Urteil des OLG Karlsruhe vom 10.05.2006

OLG Karlsruhe (abweisung der klage, rücknahme der klage, anpassung, erhöhung, eintragung, auslegung, lebenshaltungskosten, vormerkung, höhe, sicherung)

OLG Karlsruhe Urteil vom 10.5.2006, 7 U 186/05
Erbbaurechtsvertrag: Auslegung einer Klausel über die Anpassung des Erbbauzinses
Leitsätze
1. Enthält eine Anpassungsklausel in einem Erbbaurechtsvertrag keine ausdrückliche Regelung, in welcher Art und
Weise die Neufestsetzung bei Vorliegen der dort beschriebenen Voraussetzungen vorzunehmen ist, liegt es bei
einer beiderseits interessengerechte Auslegung nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Vertragstextes unter
Berücksichtigung des gesamten Regelungsgehalts der Vereinbarung nahe, die Anpassung des Erbbauzinses
anhand der Änderung des Preisindexes vorzunehmen, dessen Änderung die Parteien zur Voraussetzung einer
Anpassung gemacht haben.
2. Eine Berücksichtigung des Bodenwerts für die Änderung des Erbbauzinses ist bei zu Wohnzwecken genutzten
Erbbaurechten ausgeschlossen.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22.07.2005 - 9 O 118/05 - wird
mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor in Ziff. 2 und 3 lautet:
2. Die Beklagte wird verurteilt, zur Sicherung des Erbbauzinsmehrbetrages die Eintragung einer Reallast für
Erbbauzins in Höhe von jährlich 989,89 EUR im Erbbaurecht-Grundbuch, Grundbuchbezirk S. , Nr. 6233,
zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Flurstück Nr. 7687, Gemarkung S., Blatt 6209,
Bestandsverzeichnis Nr. 1 durch eine entsprechende Umschreibung der in der Abteilung II unter der lfd. Nr. 2
eingetragenen Vormerkung zu bewilligen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Eintragung einer weiteren Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf
Eintragung einer neuen Erbbauzinsreallast unter Bezugnahme auf die Vereinbarung zur Anpassung des
Erbbauzinses gem. Erbbauvertrag vom 23.11.1990 in Höhe von jährlich 1.978,78 EUR an rangbereiter Stelle im
Erbbaurecht-Grundbuch, Grundbuchbezirk S. , Nr. 6233, Abteilung II zu bewilligen.“
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zustimmung zur Anpassung eines Erbbauzinses für ein zu
Wohnzwecken überlassenes Grundstück, die Eintragung einer entsprechenden Reallast sowie einer
Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf eine weitere Änderung des Erbbauzinses. Das Landgericht, auf
dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen
Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der
sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt. Sie ist der Auffassung, die Anpassungsklausel sei bereits
wegen fehlender Genehmigung der Deutschen Bundesbank unwirksam. Darüber hinaus sei eine Anpassung
auch unbillig, insbesondere weil die Bodenpreise in der Gemeinde seit 1990 erheblich gesunken seien. Die
Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und hat in der Berufung ihren Antrag auf Eintragung einer Reallast für
den Erbbauzins auf den im Urteil zuerkannten Antrag Ziff. 2 a) beschränkt und bezüglich des (Tenors Ziff. 2 b)
und c) des Urteils zurückgenommen. Im übrigen beantragt sie, die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
3
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
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1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Anpassungsklausel in § 2 Nr. 3 des Erbbauvertrages vom
23.11.1990 nicht wegen einer fehlenden Genehmigung nach § 3 des Währungsgesetzes unwirksam. Bei der
Klausel handelt es sich um eine sogenannte Spannungsklausel, die bereits nach der bis 1998 durch § 3 des
Währungsgesetzes gestalteten Rechtslage keiner Genehmigung bedurfte (vgl. dazu nur Palandt/Heinrichs,
BGB, 56. Aufl., § 245 Rn. 18, 24 m. zahlr. N.). Die Klausel enthält keine automatische Anpassung anhand
eines bestimmten Indexes, sondern lediglich die Verpflichtung der Parteien, sich auf eine Neufestsetzung des
Erbbauzinses zu einigen, sofern sich der Preisindex für die Lebenshaltungskosten eines 4-Personen-
Arbeitnehmer-Haushalts mit mittlerem Einkommen gegenüber dem letztmalig vereinbarten Erbbauzins um mehr
als 10 % verändert hat.
