Urteil des OLG Karlsruhe vom 29.08.2013
OLG Karlsruhe: anleihe, anleger, erwerb, wirtschaftliches interesse, insolvenz, eintritt des versicherungsfalles, verfügung, rückzahlung, schuldverschreibung, übertragung
OLG Karlsruhe Urteil vom 29.8.2013, 9 U 24/11
Beratungs- und Aufklärungspflichten einer Bank beim Vertrieb einer festverzinslichen Anleihe
mit integriertem Kreditderivat ("Cobold-Anleihe")
Leitsätze
1. Ist die von einer deutschen Bank emittierte festverzinsliche Anleihe mit einem Kreditderivat
verknüpft, besteht ein erheblicher Beratungs- und Aufklärungsbedarf über die komplexe Struktur
der Anleihe für den Anleger.
2. Die Risiken einer festverzinslichen Anleihe mit integriertem Kreditderivat sind nicht mit den
Risiken einer "normalen" festverzinslichen Anleihe vergleichbar. Es besteht ein besonderer
Aufklärungsbedarf über diese Risiken auch dann, wenn die für das Kreditderivat maßgeblichen
Referenzunternehmen zum Zeitpunkt der Emission der Anleihe ein sehr gutes Rating besitzen
(hier: Lehman Brothers Holdings Inc. im Jahr 2007).
3. Der Anleger ist über das Risiko von möglichen Interessenkonflikten aufzuklären, wenn nach
den Regelungen in den Anleihebedingungen beim Eintritt eines "Kreditereignisses"
Interessenkonflikte der Emittentin in Betracht kommen.
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 14.01.2011 - 3 O
126/10 D - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 89.257,96 EUR zu bezahlen Zug um Zug gegen
Übertragung des Depots Nr. ...108 Lehman Brothers Hold. Inc. (ISIN-Nr. XS0128857419 / WKN
649334) zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus 105.800,00 EUR vom 06.12.2008 bis 17.04.2012,
aus 99.160,86 EUR vom 18.04.2012 bis 01.10.2012,
aus 94.880,19 EUR vom 02.10.2012 bis 04.04.2013 und
aus 89.257,96 EUR ab dem 05.04.2013.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziff. 1 genannten
Wertpapiers seit dem 05.12.2008 in Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III.
Die Streithelferin trägt ihre eigenen außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren. Im
Übrigen trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
IV.
Die Beklagte kann eine Vollstreckung des Klägers abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Der Kläger macht aus eigenem und aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche
gegen die Beklagte geltend, weil er von dieser bei einem Wertpapierkauf am 20.06.2007
fehlerhaft beraten worden sei.
2 Der Kläger und seine Ehefrau sind seit vielen Jahren Kunden der Beklagten und haben
dort erhebliche Teile ihres Kapitalvermögens angelegt. Im Juni 2007 stand ihnen aus
einem Hausverkauf ein größerer Betrag zur Verfügung, der angelegt werden sollte. Im
Hinblick auf eine mögliche Geldanlage wurde ein Beratungstermin in den Räumlichkeiten
der Beklagten vereinbart. Der Termin fand am 20.06.2007 statt. Der Zeuge H., ein
Mitarbeiter der Beklagten, empfahl den Erwerb einer Anleihe .... Cobold Plus E4456, die
bei Fälligkeit am 25.06.2009 zu 109,25 % zurückgezahlt werden sollte. Emittentin der
Anleihe war die Streithelferin. Der Kläger und seine Ehefrau folgten dieser Empfehlung
und erwarben Wertpapiere dieser Anleihe zum Preis von 100.000,00 EUR (Kurswert
identisch mit dem Nennwert). Die Beklagte übernahm diese Papiere in das Depot,
welches sie für den Kläger und seine Ehefrau führte.
3 Es handelte sich bei der Anleihe der Streithelferin um eine sogenannte synthetische
Anleihe, bei der die Rückzahlung des Kapitals zum Fälligkeitsdatum davon abhängig sein
sollte, dass bis zum Fälligkeitsdatum bei insgesamt fünf verschiedenen US-Banken kein
sogenanntes „Kreditereignis“ eingetreten war. Zu diesen Banken gehörte unter anderem
Lehman Brothers Holdings Inc. (im Folgenden abgekürzt: Lehman Brothers).
4 Mit Schreiben vom 06.11.2008 (Anlage K 8) teilte die Beklagte dem Kläger und seiner
Ehefrau mit, „nach Feststellung der Emittentin“ sei in Bezug auf das Referenzunternehmen
Lehman Brothers das Kreditereignis „Insolvenz“ eingetreten. Entsprechend den
Bedingungen der erworbenen Anleihe lieferte die Beklagte dem Kläger und seiner
Ehefrau Wertpapiere einer Schuldverschreibung der Lehman Brothers zum Nennwert von
100.000,00 EUR. Die Verpflichtung der Streithelferin zur Rückzahlung der Cobold-Anleihe
zum Fälligkeitszeitpunkt wurde - gemäß den Anleihebedingungen - durch die Lieferung
dieser Schuldverschreibung ersetzt. Die Lehman Brothers-Schuldverschreibungen hatten
am 24.11.2008 einen Kurswert von lediglich 7.500,00 EUR (vgl. die Anlage K 10).
Schadensersatzforderungen des Klägers wurden in der Folgezeit von der Beklagten
abgelehnt.
5 Am 06.08.2009 trat die Ehefrau des Klägers alle ihr zustehenden Ansprüche aus dem
Erwerb der Cobold-Anleihe vom 20.06.2007, insbesondere Schadensersatzansprüche auf
Grund Falschberatung, an den Kläger ab (vgl. die Anlage K 1).
6 Der Kläger hat vor dem Landgericht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte
geltend gemacht. Seine Ehefrau und er seien am 20.06.2007 von dem Mitarbeiter der
Beklagten falsch beraten worden. Sie seien über die Eigenheiten und die Funktionsweise
der Cobold-Anleihe nicht aufgeklärt worden. Der Zeuge H. habe nicht auf die erheblichen
Risiken der Cobold-Anleihe, die mit normalen festverzinslichen Wertpapieren nicht
vergleichbar sei, hingewiesen. Außerdem sei die Beratung nicht anlegergerecht erfolgt, da
der Kläger und seine Ehefrau ausdrücklich eine sichere Anlage, vergleichbar mit einer
festverzinslichen Bundesanleihe, gewünscht hätten. Nach der Insolvenz von Lehman
Brothers seien die von der Emittentin angedienten Schuldverschreibungen von Lehman
Brothers (an Stelle der ursprünglichen Cobold-Anleihe) nahezu wertlos geworden. Den
daraus resultierenden Schaden habe die Beklagte auf Grund der fehlerhaften Beratung
durch ihren Mitarbeiter zu ersetzen.
7 Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
8
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 107.928,80 EUR zu bezahlen Zug um Zug
gegen Übertragung des Depots Nr. ...108 Lehman Brothers Hold. Inc. (ISIN-Nr.
XS0128857419 / WKN 649334) zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.12.2008,
9 und
10 2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziff. 1 genannten
Zertifikats/Kreditderivats seit dem 05.12.2008 im Annahmeverzug befindet.
