Urteil des OLG Karlsruhe vom 07.04.2004
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OLG Karlsruhe Urteil vom 7.4.2004, 7 U 219/02
Verschulden bei Körperverletzung; Kontrollumfang des Berufungsgerichts bei Schmerzensgeldbemessung
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Baden-Baden vom 5.11.2002 - 1 O 299/01 - im Kostenausspruch aufgehoben und in Ziff. 2 des
Urteilsausspruchs wie folgt geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 23.000 Euro nebst 4 % Zinsen seit 30.3.2001 zu zahlen.
Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht
der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I. Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen die Höhe des ihm vom LG unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 25 %
zuerkannten Schmerzensgeldes von 17.250 Euro und meint, selbst bei einem Mitverschulden von 1/4 habe er Anspruch auf mindestens den von
ihm im ersten Rechtszug als Mindestforderung angegebenen Betrag von 23.008 Euro (45.000 DM).
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Der Beklagte wendet sich gegen die Beweiswürdigung des LG, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug sowie
der getroffenen Feststellungen verwiesen wird, rügt die Unvollständigkeit der in die Beweiswürdigung eingeflossenen Tatsachen und hält
jedenfalls das Mitverschulden des Klägers an der angeblichen Verletzung (Augapfelzerreißung mit der Folge einer Visusminderung auf 10 %) für
so überwiegend, dass eine Haftung nicht mehr in Betracht komme. Außerdem sei das Schmerzensgeld zu hoch.
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II. 1. Berufung des Beklagten:
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a) Das LG hat sich aufgrund des unstreitigen augenärztlichen Gutachtens M.-J. vom 6.9.1999 davon überzeugt, dass die Bulbusruptur
(Augapfelzerreißung) durch eine stumpfe Gewalteinwirkung verursacht worden ist, und nach fehlerfreier, keine Zweifel an ihrer Richtigkeit
weckenden Feststellung davon, dass diese Verletzung durch den Beklagten im Zug der (im Übrigen unstreitig stattgefundenen) körperlichen
Auseinandersetzung zwischen den Parteien vom Beklagten verursacht worden ist. Die vorgenommene Würdigung der Aussage der Zeugen G.
und S., dass das Auge bei dieser Auseinandersetzung verletzt worden ist und deshalb mangels anderer, auch von den Beklagten nicht
aufgezeigter Anhaltspunkte durch diesen, ist naheliegend, richtig und bindet den Senat (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Auch die Zeugin B. hat einen
nicht besonders leichten Schlag des Beklagten geschildert. Entgegen der Darstellung in der Berufungsbegründung stellt das LG nicht fest, diese
Zeugin habe von einem Faustschlag gesprochen (vgl. nur den vom Beklagten selbst zitierten S. der Entscheidungsgründe).
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b) Ob dieser Schlag gezielt war, ist ohne Bedeutung für die Haftung des Beklagten. Eine Handlung im natürlichen Sinn kann nicht mit der
Erwägung verneint werden, die Verletzung (in ihrer Schwere) sei unabsichtlich erfolgt. Die Verletzungshandlung als solche indiziert ihre
Rechtswidrigkeit und die objektive Sorgfaltsverletzung das entsprechende, für die Haftung vorausgesetzte Verschulden (§§ 823, 276 BGB; BGH
v. 11.3.1986 - VI ZR 22/85, MDR 1986, 924 = NJW 1986, 2757 [2758]; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., § 276 Rz. 8). Wer einen
anderen schlägt und ihn dabei verletzt, hält die erforderliche Sorgfalt (§ 276 BGB) nicht ein, die ihm gebietet, einen anderen nicht körperlich zu
beschädigen, und handelt deshalb unter Außerachtlassung der sog. verkehrsüblichen Sorgfalt, also fahrlässig. Ob der Beklagte vorsätzlich
gehandelt hat, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Erörterung.
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c) Rechtsfehlerfrei hat das LG ferner eine Notwehrhandlung des Beklagten für nicht erwiesen gehalten. Die Berufungsbegründung verkennt,
dass Zweifel an der Rechtswidrigkeit der unerlaubten Handlung - selbst wenn sie ernstlich bestünden - nicht dazu führen könnten, Notwehr
anzunehmen, weil - worauf schon das LG hinweist - der Beklagte die Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes zu beweisen hat. Schon
deshalb ist ohne Bedeutung, dass im Strafverfahren bei anderer Beweisführungslast und dem dort geltenden Grundsatz, dass der Angeklagte im
Zweifel freizusprechen ist, andere Ergebnisse erzielt worden sind. Es kann bei dem im ersten Rechtszug festgestellten Beweisergebnis
entsprechend der vertretbaren und naheliegenden Würdigung des LG nicht die Rede davon sein, dass der Beklagte in Notwehr (zur Abwehr
eines drohenden Schlags des Klägers) gehandelt hat.
