Urteil des OLG Karlsruhe vom 10.11.2006

OLG Karlsruhe (beschränkung, grund, partei, aug, verhalten, entstehen, mitteilung, prüfung, unterhalt, kündigung)

OLG Karlsruhe Beschluß vom 10.11.2006, 16 WF 123/06
Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren: Prüfung entstandener Mehrkosten vor Ablehnung bzw.
Beschränkung der Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts; Pflichten des bisherigen Rechtsanwalts
nach Mandatsniederlegung
Leitsätze
Die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts kann der prozesskostenhilfebedürftigen Partei nicht versagt oder
eine Beiordnung darf nicht auf die bei dem bisherigen Rechtsanwalt noch nicht entstandenen Gebühren beschränkt
werden, bevor nicht geprüft wurde, ob der bisherige Rechtsanwalt überhaupt Anspruch auf Vergütung hat (§§ 628
Abs. 1 Satz 2 BGB; 54 RVG). Hat der bisherige Rechtsanwalt nur die Vertretung niedergelegt, ohne entpflichtet
worden zu sein (§ 46 Abs. 2 BRAO), ist er auch im Interesse einer Prüfung der Voraussetzungen der §§ 628 Abs.
1 Satz 2 BGB, 54 RVG anzuhalten, seine Entpflichtung zu betreiben und den wichtigen Grund hierfür darzulegen.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht -
Weinheim vom 19. April 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die angefochtene Entscheidung als
Teilentscheidung bezeichnet und das Amtsgericht angewiesen wird, über die Frage einer Beschränkung der
Beiordnung von Rechtsanwalt K., …, auf bei Rechtsanwältin L., …, noch nicht angefallene Gebühren erneut zu
entscheiden.
Gründe
1
Das Amtsgericht hatte der Antragsgegnerin gem. § 121 ZPO Frau Rechtsanwältin L., … für eine
Scheidungssache mit Folgesachen, darunter auch eine dann abgetrennte und jetzt allein noch anhängige
Folgesache Unterhalt, beigeordnet. Diese hat unter dem 23. Februar 2006 dem Verfahrenbevollmächtigten des
Antragstellers, Rechtsanwalt D., … mitgeteilt, dass sie die Antragsgegnerin nicht mehr vertrete und unter
demselben Datum der Antragsgegnerin ohne nähere schriftliche Erläuterung eine Kopie dieses Schreibens
übermittelt. Eine Mitteilung dieses Vorganges an das Amtsgericht befindet sich nicht bei den Akten. Die
Antragsgegnerin ließ dann unter dem 14. März 2006 durch Rechtsanwalt K. unter Vorlage der beiden Schreiben
vom 23. Februar 2006 beantragen, Rechtsanwältin L. zu entpflichten und ihn beizuordnen. Dies verfügte das
Amtsgericht auch mit dem angefochtenen Beschluss, indessen unter der Beschränkung auf bei Rechtsanwältin
L. noch nicht angefallene Gebühren.
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Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde führt zur Zurückverweisung nach § 572 Abs. 3 ZPO.
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1.) Widerruft eine Partei die dem ihr beigeordneten Rechtsanwalt erteilte Vollmacht, hat sie Anspruch auf
Beiordnung eines anderen Anwalts, wenn ein Grund vorliegt, der auch eine auf eigene Kosten prozessierende
Partei zu einem Anwaltswechsel veranlasst hätte.
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2.) Die Antragsgegnerin hat zwar nicht ausdrücklich die Rechtsanwältin L. erteilte Vollmacht widerrufen; in dem
Antrag auf Entpflichtung liegt indessen ein solcher Widerruf, welcher Rechtanwältin L. spätestens durch
Mitteilung der Beschwerdeschrift zuging.
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3.) Ob ein Grund vorliegt, der auch eine auf eigene Kosten prozessierende Partei zu einem Anwaltswechsel
veranlasst hätte, hängt auch davon ab, ob und welche Mehrkosten mit dem Anwaltswechsel verbunden sind.
Mehrkosten entstehen - für die Staatskasse - dann nicht, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt durch
schuldhaftes Verhalten die Beiordnung eines Rechtsanwaltes veranlasst hat ( § 54 RVG; hier noch maßgeblich
§ 125 BRAGO). Sie entstehen - für den Mandanten - dann nicht, wenn der Rechtsanwalt das Mandatsverhältnis
kündigt, ohne durch vertragswidriges Verhalten des Mandanten dazu veranlasst zu sein und seine bisherigen
Leistungen für den Mandanten infolge der Kündigung kein Interesse haben ( § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB). Davon
kann auch bereits dann gesprochen werden, wenn mit der Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts bei dem
bisherigen angefallene Gebühren bei dem anderen zwangsläufig nochmals entstehen. In beiden Fällen steht der
Beiordnung eines anderen Anwalts nichts im Wege.
