Urteil des OLG Karlsruhe vom 12.12.2012

OLG Karlsruhe: persönliche anhörung, einwilligung des patienten, klinikum, einvernahme von zeugen, beweis des gegenteils, umkehr der beweislast, behandlungsfehler, embolie, ärztliche behandlung

OLG Karlsruhe Urteil vom 12.12.2012, 7 U 176/11
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 16. September
2011 - 8 O 106/09 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger
sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit diese nach Schluss
der mündlichen Verhandlung entstehen, zu ersetzen, die aus der fehlerhaften Behandlung am
06.06.2005 im Hause der Beklagten zu 1 beim Kläger resultieren, soweit die Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Im Übrigen wird die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags abgewiesen.
II. Die Sache wird zur Entscheidung über die Höhe der materiellen und immateriellen Schäden
sowie zur Entscheidung über die Kosten, auch des Berufungsrechtszugs, an das Landgericht
zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1 Der Kläger, vertreten durch seine Betreuerin, macht mit der Klage
Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einer Behandlung am 06.06.2005 in
dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Klinikum geltend.
2 Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten
Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage
abgewiesen.
3 Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Ansprüche in vollem
Umfang weiter verfolgt. Abweichend von dem im angefochtenen Urteil genannten Betrag
eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 70.000,00 EUR hält der Kläger
allerdings, wie schon in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz an das Landgericht vom
08.09.2011, S. 3 (I 242), auch im Berufungsrechtszug ein Schmerzensgeld in Höhe von
mindestens 140.000,00 EUR für angemessen. Die Beklagten verteidigen das
angefochtene Urteil.
4 Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung
auf die Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012 (II 75). Der Senat hat Beweis erhoben durch
Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. M.. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012 (II 75-82) verwiesen.
II.
5 Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.
6 Die im Berufungsrechtszug der Sache nach vorgenommene Klageerweiterung hinsichtlich
des Schmerzensgeldes ist zulässig, § 533 ZPO. Anders als die Beklagten meinen (vgl.
Klageerwiderung vom 30.05.2009, S. 8, I 47), liegen hier auch die Voraussetzungen für die
zulässige befristete Geltendmachung des Schmerzensgeldes, bezogen auf den Zeitpunkt
des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung, vor (BGH, NJW 2004, 1243 ff., juris
Tz. 18 f.; OLG Celle, MDR 2009, 1273 f., juris Tz. 52 m.w.N.). Denn im Zeitpunkt der letzten
mündlichen Verhandlung besteht die Möglichkeit des Eintritts weiterer Verletzungsfolgen,
die in ihrem konkreten Umfang jedoch nicht absehbar sind. Diese Voraussetzung lässt
sich nach Art und Umfang der vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen ohne weiteres
bejahen.
7 Der Kläger hat aus Vertrag gem. §§ 280, 611, 253, 249 BGB sowie aus deliktischer
Haftung gem. §§ 823 Abs. 1, 253, 249 BGB einen Anspruch auf Zahlung materiellen
Schadensersatzes und von Schmerzensgeld sowie die begehrte Feststellung. Die
Berufung führt, da die Voraussetzungen zur Höhe des materiellen und immateriellen
Schadens noch streitig sind, zur Stattgabe der Schadensersatzklage dem Grunde nach
und zur Feststellung der Ersatzpflicht für weitere immaterielle und materielle Schäden. Zur
Entscheidung über die Höhe wird die Sache auf Antrag des Klägers gemäß § 538 Abs. 2
Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen.
8 1. Die Beklagten haften dem Kläger allerdings nicht wegen unzureichender Aufklärung.
9 Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen solchen Anspruch
verneint. Das Landgericht hat unter auch den Senat überzeugender Würdigung der
Beweise und damit gem. § 529 Abs. 1 ZPO bindend festgestellt, dass der Kläger vor der
Angiographie ordnungsgemäß aufgeklärt wurde.
10 a) Über die Risiken der Angiographie war der Kläger aufzuklären.
11 aa) Der Patient muss "im Großen und Ganzen" wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er
über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit
liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus
der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung
sein können. Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des
Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu
beschönigen oder zu verschlimmern. Die Notwendigkeit zur Aufklärung hängt bei einem
spezifisch mit der Therapie verbundenen Risiko nicht davon ab, wie oft das Risiko zu einer
Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die das Risiko für die
Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren
Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die
Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten
verwirklicht (BGH, NJW 2010, 3230 ff., Tz. 11 m.w.N.). Die ärztliche Aufklärung hat den
Zweck, dem Patienten eine zutreffende Vorstellung davon zu verschaffen, worauf er sich
einlässt, wenn er in die ärztliche Behandlung, welche im Falle eines operativen Eingriffs
eine Körperverletzung darstellt, einwilligt. Er soll sein Selbstbestimmungsrecht sinnvoll
wahrnehmen und über die Inkaufnahme der damit verbundenen Risiken frei entscheiden
können. Die Risikoaufklärung muss den Patienten über die Gefahren des ärztlichen
Eingriffs informieren. Die Risiken brauchen nicht medizinisch exakt und in allen denkbaren
Erscheinungsformen dargestellt werden. Ein allgemeines Bild von der Schwere und
Richtung des Risikospektrums genügt, ist aber auch erforderlich (BGH, NJW 1992, 2351).
Wichtig ist vor allem, dem Patienten einen zutreffenden Eindruck von der Schwere des
Eingriffs und von der Art der Belastungen zu vermitteln, die für seine körperliche Integrität
und Lebensführung auf ihn zukommen können. Eine Grundaufklärung ist in aller Regel nur
dann erfolgt, wenn der Patient auch einen Hinweis auf das schwerste möglicherweise in
Betracht kommende Risiko erhalten hat (BGH, NJW 1996, 777 ff., juris Tz. 17/18). Nicht
ausreichend ist es, wenn der Arzt nur allgemein auf mögliche Komplikationen als Folge
des Eingriffs hinweist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Arzt den Patienten über alle
wesentlichen Punkte informiert. Dabei ist zu bedenken, dass der Patient als medizinischer
Laie komplizierte medizinische Einzelheiten ohnehin nicht wird beurteilen können (OLG
Nürnberg,. NJW-RR 2004, 1543 ff., juris Tz. 27 m.w.N.) und eine exakte medizinische
Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken deshalb nicht erforderlich ist (BGH,
NJW 2000, 1784, 1786 m.w.N., juris Tz. 19).
12 bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen bedurfte es hinsichtlich der Angiographie als
einer jedenfalls auch invasiven diagnostischen Maßnahme einer Risikoaufklärung
insbesondere auch hinsichtlich des dem Eingriff spezifisch anhaftenden Risikos eines
Schlaganfalls, welches sich beim Kläger verwirklich hat. Auch wenn die Angiographie hier
nach den Ausführungen des Sachverständigen zugleich eine Behandlungsmaßnahme
darstellte und deshalb die strengeren Anforderungen an eine Risikoaufklärung bei rein
diagnostischen Maßnahmen ohne therapeutischen Eigenwert (vgl. jeweils zur
Angiographie: BGH, NJW 2009, 1209 ff., Tz. 13 m.w.N.; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816
ff., juris Tz. 107) nicht gelten mögen, war das Risiko des Schlaganfalls jedenfalls geeignet,
die Lebensführung des Klägers besonders schwer zu belasten. Eine solche Aufklärung
hält auch der Sachverständige aus medizinischer Sicht für geboten (vgl.
Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 9, I 176; Ausgangsgutachten vom 03.05.2010,
S. 4, I 139).
13 b) Auch der Senat ist jedoch gem. § 286 ZPO überzeugt, dass dem Kläger eine
dementsprechende Aufklärung erteilt wurde.
14 aa) Eine ordnungsgemäße Aufklärung und damit wirksame Einwilligung des Patienten in
die Behandlung hat der Arzt zu beweisen (vgl. nur: BGH, NJW 1992, 2354, 2356). Dabei
dürfen an den dem Arzt obliegenden Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung des
Patienten keine unbillig hohen Anforderungen gestellt werden. Die ständige Übung und
Handhabung der Aufklärung von Patienten kann ein wichtiges Indiz für eine Aufklärung
des Patienten auch im Einzelfall darstellen (vgl. BGH, VersR 1992, 237, 238, juris Tz. 17
m.w.N.; NJW 1986, 2885 f., juris Tz. 7). Auch sollte dann, wenn einiger Beweis für ein
gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht ist, dem Arzt im Zweifel geglaubt werden,
dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (BGH, NJW
1985, 1399 ff., juris Tz. 13).
15 bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Landgericht mit einer auch den Senat
überzeugenden Würdigung der Beweise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagten
den ihnen obliegenden Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung erbracht haben. Zwar
haben die Zeuginnen S. und E. sowie die Beklagte zu 2 selbst keine konkrete Erinnerung
mehr an ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger. Auch existieren keine schriftlichen
Aufzeichnungen zu seiner Aufklärung und zwischen den Parteien ist streitig, ob überhaupt
ein Aufklärungsgespräch geführt wurde. Es mag sein, dass in derartigen Fällen
regelmäßig der Hinweis auf eine ständige Praxis und den üblichen Inhalt eines
Aufklärungsgesprächs zum Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht genügt,
insbesondere wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es auch zu Abweichungen von
dieser Praxis gekommen sein kann (vgl. OLG Brandenburg, GesR 2007, 575 f., juris Tz.
13; OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 ff., juris Tz. 32; OLGR Oldenburg 2007, 473 ff.,
juris Tz. 34; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., A 2274, A 2306, jeweils m.w.N.).
Der Behandlerseite ist jedoch auch dann, wenn die Aufklärung nicht dokumentiert ist bzw.
schriftliche Aufzeichnungen nicht (mehr) aufzufinden sind, der Nachweis der Aufklärung
des Patienten nicht verwehrt. Schriftliche Aufzeichnungen im Krankenblatt über die
Durchführung des Aufklärungsgesprächs und seinen wesentlichen Inhalt sind nützlich und
dringend zu empfehlen. Ihr Fehlen darf aber nicht dazu führen, dass der Arzt regelmäßig
beweisfällig für die behauptete Aufklärung bleibt (BGH, NJW 1985, 1399 ff., juris Tz. 13).
So kann es im Einzelfall auch unter den o.g. Umständen noch ausreichen, wenn der
Nachweis geführt wird, dass der aufklärende Arzt entsprechend einer ständigen,
ausnahmslosen Übung verfahren ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.01.2004, 3 U 186/03 =
AHRS III 6805/315; Martis/Winkhart, a.a.O., A 2275, A 2291 jeweils m.w.N.).
16 Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zu Recht hat das Landgericht aus den
glaubhaften Aussagen der Zeuginnen S. und E. die Überzeugung eines durch Routine
geprägten Ablaufs gewonnen, der zwangsläufig auch im Fall des Klägers zu einer von den
Zeuginnen näher dargelegten Aufklärung und zur Abfrage des Einverständnisses des
Patienten führt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass beim Kläger von diesem
vorgegebenen schematischen Ablauf abgewichen wurde. Der Umstand, dass es sich bei
ihm nach Darstellung der Zeuginnen um einen Notfall gehandelt hat, der sich nach der
Aussage der Zeugin S. an der Schnittstelle zwischen der normalen Dienstzeit und dem
Übergang der Rufbereitschaft ereignet hat, vermag daran nichts zu ändern. Auch die
fehlende Verwendung des Aufklärungsbogens lässt insoweit entgegen der Berufung keine
hinreichenden Rückschlüsse zu. Sie war nach den glaubhaften Aussagen der Zeuginnen
vielmehr nicht Bestandteil dieser Routine. Denn die Zeuginnen haben übereinstimmend
bekundet, dass es jedenfalls in Notfallsituationen - und eine solche Situation war aus Sicht
der Zeuginnen und der Beklagten zu 2 beim Kläger gegeben - vorkam, dass Patienten nur
mündlich aufgeklärt wurden, ohne dass davon jedoch der o.g. schematische Ablauf
berührt wurde. Die Zeuginnen bei ihrer Vernehmung (Zeugin S., Sitzungsniederschrift vom
01.07.2011, S. 10, I 227; Zeugin E., Sitzungsniederschrift S. 13, I 230) und die Beklagte zu
2 bei ihrer Anhörung (Sitzungsniederschrift S. 17/18, I 234/235) haben insoweit
übereinstimmend ausgesagt, dass auch in Notfällen und unabhängig davon, ob der
Patient ausnahmsweise nicht an Hand schriftlicher Aufzeichnungen aufgeklärt wurde, er
nicht auf den Untersuchungstisch gelegt wird, bevor er nicht vom Arzt aufgeklärt wurde
und sein Einverständnis erteilt hatte. Danach bestand insoweit eine generelle, ständige
Aufklärungsübung, die sicherstellte, dass auch der Kläger nicht ohne die gebotene
Aufklärung dem Eingriff unterzogen wurde.
17 cc) Zu Recht stellt der Kläger mit der Berufung nicht in Zweifel, dass die Aufklärung
inhaltlich, wie sie von den Zeuginnen bekundet wurde, den Anforderungen an eine
ordnungsgemäße Aufklärung insbesondere hinsichtlich des Schlaganfallrisikos entsprach.
18 c) Die Beklagten haften ferner deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der
Aufklärungspflicht, weil der Kläger einen Entscheidungskonflikt nicht hinreichend
plausibel gemacht hat. Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat
das Landgericht jedenfalls den von den Beklagten erhobenen Einwand der
hypothetischen Einwilligung des Klägers durchgreifen lassen.
19 aa) Da es sich insoweit um den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bzw.
hypothetischer Kausalität handelt, trägt auch insoweit der Arzt die Darlegungs- und
Beweislast dafür, dass der Patient sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu dem
Eingriff gerade bei ihm, dem behandelnden Arzt, entschlossen hätte. An den Nachweis
dieser Behauptung sind strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Wege
das Aufklärungsrecht des Patienten unterlaufen wird. Allerdings trifft den Arzt diese
Beweislast erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Gerichts plausibel macht,
dass er – wären ihm die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden – vor einem echten
Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Die Substantiierungspflicht des Patienten
beschränkt sich dabei auf die Darlegung des Entscheidungskonflikts, in den er bei
erfolgter Aufklärung geraten wäre. Er braucht nicht etwa darzulegen, wie er sich
tatsächlich entschieden hätte (BGH, NJW 2010, 3230 ff., Tz. 17; NJW 2005, 1718 ff., juris
Tz. 18; NJW 1984, 1397 ff., juris Tz. 31). Es kommt nicht darauf an, wie sich ein
"vernünftiger" Patient, dem die erforderliche Aufklärung zuteil geworden ist, voraussichtlich
verhalten hätte; allein entscheidend ist die persönliche Entscheidungssituation des
konkreten Patienten aus damaliger Sicht (BGH, NJW 1994, 799 ff., juris Tz. 28).
