Urteil des OLG Karlsruhe vom 28.10.2004

OLG Karlsruhe: faires verfahren, verkündung, gerichtsbarkeit, fristablauf, bekanntmachung, sachprüfung, anfechtung, rechtshängigkeit, rechtskraft, zivilprozessordnung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 28.10.2004, 12 W 65/04
Aktienrechtliches Spruchverfahren: Fristwahrender Eingang des Antrags auf gerichtliche Bestimmung der angemessenen Barabfindung
beim örtlich unzuständigen Gericht
Leitsätze
Der Eingang eines Antrags auf gerichtliche Bestimmung der angemessenen Barabfindung beim örtlich unzuständigen Gericht ist fristwahrend.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 12.03.2004 - 13 AktE 1/03 KfH I - wird dem
Bundesgerichtshof vorgelegt.
Gründe
1
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie wird dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
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1. Zu Unrecht hat das Landgericht den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Bestimmung der angemessenen Barabfindung als unzulässig
zurückgewiesen, weil er nicht binnen der Zweimonatsfrist gemäß § 327 f Abs. 2 Satz 1 AktG beim Landgericht Karlsruhe als dem örtlich und
sachlich ausschließlich zuständigen Gericht eingegangen ist. Es kann dahin stehen, ob die Frage der Fristwahrung die Zulässigkeit oder die
Begründetheit des Antrags betrifft. Jedenfalls war entgegen der Auffassung des Landgerichts der Eingang des Antrags auf gerichtliche
Bestimmung der angemessenen Barabfindung am 20.08.2002 beim örtlich unzuständigen Landgericht Mannheim fristwahrend. Allerdings hat
der Antragsteller den Antrag vor dem Zeitpunkt bei Gericht eingereicht, an den das Gesetz den Beginn der Antragsfrist knüpft (Bekanntmachung
der Eintragung des Übertragungsbeschlusses im Handelsregister, §§ 327 f Abs. 2 Satz 1 AktG, 10 HGB - hier: 07.09.2002). Das schadet hier
jedoch schon deshalb nicht, weil der Antrag innerhalb der Frist - mit am selben Tag eingegangenen Schreiben vom 05.11.2002 - bekräftigt wurde
(vgl. BayObLG ZIP 2002, 935 unter III 4 a). Die Antragsfrist lief, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, gemäß § 327 f Abs. 2 Satz 2 AktG
erst am 07.11.2002 ab. Dass die Verfahrensakten nach Verweisung des Rechtsstreits durch das Landgericht Mannheim mit Beschluss vom
13.02.2003 erst am 28.02.2003 und damit nach Ablauf der Zweimonatsfrist beim örtlich zuständigen Landgericht Karlsruhe eingegangen sind, ist
insoweit unschädlich.
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Allerdings steht die ganz herrschende Auffassung bereits vor Inkrafttreten des Spruchverfahrensneuordnungsgesetzes vom 12.06.2003 (BGBl. I
838 - SpruchG) auf dem Standpunkt, dass bei Spruchverfahren der hier vorliegenden Art der bei einem unzuständigen Gericht innerhalb der Frist
eingereichte Antrag nur dann rechtzeitig ist, wenn der Antrag nach Abgabe vor Fristablauf beim zuständigen Landgericht eingegangen ist (vgl. zu
§ 305 UmwG in der bis 31.08.2003 geltenden Fassung KG ZIP 2000, 498 unter B II 2 b; Lutter/Krieger, UmwG, 2. Aufl., § 305 Rdnr. 11; Dehmer,
UmwG, 2. Aufl., § 307 UmwG Rdnr. 6; Kallmeyer/Meister/Klöcker, UmwG, 2. Aufl., § 305 Rdnr. 9; Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 3. Aufl., § 307
Rn. 6; Semler/Stengel/Volhard, UmwG, § 305 Rn. 5). Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen.