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2. Die Beklagte ist wirksam in den Erbbauvertrag zwischen der Klägerin und dem ursprünglichen
Erbbauberechtigten eingetreten, nachdem sie das Erbbaurecht in der Zwangsversteigerung erworben und
sodann am 28.01.2002 schuldrechtlich den Eintritt in den Vertrag erklärt hat.
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3. Die Klägerin hat aus § 2 Nr. 3 des Vertrages den von ihr geltend gemachten Anspruch auf Erhöhung des
Erbbauzinses um 989,39 EUR auf 4.277,00 EUR jährlich.
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a) Die in § 2 Nr. 3 für eine Neufestsetzung des Erbbauzinses genannte Voraussetzung der Veränderung des
dort bezeichneten Lebenshaltungsindexes liegt unstreitig vor. Der Erbbauzins wurde seit 1990 nicht angepasst.
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b) Die Klausel enthält keine ausdrückliche Regelung, in welcher Art und Weise die Neufestsetzung bei
Vorliegen der dort beschriebenen Voraussetzungen vorzunehmen ist. Sie bedarf daher der Auslegung. Nach §§
133, 157 BGB ist bei der Auslegung nicht nur auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen. Vielmehr ist eine
beiderseits interessengerechte Auslegung der Vereinbarung nach dem objektiven Erklärungsgehalt des
Vertragstextes unter Berücksichtigung des gesamten Regelungsgehalts der Vereinbarung vorzunehmen. Hier
liegt es nahe, dass die Anpassung des Erbbauzinses anhand der Änderung des Preisindexes für die
Lebenshaltungskosten eines 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushalt mit mittlerem Einkommen erfolgen sollte, da
die Parteien die Änderung dieses Indexes um 10 % zur Voraussetzungen einer Anpassung gemacht haben.
Wenn diese Änderung Voraussetzung für die Anpassung sein sollte, liegt es nahe, auch das Maß der Änderung
an diesem Index auszurichten. Da dieser Preisindex nur bis zum Jahre 1999 geführt und seit dem Jahr 2000
durch den einheitlichen Verbraucherpreisindex für Deutschland ersetzt wurde, ist im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung ab diesem Zeitpunkt auf den allgemeinen Verbraucherpreisindex abzustellen. Die
Steigerung des Indexes für die Jahre von 1990 bis 2003, dem letzten Jahr vor dem Erhöhungsverlangen,
betrug unstreitig 30,1 %. Das entspricht dem geltend gemachten Erhöhungsbetrag.
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c) Dieser Berechnung steht nicht die ständige Rechtsprechung zum Erhöhungsmaßstab nach § 9 a ErbbRVO
entgegen, derzufolge die eingetretene Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse der billigen
Vertragsanpassung gem. §§ 315, 316 BGB entspricht und die wirtschaftliche Entwicklung einerseits durch die
Lebenshaltungskosten, ermittelt durch die Lebenshaltungskosten eines 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushalts
mit mittlerem Einkommen, andererseits durch die Einkommenssituation, dargestellt durch die Bruttoverdienste
der Arbeiter in der Industrie sowie die Bruttoverdienste der Angestellten in Industrie und Handel, geprägt wird
(vgl. dazu BGHZ 75, 279, 283, BGH NJW 1982, 2382, 2383). Denn § 9 a ErbbRVO beschränkt den
Erhöhungsanspruch nach einem vereinbarten Anpassungsmaßstab als unbillig nur insoweit, als die nach der
vereinbarten Bemessungsgrundlage zu errechnende Erhöhung über die seit Vertragsschluss eingetretene
Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgeht. Dies ist hier bei der geltend gemachten
Erhöhung nicht der Fall. Vielmehr hätten sich bei der nach der Rechtsprechung als angemessen angesehenen
Berechnungsgrundlage unter Einbeziehung der Einkommenssituation der unselbstständig Beschäftigten die
wirtschaftlichen Verhältnisse in einem noch stärkeren Maße verbessert, da nach den ebenfalls unstreitigen
Indices im Zeitraum von 1990 bis 2003 die Einkommenssteigerung höher war als die Steigerung der
Lebenshaltungskosten. Dementsprechend ist die Erhöhung anhand des im Vertrag enthaltenen
Anpassungsmechanismus allein nach den Lebenshaltungskosten nicht zu beanstanden.
10 d) Entgegen der Auffassung der Beklagten - ihren Vortrag zum angeblichen Wertverlust der Grundstücke in
Schwetzingen als wahr unterstellt - kann ein Wertverlust die Erhöhung der Erbbauzinses nicht ausschließen.