20 Zu Recht beanstandet der Kläger mit der Berufung nicht, dass das Landgericht davon
abgesehen hat, ihn persönlich anzuhören. Ist die persönliche Anhörung - wie hier vom
Landgericht zutreffend ausgeführt - nicht mehr möglich, kommt es darauf an, ob ein
Entscheidungskonflikt den objektiven Umständen nach plausibel erscheint. Der Senat
verkennt nicht, dass im Regelfall eine persönliche Anhörung des Patienten geboten ist, um
zu vermeiden, dass das Gericht für die Verneinung eines Entscheidungskonflikts
vorschnell auf das abstellt, was bei objektiver Betrachtung als nahe liegend oder
vernünftig erscheint, ohne die persönlichen, möglicherweise weniger nahe liegenden oder
als unvernünftig erscheinenden Erwägungen des Patienten ausreichend in Betracht zu
ziehen. Die persönliche Anhörung soll es dem Gericht ermöglichen, den anwaltlich
vorgetragenen Gründen für und gegen einen Entscheidungskonflikt durch konkrete
Nachfragen nachzugehen und sie auch auf Grund des persönlichen Eindrucks vom
Patienten sachgerecht beurteilen zu können. Dabei muss im Auge behalten werden, dass
an den Nachweis einer hypothetischen Einwilligung durch die Behandlungsseite
grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind, damit das Aufklärungsrecht des
Patienten nicht auf diesem Wege unterlaufen wird, und dass die Darlegung eines echten
Entscheidungskonflikts durch den Patienten gefordert wird, um einem Missbrauch des
Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke vorzubeugen. Alleine unter Berücksichtigung
der aufgezeigten Spannungslage lässt sich im konkreten Einzelfall beurteilen, ob und in
welcher Richtung sich die Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung des Patienten
auswirkt. Sofern auf Grund der objektiven Umstände ein echter Entscheidungskonflikt eher
fern, eine haftungsrechtliche Ausnutzung des Aufklärungsversäumnisses eher nahe liegt,
ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter eine hypothetische Einwilligung
bejaht, obwohl der Patient dazu nicht persönlich angehört werden konnte. Ist indes nicht
auszuschließen, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden
Leidens und der Risiken, über die aufzuklären war, aus vielleicht nicht gerade
„vernünftigen“, jedenfalls aber nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der
Behandlung entschieden haben könnte, kommt ein echter Entscheidungskonflikt in
Betracht. In einem solchen Fall darf der Tatrichter nicht alleine auf Grund der
Unmöglichkeit der persönlichen Anhörung eine dem Patienten nachteilige Wertung
vornehmen (BGH, NJW 2007, 2771 f., juris Tz. 18 f.).
21 bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zu Recht eine Haftung der
Beklagten verneint. Auf Grund der objektiven Umstände ist, wie das Landgericht der
Sache nach zutreffend ausführt, ein echter Entscheidungskonflikt eher fernliegend, eine
haftungsrechtliche Ausnutzung des Aufklärungsversäumnisses liegt eher nahe. Der Senat
nimmt insoweit nach eigener Prüfung zustimmend auf die sorgfältige Begründung des
Landgerichts Bezug. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine andere Beurteilung.
Soweit der Kläger dort beanstandet (II 31), das Landgericht beachte nicht, dass ihm der
Befund der Sonographie bzw. eine das Bestehen einer konkreten Gefahr für seinen
rechten Arm nicht mitgeteilt worden sei, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass für die
Frage der hypothetischen Einwilligung auf die fiktive Situation bei einer
ordnungsgemäßen Aufklärung abzustellen ist. Dann jedoch war, wie das Landgericht
zutreffend unter Berufung auf die Darlegungen des Sachverständigen zum Befund der
Sonographie ausführt (Urteil S. 14), die Entscheidungssituation des Klägers auch durch
die reale und erhebliche Gefahr bleibender Schädigungen der Funktions- und
Gebrauchsfähigkeit des rechten Arms mit einem letztendlich nicht quantifizierbaren Risiko
der Amputation gekennzeichnet. Der Kläger führt in der Berufung selbst aus (II 31, Mitte),
dass er, wenn ihm der Befund der Sonographie mitgeteilt worden wäre, nicht in Erwägung
gezogen hätte, nach Hause zu gehen, um seine Mittelschicht anzutreten. Die rückläufigen
Schmerzen boten nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen
(Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 6/7, I 173/174) keinen hinreichenden Anlass,
um davon auszugehen, dass die Angiographie nicht mehr als diagnostische Maßnahme
von dringlicher Bedeutung zu werten war. Mit der Therapieeffektivität einer
Vollheparinisierung konnte in der Akutsituation nicht gerechnet werden.
22 2. Die Beklagten haften dem Kläger jedoch dem Grunde nach wegen eines groben
Behandlungsfehlers. Der Kläger erbringt den ihm obliegenden Beweis, dass er in dem von
der Beklagten zu 1 betriebenen Klinikum fehlerhaft in Abweichung vom ärztlichen
Standard behandelt wurde. Es ist davon auszugehen, dass der eingetretene Schaden
darauf beruht.
23 a) Allerdings steht nach der ergänzenden Beweisaufnahme auch zur Überzeugung des
Senats - unabhängig von der Frage, ob sich dies auf den Schaden überhaupt kausal
ausgewirkt hat - nicht fest, dass die Angiographie entgegen ärztlichen Standards nicht
rechtzeitig vorgenommen wurde.
24 aa) Der Kläger beanstandet in der Berufung hinsichtlich seiner Behandlung insoweit, dass
das Landgericht die Ausführungen des Sachverständigen seiner Entscheidung zu Grunde
gelegt habe, obwohl diese im Rahmen der mündlichen Erläuterung widersprüchlich
gewesen seien (II 33). Der Sachverständige habe dargelegt, dass einerseits die
sonographische Untersuchung die Situation dramatisch unter Hinweis auf einen
vollständigen Verschluss der die rechten Hand versorgenden Blutgefäße dargestellt habe;
anderseits habe er als Therapieoption das Abwarten genannt, weil man gesehen habe,
dass Blut durchkomme und deshalb ein sofortiges Einschreiten in der Klinik nicht
erforderlich gewesen sei (Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 01.07.2011, S. 6, I
223). Der Senat hat den Sachverständigen deshalb auch ergänzend dazu befragt, ob die
Durchführung der Angiographie in zeitlicher Hinsicht zu beanstanden ist.
25 bb) Dies ist zu verneinen. Einen Widerspruch vermag der Senat unter Berücksichtigung
der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei seiner ergänzenden
Anhörung nicht (mehr) zu erkennen.