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4.) Die Besonderheit der Gebührenberechnung im Verbundverfahren kann hier außer Betracht bleiben. Denn
Rechtsanwalt K. ist bereits beigeordnet. Da Rechtsanwältin L. für das allein noch anhängige
Unterhaltsverfahren nur Differenzgebühren verlangen kann, also die Differenz zwischen den Gebühren aus dem
Gesamtstreitwert des Verbundverfahrens und den Gebühren aus dem addierten Streitwert für das
Scheidungsverfahren und den übrigen Folgesachen ohne die Folgesache Unterhalt, können auf die bei
Rechtsanwalt K. anfallenden Gebühren auch nur diese Differenzgebühren angerechnet werden; soweit
Rechtsanwalt K. deshalb - entgegen seiner Ansicht - tatsächlich auch noch gegenüber der Staatskasse selbst
dann Gebühren verdienen kann, wenn es bei der angefochtenen Beschränkung bleibt, ist die dies auslösende
Beiordnung nicht anfechtbar und bei der Frage nach mit seiner Beiordnung verbundenen Mehrkosten außer
Betracht zu lassen.
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5.) Ob Rechtsanwältin L. die Differenzgebühr liquidieren kann oder nicht, kann deshalb noch nicht entschieden
werden, weil sie die Gründe für ihr Vorgehen nicht offen gelegt, insbesondere entgegen § 48 Abs. 2 BRAO
nicht ihre Entpflichtung betrieben hat.
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a) Sie durfte das Mandatsverhältnis mit der Antragsgegnerin überhaupt nicht kündigen, ohne vorher die
Aufhebung ihrer Beiordnung aus - darzulegendem - wichtigem Grund erwirkt zu haben; mit der trotzdem
ausgesprochenen - wirksamen - Kündigung verletzte sie den ihr auferlegten Kontrahierungszwang.
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b) Ob dies allein schon dazu führt, dass sie gem. § 125 BRAGO oder gem. § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB ihren
Anspruch auf Vergütung in der Verbundsache Unterhalt verliert, dürfte dann zu bejahen sein, wenn man diese
Pflichtverletzung zusammen mit der Art und Weise ihres Vorgehens, insbesondere die Anzeige gegenüber dem
Gegner, Beschränkung des Kündigungsausspruchs auf Mitteilung dieser Anzeige gegenüber der
Antragsgegnerin, als Grund für eine Kündigung der Antragsgegnerin im Sinne des § 628 Abs. 1 Satz 2 (eigenes
vertragswidriges Verhalten) ansieht.
10 c) Jedenfalls ist das Verfahren der Aufhebung der Beiordnung nach § 48 Abs. 2 BRAO kein Selbstzweck. Es
ermöglicht auch die Prüfung, ob der Rechtsanwalt anzuhalten ist, die Vertretung weiterzuführen; im
Bejahungsfall werden der Partei und der Staatskasse weitere Kosten erspart. Es verschafft Erkenntnisse
darüber, ob ein Fall des § 125 BRAGO oder jetzt § 54 RVG vorliegt und ob im Falle der Entpflichtung ein
anderer Rechtsanwalt beizuordnen ist oder nicht. Aus der Verpflichtung, einen wichtigen Grund darzulegen,
kann Rechtsanwältin L. deshalb auch noch nach Mandatskündigung durch die Antragsgegnerin nicht entlassen
werden. Ihre Darlegungen werden zusammen mit dem oben beschriebenen pflichtwidrigen Verhalten zu
würdigen sein.
11 6.) Es dürften dann auch, wenn ein Fall des § 125 BRAGO oder des § 628 Abs. 2 BGB nicht vorliegt,
ausreichende Erkenntnisse darüber vorliegen, ob Rechtsanwalt K. der Antragsgegnerin auch dann beigeordnet
werden kann, wenn damit feststeht, dass Mehrkosten entstehen werden.
12 7.) Darauf, dass die angeordnete Beschränkung ohne Zustimmung des beigeordneten Rechtsanwalts
unwirksam ist, sollte sich die Antragsgegnerin nur berufen, wenn Rechtsanwalt K. sie als nur beschränkt
beigeordneter Rechtsanwalt überhaupt nicht vertreten würde. Denn die Unwirksamkeit hätte nicht zur Folge,
dass Rechtsanwalt K. dann ohne diese Beschränkung beigeordnet wäre, sondern dass die Beiordnung dann
insgesamt unwirksam ist.