11 Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Beratung sei korrekt gewesen. Auf das
Risiko eines möglichen Totalausfalls habe der Zeuge H. den Kläger und seine Ehefrau
hingewiesen. Der Zeuge habe die Beratung durchgeführt entsprechend der bei der
Beklagten vorhandenen „Produktinformation“ (vgl. die Anlage B 1). Eine weitergehende
Information über den Inhalt der zweiseitigen „Produktinformation“ hinaus sei nicht geboten
gewesen. Denn die Anleihe habe keine besonderen Risiken aufgewiesen. Sie sei
vergleichbar gewesen mit beliebigen anderen Unternehmensanleihen. Der Schaden des
Klägers und seiner Ehefrau sei durch die Insolvenz von Lehman Brothers eingetreten, die
im Juni 2007 für niemanden vorhersehbar gewesen sei. Im Übrigen habe der Kläger
genügend Erfahrung mit verschiedenen Anlageformen gehabt, so dass eine besondere
Risikoaufklärung nicht geboten gewesen sei.
12 Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit Urteil vom 14.01.2011
die Klage abgewiesen. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er von dem Zeugen H.
fehlerhaft beraten worden sei. Aus Beweislastgründen sei von den Angaben dieses
Zeugen auszugehen. Demnach seien der Kläger und seine Ehefrau ausreichend über die
Funktionsweise und Risiken der Cobold-Anleihe aufgeklärt worden. Dabei sei auch zu
berücksichtigen, dass der Kläger zu einem früheren Zeitpunkt bereits eine andere -
ähnliche - Cobold-Anleihe derselben Emittentin erworben habe, so dass er mit der
Funktionsweise dieser Wertpapiere vertraut gewesen sei.
13 Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er ergänzt und vertieft
seinen erstinstanzlichen Sachvortrag. Er weist auf verschiedene Besonderheiten und
Risiken der streitgegenständlichen Cobold-Anleihe hin, die aus der zweiseitigen
„Produktinformation“ nicht ersichtlich seien. Das Landgericht habe die Besonderheiten und
speziellen Risiken der Cobold-Anleihe verkannt. Dem Zeugen H. sei zudem vorzuwerfen,
dass er dem Kläger vor dem Erwerb der Anleihe nicht den ausführlichen Prospekt für die
Anleihe zur Verfügung gestellt habe, in welchem auf viele erhebliche Risiken und
Besonderheiten der Anleihe hingewiesen werde. Der Kläger hält die Anleihebedingungen
zudem für sittenwidrig, da sich die Streithelferin als Emittentin erhebliche Vorteile auf
Kosten der Anleger verschafft habe.
14 Der Kläger hat im Berufungsverfahren zunächst unter Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils beantragt,
15 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 107.928,80 EUR zu bezahlen, Zug um Zug
gegen Übertragung des Depots Nr. ...108 Lehman Brothers Hold. Inc. (ISIN-Nr.
XS0128857419 / WKN 649334) zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.12.2008
16 2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziff. 1 genannten
Zertifikats/Kreditderivats seit dem 05.12.2008 in Annahmeverzug befindet.
17 Die Beklagte hat der Emittentin der Anleihe den Streit verkündet. Diese ist daraufhin im
Berufungsverfahren dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
18 Während des Berufungsverfahrens sind Zahlungen für die Schuldnerin auf die Anleihe an
den Kläger und seine Ehefrau erfolgt, und zwar am 17.04.2012 6.639,14 EUR, am
01.10.2012 4.280,67 EUR und am 04.04.2013 5.622,23 EUR. Der Kläger hat wegen
dieser Zahlungen den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklärt und beantragt nunmehr,
19 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 91.386,76 EUR zu bezahlen Zug um Zug
gegen Übertragung des Depot Nr. ...108 Lehmann Brothers Hold. Inc. (ISIN-Nr.
XS0128857413 / WKN 649334) zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz, aus einem Betrag von 107.928,80 EUR seit dem 06.12.2008
bis zum 17.04.2012, aus einem Betrag von 101.298,66 EUR seit dem 18.04.2012 bis zum
01.10.2012, aus einem Betrag von 97.008,99 EUR seit dem 02.10.2012 bis zum
04.04.2013 und aus einem Betrag von 91.386,76 EUR seit dem 05.04.2013,
20 2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten
Zertifikats-/Kreditderivats seit dem 05.12.2008 in Annahmeverzug befindet.
21 Die Beklagte und die Streithelferin haben der teilweisen Erledigung zugestimmt und
beantragen im Übrigen,
22 die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
23 Die Beklagte und die Streithelferin verteidigen das Urteil des Landgerichts. Zu Recht habe
sich das Landgericht bei seiner Entscheidung auf die Angaben des Zeugen H. gestützt.
Eine Beratung, die sich auf die dem Zeugen vorliegenden Unterlagen, nämlich die
„Produktinformation“ (Anlage B 1) gestützt habe, sei ausreichend. Die Cobold-Anleihe
berge keine besonderen Risiken; sie sei der „Risikoklasse 3“ zuzurechnen. Es sei nicht
zutreffend, dass die Emittentin selbst Anleihen von Lehmann Brothers erworben habe.
Vielmehr gehe sie hinsichtlich der in den Cobold-Anleihen verbrieften Kreditrisiken am
Kapitalmarkt bestimmte Geschäfte ein, bei denen sie ihren Vertragspartnern für den
Ausfall der Referenzunternehmen einstehe. Ohne Eintritt eines Kreditereignisses
generiere die Streithelferin aus diesen Geschäften einen Zusatzertrag, aus dem sie den
Zinsaufschlag an die Anleger der jeweiligen Cobold-Anleihe finanzieren könne. Bei Eintritt
eines Kreditereignisses würden aus diesen Geschäften erhebliche Zahlungen für die
Streithelferin fällig. Wegen dieser Verpflichtungen könne sie keine Gewinne aus dem
Umstand erzielen, dass gleichzeitig ihre Verpflichtungen gegenüber den
Anleihegläubigern entfielen. Aus der Funktionsweise der Anleihe ergebe sich, dass es
keinen Interessenkonflikt zwischen der Streithelferin und den Anlegern gebe. Die Anleihe
habe – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht den Charakter einer „ Wette“. Auf die
Frage, ob und inwieweit dies aus den Anleihebedingungen hervorgehe, komme es nicht
an. Entscheidend sei allein, dass die Streithelferin aufgrund der beschriebenen
wirtschaftlichen Funktionsweise der Anleihe keine besonderen Risiken für einen Anleger
produziere. Die Streithelferin und die Beklagte sind im Übrigen der Auffassung, die
Bedeutung des Begriffes „Kreditereignis“ werde in der Produktinformation (Anlage B1)
ausreichend erläutert.
24 Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Im
Übrigen wird Bezug genommen auf den von der Streithelferin im Berufungsverfahren
vorgelegten Anleiheprospekt (Anlage SH13) und die von der Beklagten vorgelegten
Anleihebedingungen (Anlage B13 II 333 ff.).
25 Der Senat hat durch Verfügung des Vorsitzenden vom 29.04.2013 auf verschiedene
rechtliche Gesichtspunkte hingewiesen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur
Stellungnahme.
26 Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 01.08.2013 hat die Beklagte – nach
Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – erklärt, sie erkenne den vom
Kläger geltend gemachten Anspruch – wie in der mündlichen Verhandlung beantragt – „im
Sinne des § 307 ZPO an“.
II.