26 Nach den sachverständigen Ausführungen im schriftlichen Gutachten vom 03.05.2010, S.
8 (I 143) wurde die korrekte Diagnose unmittelbar beim ersten Arzt-Patientenkontakt
gestellt, die Sonographie gegen 12.30 Uhr durchgeführt, die Angiographie gegen 15.30
Uhr (vgl. den Vortrag der Beklagten I 41: Beginn der Vorbereitungsmaßnahmen für die
Angiographie ca. 15.30 Uhr). Die Zeit bis zur Angiographie erscheine lang, aber aufgrund
der vom Hausarzt eingeleiteten Therapie habe keine absolute Notfallsituation bestanden.
Anderseits hat der Sachverständige jedoch ausgeführt (Ausgangsgutachten S. 10, I 145),
nach dem Sonographiebefund habe eine gefährdete, jedoch rettbare Extremität mit der
Notwendigkeit einer sofortigen Behandlung vorgelegen. Im Ergänzungsgutachten vom
25.10.2010, S. 6/7, 9 (I 173/174/176) geht er von einer dringenden Therapieindikation aus.
Ein abwartendes Handeln im Sinne einer nur weiteren Heparinisierung sei nicht
gerechtfertigt gewesen, da bei persistierender Durchblutungsstörung bereits nach kurzer
Zeit – innerhalb weniger Stunden - irreversible Gewebeschäden mit der letztendlichen
Konsequenz einer Amputation ausgelöst werden können. Bei seiner Anhörung vor dem
Senat hat der Sachverständige hierzu überzeugend erläutert (Sitzungsniederschrift vom
07.11.2012, S. 2-4, II 76-78), die Dringlichkeit der Behandlung hänge vom zu
dokumentierenden Beschwerdebild ab. In seinem Klinikum sei bei einem Notfall auch im
Bereich der Hand es möglich, die Voraussetzungen für eine Angiographie innerhalb von
etwa sechzig Minuten zu schaffen. Der Sonographeur habe hier jedoch eine
grenzkompensierte Situation angenommen. Unter den Bedingungen, wie sie hier vermutet
worden seien mit einem Verschluss im unteren Bereich, wäre eine Versorgung der Hand
mit Blut im Hinblick auf die dortige Anatomie noch möglich gewesen. Nach der vom
Sonographeur vorgenommenen Einstufung in die Gefährdungsklasse 2 habe es sich nicht
um einen unmittelbaren Notfall gehandelt. Diese Einschätzung habe die später
durchgeführte Angiographie bestätigt. Die Hand habe eine Ischämietoleranz von mehreren
Stunden. Das Abwarten mit der Angiographie für etwa drei Stunden sei deshalb hier noch
vertretbar gewesen. Der Sachverständige hat auch überzeugend dargelegt, dass es
plausibel ist, dass auf Seiten der Beklagten von einer Notfalldiagnostik ausgegangen
wurde (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 30.05.2009, S. 4 (I 43); Aussagen der
Zeuginnen S. (I 226/228) und E. (I 230). Dies bedeute, dass sie zeitnah durchzuführen sei,
was sich wiederum, wie ausgeführt, nach dem klinischen Befund richte. Insoweit hat sich
der Kläger die o.g. Ausführungen der Beklagten im Übrigen nicht, auch nicht hilfsweise, zu
eigen gemacht. Vielmehr hat er ausdrücklich wiederholt vorgetragen, sein Zustand habe
sich nach den Feststellungen in der Aufnahme um 11.26 Uhr (Klageschrift vom
30.03.2009, S. 3, I 3) so gebessert, dass er um 14.45 Uhr habe nach Hause gehen wollen.
27 Auch die ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen zu der Darstellung der
Situation nach dem Sonographie- und dem Angiographiebefund (II 78) überzeugen. Zwar
hat er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht (Sitzungsniederschrift S. 6/7, I 223/224)
ausgeführt, die sonographische Untersuchung habe die Situation noch dramatischer
dargestellt. Erst bei der Angiographie habe sich herausgestellt, dass noch Blut
durchgekommen sei, während nach seinen Darlegungen im Ergänzungsgutachten vom
25.10.2010, S. 7 (I 174) die sonographischen und angiographischen Befunde sehr ähnlich
waren, sodass nicht von einer zwischenzeitlich aufgetretenen, relevanten Änderung des
Ausmaßes des Unterarmthrombus ausgegangen werden könne. Der Sachverständige hat
hierzu erläutert, dass der Befund bei der Sonographie deshalb zunächst schwerwiegender
gewesen sei, weil der Sonographeur keinen Blutfluss mehr gesehen habe. Der
Gesamtbefund sei letztlich jedoch deshalb ähnlich wie derjenige der Angiographie, weil
ihm beim Betrachten der Hand aufgefallen sei, dass dieser Befund so nicht richtig sein
könne.
28 b) Der Kläger rügt mit der Berufung (II 33/35) jedoch erfolgreich, dass das Landgericht und
der Sachverständige angesichts der fehlenden Dokumentation unzutreffend davon
ausgegangen sind, dass er im Klinikum rechtzeitig Lösungen mit Heparin verabreicht
erhalten hat. Die Beklagten haben vielmehr nicht die aufgrund der mangelnden
Dokumentation gegen sie sprechende Vermutung des Unterbleibens der Gewährleistung
der medizinisch gebotenen Vollheparinisierung im Klinikum im Zusammenhang mit der
Aufnahme des Klägers zu widerlegen vermocht. Der Senat geht deshalb davon aus, dass
der Kläger nicht rechtzeitig ausreichend mit Heparin versorgt wurde. Nach der
ergänzenden Anhörung des Sachverständigen ist ferner davon auszugehen, dass dies für
den eingetretenen Schaden kausal war. Denn es handelt sich um einen groben
Behandlungsfehler, der generell geeignet war, den konkreten Schaden herbeizuführen,
und es ist nicht jeglicher haftungsbegründende Kausalzusammenhang äußerst bzw.
gänzlich unwahrscheinlich.
29 aa) Der Berücksichtigung des Bestreitens der Umsetzung einer angeordneten
Verabreichung von Heparin durch die Beklagten im Berufungsrechtszug (II 55/57) steht §
531 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, denn das Bestreiten ist nicht neu im Sinne dieser
Vorschrift.
30 aaa) Allerdings ist das Landgericht - jedenfalls bis zum Termin zur mündlichen
Verhandlung und Beweisaufnahme vom 01.07.2011 (Sitzungsniederschrift, I 218 ff.) - zu
Unrecht davon ausgegangen, dass die unterbliebene Umsetzung einer angeordneten
Verabreichung von Heparin vor Eintritt der zerebralen Embolie überhaupt streitig war. Die
Beklagten haben sich in der Klageerwiderung vom 30.05.2009, S. 2 (I 41) und im
Schriftsatz vom 31.08.2009, S. 1 (I 77) ohne Vortrag zu einer im Klinikum erfolgten
Heparinisierung darauf berufen, die vom niedergelassenen Arzt Dr. L., dem Hausarzt des
Klägers, durchgeführte Behandlung mit gerinnungshemmenden Mitteln habe für den
gesamten Zeitraum bis zum Vorfall bei der Angiographie ausgereicht. Zu dem Schriftsatz
des Klägers vom 07.07.2010 (I 155 ff.), in welchem dieser die Ausführungen des
Sachverständigen hinsichtlich der Heparinisierung und ihrer Dokumentation aufgreift und
ausführt, was nicht dokumentiert sei, gelte als nicht stattgefunden, haben die Beklagten
innerhalb der ihnen mit Verfügung vom 13.07.2010 gesetzten Frist nicht Stellung
genommen. Auch soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 28.12.2010 (I 185 ff.) seine
Behandlungsvorwürfe im Zusammenhang mit der Heparinisierung vertieft, haben die
Beklagten insoweit auf die Verfügung vom 04.01.2011 (I 188) mit Schriftsatz vom
28.01.2011 (I 192/193) lediglich das Körpergewicht des Klägers zum Zeitpunkt des
„streitgegenständlichen Vorfalls“ sowie die von ihm behauptete Auslegung der Dosierung
durch den Hausarzt auf ein geringeres Körpergewicht bestritten.