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Dabei kommt es nicht auf die Aussage der Zeugin B. vor der Polizei (Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft B.; die das LG im Übrigen am
7.3.2002 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, I 167) an, sondern darauf, dass das LG in freier unangreifbarer
Beweiswürdigung der Zeugin nicht geglaubt hat. Auf die Aussage des Zeugen S. darüber, wie der Beklagte (!) ihm den Hergang des Ereignisses
geschildert hat, kommt es von vornherein nicht an. Damit zeigt die Berufungsbegründung keine Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit
und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des LG begründen könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Entgegen der Ansicht des Beklagten zeigt keine dieser Aussagen der Zeugen vor der Polizei den Tathergang überzeugungskräftig auf. Damit
brauchte sich das LG im Übrigen auch nicht auseinander zu setzen, eben weil es die Zeugin B. vernommen und sich aufgrund des persönlichen
Eindrucks außer Stande gesehen hat, nach dieser Aussage die Voraussetzungen der Notwehr zu bejahen. Der Beklagte setzt im Ergebnis seine
eigene keineswegs zwingende Beweiswürdigung anstelle derjenigen des LG.
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d) In ähnlicher Weise versucht die Berufung ihre Auffassung von den für ein Mitverschulden sprechenden Umständen an die Stelle der
Feststellungen und Wertungen des LG zu setzen, Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten (§ 513 ZPO) zeigt sie dabei nicht auf. Solche sind
auch nicht erkennbar.
10 Das LG nimmt eine Provokation durch den Kläger an. Selbst wenn dies richtig ist, hat der Kläger jedenfalls den Beklagten nicht gezwungen,
längst nach Beendigung der die Zeuginnen S. und B. kränkenden Situation ihm hinterher zu laufen, ihn zur Rede zu stellen und ihn zu schlagen.
Die Bemessung eines Mitverschuldens von 25 % ist keinesfalls rechtsfehlerhaft zu gering. Die maßgeblichen - unstreitigen bzw. richtig
festgestellten - Bemessungsfaktoren (Anlass der Auseinandersetzung und deren Ablauf; vgl. oben) sind zutreffend festgestellt und jedenfalls
nicht zum Nachteil des für ein Mitverschulden beweispflichtigen Beklagten unrichtig bewertet.
11 2. Zur Berufung des Klägers und zum Schmerzensgeld:
12 Der Kläger, der sich gegen die Annahme des Mitverschuldens durch das LG nicht wendet, hält auch unter Berücksichtigung dieser
Mitverantwortlichkeit unter Hinweis auf Urteile anderer Gerichte das zuerkannte Schmerzensgeld für zu gering, der Beklagte hält es für zu hoch.
13 Letzterem ist keinesfalls zu folgen. Abgesehen davon, dass der Beklagte in erstaunlichem Ausmaß die Leiden und Beeinträchtigungen des durch
seine Tat verletzten Klägers bagatellisiert, ist die Festsetzung des Schmerzensgeldes jedenfalls zu seinen Lasten nicht zu beanstanden. Die
Bemessung von Schmerzensgeldansprüchen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, der hier durch § 287 ZPO besonders frei gestellt ist. Sie
ist deshalb vom Revisionsgericht - und wegen der Beschränkung auf die Kontrolle von Rechtsfehlern wie hier richtiger Tatsachenfeststellung
vom Berufungsgericht (§ 513 ZPO; st. Rspr. des Senats, vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.5.2003 - 7 U 78/02; v. 17.12.2003 - 7 U 110/02; OLG
Hamm v. 13.5.2003 - 9 U 13/03, OLGReport Hamm 2003, 356 = MDR 2003, 1249) - nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler
enthält, sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandersetzt und um eine
angemessene Beziehung der Entschädigung zur Art und Dauer der Verletzung bemüht hat (BGH v. 12.5.1998 - VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388
[399] = MDR 1998, 1029 = VersR 1998, 1034 [1035]).
14 Hier hat der Kläger seine Vorstellung mit einem Mindestbetrag von (nur) 23.000 Euro (45.000 DM) angegeben. Einen (wenn auch geringen) Teil
der behaupteten Verletzungsfolgen hat das LG für nicht erwiesen gehalten (Gefahr der Entzündung des gesunden rechten Auges). Die
Möglichkeit einer Sehverschlechterung des rechten Auges hat es - vom Kläger unangefochten - als nicht überschaubar nicht in dem zuerkannten
Betrag, sondern nur im Feststellungsbegehren berücksichtigt. Auch wenn das Mitverschulden (dass das LG hier mit 25 % angenommen hat) nicht
automatisch zu einer Verringerung eines „an sich angemessenen” Schmerzensgeldes führt, hat das LG (das rechnerisch unter Zugrundelegung
der Mindestvorstellung des Klägers so vorgegangen sein mag) dieses Mitverschulden im Ansatz zu recht als nur einen von mehreren
Bemessungsfaktoren angesehen. Es hat aber insgesamt nur einen Betrag von 17.250 Euro für angemessen gehalten. Dies ist, obwohl sich das
LG mit allen für die Bemessung maßgeblichen Umständen auseinander gesetzt hat, nicht richtig, weil diese Entschädigung nicht mehr in
angemessener Beziehung zu Art und Dauer der Verletzungen steht. Der nahezu völlige Verlust der Sehfähigkeit auf einem Auge ist ein so
gravierendes Ereignis mit so weitreichenden Folgen auf die Lebensführung des Betroffenen, dass der vom Kläger geforderte Mindestbetrag nicht
unterschritten werden darf, er vielmehr unter Berücksichtigung aller maßgebenden Faktoren, auch des eingeräumten Mitverschuldens als
angemessene Entschädigung angesehen werden muss.
15 3. Nebenentscheidungen: §§ 92 Abs. 2, 97 ZPO; §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
16 Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.