint aber, sich auch auf die später
festgestellten unvertretbaren Nebenwirkungen der kardiovaskulären thrombotischen Ereignisse berufen zu
können, obwohl diese Wirkungen bei ihr nicht eingetreten sind. Für solche Nebenwirkungen muss
(vorausgesetzt sie sind wirklich unvertretbar) der Unternehmer aufgrund der verschuldensunabhängigen
Haftung nach § 84 AMG zwar haften. Denn in einem solchen Fall verwirklicht sich gerade die Gefährdung
durch ein Arzneimittel, weil dessen unerwünschte Wirkungen nicht mit absoluter Sicherheit vorhersehbar
sind. Dies wird in der überwiegenden Literatur damit begründet, dass zur Beurteilung der Unvertretbarkeit
auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens abgestellt wird, wobei allerdings die Erkenntnisse im Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung einbezogen werden, also gefragt wird, ob unter Berücksichtigung der
neuen Erkenntnisse das Medikament hätte zugelassen werden können, also eine positive Nutzen-Risiko-
Prognose gehabt hätte (vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl., Rn. 1494; Kloesel/Cyran a. a. O., §
84 Anm. 26, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ist dies nicht der Fall, so haftet der Unternehmer, weil er
durch das Inverkehrbringen eine Gefahrenquelle geschaffen hat, die sich durch das Auftreten der
unbekannten Nebenwirkungen schädigend ausgewirkt hat.
12
In diesen Gefahren- und Schutzbereich fallen die bei der Klägerin aufgetretenen Nebenwirkungen jedoch
nicht, da sie bekannt und von der Zulassungsbehörde im Hinblick auf den Nutzen des Medikaments als
sozialadäquat angesehen worden sind. Der Zweck der Haftung würde deshalb bei der Annahme einer
Ersatzpflicht auch für bekannte Nebenwirkungen verfehlt. Ein Patient kann sich daher nicht darauf berufen,
der Unternehmer habe im Hinblick auf anderweitige unvertretbare Nebenwirkungen eine Gefahr begründet,
auch wenn sie sich bei ihm selbst nicht verwirklicht hat. Dass sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis in anderer
Weise unvertretbar verschoben hat, was z. B. durch die Zulassung wesentlich nebenwirkungsärmerer,
gleich wirksamer Medikamente geschehen kann, behauptet die Klägerin nicht.
13
e) Nach all dem bedurfte es weder weiterer Sachverhaltsaufklärung durch Beiziehung der
Krankenunterlagen noch der Einholung von medizinischen oder pharmazeutischen
Sachverständigengutachten. Vielmehr ist der Anspruch der Klägerin unabhängig von der verminderten
Darlegungslast im Arzneimittelhaftungsprozess (vgl. dazu BGH, VersR 2008, 1264, Textziff. 3) aus
rechtlichen Gründen nicht begründet.
14 2. Es kommt nicht mehr darauf an, ob einem Anspruch aus § 84 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 AMG von vornherein
entgegensteht, dass die Klägerin dieses Medikament nicht bestimmungsgemäß verwandt hat oder jedenfalls
die Klägerin beweisen müsste, dass die Nebenwirkungen auch bei Einnahme in einer Dosierung von 25 mg pro
Tag eingetreten wären, was angesichts der Packungsbeilage möglich ist.
15
a) Die Klägerin hat selbst vorgetragen und bleibt auch im Berufungsrechtszug ausdrücklich dabei, dass sie
das Medikament - auf entsprechende ärztliche Verordnung - von Mai bis November 2004 in einer Dosierung
von 3 mal 25 mg täglich eingenommen hat. Diese Einnahme stellt keinen bestimmungsgemäßen Gebrauch
des Medikaments dar.