31 bbb) Der Sachverständige hat jedoch im Termin zur mündlichen Verhandlung und
Beweisaufnahme vom 01.07.2011 (Sitzungsniederschrift, S. 3, I 220) ausgeführt, die Gabe
von Heparin sei in deutschen Krankenhäusern Standard, auch beispielsweise zur
Thromboseprophylaxe. Auch bei einer Angiographie würden Lösungen üblicher Weise
gegeben, bei denen Heparin mit enthalten sei. Auch wenn aus den Unterlagen nicht zu
ersehen sei, dass solche Gaben erfolgt seien, gehe er davon aus, dass auch die Beklagte
nach dem üblichen Standard gehandelt habe und irgendwelche Lösungen mit Heparin
gegeben wurden im Zusammenhang mit der Angiographie.
32 Nach allgemeinem Grundsatz macht sich eine Partei die bei einer Beweisaufnahme
zutage tretenden ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen
(BGH, NJW-RR 2010, 495, Tz. 5; NJW 2001, 2177 f., juris Tz. 9 m.w.N.). Davon ist auch
hier hinsichtlich dieser Ausführungen des Sachverständigen durch die Beklagten
auszugehen.
33 bb) Der Kläger greift in der Berufung insoweit die Beweiswürdigung des Landgerichts
jedoch mit Erfolg an. Der Senat geht vielmehr unter Berücksichtigung von
Dokumentationsmängeln davon aus, dass im Klinikum der Beklagten zu 1 sorgfaltswidrig
eine Vollheparinisierung des Klägers nicht gewährleistet wurde.
34 aaa) Die unterbliebene, unvollständige oder nur lückenhafte Dokumentation bildet
grundsätzlich keine eigenständige Anspruchsgrundlage und führt auch nicht unmittelbar
zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen einem
Behandlungsfehler und dem eingetretenen Primärschaden. Jedoch kann aus der
Tatsache einer fehlenden, mangelhaften oder unvollständigen Dokumentation einer aus
medizinischen Gründen aufzuzeichnenden Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils
durch die Behandlungsseite darauf zu schließen sein, dass diese Maßnahme unterblieben
ist bzw. vom Arzt nicht getroffen wurde (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., D 394
f. m.w.N.). In Anwendung dieser Grundsätze kann mit indizieller Bedeutung aus einem
Dokumentationsmangel eine Beweiserleichterung für den Patienten dahingehend
hergeleitet werden, es bestehe die Vermutung, dass die nichtdokumentierte Maßnahme
vom Arzt auch nicht getroffen worden sei (BGH, NJW 1999, 863 f., juris Tz. 14;VersR 1995
f., juris Tz. 13). Der Arzt kann die Vermutung des Unterbleibens der nicht dokumentierten
Maßnahme insbesondere durch die Zeugenaussage der an der Behandlung beteiligten
Ärzte und Pfleger jedoch widerlegen (Senat, OLGR Karlsruhe 2006, 339 ff., juris Tz. 12;
Martis/Winkhart, a.a.O., D 396 m.w.N.).
35 bbb) Ausgehend von diesen Grundsätzen müssen die Beklagten die Vermutung des
Unterbleibens einer ausreichenden Vollheparinisierung im Zusammenhang mit der
Aufnahme des Klägers im Klinikum widerlegen.
36 Die medizinisch gebotene Dokumentation hinsichtlich der Gewährleistung der
Vollheparinisierung ist unterblieben. Der Sachverständige hat überzeugend erläutert (II
78/79), dass sowohl die Verabreichung selbst als auch die Art des Heparins, der Zeitpunkt
und die Dosis, bezogen auf das Gewicht des Patienten, aus medizinischen Gründen im
Hinblick auf das Blutungsrisiko und die Nachbehandlung zu dokumentieren ist. An der
Dokumentation dieser Umstände fehlt es. Nach den Ausführungen des Sachverständigen
bestand laut dem Aufnahmebogen die Therapieanweisung zur Vollheparinisierung, im
Bericht der Angiographie steht als Therapiemaßnahme nach der zerebralen Embolie
„Fortsetzung der Vollheparinisierung.“ Dokumentiert ist jedoch nur die
Therapieanweisung, nicht deren Umsetzung (Gutachten vom 03.05.2010, S. 5, I 140;
Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 2, I 169; Sitzungsniederschrift vom 01.07.2011,
S. 2, I 219).
37 ccc) Die Beklagten haben entgegen der Auffassung des Landgerichts die danach gegen
sie sprechende Vermutung nicht entkräftet. Die Argumentation des Landgerichts im
angefochtenen Urteil (S. 10/11) überzeugt nicht.
38 Soweit es sich auf den Sachverständigen beruft, der von einer Heparingabe im Klinikum
ausgeht, allein weil es zu dem üblichen Standard in Krankenhäusern gehört
(Sitzungsniederschrift vom 01.07.2011, S. 3, I 220), überzeugt dies schon deshalb nicht,
weil vom üblichen Standard auch abgewichen werden kann. Dass im konkreten Fall der
übliche Standard nicht immer eingehalten wurde, zeigt sich schon daran, dass Anordnung
und Durchführung der gebotenen Heparinisierung nicht dem üblichen Standard
entsprechend dokumentiert wurden.
39 Anders als das Landgericht offenbar meint, kann auch aus dem Umstand, dass sich der
Thrombus gelöst hat, nicht auf die medizinisch gebotene Heparinisierung geschlossen
werden. Dies mag zwar, wie der Sachverständige ausführt (Sitzungsniederschrift vom
01.07.2011, S. 4, I 221), zeigen, dass irgendwie eine Heparingabe erfolgt sein muss (vgl.
auch Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 8, I 175). Die Unterarmthromben waren
jedoch zum Zeitpunkt der Angiographie noch vorhanden (Ergänzungsgutachten vom
25.10.2010, S. 4/5, 7, I 171/172/174). Die Thrombose im Unterarm wurde voraussichtlich
effektiv mit der im Zusammenhang mit der Therapie des Schlaganfalls durchgeführten
Heparinisierung behandelt (Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012. S. 5, II 79;
Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 5/11, I 172/178, vgl. Ausgangsgutachten vom
03.05.2010, S. 3 Mitte/S. 5 bzgl. der Vollheparinisierung im Zusammenhang mit dem
Schlaganfall). Die Auflösung der Thromben lässt danach keine hinreichenden
Rückschlüsse darauf zu, dass rechtzeitig mit der gebotenen Heparinisierung begonnen
wurde.