27 Die zulässige Berufung des Klägers hat überwiegend Erfolg. Die Beklagte ist zur Zahlung
von Schadensersatz in Höhe von 89.257,96 EUR nebst Zinsen verpflichtet, Zug um Zug
gegen Übertragung der Schuldverschreibung der Lehman Brothers, die dem Kläger und
seiner Ehefrau im November 2008 von der Beklagten angedient wurde.
28 1. Die Haftung der Beklagten beruht auf einem zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau
einerseits und der Beklagten andererseits abgeschlossenen Beratungsvertrag. (Wenn im
Folgenden wegen des Beratungsvertrags und wegen der durchgeführten Beratung -
abgekürzt - vom „Kläger“ die Rede ist, sind der Kläger und seine Ehefrau gemeint.) Der
Kläger und der für die Beklagte tätige Zeuge H. hatten einen Beratungstermin vereinbart,
in dem es darum gehen sollte, dass dem Kläger für einen größeren Geldbetrag eine
Anlagemöglichkeit empfohlen werden sollte. Die Durchführung der Beratung in den
Räumlichkeiten der Beklagten begründet einen konkludenten Beratungsvertrag. Für
Pflichtverletzungen ihres Mitarbeiters H. haftet die Beklagte gemäß § 278 Satz 1 BGB. Der
Kläger ist nach der Abtretung von Schadensersatzansprüchen durch seine Ehefrau (vgl.
den Abtretungsvertrag vom 06.08.2009, Anlage K 1) berechtigt, Schadensersatzansprüche
aus dem Vertrag (allein) gegen die Beklagte geltend zu machen.
29 2. Der für die Beklagte handelnde Zeuge H. hat Pflichten aus dem Beratungsvertrag
verletzt. Dies steht auf der Grundlage des unstreitigen Sachvortrags der Parteien fest. Auf
die vom Landgericht vorgenommene Würdigung der informatorischen Angaben des
Klägers einerseits und der teilweise davon abweichenden Aussage des Zeugen H.
Klägers einerseits und der teilweise davon abweichenden Aussage des Zeugen H.
andererseits kommt es aus Rechtsgründen nicht an.
30 a) Inhalt und Umfang der Beratungspflichten einer Bank hängen bei einer
Anlageberatung von den Umständen des Einzelfalls ab. Zum einen sind Kenntnis- und
Wissensstand des Kunden, seine Risikobereitschaft und seine Zielvorstellungen zu
berücksichtigen (anlegergerechte Beratung). Zum anderen ist eine objektgerechte
Beratung erforderlich. Das heißt, die Bank muss dem Kunden diejenigen Eigenschaften
und Risiken erklären und erläutern, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche
Bedeutung haben oder haben können. Dabei ist zwischen allgemeinen Risiken
einerseits und speziellen Risiken, die mit einem spezifischen Wertpapier
zusammenhängen, zu unterscheiden. Die Beratung muss für den Kunden verständlich
und vollständig sein (vgl. hierzu grundlegend BGH, NJW 1993, 2433; Hannöver in
Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch Band II, 4. Auflage 2011, § 110, Rdnr.
44 ff., 55 ff.).
31 b) Von diesen Voraussetzungen ausgehend ergab sich für die vom Kläger erworbene
Cobold-Anleihe ein spezifischer Aufklärungsbedarf. Die Anleihe hatte eine ganze Reihe
besonderer Eigenschaften und Risiken, mit denen sie sich sowohl von normalen
festverzinslichen Anleihen, als auch von anderen üblichen Wertpapieren unterschied.
Diese Besonderheiten und spezifischen Risiken waren für eine Anlageentscheidung
wesentlich, und daher im Rahmen der von der Beklagten durchgeführten Beratung
aufklärungsbedürftig. Der Aufklärungsbedarf lässt sich in drei verschiedene, jedoch
miteinander zusammenhängende, Bereiche unterteilen:
32 - Die Anleihe weist eine komplexe wirtschaftliche und rechtliche Struktur auf, die in
wesentlichen Punkten erklärungsbedürftig ist (vgl. unten aa), bb), cc), dd), ee) und ff));
33 - Die Anleihebedingungen weisen erhebliche wirtschaftliche Gestaltungsspielräume für
die Emittentin aus, die mit Interessenkonflikten und Nachteilen für den Anleger
verbunden sein können (unten gg), hh) und ii));
34 - der mit der Anleihe verbundene Charakter eines Kreditderivats führt zu Ausfallrisiken,
die nicht mit dem Ausfallrisiko bei einer normalen festverzinslichen Anleihe einer
größeren deutschen Bank vergleichbar sind, (unten jj)).
35 aa) Bei der vom Kläger erworbenen Cobold-Anleihe handelt es sich um eine sogenannte
„synthetische Anleihe“. Der Kläger erwarb einerseits ein Wertpapier, das mit einer festen
Verzinsung versehen war, und bei dem zum Ablauf der festen Laufzeit eine Rückzahlung
des eingesetzten Kapitals erfolgen sollte. Andererseits waren die Rückzahlung des
Kapitals und die Verzinsung jedoch mit bestimmten komplizierten Bedingungen
verknüpft (siehe im Einzelnen unten). Der Sache nach handelte es sich um eine Anleihe
mit integriertem Kreditderivat (vgl. den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom
30.06.2010, Seite 5, I, 65), also um ein sogenanntes strukturiertes Produkt. Die
Streithelferin charakterisiert diese Art von Anleihen mit „Corporate Bond linked Debt“,
abgekürzt „Cobold“. Dieser Typ von Anleihen wird auch unter dem Sammelbegriff
„credite linked notes“, abgekürzt CLN, geführt.
36 bb) Die Anleihe sollte nur dann zum Nennbetrag am Ende der Laufzeit zurückgezahlt
werden, wenn nicht bis zu diesem Zeitpunkt bei einem von fünf Referenzunternehmen
ein sogenanntes „Kreditereignis“ eintrat. Mit Kreditereignis war die Insolvenz oder eine
andere erhebliche Beeinträchtigung der Zahlungsfähigkeit des Referenzunternehmens
(siehe im Einzelnen unten) gemeint. Das bedeutet, dass die Cobold-Anleihe für die
Emittentin, die Streithelferin, eine Art Rückversicherung darstellte, im Hinblick auf Kredite
oder andere Geschäfte, bei denen sie Kreditrisiken der Referenzunternehmen übernahm.
Bei einer Inanspruchnahme aus diesen Geschäften konnte sich nach der Konstruktion
der Anleihebedingungen die Streithelferin an den Gläubigern der Cobold-Anleihe
schadlos halten, indem sie die Anleihegläubiger auf (möglicherweise wertlose oder
geringwertige) Schuldverschreibungen des jeweiligen insolventen
Referenzunternehmens verwies. Die Streithelferin war berechtigt - wie dies im
vorliegenden Fall nach der Insolvenz von Lehman Brothers erfolgt ist -, den
Anleihegläubigern eine Anleihe von Lehman Brothers anzudienen, mit der Konsequenz,
dass keine Verpflichtung zur Rückzahlung der Anleihe gegenüber den
Anleihegläubigern mehr bestand.