16
aa) Die Beklagte hat dazu unter Bezugnahme auf Berichte und Befunde der behandelnden Ärzte im
ersten Rechtszug vorgetragen, das sei jedenfalls nach den Krankenunterlagen nicht richtig, entweder
habe die Klägerin nur die verordnete Maximaldosis von 25 mg täglich eingenommen oder sie habe
diese eigenmächtig überschritten. Nachdem die Klägerin diesen Vortrag bestritten und sich auch nicht
hilfsweise zu eigen gemacht hat, war das Landgericht nicht gehalten, dem allgemeinen Antrag der
Klägerin, die Krankenunterlagen beizuziehen, um den Vortrag der Klägerin zu widerlegen. Es kann
auch in einem Verfahren über eine Arzneimittelhaftung vom Patienten erwartet werden, dass er die ihm
bekannten Umstände der Einnahme vorträgt, wie die Klägerin das auch getan und dabei ausdrücklich
den ausführlichen, abweichenden Vortrag der Beklagten bestritten hat. Eine Beiziehung der
Krankenunterlagen, die die Klägerin offensichtlich bekannt sind, die sie aber nicht vorlegt, war daher
und ist auch im Berufungsrechtszug zu diesem Punkt nicht geboten, nachdem die Klägerin dabei
bleibt, sie habe das Medikament drei mal täglich eingenommen.
17
bb) Der bestimmungsgemäße Gebrauch nach §§ 5 und 84 AMG wird in erster Linie durch die
Zweckbestimmung des pharmazeutischen Unternehmers festgelegt, der die Verantwortung für das
Inverkehrbringen des Arzneimittels trägt (§ 25 Abs. 10 AMG), und zwar in der Regel durch die
gesetzlich vorgeschriebenen Angaben des pharmazeutischen Unternehmers, die er in der
Packungsbeilage und der Fachinformation (§§ 11 und 11a AMG) zu machen hat (vgl. dazu
Kloesel/Cyran, a. a. O., § 84 Anmerkung 23; Graf von Westphalen, a. a. O., § 82 Rn. 6;
Deutsch/Spickhoff, a. a. O., Rn. 1491). Danach hat es der Unternehmer in der Hand, seine Haftung zu
begrenzen. In der Rechtsprechung und in Teilen der Literatur wird neben dieser Bestimmung ein
Gebrauch auch dann als bestimmungsgemäß i. S. d. §§ 5, 84 AMG angesehen, wenn er den
Erkenntnissen der Wissenschaft entspricht oder dem vom Abgebenden vorausgesetzten und - auch
stillschweigend - gebilligten, in Verbraucherkreisen üblichen Gebrauch (vgl. zum alleinigen
Absatzmarkt in der Fitnessszene zum Muskelaufbau: BGH, Urteil vom 10.06.1998 - 5 StR 72/98 -
BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 1, § 96 Nr. 5). Ferner wird ein typischer Fehlgebrauch ebenfalls noch als
bestimmungsgemäß angesehen (vgl. die Nachweise bei Koesel/Cyron a.a.O. § 5 Anm. 17; zur
Überdosierung eines Asthmasprays: BGH, BGHZ 106, 273 Rn. 22 = VersR 1989, 98).
18
cc) Das Landgericht hat aufgrund richtiger Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB festgestellt, dass sowohl
in den Fachinformationen als auch in der Packungsbeilage mit hinreichender Deutlichkeit die
Beschränkung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs auf eine Tagesdosis von 25 mg VIOXX
enthalten ist (Anl. K1, I 11). Im allgemeinen Sprachverständnis werden die in der Packungsbeilage
verwendeten Worte „soll nicht“ sehr häufig mit „darf nicht“ gleichgesetzt. Darüber hinaus wird für ältere
Patienten selbst die Erhöhung von 12,5 mg auf die Maximaldosis nur mit Vorsicht angeraten, was
ebenfalls für eine Maximaldosierung spricht. Durch die in Fachinformationen und Packungsbeilagen
durchaus übliche, wenn auch nicht durchgehend verwendete Formulierung, die „empfohlene“
Tagesdosis „soll“ nicht überschritten werden, wird hinreichend deutlich, dass der Hersteller hiermit
seine Verantwortung (berechtigterweise) beschränken und ggfs. auf den Arzt übertragen will, der meint,
eine höhere Dosierung vertreten zu können. Diese Intention des Unternehmers ergibt sich ergänzend
aus dem zusätzlichen Hinweis, dass bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, für die ausschließlich die
empfohlene Höchstdosis von 25 mg angeregt wird, bei einer Erhöhung um 100 % keine signifikante
Steigerung der Wirksamkeit erzielt werden konnte. Das ist ein eindeutiger Warnhinweis darauf, dass
der Nutzen des Medikaments nicht steigt, wenn die Tagesdosis erhöht wird, dagegen aber die bei dem
hoch wirksamen Medikament erhebliche Gefahr von auch schweren Nebenwirkungen, die in großer
Zahl in der Beilage aufgeführt sind. Der Unternehmer hat damit sowohl Ärzten als auch Patienten
ausreichend verdeutlicht, dass die Nutzen-Risiko-Relation, wie sie bei der Zulassung des Medikaments
geprüft wird, sich bei höherer Dosierung ungünstig verschiebt.