40 Danach verbleibt als einziger Anhaltspunkt die im Aufnahmebogen enthaltene
Therapieanweisung zur Vollheparinisierung sowie die im Bericht der Angiographie für den
Zeitraum nach der zerebralen Embolie aufgeführte Therapiemaßnahme der Fortsetzung
der Vollheparinisierung. Dagegen spricht jedoch das oben genannte Verhalten der
Beklagten, die sich erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung und
Beweisaufnahme vom 01.07.2011 die dortigen Ausführungen des Sachverständigen
(Sitzungsniederschrift, S. 3, I 220) konkludent zu Eigen gemacht haben. Danach war nach
ihrem vorherigen Vortrag und Verständnis bis zu diesem Zeitpunkt eine Heparinisierung
im Klinikum der Beklagten zu 1 im Hinblick auf die Maßnahmen des Hausarztes überhaupt
nicht mehr erforderlich gewesen. Unter diesen Umständen haben die Beklagten die gegen
sie sprechende Vermutung, dass eine Heparinisierung bis zum Zeitpunkt der zerebralen
Embolie nicht erfolgt ist, nicht zu widerlegen vermocht.
41 cc) Dass eine Vollheparinisierung im Zusammenhang mit der Aufnahme des Klägers und
Durchführung der Angiographie nicht gewährleistet wurde, war nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen ein Behandlungsfehler. Er hat bereits im ersten
Rechtszug wiederholt ausgeführt, dass es als Akuttherapie einer sofortigen
Heparinisierung bedurft hätte, die unverzichtbar sei (Ausgangsgutachten vom 03.05.2010,
S. 10, I 145; Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 1/3, I 168/170;
Sitzungsniederschrift vom 01.07.2011, S. 2/3, I 219/220, dort auch zur Frage der
Dosierung). Die Heparingabe durch den Hausarzt sei unzureichend gewesen. In der Klinik
hätte man im Wege der Infusion die Wirkung perpetuieren müssen (Sitzungsniederschrift
vom 01.07.2011, S. 2/3, I 219/220). Bei seiner Anhörung vor dem Senat hat er diese
Ausführungen überzeugend vertieft und bestätigt (Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012,
S. 4 ff., II 78 ff.). Danach gibt es einen Standard, eine Vollheparinisierung zu
gewährleisten. Die Gewährleistung der Vollheparinisierung sei unverzichtbar, weil bei
Vorhandensein von Thromben die Verpflichtung bestehe, auf eine Besserung der
Situation hinzuwirken und in jedem Fall zu verhindern, dass sich weitere Blutgerinnsel
bilden. Derartige Thromben waren hier vorhanden. Das vom Hausarzt verabreichte
Heparin habe die gebotene Vollheparinisierung nicht gewährleisten können, schon weil
unklar war, wie lange dieses wirkt. Bei dem verabreichten Fraxiparin könne die
Wirksamkeit nicht kontrolliert werden. Eine solche Kontrolle hat auch unstreitig nicht
stattgefunden. Eine Vollheparinisierung im Zusammenhang mit dem Eintritt der zerebralen
Embolie war danach zu spät.
42 dd) Dem Kläger gelingt allerdings, wie das Landgericht zutreffend ausführt, nicht der
Beweis, dass die unterbliebene rechtzeitige Gewährleistung der Vollheparinisierung für
den Eintritt der zerebralen Embolie kausal war.
43 Der Sachverständige hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht (Sitzungsniederschrift
vom 01.07.2011, S. 4, I 221) ausgeführt, es sei - die Nichtgabe von Heparin bei der
Aufnahme des Klägers unterstellt - sehr unwahrscheinlich, dass dies bei der Durchführung
der Angiographie zu den üblichen Bedingungen (Heparin in der Spüllösung) zu einem
Schlaganfall geführt haben könne. Auf die weitere Frage, ob sich daran etwas ändere,
wenn der Spüllösung kein Heparin beigegeben worden sei, hat er dargelegt, dass die
vorherige Gabe von Heparin bei dem hier wahrscheinlichen Schädigungsmechanismus
eines unbeabsichtigten Abschilfern von bereits vorhandenen Blutgerinnseln an der
Gefäßwand durch den Katheder keine Rolle spiele (Sitzungsniederschrift vom 01.07.2011,
S. 4/5, I 221/223; Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 4, I 171).
44 ee) Dennoch ist davon auszugehen, dass die unterbliebene rechtzeitig Gewährleistung
der Vollheparinisierung für den eingetretenen Gesundheitsschaden kausal war. Denn es
handelt sich um einen für den Eintritt einer zerebralen Embolie generell geeigneten
groben Behandlungsfehler, und den Beklagten gelingt nicht der ihnen deshalb obliegende
Beweis, dass jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang zwischen dem
groben Fehler und der zerebralen Embolie äußerst bzw. gänzlich unwahrscheinlich ist.
45 aaa) Als grober Behandlungsfehler ist ein ärztliches Fehlverhalten anzusehen, das nicht
etwa aus subjektiven, in der Person des handelnden Arztes liegenden Gründen, sondern
aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler
dem behandelnden Arzt aus dieser Sicht "schlechterdings" nicht unterlaufen darf (BGH,
NJW 1983, 2080; NJW 1992, 754 f.; NJW 1995, 778; NJW 1996, 2428). Es kommt also
darauf an, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte
medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstößt (vgl. BGH, NJW 1992, 754 f.). Dies
ist typischerweise dann der Fall, wenn auf eindeutige Befunde nicht nach gefestigten
Regeln der ärztlichen Kunst reagiert wird oder sonst eindeutig gebotene Maßnahmen zur
Bekämpfung möglicher, bekannter Risiken unterlassen werden und besondere Umstände
fehlen, die den Vorwurf des Behandlungsfehlers mildern können (vgl. BGH, NJW 1983,
2080 f.).