37 Über diese Konstruktion musste der Kläger vor dem Erwerb der Anleihe aufgeklärt
werden. Es war eine Aufklärung darüber erforderlich, dass er zu Gunsten der Emittentin
ein Kreditderivat übernehmen sollte mit der Konsequenz, dass der Kläger mit dem
gesamten Anleihekapital haften konnte, wenn bestimmte Forderungen gegenüber den
Referenzunternehmen ausfielen. Da es vorliegend um fünf Referenzunternehmen ging,
nämlich um die US-Banken Bear Stearns, Goldman Sachs, Lehman Brothers, Merrill
Lynch und Morgan Stanley, wurden mit dem Derivat Kreditrisiken gegenüber jedem
Referenzunternehmen in Höhe von jeweils 100.000,00 EUR abgedeckt. Mithin ging es
um eine Absicherung von Forderungen in Höhe von insgesamt 500.000,00 EUR, wobei
allerdings im Hinblick auf den Anleihebetrag die maximale Haftung des Klägers auf
100.000,00 EUR begrenzt war. Zum Wesen einer Kreditversicherung bzw. eines
Kreditderivats gehört, dass aus der Sicht des Vertragspartners ein Kreditrisiko tatsächlich
besteht, da ansonsten die Begebung eines entsprechenden Derivats nicht erforderlich
wäre. Auch dies hätte zu einer sachgemäßen Aufklärung des Klägers gehört.
38 Mit dem integrierten Erwerb eines Kreditderivats zu Gunsten der Streithelferin war eine
im Verhältnis zu normalen Anleihen höhere Verzinsung zu Gunsten des Klägers
verbunden. Die Rendite der Cobold-Anleihe betrug unstreitig 4,52 %. Dieser Zinssatz lag
um etwa 0,5 % über dem damaligen Marktzins festverzinslicher Bundesanleihen (vgl. die
vom Kläger vorgelegten Anlagen K 2 zu Bundesanleihen). Gegen die Übernahme der
dargestellten Kreditrisiken zu Gunsten der Emittentin sollte der Kläger mithin einen
Zinsvorteil von etwa 0,5 % pro Jahr erhalten.
39 cc) Die „Andienung von Anleihen“ des Referenzunternehmens im Falle eines
„Kreditereignisses“ (Insolvenz) ändert nichts am Versicherungs-Charakter des Derivats.
Aus den Anleihebedingungen ergibt sich, dass der Kläger als Anleger bei der Insolvenz
eines Referenzunternehmens eine Schuldverschreibung dieses Unternehmens erhalten
sollte, ohne dass in den Anleihebedingungen Festlegungen zum Wert dieser
Ersatzanleihe getroffen worden wären. Der mögliche Wert der angedienten Anleihe war
nach den Anleihebedingungen offen. Die Anleihe konnte - wie im vorliegenden Fall - bei
Lehman Brothers geringwertig oder nahezu wertlos sein. Dies war im Rahmen der von
der Beklagten durchgeführten Beratung aufklärungsbedürftig.
40 dd) Aus den Anleihebedingungen (vgl. den Prospekt, Anlage SH13, § 1 „Lieferbare
Wertpapiergattung“) ergibt sich nicht, welche Anleihe des Referenzunternehmens dem
Kläger angedient werden musste. Sofern unterschiedliche Wertpapiere des jeweiligen
Referenzunternehmens von unterschiedlicher Qualität bzw. mit unterschiedlichem
Kurswert auf dem Markt waren, hatte die Streithelferin nach den Anleihebedingungen
das Recht, die anzudienenden Wertpapiere auszuwählen. Der Kläger war mithin darüber
aufzuklären, dass im Falle eines „Kreditereignisses“ die Streithelferin möglicherweise
bessere oder andererseits schlechtere Wertpapiere zur Andienung auswählen konnte.
41 ee) Aus den Anleihebedingungen ergibt sich nicht, welche Kredite in welcher Höhe und
welcher Gläubiger durch das in der Cobold-Anleihe enthaltene Derivat abgesichert
werden sollten, bzw. welche eigenen Risiken die Streithelferin abdecken wollte. Es ist
insbesondere nicht ersichtlich, ob und inwieweit es um Forderungen der Emittentin
gegen die Referenzunternehmen gehen sollte, oder möglicherweise um die Absicherung
anderer Geschäfte. Auch dieser Umstand gehörte zur aufklärungsbedürftigen
Funktionsweise des vom Kläger übernommenen Kreditderivats.
42 ff) Der für den Kläger relevante Sicherungsfall sollte nicht nur dann eintreten, wenn ein
Referenzunternehmen insolvent wurde, sondern schon dann, wenn ein sogenanntes
„Kreditereignis“ eintrat. Unter „Kreditereignis“ wurden nach den Anleihebedingungen
„Insolvenz“, „Nichtzahlung“ und „Schuldenrestrukturierung“ zusammengefasst. Gemeint
waren Zahlungsstörungen eines Referenzunternehmens, die in den
Anleihebedingungen in einem komplizierten Regelwerk alternativer Bedingungen und
Ereignisse erläutert wurden. (Vgl. dazu die umfangreichen Regelungen in den
Anleihebedingungen, Anlage SH13, § 1, „Insolvenz“, „Kreditereignis“, „Nichtzahlung“ und
„Schuldenrestrukturierung“.) Da der Begriff des „Kreditereignisses“ für die mit dem
Erwerb einer Cobold-Anleihe verbundenen Risiken entscheidend war, hätte der Kläger
im Einzelnen darüber aufgeklärt werden müssen, welche vielfältigen Zahlungsstörungen
eines Referenzunternehmens den Begriff des „Kreditereignisses“ erfüllen konnten. Es
war eine Aufklärung darüber erforderlich, in welchen Fallgestaltungen die
Kreditabsicherung über das Risiko der eigentlichen Insolvenz eines
Referenzunternehmens hinausgehen sollte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt bei einer
gleichartigen Anleihe LG Tübingen, Urteil vom 23.02.2010 - 5 O 165/09 -, Rdnr. 59, zitiert
nach Juris).
43 gg) Aus den Anleihebedingungen ergibt sich zudem (vgl. den Prospekt Anlage SH13, § 1
„Kreditereignis“, „Kreditereignis-Mitteilung“, „Öffentlich zugängliche Informationen“,
„Öffentlich-zugängliche-Informations-Mitteilung“, „Öffentliche Informationsquelle“, § 4
„Rückzahlung/Andienung/Rückkauf“, § 10 „Bekanntmachungen“), dass die rechtlichen
Folgen eines „Kreditereignisses“ für den Anleger von einer „Feststellung der Emittentin“
abhängen sollte. Eine Überprüfung dieser Feststellungsentscheidung der Emittentin ist in
den Anleihebedingungen nicht vorgesehen. Die Haftung des Klägers aus dem mit der
Anleihe übernommenen Kreditderivat hing mithin von einer Entscheidung der Emittentin
ab, die für den Anleger nicht ohne weiteres kontrollierbar und überprüfbar war, bzw. für
die zumindest in den Anleihebedingungen eine Überprüfung nicht vorgesehen ist. Vor
dem Erwerb einer Cobold-Anleihe war im Rahmen einer Beratung daher eine Aufklärung
des Anlegers darüber erforderlich, dass im Hinblick auf die übernommene Haftung der
Eintritt des Sicherungsfalles wesentlich von einer Entscheidung der Streithelferin
mitbestimmt werden konnte.
44 hh) Der Kläger weist zu Recht auf eine weitere für einen potenziellen Anleger erhebliche
Besonderheit in den Anleihebedingungen hin: Aus den Bedingungen ergibt sich nicht, in
welcher Höhe von der Emittentin tatsächlich Kreditrisiken übernommen worden sind.