19
dd) Für die Auslegung der Fachinformation und der Packungsbeilage bedarf es nicht der Einholung
eines medizinisch/pharmazeutischen Gutachtens für das Verständnis der Fachkreise. Hinsichtlich der
Packungsbeilage ist von vornherein auf das Verständnis des Patienten abzustellen, an den sie
gerichtet ist. Für die Fachinformation wird, wie soeben dargelegt, ebenfalls durch den deutlichen
Hinweis auf den fehlenden Nutzen einer Verdoppelung der Tageshöchstdosis jedenfalls in
ausreichendem Maße deutlich, dass, selbst wenn der Arzt einen Ermessenspielraum haben soll, die
Verantwortlichkeit jedenfalls nicht vom Hersteller getragen wird. Für diese Beurteilung bedarf es keines
medizinischen oder pharmazeutischen Sachverstandes. Vielmehr ergibt sich dies nach den
Auslegungsgrundsätzen gem. §§ 133, 157 BGB aus der üblichen Verwendung der deutschen Sprache.
20
ee) Wenn die Klägerin - ob auf Verordnung des Arztes oder aber eigenmächtig - diese
Tageshöchstdosis um das Doppelte überschreitet (75 mg statt 25 mg pro Tag), so kann von einem
bestimmungsgemäßen Gebrauch, der von der Beklagten wirksam im Hinblick auf die Dosierung
festgelegt wurde, nicht mehr gesprochen werden. Ob eine Haftung aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG
damit von vornherein ausscheidet oder aber jedenfalls die Klägerin beweisen müsste, dass die
Nebenwirkungen auch bei Einnahme in normaler Dosierung eingetreten wären, was angesichts der
Packungsbeilage möglich wäre, muss nicht entschieden werden.
21
b) Es kommt nicht mehr darauf an, dass ein bestimmungsgemäßer Gebrauch deshalb nicht vorliegt, weil
die von der Beklagten in der Fachinformation und der Packungsbeilage angegebene Indikation zur
Einnahme von VIOXX nicht gegeben war. Die Klägerin trägt selbst vor, aufgrund eines
Bandscheibenvorfalls, also eines akuten Ereignisses operiert und wegen der dadurch verursachten
Schmerzen mit VIOXX behandelt worden zu sein. Als Anwendungsgebiet ist aber die Behandlung von
Symptomen bei chronischen Erkrankungen aus dem entzündlichen Bereich angegeben. Die Auffassung
der Klägerin, sie habe nach der Operation an Schmerzen gelitten, wogegen VIOXX als Schmerzmittel
helfe, weshalb auch eine Indikation vorliege, überzeugt nicht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die
Zulassung eines Medikaments für bestimmte Krankheiten erfolgt, weil erst dadurch die Nutzen-Risiko-
Abwägung (vgl. § 5 AMG) erfolgen kann.
22 3. Eine Haftung aus § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG kommt nicht in Betracht, da die Fachinformationen und die
Packungsbeilage unstreitig die Beschwerden, unter denen die Klägerin leidet und für die sie eine
Entschädigung begehrt, als Nebenwirkungen bereits bei bestimmungsgemäßen Gebrauch aufführt, so dass
eine Verletzung der Informationspflichten nach dieser Vorschrift nicht vorliegt. Dass die Packungsbeilage auch
hinsichtlich der Dosierung nicht missverständlich ist, ist ausgeführt (s. o. 2.).
III.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§
708 Nr. 10, 713 ZPO.
24 Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.