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Die herrschende Ansicht stützt sich, soweit überhaupt eine Begründung gegeben wird, vornehmlich darauf, nur eine solche strikte Handhabung
stelle sicher, dass nicht unter Umständen auch nach weit mehr als zwei Monaten ein Verfahren an das zuständige Landgericht abgegeben
werde, bei dem dann noch nach der Bekanntmachung innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen weiteren Zweimonatsfrist (§§ 306 Abs. 3 Satz 2
AktG, 307 Abs. 3 Satz 2 UmwG) Folgeanträge gestellt werden könnten (KG aaO). Daraus folgt nach Ansicht des Senats jedoch kein
überzeugender Grund, jedenfalls in einem aktienrechtlichen Spruchverfahren, das sich nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des SpruchG richtet,
den rechtzeitig bei einem unzuständigen Landgericht gestellten Antrag nicht als fristwahrend zu behandeln. Vielmehr steht diese Sichtweise in
einem nicht nachvollziehbaren Widerspruch zur Rechtslage nach der Zivilprozessordnung, bei der Verweisung auf einen anderen Rechtsweg
sowie auch in anderen Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, weshalb ihr nicht beigetreten werden kann.
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Im Zivilprozess hat das örtlich oder sachlich unzuständige Gericht sich gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf Antrag des Klägers für unzuständig zu
erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO gilt der Rechtsstreit mit der Verkündung
des Beschlusses als bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht anhängig. Diese Regelung wird allgemein dahin ausgelegt, dass ab
Verkündung des Verweisungsbeschlusses das einheitliche Verfahren vor dem neuen Gericht unmittelbar in der Lage fortgesetzt wird, in der es
sich bei der Verweisung befand. Die bisherigen Prozesshandlungen wirken fort. Eine - materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche -
Ausschlussfrist wird daher gewahrt, falls die Klage vor Fristablauf bei einem örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht erhoben und auf Antrag
des Klägers an das zuständige Gericht - mag dieses auch ausschließlich zuständig sein - verwiesen wird (BGHZ 97, 155 unter 3 c aa m.w.N.;
Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 281 Rn. 15 a). Auch die im falschen Gerichtszweig erhobene Klage reicht zur Wahrung einer Ausschlussfrist aus.
So wird etwa in § 17 b Abs. 1 GVG ausdrücklich angeordnet, dass mit der Rechtskraft des die Verweisung aussprechenden Urteils die
Rechtshängigkeit der Sache bei dem im Urteil bezeichneten Gericht (des anderen Gerichtszweiges) als begründet gilt. Soll durch die Erhebung
der Klage eine Frist gewahrt werden, so tritt die Wirkung bereits in dem Zeitpunkt ein, in dem die Klage erhoben ist (BGH aaO).
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Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof ohne weiteres auch im Wohnungseigentumsverfahren für entsprechend anwendbar gehalten und
entschieden, dass die Frist zur Anfechtung eines Wohnungseigentümerbeschlusses nach § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG, bei der es sich um eine
materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt, auch durch Anrufung des örtlich unzuständigen Wohnungseigentumsgerichts gewahrt wird (BGHZ
139, 305 unter III 3). Für das aktienrechtliche Spruchverfahren nach § 327 AktG kann nichts anderes gelten. Auch bei diesem handelt es sich -
wie beim Beschlussanfechtungsverfahren nach dem WEG - um ein der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zugeordnetes echtes Streitverfahren, in dem
sich wie im Zivilprozess gegensätzliche Interessen gegenüber stehen (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 12 Rn. 227 m.w.N.).
Dabei dürfte die geringere Formenstrenge des FGG-Verfahrens sogar „erst recht“ für eine Anwendung der genannten Grundsätze sprechen (vgl.