Nach den Bedingungen ist es möglich, dass die von der Streithelferin übernommenen
Risiken gegenüber den in den Cobold-Anleihen enthaltenen Verpflichtungen der Anleger
zurückbleiben. Es ist nach den Bedingungen auch möglich, dass dem Kreditderivat kein
realer Kredit gegenübersteht. Das wiederum bedeutet, dass die Cobold-Anleihe nach
den Anleihebedingungen den Charakter einer Wette haben kann (vgl. LG Tübingen a. a.
O., Rdnr. 62 ff.). Wette bedeutet in diesem Sinne, dass der Anleger darauf wettet, dass
kein „Kreditereignis“ eintritt, während die Emittentin ohne Absicherung eigener Kredite
darauf wetten kann, dass innerhalb der Laufzeit ein sogenanntes Kreditereignis bei
einem Referenzunternehmen eintritt. Ohne Bezug zu konkreten Krediten bedeutet dies,
dass die Emittentin bei Eintritt eines Kreditereignisses nicht eigene Verluste ausgleichen
würde, sondern - da keine eigenen Verpflichtungen bestehen - erhebliche Gewinne
einstreichen kann, wenn sie sich von der Rückzahlungsverpflichtung aus der Anleihe
gegenüber dem Anleihegläubiger löst.
45 Für die Aufklärungsverpflichtungen gegenüber dem Kläger kommt es nicht darauf an, ob
die Streithelferin von solchen Möglichkeiten der Anleihebedingungen tatsächlich
Gebrauch gemacht hat (vgl. hierzu den Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom
26.11.2010, Seite 5 ff., I, 265 ff. und den Schriftsatz der Streithelferin vom 18.06.2013, II
393 ff.). Entscheidend für die Aufklärungspflichten ist allein das Risiko einer solchen
Möglichkeit, das sich aus den Anleihebedingungen ergibt. Das Risiko wird deutlich,
wenn man die Anleihebedingungen mit üblichen Versicherungsbedingungen vergleicht:
Ein professionelles Versicherungsunternehmen stellt in aller Regel sicher, dass mit dem
Versicherungsvertrag keine Überversicherung verbunden ist (vgl. hierzu beispielsweise
auch die Regelungen im Versicherungsvertragsgesetz in § 74 Abs. 1 VVG und § 78 Abs.
1 VVG). Eine Überversicherung wird von Versicherern in der Regel vermieden, da eine
Überversicherung dazu führt, dass der Versicherungsnehmer ein wirtschaftliches
Interesse am Eintritt des Versicherungsfalles hat. Dieser Situation entsprechend war eine
Aufklärung des Klägers darüber erforderlich, dass die Anleihebedingungen der Cobold-
Anleihe - unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten bei der Streithelferin - von
solchen üblichen versicherungstechnischen Gegebenheiten abwichen. Da dem
Kreditderivat nach den Anleihebedingungen keine realen Verpflichtungen der Emittentin
gegenüberstehen mussten, ergibt sich aus den Bedingungen das Risiko einer möglichen
Interessenkollision. Nach den Anleihebedingungen musste ein Anleger damit rechnen,
dass die Emittentin ein eigenes Interesse am Eintritt eines „Kreditereignisses“ haben
konnte, weil sie daraus - möglicherweise - Gewinne erzielen konnte.
46 ii) Aus den Anleihebedingungen ergibt sich eine weitere mögliche Interessenkollision,
über welche der Kläger aufzuklären war. Die Emittentin konnte sich bei Eintritt eines
„Kreditereignisses“ bei den Anleihegläubigern durch Andienung von
Schuldverschreibungen des maßgeblichen Referenzunternehmens schadlos halten.
Diese Möglichkeit der Streithelferin war nach den Bedingungen allerdings unabhängig
davon, ob der Emittentin tatsächlich in entsprechender Höhe ein eigener
Vermögensnachteil entstand. Die Konsequenzen der vom Anleihegläubiger
übernommenen Risiken sollten nach den Bedingungen auch dann eintreten, wenn die
Emittentin bei Vorliegen eines „Kreditereignisses“ selbst keinen Forderungsausfall
erleiden würde, oder beispielsweise ihren eigenen Forderungsausfall durch bestimmte
wirtschaftliche Gestaltungen oder durch Verhandlungen mit dem Referenzunternehmen
bzw. mit ihren Geschäftspartnern vermindern konnte. Auch hieraus ergeben sich
Interessenkollisionen bei der Emittentin, was die Möglichkeit des Eintritts eines
Kreditereignisses betrifft.
47 In diesem Punkt besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer normalen
festverzinslichen Unternehmensanleihe und der streitgegenständlichen Cobold-Anleihe:
Eine normale Unternehmensanleihe dient allein der Refinanzierung des emittierenden
Unternehmens. Daher besteht (von Fällen krimineller Handlungen abgesehen) zwischen
dem emittierenden Unternehmen einerseits und den Anlegern andererseits ein
übereinstimmendes Interesse daran, dass die Solvenz des emittierenden Unternehmens
erhalten bleibt. Bei der Cobold-Anleihe ist eine solche Interessenübereinstimmung
hingegen nicht zwingend. Aus den oben erörterten Gründen gibt es nach den
Anleihebedingungen verschiedene Fallgestaltungen, in denen die Interessen der
Streithelferin als Emittentin mit den Interessen der Anleihegläubiger nicht
übereinstimmen, weil die Emittentin möglicherweise kein wirtschaftliches Interesse hat,
ein Kreditereignis bei einem der Referenzunternehmen zu verhindern. Auf die Frage, wie
die Emittentin wirtschaftlich tatsächlich mit den Cobold-Anleihen einerseits und den
übernommenen Kreditrisiken andererseits umgeht (vgl. dazu die Darstellung der
Beklagten im Schriftsatz vom 26.11.2010, Seite 5 ff., I 313 ff., sowie die Darstellung im
Schriftsatz der Streithelferin vom 18.06.2013 II 399 ff.), kommt es nicht an. Denn für die
aufklärungsrelevante Interessenfrage kann es im Verhältnis zum Kläger nur auf die sich
aus den Anleihebedingungen ergebenden unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen
ankommen.
48 jj) Entgegen der Auffassung der Beklagten entsprechen die vom Kläger mit der Cobold-
Anleihe übernommenen Risiken nicht Verhältnissen einer üblichen festverzinslichen
Unternehmensanleihe. Es war daher nicht ausreichend, den Kläger vor dem Erwerb nur
auf die Vergleichbarkeit mit einer Unternehmensanleihe hinzuweisen.
49 Bei einer üblichen festverzinslichen Unternehmensanleihe übernimmt der Anleger
lediglich das Insolvenzrisiko des emittierenden Unternehmens. Die vom Kläger mit der
Cobold-Anleihe übernommenen Risiken waren demgegenüber aus verschiedenen
Gründen deutlich größer. Zum einen musste der Kläger nicht nur bei einer Insolvenz der
Referenzunternehmen mit einem Ausfall der Anleihe rechnen, sondern auch bei vielen
anderen Möglichkeiten von Zahlungsschwierigkeiten („Kreditereignis“). Zum anderen
waren anders als bei einer normalen Unternehmensanleihe sowohl die Feststellung
eines „Kreditereignisses“ als auch der Wert der jeweils möglicherweise angedienten
Anleihen für den Kläger mit verschiedenen Unwägbarkeiten verbunden (siehe im
Einzelnen oben).
