Urteil des OLG Karlsruhe vom 28.02.2013
OLG Karlsruhe: aufschiebende wirkung, auflage, vollstreckbarkeit, vollziehung, ermessen, form, aussetzen, rechtskraft, rechtsgrundlage, hauptsache
OLG Karlsruhe Beschluß vom 28.2.2013, 18 UF 363/12
Frage der Nachholung der Entscheidung zur sofortigen Wirksamkeit durch das
Beschwerdegericht
Leitsätze
Das Beschwerdegericht kann die in erster Instanz unterbliebene Entscheidung zur sofortigen
Wirksamkeit (§ 116 Abs. 3 FamFG) nicht nachholen.
Tenor
Der Antrag der Antragsgegnerin vom 20.02.2013 wird zurückgewiesen.
Gründe
1 Dem Antrag der Antragsgegnerin, die sofortige Wirksamkeit von Ziffer 3 des angefochtenen
Beschlusses anzuordnen, kann nicht stattgegeben werden. Es fehlt an einer
entsprechenden Rechtsgrundlage.
2 1. Die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nach § 116 Abs. 3 Satz
2 und 3 FamFG ist in der jeweiligen Endentscheidung zu treffen (Prütting/Helms, FamFG, 2.
Auflage 2011, § 116 Rn 30). Wurde eine entsprechende Anordnung versäumt, hat der
Gläubiger die Möglichkeit, gemäß § 120 Abs. 1 FamFG in entsprechender Anwendung von
§§ 716, 321 ZPO eine Ergänzung des Titels zu beantragen. Nach Ablauf der 2-Wochenfrist
des § 321 Abs. 2 ZPO kommt weder eine Ergänzung der Endentscheidung noch eine
isolierte Anordnung der sofortigen Wirksamkeit durch das Beschwerdegericht in Betracht.
3 2. Der teilweise vertretenen Ansicht, das Beschwerdegericht könne die in erster Instanz
unterbliebene - in der Sollvorschrift des § 116 Abs. 3 FamFG vorgesehene - Entscheidung
zur sofortigen Wirksamkeit nachholen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die
insoweit herangezogenen Vorschriften der §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 3 FamFG bzw. §§
120 Abs. 1 FamFG, 718 Abs. 1 ZPO (Keidel/Sternal, FamFG, 17. Auflage 2011, § 64 Rn
58a; nahezu wortgleich OLG Bamberg, Beschluss vom 22.06.2012 - 2 UF 296/11 - juris;
Prütting/Helms, FamFG, 2. Auflage 2011, § 116 Rn 30 - ohne Begründung -; teils unklar
Keidel/Weber, a.a.O., § 116 Rn 9), bieten für eine entsprechende Anordnung des
Beschwerdegerichts keine hinreichende gesetzliche Grundlage.
4 a) Eine auf § 64 Abs. 3 FamFG gestützte nachträgliche Anordnung der sofortigen
Wirksamkeit widerspricht dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Nach § 64 Abs. 3 FamFG
kann das Beschwerdegericht vor der Entscheidung in der Hauptsache eine einstweilige
Anordnung erlassen, insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen
Beschlusses auszusetzen ist. Die Vorschrift entspricht dem bisherigen § 24 Abs. 3 FGG
(BT-Drucks. 16/6308, S. 206) und beruht darauf, dass der Einlegung der Beschwerde keine
aufschiebende Wirkung zukommt (Musielak/Borth, ZPO, 9. Auflage 2012, § 64 FamFG Rn
8; MünchKomm/Koritz, ZPO, 3. Auflage 2010, § 64 Rn 7). § 64 Abs. 3 FamFG soll es dem
Beschwerdegericht ermöglichen, einer - der Endentscheidung vorgreiflichen - Veränderung
der Sachlage entgegenzuwirken (Jansen/Briesemeister, FGG, 3. Auflage 2006, § 24 Rn
14). Diesem Zweck liefe eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zuwider, da sie die
Vollstreckbarkeit der titulierten Unterhaltsansprüche und damit den Vorgriff auf die
Endentscheidung gerade ermöglichen statt verhindern würde. Ausgehend hiervon bezieht
sich § 64 Abs. 3 FamFG faktisch ausschließlich auf Familiensachen, die keine
Familienstreitsachen darstellen (Musielak/Borth, a.a.O., § 64 Rn 8), da letztere gemäß § 116
Abs. 3 S. 1 FamFG ohnehin erst mit Rechtskraft wirksam werden.
5 Auch der Umstand, dass für Entscheidungen in Familienstreitsachen in §§ 116 Abs. 3, 120
Abs. 2 FamFG Sonderregelungen zur Vollstreckbarkeit vorgesehen sind, spricht gegen die
Möglichkeit, eine unterlassene Entscheidung über die Anordnung der sofortigen
Wirksamkeit unter Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG im Beschwerdeverfahren
nachzuholen.
6 Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Anordnung über die sofortige Wirksamkeit
unanfechtbar ist. Sie ist damit einer eigenständigen Entscheidung des Beschwerdegerichts
in der Form, dass die zweitinstanzliche Entscheidung an die Stelle der erstinstanzlichen
gesetzt wird, entzogen. Das Beschwerdegericht kann vielmehr nur eine bereits ergangene
Entscheidung an die Umstände des Einzelfalls anpassen, z.B. die Vollziehung aussetzen.
7 b) Die sofortige Wirksamkeit kann auch nicht in entsprechender Anwendung von § 718 ZPO
nachträglich angeordnet werden.
8 Zwar ermöglicht es § 718 ZPO, aufgrund mündlicher Verhandlung eine erstinstanzlich
unterlassene Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit in der nächst höheren Instanz
nachzuholen (MünchKomm/Götz, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 718 Rn. 2; Musielak/Lackmann,
ZPO, 9. Auflage 2012, § 718 Rn 1). § 718 ZPO ist jedoch auf die zivilprozessualen
Vorschriften der §§ 708 ff. ZPO zugeschnitten. Danach ist die von Amts wegen
auszusprechende Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit für alle Urteile mit
vollstreckungsfähigem Inhalt zwingend vorgeschrieben. Demgegenüber steht die in § 116
Abs. 3 FamFG vorgesehene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit - auch in
Unterhaltssachen - im Ermessen des Gerichts. Im Falle der Nachholung der Anordnung der
sofortigen Wirksamkeit wäre daher eine im Verfahren nach 718 ZPO nicht vorgesehene
Ermessensentscheidung zu treffen.
9 Hinzu kommt, dass das Beschwerdegericht eine Entscheidung über die Anordnung der
sofortigen Wirksamkeit aufgrund ihrer Unanfechtbarkeit nicht darauf überprüfen kann, ob bei
der erfolgten oder abgelehnten Anordnung der sofortigen Wirksamkeit von dem
eingeräumten Ermessen Gebrauch bzw. fehlerfrei Gebrauch gemacht wurde. Da die
Ablehnung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nicht zwingend in den Tenor
aufzunehmen ist, kann aus dem fehlenden Ausspruch hierzu grundsätzlich nicht
geschlossen werden, dass das Ausgangsgericht hierzu keine (Ermessens-)Entscheidung
getroffen hat. Schon von daher kann das Beschwerdegericht deshalb bei einem
unterbliebenen Ausspruch zur sofortigen Wirksamkeit diese nicht aufgrund einer eigenen
Ermessensentscheidung anordnen.