MünchKommAktG-Kubis, 2. Aufl., § 132 Rn. 17). Der Zweck der in § 327 Abs. 2 Satz 2 AktG bestimmten Antragsfrist, möglichst bald Klarheit über
die Höhe der Barabfindung zu erlangen, wird dadurch nicht entscheidend beeinträchtigt. Das ergibt sich schon daraus, dass das unzuständige
Gericht im Hinblick auf seine Verfahrensförderungspflicht grundsätzlich gehalten ist, möglichst zeitnah auf die fehlende Unzuständigkeit
hinzuweisen und den Rechtsstreit auf Antrag zu verweisen. Dabei können die als Antragsgegner beteiligten Gesellschaften selbst zur
Verfahrensbeschleunigung beitragen, indem sie sich etwa alsbald zu dem Antrag erklären und auf die Unzuständigkeit aufmerksam machen. Im
Übrigen musste bis zuletzt gerade in derartigen Spruchverfahren oft mit einer ganz erheblichen Verfahrensdauer gerechnet werden (vgl. Kubis
aaO). Verglichen damit dürfte eine Verzögerung durch Antragstellung beim örtlich unzuständigen Gericht kaum ins Gewicht fallen. Schließlich ist
unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gegebenen Anspruchs auf ein faires Verfahren zu berücksichtigen, dass eine Partei die
fristgerechte Weiterleitung eines bei einem unzuständigen Gericht eingereichten Schriftsatzes an das zuständige Gericht grundsätzlich ohne
weiteres erwarten kann (BVerfGE 93, 99 = NJW 1995, 3173 unter C II 2 a). Dies gilt hier in besonderem Maße, da das erstinstanzliche
Antragsverfahren zur Bestimmung einer angemessenen Barabfindung dem Anwaltszwang nicht unterliegt. Ob darüber hinaus auch etwaige
Ungereimtheiten bei der Zuständigkeitskonzentration nach der baden-württembergischen Zuständigkeitsverordnung Justiz geeignet sind, eine
den Antragstellern günstige Beurteilung zu tragen, kann dahin stehen. Ebenso bedarf keiner Entscheidung, ob die Rechtslage bei gleicher
Verfahrenslage in einem Antragsverfahren, das nach dem zum 01.09.2003 in Kraft getretenen SpruchG zu beurteilen ist, mit Rücksicht auf die
Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG abweichend zu beurteilen wäre (in diesem Sinne etwa Klöcker/Frowein, SpruchG, § 4 Rn. 13;
MünchKommAktG-Volhard, 2. Aufl., § 4 SpruchG Rn. 5). Letzteres ist zumindest zweifelhaft.
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Nach allem ist die Einreichung des Antrags am 20.08.2002 beim örtlich unzuständigen Landgericht Mannheim als fristwahrend anzusehen (vgl.
auch OLG Dresden NJW-RR 1999, 683; MünchKommAktG-Kubis, aaO, § 132 Rn. 17 sowie MünchKommAktG-Bilda, § 304 Rn. 226; Hüffer, AktG,
6. Aufl., § 246 Rn. 24).
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2. Soweit die Antragsgegner vorsorglich darauf hinweisen, der Antragsteller hätte seine Anträge bisher nicht näher begründet, steht dies einer
Sachprüfung nicht entgegen. Die Notwendigkeit einer Begründung innerhalb der Antragsfrist ist erstmals in § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 SpruchG
normiert worden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung BT Drucks. 15/371 S. 13 sowie Klöcker/Frowein, aaO, § 4
SpruchG Rn. 18).
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3. Da das Landgericht lediglich über die Zulässigkeit des Antrags befunden hat, hält der Senat eine Zurückverweisung des Verfahrens an das
Landgericht zur sachlichen Prüfung für geboten. Eine andernfalls von dem erkennenden Senat zu treffende Sachentscheidung käme dem Verlust
einer Instanz gleich (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Sternal, aaO, § 25 FGG Rn. 21 m.w.N.).
10 Der Senat ist jedoch an einer eigenen Entscheidung gehindert, weil er hinsichtlich der die Auslegung von Bundesrecht betreffenden Rechtsfrage,
ob der bei einem unzuständigen Gericht eingereichte Antrag fristwahrend wirkt, von der zitierten Beschwerdeentscheidung des KG ZIP 2000, 498
(unter B II 2) abweichen will (§§ 17 Abs. 2 Satz 2, 12 Abs. 2 Satz 2 SpruchG, 28 Abs. 2 Satz 1 FGG). Die Vorlagepflicht entfällt nicht deshalb, weil
die Entscheidung des Kammergerichts zu § 305 UmwG und nicht zu § 327 f Abs. 2 Satz 1 AktG - jeweils in der bis 31.08.2003 geltenden Fassung
- ergangen ist. Denn die Rechtsfrage kann, wie nunmehr auch die einheitliche Regelung im neuen SpruchG nahe legt, in beiden
Spruchverfahren nicht unterschiedlich beantwortet werden. Eine Vorlage ist auch nicht mit Rücksicht auf die nunmehr geltenden Vorschriften des
SpruchG entbehrlich, da die Rechtsfrage für spätere Fälle auch dort - insbesondere in § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG - nicht zweifelsfrei geklärt ist
(vgl. BGHZ 18, 300). Der Bundesgerichtshof hat zu dem Problem bislang - soweit ersichtlich - noch nicht Stellung genommen.