50 Es kommt hinzu, dass im Hinblick auf die fünf Referenzunternehmen besondere Risiken
bestanden. Die Emittentin hat in ihrem (für den Kläger unbekannten) Prospekt selbst
darauf hingewiesen, dass sie über die Referenzunternehmen nur „eingeschränkte
Informationen“ besitzt (vgl. Seite 20 des Prospekts, Anlage SH13 „Informationen“). Zum
anderen musste der Kläger ein kumuliertes Risiko wegen des möglichen Ausfalls von
fünf verschiedenen Unternehmen tragen, wobei bereits der Eintritt eines
Kreditereignisses bei einem einzigen Unternehmen für den Kläger schädlich war.
51 Die Auffassung der Beklagten, das Risiko des Ausfalls von fünf verschiedenen Banken
sei nicht höher als das Risiko des Ausfalls einer einzigen Bank, ist unzutreffend. Eine
solche Betrachtungsweise käme nur dann in Betracht, wenn der Ausfall eines
bestimmten Referenzunternehmens aus tatsächlichen Gründen im Vorhinein sicher
absehbar und zwingend den Ausfall gleichzeitig aller anderen Referenzunternehmen zur
Folge hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es mag wirtschaftliche Ursachenketten bei
einem Ausfall verschiedener Banken geben. Ebenso ist es jedoch möglich, dass
individuelle Managementfehler zur Insolvenz eines Unternehmens führen, woraus sich
keine Konsequenzen für den Ausfall eines anderen Unternehmens herleiten lassen. Von
einer Kumulation entsprechender Risiken bei gleichartigen Anleihen geht auch die dem
Senat bekannte Rechtsprechung zumindest überwiegend aus (vgl. OLG München, WM
2010, 1945; LG Tübingen a. a. O., Rdnr. 36; ebenso OLG Karlsruhe - 17. Senat -, 17 U
145/10, nicht veröffentlicht; anders OLG Karlsruhe, 17. Senat, Beschluss vom 16.11.2010
- 17 U 148/10 -, Rdnr. 5, zitiert nach Juris).
52 kk) Der Umstand, dass die Streithelferin viele gleichartige Cobold-Anleihen emittiert hat,
ohne dass bei diesen ein „Kreditereignis“ eingetreten wäre, ändert an den
Aufklärungsverpflichtungen der Beklagten nichts. Zum einen hat die Streithelferin
gleichartige Cobold-Anleihen erstmals im Jahr 2000 emittiert. Es handelt sich mithin nicht
um ein allgemein übliches Finanzinstrument, das schon lange am Markt eingeführt
gewesen wäre. Zum anderen ist entscheidend auf den Versicherungscharakter der
Anleihe hinzuweisen: Wenn das abgedeckte Risiko in einer Vielzahl von Fällen nicht
eingetreten ist, kann dies nicht dazu führen, dass der vorhandene Charakter einer
Rückversicherung verschwiegen werden darf. Denn das Wesen einer Kreditversicherung
bzw. eines Kreditderivats besteht darin, dass mit der Möglichkeit einer Verwirklichung
des Risikos in der Zukunft immer zu rechnen ist, unabhängig davon, wie oft sich dies
bereits in der Vergangenheit geschehen ist. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die
Verwirklichung des abgedeckten Risikos bei den Cobold-Anleihen der Streithelferin aus
verschiedenen Gründen davon abhängen konnte, wie sich die Emittentin jeweils
gegenüber den Referenzunternehmen verhalten hat, und unter welchen
Voraussetzungen sie ein „Kreditereignis“ festgestellt hat (siehe im Einzelnen oben). Die
Anleihebedingungen eröffneten der Emittentin viele Handlungs- und
Gestaltungsmöglichkeiten (siehe oben). Da nicht bekannt ist, wie die Emittentin bei
früheren Anleihen (nach dem Sachvortrag der Beklagten insgesamt 160 verschiedene
Cobold-Anleihen) von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, ergab sich aus den
früheren Anleihen kein zwingender Schluss, dass auch künftige Cobold-Anleihen nicht
mit vorhersehbaren Risiken für die Anleger verbunden sein würden. Aus den oben im
Einzelnen angegebenen Gründen kommt es für den Aufklärungsbedarf des Klägers auch
nicht darauf an, ob und inwieweit im Jahr 2007 eine Insolvenz von Lehman Brothers
konkret vorhersehbar war (vgl. zu dieser Frage BGH, NJW 2012, 66, 68).
53 ll) Der Aufklärungsbedarf des Klägers ergibt sich aus den Besonderheiten der Cobold-
Anleihe. Diese Besonderheiten kann der Senat unmittelbar dem im Rechtsstreit
vorgelegten Prospekt und dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien entnehmen. Die
Einholung eines Sachverständigengutachtens zu speziellen Risiken dieser Anleihe war
daher nicht erforderlich.
54 c) Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Beratungsvertrag mit dem Kläger verletzt. Die
unter b) oben dargestellte erforderliche Aufklärung des Klägers wurde nicht geleistet.
Gleichzeitig war unter den gegebenen Bedingungen die Empfehlung an den Kläger, die
Cobold-Anleihe zu erwerben, fehlerhaft.
55 aa) Aus der von der Beklagten vorgelegten „Produktinformation“ (Anlage B 1, zwei
Seiten), welche dem Zeugen H. bei der Beratung nach seinen Angaben zur Verfügung
stand, ergibt sich die erforderliche Aufklärung nicht. Die für eine mögliche
Anlageentscheidung des Klägers erforderlichen Informationen zu der
streitgegenständlichen Cobold-Anleihe (siehe oben b) sind in diesen Unterlagen nicht
enthalten bzw. werden für einen Anleger zumindest nicht ausreichend deutlich. Ein
abstrakter Hinweis, wonach „im ungünstigsten Fall … ein vollständiger Verlust der in der
Anleihe investierten Mittel eintreten kann (Totalverlustrisiko)“ ist nicht ausreichend (vgl.
Seite 2 oben der Produktinformation, Anlage B 1). Denn es fehlen sämtliche
erforderlichen Informationen zur Konkretisierung dieses Risikos, und zu den Eigenheiten
und zur Funktionsweise der Cobold-Anleihe (siehe insbesondere oben b), aa), bb), cc)).
Aus den Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass der Anleger mit dem Erwerb der Anleihe
bei wirtschaftlicher Betrachtung die Rolle eines Versicherungsgebers gegenüber der
Emittentin übernehmen sollte. Die Voraussetzungen eines „Kreditereignisses“ werden
nur rudimentär in der Produktinformation dargestellt.
56 Dass ein „Kreditereignis“ im Ergebnis zum Totalverlust für den Anleger führen kann, wird
zudem verschleiert (ebenso bei einer gleichartigen Anlage der selben Emittentin OLG
Karlsruhe - 17. Senat -, Urteil vom 07.06.2011 - 17 U 145/10, Seite 8, nicht veröffentlicht).
Weder wird aus der Produktinformation klar, was die Andienung einer Anleihe des
Referenzunternehmens bei Eintritt eines Kreditereignisses für den Anleger wirtschaftlich
bedeutet, noch wird deutlich, dass die Verknüpfung der Anleihe mit der Bonität von
Referenzunternehmen ein Risiko darstellt und nicht etwa eine zusätzliche Chance. Die
Formulierungen auf der ersten Seite der Produktinformation („Bonuschance“ … „Anleger
setzen … auf die Bonität ausgewählter Unternehmen und sichern sich damit die Chance
auf attraktive Renditevorteile“) suggerieren vielmehr einen Vorteil, den der Anleger im
Hinblick auf die Bonität der Referenzunternehmen gegenüber herkömmlichen Anleihen
habe. Es fehlen im Übrigen Hinweise auf sämtliche aufklärungsbedürftigen
Unwägbarkeiten der Anleihebedingungen (siehe oben b), dd), ee), ff), gg), hh), ii), jj)).