46 Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt hier ein grober Behandlungsfehler vor. Der
Sachverständige hat bereits in seinem Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 1 (I 168)
ausgeführt, eine Therapie mit Heparin sei als Akutbehandlung unverzichtbar, eine
Unterlassung stelle einen Behandlungsfehler dar. Hinsichtlich der sofort
durchzuführenden Heparinisierung bestehe allgemeine Einigkeit (S. 3, I 170; vgl. auch
unter Bezugnahme auf die Leitlinie „Der akute periphere Arterienverschluss“:
Ausgangsgutachten S. 10, unten, I 145). Schon dies spricht für einen groben
Behandlungsfehler bei Unterlassen einer Heparintherapie. Allerdings hat der
Sachverständige in seinem Ausgangsgutachten vom 03.05.2010, S. 5/10 (I 140/145) noch
im Hinblick auf die Maßnahmen des Hausarztes dargelegt, damit sei - ausgehend von
einem hier allerdings streitigen Gewicht des Klägers zum damaligen Zeitpunkt von 60-69
kg - die Akuttherapie korrekt durchgeführt. Dies bezieht sich jedoch auf die Maßnahmen
des Hausarztes. Bereits nach den Ausführungen im Ergänzungsgutachten vom
25.10.2010, S. 2 (I 169) ließ sich die pharmakologische und klinische Wirksamkeit der
durch ihn vorgenommenen subkutanen Therapie mit Fraxiparin für die weitere
Behandlung im Klinikum der Beklagten zu 1 nicht sicher beurteilen. Dementsprechend hat
der Sachverständige auch bei seiner Anhörung vor dem Senat (Sitzungsniederschrift vom
07.11.2012, S. 6, II 80) überzeugend ausgeführt, es sei unklar gewesen, wie lange das
vom Hausarzt verabreichte Heparin wirkte. Es habe deshalb in Betracht gezogen werden
müssen, dass dieses keine Wirkung mehr entfaltet. Er halte es in dieser Situation für nicht
nachvollziehbar, dass nicht bereits bei der Aufnahme des Klägers im Klinikum weiteres
Heparin gegeben worden sei. Im Hinblick auf die vorhandenen Thromben - bereits der
Verdacht auf solche genügt - musste hier nach den weiteren Ausführungen des
Sachverständigen auf jeden Fall bereits bei der Krankenhausaufnahme durch die
Gewährleistung der Vollheparinisierung verhindert werden, dass sich weitere
Blutgerinnsel bilden. Die Heparinisierung sei unverzichtbar. Die Angiographie durfte
keinesfalls ohne Gewährleistung der Vollheparinisierung vorgenommen werden. Unter
diesen Umständen liegt hier ein grober Behandlungsfehler der den Kläger behandelnden
Ärzte einschließlich der Beklagten zu 2 vor, welche die Angiographie durchführte. Dies
muss sich die Beklagte zu 1 zurechnen lassen.
47 bbb) Das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers hat nach ständiger Rechtsprechung
die Folge, dass sich die Beweislast für die Kausalität des Behandlungsfehlers für den
eingetretenen Schaden umkehrt, die sonst der Patient zu tragen hat (BGH, VersR 2005,
228, 229; 2004, 909; NJW 1983, 333, 334), wenn der grobe Behandlungsfehler generell
geeignet war, den konkreten Schaden herbeizuführen. Nahelegen oder wahrscheinlich
machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht (BGH, NJW 2008, 1304; VersR
2005, a.a.O.).
48 Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der grobe Fehler war nach den überzeugenden
Darlegungen des Sachverständigen generell geeignet, den Schaden in Gestalt des
Schlaganfalls zu verursachen (Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012, S. 6, II 80). Denn es
ist bekannt, dass das Arbeiten mit einem Katheder zur Blutgerinnselbildung beitragen
kann und sich dieses Risiko durch die Heparinisierung deutlich verringert.
49 ccc) Der Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite stehen hier auch sonstige
Gründe nicht entgegen.
50 Sie ist nach einem groben Behandlungsfehler ausgeschlossen, wenn - was zur
Beweislast der Behandlungsseite steht - jeglicher haftungsbegründende
Ursachenzusammenhang mit dem groben Fehler äußerst unwahrscheinlich (BGH, VersR
2012, 1176, 1177; NJW 2004, 2011, 2012; VersR 2004, 645, 647; NJW 1998, 1782, 1784)
/ grundsätzlich unwahrscheinlich (BGH, NJW 1998, 1780, 1782) / gänzlich
unwahrscheinlich (BGH, NJW 2004, 2011, 2013; VersR 1995, 707, 708) / in hohem Maße
unwahrscheinlich (BGH, NJW 1995, 778, 779) ist. Gleiches gilt ferner, wenn sich nicht das
Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt.
51 Ausgehend von diesen Grundsätzen verbleibt es hier bei einer Umkehr der Beweislast.
Der Sachverständige hat wiederholt ausgeführt, er halte es wegen des zeitlichen
Zusammenhangs für wahrscheinlich, dass der Schlaganfall auf die Angiographie
zurückzuführen sei (vgl. zuletzt Anhörung vor dem Senat, Sitzungsniederschrift vom
07.11.2012, S. 8, II 82). Die oben unter dd) wiedergegeben Ausführungen des
Sachverständigen („sehr unwahrscheinlich“) sprechen zwar dafür, dass bei einer
Nichtgabe von Heparin bei der Aufnahme des Klägers, aber ausreichender Heparingabe
bei Durchführung der Angiographie, davon auszugehen ist, dass jeglicher
haftungsbegründende Ursachenzusammenhang mit dem Eintritt der zerebralen Embolie
äußerst unwahrscheinlich ist. Hier geht der Senat nach dem o.g. jedoch davon aus, dass
auch der Spüllösung im Zuge der Angiographie kein Heparin beigegeben wurde. Dann
kommt es nach den Ausführungen des Sachverständigen auf die Art des
Schädigungsmechanismus an (Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 01.07.2011, S.
4/5, I 221/222; Ergänzungsgutachten vom 25.10.2010, S. 4, I 171, Anhörung vor dem
Senat, Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012, S. 6/7, II 80/81). Der Sachverständige hat
den Schädigungsmechanismus des Abschilfern von bereits vorhandenen Blutgerinnseln,
bei dem die Frage, ob zuvor Heparin gegeben wurde, keine Rolle spielt, zwar als die
wahrscheinlichste Erklärung bezeichnet. Der andere Schädigungsmechanismus, bei dem
der Katheder selbst Auslöser in dem Sinne ist, dass sich an ihm selbst Blutgerinnsel
bilden, die dann zu einem arteriellen Verschluss führen, und bei dem die Gabe von
Heparin für die Verhinderung der Thrombenbildung von Bedeutung ist, kann hier jedoch
nicht ausgeschlossen werden. Der Sachverständige hat bereits im ersten Rechtszug
ausgeführt, die eindeutige Ursache für den Schlaganfall könne wissenschaftlich nicht
festgelegt werden (S. 4 des Ergänzungsgutachtens, I 171), der für den Schlaganfall
wahrscheinlichste Geschehensablauf könne nur vermutet werden (S. 8, I 175; vgl. auch S.
5 der Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 01.07.2011, I 222). Dies hat er bei seiner
Anhörung vor dem Senat überzeugend bestätigt (Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012, S.
6/7, II 80/81). Danach weiß man hier nicht, ob ein anderer Thrombus als der im Unterarm
bereits vorhanden war. Die Gabe von Heparin erfolgt gerade im Hinblick auf die immer
bestehende Möglichkeit, dass bei einer Kathederuntersuchung ein Blutgerinnsel ausgelöst
wird. Es könne daher, so der Sachverständige weiter, nicht ausgeschlossen oder als
gänzlich unwahrscheinlich bezeichnet werden, dass durch eine unterlassene Gabe von
Heparin der Schlaganfall verursacht worden sei. Der im Protokoll des Landgerichts vom
01.07.2011 (I 222) genannte Schädigungsmechanismus, bei der die Gabe von Heparin
eine Rolle spielen kann, könne unabhängig von der Frage, wie lange sich der Katheder in
der Arterie befinde, jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Dies gelte hier auch unter
Berücksichtigung der Dauer der Angiographie.