Selbst wenn § 9 a ErbbRVO als Schutznorm für den Erbbauberechtigten angesehen wird, ist danach die
Berücksichtigung des Bodenwerts für die Änderung des Erbbauzinses bei zu Wohnzwecken genutzten
Erbbaurechten ausgeschlossen. Der Senat schließt sich der Begründung des landgerichtlichen Urteils an.
11 Darüber hinaus nimmt § 9 a ErbbRVO zwar auf zwei Wegen eine Beschränkung der Erhöhung des
Erbbauzinses vor, einerseits durch die Deckelung anhand der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse andererseits
durch den Ausschluss einer Erhöhung aufgrund der Erhöhung der Bodenwerte (mit Ausnahme der
Wertverbesserungen in § 9 a Abs. 1 S. 4 ErbbRVO). Daraus lässt sich aber nicht die Schlussfolgerung der
Beklagten ziehen, eine Wertverminderung des Grundstücks schließe aufgrund des Schutzcharakters der Norm
zugunsten des Erbbauberechtigten ebenso zwingend eine Erhöhung der Erbbauzinses aus. Dieser Fall ist in §
9 a ErbbRVO ersichtlich nicht geregelt. Dem entsprechend hat der Bundesgerichtshof in ständiger
Rechtsprechung die Auffassung vertreten, sowohl dem Erbbauberechtigten günstige als auch ihm ungünstige
Entwicklungen des Bodenwerts seien bei der Billigkeitsprüfung für die Abänderung des Erbbauzinses
unberücksichtigt zu lassen (vgl. nur BGH NJW 1982, 2382, 2384 m. w. N. aus der Literatur sowie die
Nachweise im landgerichtlichen Urteil). In der zitierten Entscheidung wird ausdrücklich festgestellt, dies gelte
unabhängig davon, ob der Wert eines Grundstücks aufgrund der allgemeinen Marktlage oder aber wegen einer
das Grundstück konkret betreffenden nachteiligen Maßnahme im Wert gemindert wird. Entgegen der
Auffassung der Beklagten sind Schwankungen im Markt auch nicht ein ausschließliches Phänomen der
neuesten Zeit. Darüber hinaus würde eine Berücksichtigung des Bodenwerts zum einen dem berechtigten
Bedürfnis nach einer einfachen und praktikablen Handhabung entgegenstehen (vgl. BGH a. a. O.), zum
anderen bei örtlich beschränkten Wertveränderungen dem Sinn und Zweck des § 9 a ErbbRVO, die Anpassung
an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung anzukoppeln, zuwiderlaufen.
12 4. Nach den obigen Ausführungen hat das Landgericht zu Recht die Beklagte zur Zustimmung zur Anpassung
des jährlichen Erbbauzinses in der verlangten Höhe verurteilt. Nach § 2 Nr. 5 des Erbbauvertrages hat die
Klägerin auch einen Anspruch auf Eintragung des neuen Erbbauzinses im Erbbaugrundbuch als Reallast, der
durch die Bewilligung der Eintragung durch Umschreibung der für den Erhöhungsbetrag ausreichenden
eingetragenen Vormerkung erfüllt wird.
13 5. Schließlich steht der Klägerin nach der insoweit übereinstimmenden Auslegung des Vertrages durch die
Parteien ein Anspruch auf Eintragung einer weiteren Vormerkung in Höhe von jährlich 1.978,78 EUR zur
Sicherung eines weiteren Anpassungsanspruchs gem. § 2 Nr. 6 des Vertrages zu. Dagegen wendet sich die
Beklagte auch nicht.
III.
14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Rücknahme der Klage im Berufungsrechtszug, soweit ihr im
landgerichtlichen Urteil (Tenor Ziff. 2 b) und c)) stattgegeben wurde, hat wirtschaftlich keine eigenständige
Bedeutung und führt nicht zu einer teilweisen Kostenlast der Klägerin, da dem Klagbegehren durch die
Verurteilung in Ziff. 2 a) im Kern voll stattgegeben wurde, während die weitergehenden Anträge lediglich
Modalitäten der abzugebenden Erklärungen beschrieben haben.
15 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
16 Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Auslegung des § 9 a
ERbbRVO durch den Senat entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der ganz
überwiegenden Meinung in der Literatur, so dass weder ein Fall der Divergenz vorliegt noch eine grundsätzliche
Bedeutung gegeben ist.