57 bb) Die von der Beklagten vorgelegte „Produktinformation“ war nach dem Sachvortrag
der Beklagten Grundlage für die Beratung des Klägers durch den Zeugen H.. Dass der
Zeuge den Kläger vor Erwerb der Anleihe über erhebliche Gesichtspunkte (siehe oben b)
informiert hätte, die nicht Gegenstand der Produktinformation und des Handelsangebots
waren, hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Auf die Bedeutung dieser Frage hat der
Senat hingewiesen (vgl. die Verfügung vom 29.04.2013, II 259; vgl. im Übrigen zur
Bedeutung der schriftlichen Kundeninformationen in ähnlichen Fällen BGH, WM 2008,
391; BGH, Urteil vom 06.11.2008 – III ZR 290/07 – Rn. 18, zitiert nach Juris).
58 cc) Den Anleiheprospekt und die Anleihebedingungen (Anlage SH 13 und B13 II 333 ff.),
aus denen sich die erforderlichen Informationen über die Cobold-Anleihe ergaben, hat
der Kläger nicht erhalten. Die Beklagte ist der Auffassung, dass Anleger mit der
„Informationsflut“ in diesen Unterlagen überfordert wären (I 279).
59 dd) Die Beklagte kann sich nicht auf § 31 Abs. 3 a Satz 1 Wertpapierhandelsgesetz
berufen, wonach sie dem Kunden vor Abschluss eines Geschäftes „ein kurzes und leicht
verständliches Informationsblatt“ zur Verfügung stellen muss. Es kann für die
Entscheidung des vorliegenden Falles dahinstehen, ob und inwieweit es möglich ist, die
komplexe Struktur einer Cobold-Anleihe in einem „kurzen und leicht verständlichen
Informationsblatt“ wiederzugeben. Jedenfalls geht auch das Wertpapierhandelsgesetz §
31 Abs. 3a Satz 2 davon aus, dass die Angaben in Informationsblättern „weder unrichtig
noch irreführend“ sein dürfen und „mit den Angaben des Prospekts vereinbar“ sein
müssen. Dies war vorliegend nicht der Fall (siehe im Einzelnen oben). Die Beklagte
hätte zudem – unabhängig von § 31 Wertpapierhandelsgesetz – aus zivilrechtlichen
Gründen dafür sorgen müssen, dass der Kläger ausreichende Kenntnisse erlangte über
die in der „Produktinformation“ nicht beschriebenen Eigenheiten und Risiken der Anlage
(siehe oben), die erkennbar für eine Entscheidung des Klägers von Bedeutung sein
konnten.
60 ee) Die Einschätzung des Senats zu den aufklärungspflichtigen Umständen entspricht im
Übrigen der eigenen Einschätzung der Streithelferin, die sich aus dem „Basisprospekt“
ergibt, welcher dem Kläger nicht zur Verfügung gestellt wurde, und der auch nicht etwa
Grundlage der Beratung durch den Zeugen H. war. Die Streithelferin weist in diesem
Prospekt zu der streitgegenständlichen Cobold-Anleihe u.a. auf folgende Gesichtspunkte
hin:
61
- „Die in diesem Prospekt beschriebenen Teilschuldverschreibungen sind ein komplexes
strukturiertes Finanzinstrument, … nur für den erfahrenen Investor, der die mit solchen
Instrumenten verbundenen Risiken einzuschätzen weiß, zum Kauf geeignet.“ (Anlage
SH13, Seite 3).
62
- „Ein potentieller Käufer … sollte seine Entscheidung … nur auf der Grundlage des
gesamten Prospektes und der jeweiligen endgültigen Bedingungen der
Teilschuldverschreibungen treffen.“ (Anlage SH13, Seite 6).
63
- „Da die Emittentin regelmäßig nur über eingeschränkte Informationen zu den jeweiligen
Referenzunternehmen verfügt, erfolgt in den jeweiligen endgültigen Bedingungen keine
umfassende Beschreibung, Einschätzung oder Bewertung des jeweiligen
Referenzunternehmens. Jeder potentielle Käufer von Teilschuldverschreibungen sollte
sich daher vor dem Erwerb von Teilschuldverschreibungen ein eigenes Bild von den
tatsächlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen und sonstigen Verhältnissen des jeweiligen
Referenzunternehmens machen. … Ferner kann nicht gewährleistet werden, dass alle
Ereignisse veröffentlicht worden sind, die sich zum Zeitpunkt bzw. vor der Begebung der
Teilschuldverschreibungen … in den jeweiligen Referenzunternehmen ereignen bzw.
ereignet haben und die für die Bestimmung des Werts der Teilschuldverschreibungen
oder des Eintritts eines Kreditereignisses relevant sind.“ (Anlage SH13 Seite 20)
64
- „Potentielle Interessenkonflikte – die Emittentin kann bereits bestehende oder
zukünftige Geschäftsbeziehungen … zu dem jeweiligen Referenzunternehmen
unterhalten und Maßnahmen ergreifen, die sie zum Schutz ihrer daraus entstehenden
eigenen Interessen ohne Berücksichtigung etwaiger Folgen für die Anleihegläubiger für
notwendig und angemessen erachtet.“ (Anlage SH13, Seite 21)
65 ff) Der Kläger hatte vor dem Erwerb der Cobold-Anleihe keinen für den Zeugen H.
erkennbaren Kenntnisstand, der eine Aufklärung hätte entbehrlich machen können.
66 ...(wird ausgeführt)
67 gg) Die Beklagte weist im Übrigen auf allgemeine „Basisinformationen über die
Vermögensanlagen in Wertpapieren“ (Anlage B 5) hin, welche sie dem Kläger zu einem
früheren Zeitpunkt übergeben habe. Auf diese Unterlagen, deren Übergabe der Kläger
bestreitet, kommt es nicht an. Denn Informationen zu der streitgegenständlichen Cobold-
Anleihe sind aus diesen Unterlagen nicht ersichtlich. Vielmehr wird auf Seite 95 dieser
Unterlagen für die „sonstigen synthetischen Anleihen“ ausdrücklich darauf hingewiesen,
dass das größte Risiko solcher Anleihen „in der Intransparenz der hinter der Anleihe
stehenden Konstruktion“ bestehe, welche „unmittelbare Auswirkungen auf die Rück-
und/oder Zahlungsverpflichtung der Emittentin“ haben könne. Konkrete Aussagen über
Produktspezifika und Funktionsweise dieser Instrumente seien jeweils nur im Einzelfall
auf der Grundlage einer detaillierten Beschreibung des Geschäfts möglich. Vor dem
Erwerb einer derartigen synthetischen Anleihe solle sich der Anleger „unbedingt“ mit den
jeweiligen Verkaufsprospekten und Emissionsbedingungen intensiv auseinandersetzen.
Eine solche Auseinandersetzung war dem Kläger nicht möglich, da er die erforderlichen
Informationen in der Beratung durch den Zeugen H. nicht erhalten hat.
68 hh) Die Beratung war auch deshalb pflichtwidrig, weil der Zeuge H. - abgesehen von der
unzureichenden Aufklärung des Klägers - diesem den Erwerb der streitgegenständlichen
Cobold-Anleihe nicht hätte empfehlen dürfen. Die Empfehlung war schon deshalb
fehlerhaft, weil der Zeuge H. aus den angegebenen Gründen wusste oder wissen
musste, dass dem Kläger die besondere Funktionsweise und die besonderen Risiken
der synthetischen Anleihe nicht bekannt und nicht vertraut waren (vgl. hierzu OLG
Karlsruhe - 17. Senat -, Urteil vom 07.06.2011 - 17 U 145/10 -, Seite 9, nicht veröffentlicht;
LG Tübingen a. a. O., Rdnr. 38, 40).
69 d) Die Beklagte hat die Pflichtverletzung des Zeugen H. im Rahmen der Beratung vom
20.06.2007 zu vertreten. Ein Entlastungsbeweis (§§ 278, 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) ist nicht
geführt. Ob die fehlerhafte Beratung dadurch verursacht wurde, wie der Kläger meint,
dass der Zeuge H. die wesentlichen Besonderheiten der Cobold-Anleihe selbst nicht
verstanden hatte, kann dahinstehen. Es wäre ggf. Sache der Beklagten gewesen, für eine
ausreichende Beratungskompetenz ihres Mitarbeiters zu sorgen.
70 3. Der Schadensersatzanspruch des Klägers wird nicht durch ein Mitverschulden (§ 254
Abs. 1 BGB) gemindert. Dem Kläger standen keine Unterlagen oder anderweitigen
Informationen zur Verfügung, aus denen er auf die Mängel der Beratung der Beklagten
hätte aufmerksam werden können. Auch aus dem in der Produktinformation abstrakt
formulierten Hinweis auf ein „Totalverlustrisiko“ konnte der Kläger nicht unmittelbar
erkennen, dass er es mit einer komplizierten strukturierten Anleihe zu tun hatte, zumal ein
abstraktes Totalverlustrisiko auch bei einer normalen Bankanleihe in Betracht kommt.
Schließlich kann es dem Kläger auch nicht zum Vorwurf gereichen, wenn er
möglicherweise bestimmte Angaben im Beratungsgespräch mit dem Zeugen H. nicht
vollständig verstanden haben sollte, wie beispielsweise Hinweise auf die
„Referenzunternehmen“. Denn es entspricht dem Sinn und Zweck eines
Beratungsvertrages, dass der Anleger gerade auch dann dem Berater vertraut, wenn er
Teile des Anlagekonzepts nicht versteht (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2011- 11 ZR 33/10 -,
Rdnr. 41, zitiert nach Juris).
71 4. Die Beklagte ist zum Ersatz des Anlagekapitals verpflichtet, da der Kläger die
streitgegenständliche Anlage nicht getätigt hätte, wenn er von der Beklagten zutreffend
aufgeklärt und beraten worden wäre. Zu Gunsten des Klägers besteht auf Grund der
fehlerhaften Beratung eine Kausalitätsvermutung (vgl. BGH, NJW 2012, 2427). Einen
Gegenbeweis, dass der Kläger die Cobold-Anleihe auch bei zutreffender Aufklärung und
Beratung erworben hätte, hat die Beklagte nicht geführt. Entgegen den Ausführungen des
Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 30.06.2010, Seite 15 (I, 127) war die
Funktionsweise der streitgegenständlichen Anleihe dem Kläger nicht aus dem Erwerb
einer ähnlichen Anleihe ein Jahr vorher „hinlänglich bekannt“ (siehe oben). Dass der
Kläger und seine Ehefrau wegen einer „überdurchschnittlichen Rendite und
Steuerersparnis“ die Cobold-Anleihe im Juni 2007 auch bei zutreffender Aufklärung durch
die Beklagte erworben hätte, hat im Übrigen die Zeugin B. bei ihrer erstinstanzlichen
Vernehmung (vgl. das Protokoll vom 03.12.2010, I, 349 ff.) nicht bestätigt.
72 Das Anlagekapital betrug 100.000,00 EUR. Nachdem der Kläger in den Jahren 2012 und
2013 auf die angediente Schuldverschreibung der Lehmann Brothers Teilzahlungen in
Höhe von insgesamt 16.542,04 Euro erhalten hat, reduziert sich sein Schaden um diese
Zahlungen. Es verbleibt ein ersatzfähiger Schaden von 83.457,96 EUR.
73 5. Soweit der Kläger im Rahmen des Schadensersatzes auch einen Zinsschaden geltend
macht, ist lediglich ein Betrag von 5.800,00 EUR gerechtfertigt, so dass die
Gesamtforderung des Klägers – vor der Teilerledigung – 105.800,00 EUR (eingesetztes
Kapital und Zinsschaden zusammen) betrug. Die Höhe des Zinsschadens schätzt der
Senat gemäß § 287 Abs. 1 ZPO. Der Kläger und seine Ehefrau haben wenige Tage vor
dem Erwerb der streitgegenständlichen Cobold-Anleihe bei der Beklagten festverzinsliche
Bundesanleihen erworben, und zwar zwei verschiedene Anleihen jeweils zu einem
Nennwert von 100.000,00 EUR (vgl. die Anlage K 2). Der Senat geht daher davon aus,
dass der Kläger und seine Ehefrau auch die für die Cobold-Anleihe verwendeten
finanziellen Mitteln in eine ähnliche festverzinsliche Anleihe investiert hätten, wenn sie
von der Beklagten zutreffend aufgeklärt und beraten worden wären. Aus der vorgelegten
Anlage K 2 ergibt sich, dass zum damaligen Zeitpunkt der Erwerb einer festverzinslichen
Anleihe mit einer Rendite von etwa 4 % möglich war. Bei einer derartigen Verzinsung
errechnet sich für die Zeit vom 20.06.2007 bis zum 05.12.2008 ein Zinsschaden von
5.800,00 EUR. (Für die Zeit ab dem 06.12.2008 hat der Kläger Zinsen gesondert geltend
gemacht.)
74 Die Klageforderung ist ab dem 06.12.2008 mit fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz zu verzinsen gemäß §§ 286 Abs. 1, 2 Ziff. 3, 288 Abs. 1 BGB, da sich die
Beklagte seit diesem Zeitpunkt in Verzug befindet (vgl. das Ablehnungsschreiben der
Beklagten vom 05.12.2008, Anlage K 11). Verzugszinsen stehen dem Kläger aus der
Hauptforderung auch insoweit zu, als die Hauptforderung in Höhe von 5.800,00 EUR
einen Zinsschaden enthält (§ 289 Satz 2 BGB).
75 6. Die Feststellung des Annahmeverzugs hinsichtlich der Gegenleistung beruht auf §§
293, 295 BGB.
76 7. Der Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 01.08.2013, in dem dieser für die Beklagte
ein „Anerkenntnis“ erklärt hat, steht der Sachentscheidung des Senats nicht entgegen.
.....(wird ausgeführt)
77 8. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1, 92 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO, 101
Abs. 1 ZPO.
78 9. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 711
ZPO.
79 10. Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 ZPO. Nach Auffassung des
Senats ist die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, welchen Umfang die Anlageberatung
einer Bank bei einer synthetischen Anleihe (Anleihe mit Kreditderivat) haben muss.