52 ddd) Zwar gilt die Beweiserleichterung zunächst nur für den Primärschaden, das heißt für
den Schaden in seiner konkreten Ausbildung, als sogenanntem ersten Verletzungserfolg
(vgl. BGH, VersR 2005, 836, 837; 1994, 52, 54). Dies ist hier die zerebralen Embolie. Der
Sachverständige hat jedoch ausgeführt, dass die weiteren beim Kläger eingetretenen
Beeinträchtigungen wie symptomatische Epilepsie, BWK-12 Fraktur mit operativer
Kyphoplastie sowie hirnorganisches Psychosyndrom Folgen des Schlaganfalls sind
(Sitzungsniederschrift des Senats vom 07.11.2012, S. 8, II 82, Ergänzungsgutachten vom
25.10.2010, S. 10, I 177).
53 Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass hier voraussichtlich auch die
Voraussetzungen für eine Ausdehnung der Beweislastumkehr auf die haftungsausfüllende
Kausalität, das heißt den Kausalzusammenhang zwischen gesundheitlichen
Primärschädigungen und weiteren Gesundheitsschäden des Patienten vorliegen, weil
dafür spricht, dass der sekundäre Gesundheitsschaden typischer Weise mit dem
Primärschaden verbunden ist und die als grob zu bewertende Missachtung der ärztlichen
Verhaltensregeln gerade auch solcher Art Schädigung vorbeugen sollte (vgl. BGH, VersR
2005, 228, 229; 1994, a.a.O.; 1989, 145; Senat, VersR 2008, 545, Tz. 16; NJOZ 2006,
3042, 3043).
54 c) Dementsprechend hat der Kläger dem Grunde nach sowohl Anspruch auf Zahlung
eines angemessenen Schmerzensgeldes (§ 253 BGB) als auch auf Ersatz seiner
materiellen Schäden, zu denen hier gem. § 249 BGB auch die vorgerichtlichen
Anwaltskosten gehören. Ferner kann er dem Grunde nach gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1,
291 BGB Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz verlangen.
55 3. Die Klage ist mit Ausnahme des Feststellungsantrags (s.u. 4.) jedoch nicht
entscheidungsreif, denn die Ansprüche sind der Höhe nach streitig. Der Senat macht von
der Möglichkeit Gebrauch, dem Feststellungsantrag stattzugeben, die Haftung dem
Grunde nach zu bejahen und auf Antrag des Klägers die Sache zur Entscheidung über die
Höhe der immateriellen und materiellen Schadensersatzansprüche gem. § 538 Abs. 2 Nr.
4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.
56 a) Der Erlass eines Grundurteils ist auch hinsichtlich des materiellen Schadens, der
gegenüber dem immateriellen Schaden einen eigenen Streitgegenstand darstellt (OLG
Celle, OLGR 2009, 96 f., juris Tz. 19; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 819 ff., juris Tz. 22
ff.; vgl. auch OLGR Hamm 1998, 136 ff., juris Tz. 17/17) und deshalb insoweit einer
gesonderten Beurteilung unterliegt, zulässig. Selbst wenn sich im Verfahren über die
Höhe einzelne Schadenspositionen wie die Akkupunkturkosten bereits dem Grunde nach
als unberechtigt erweisen sollten, ist zu erwarten, dass dem Kläger im Nachverfahren
jedenfalls ein Teil des geltend gemachten Schadens zuerkannt wird. Dies ist für die
Zulässigkeit eines Grundurteils ausreichend (vgl. BGH, NJW 1993, 1779, 1782). Zwar ist
Voraussetzung für dessen Zulässigkeit, dass sämtliche zum Grund gehörenden Fragen
erledigt werden und die Bejahung des Anspruchs nicht offen bleibt (Zöller/Vollkommer,
ZPO, 29. Aufl. § 304 Rn. 6 m.w.N.). Dabei ist aber ausreichend, dass auch bei Abzug
einzelner Schadenspositionen, hinsichtlich derer der Kläger möglicherweise nicht
anspruchsberechtigt ist, noch ein Betrag in einer bestimmten Höhe verbleiben wird (OLG
Brandenburg, SpuRt 2012, 27 ff., juris Tz. 21 m.w.N.). Diese Voraussetzung liegt hier vor.
57 b) Bereits im ersten Rechtszug waren Grund sowie Betrag streitig, und das Landgericht hat
die Klage dem Grunde nach abgewiesen. Der Streit über den Betrag des Anspruchs ist
nicht zur Entscheidung reif. Vielmehr bedarf die Entscheidung über die Höhe sowohl
hinsichtlich des immateriellen als auch des materiellen Schadensersatzanspruchs
einschließlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten, deren Höhe sich nach der Höhe der
begründeten Hauptforderung richtet, einer umfangreichen und aufwändigen
Beweisaufnahme.
58 Die Beklagten haben den durch Sachverständigengutachten und Zeugeneinvernahme
unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers zu den gesundheitlichen Folgen seines
Schlaganfalls (vgl. insbesondere Klageschrift vom 30.03.2009, S. 9 f., I 9 f.; Schriftsätze
vom 13.07.2009, S. 7 f., I 65 f.; vom 28.08.2009, S. 2 f., I 80 f.; 02.10.2009, S. 4, I 96)
bestritten, insbesondere hinsichtlich seines zum Zeitpunkt der Schriftsätze aktuellen
Gesundheitszustandes (vgl. Schriftsätze vom 30.05.2009, S. 6, I 45; vom 26.10.2009, S. 2,
I 106). Dieser ist für die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes, antragsgemäß
bezogen auf den Schluss der mündlichen Verhandlung, von erheblicher Bedeutung.
Ferner haben sie den unter Zeugen- und teilweise Sachverständigenbeweis gestellten
Vortrag des Klägers zu seinem Verdienstausfall (vgl. insbesondere I 10/11, 94), dem
fiktiven Pflegeaufwand (vgl. insbesondere I 112/113), dem Aufwand für den Umbau des
Badezimmers (vgl. insbesondere I 12, 81-84), den Fahrtkosten zur Klinik nach E. (vgl.
insbesondere I 13/14) und dem Haushaltsführungsschaden (vgl. insbesondere I 14/15,
69/70, 95, 112) bestritten. Diesen Vortrag hat der Kläger im ersten Rechtszug hinreichend
substanziiert. Danach bedarf es einer umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme
durch weitere sachverständige Begutachtung und Einvernahme von Zeugen.
59 c) Der Senat verkennt nicht, dass § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO eine Ausnahmeregelung
darstellt, die den Grundsatz der Prozessbeschleunigung durchbricht. Insbesondere hat der
Senat beachtet, dass das Berufungsgericht in Erwägung zu ziehen hat, dass eine
Zurückverweisung der Sache in aller Regel - wie auch hier - zu einer weiteren
Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits und zu weiteren Nachteilen führt, und
dies den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen kann. Der Senat
berücksichtigt auch, dass die Beklagten keine Zurückverweisung beantragen. Vorliegend
ist jedoch die Beweisaufnahme ausgehend von den obigen Ausführungen wegen des
weitgehend noch ungeklärten Sachverhalts derart umfangreich und aufwändig, dass auch
unter Berücksichtigung und Wahrung dieser Interessen der Parteien und der durch die
Durchführung des Berufungsverfahrens eingetretenen Verzögerung ihre Vornahme durch
das Gericht des ersten Rechtszuges angemessen ist. Insbesondere das Interesse an einer
schnelleren und kostengünstigeren Erledigung hat hier gegenüber dem berechtigten
Interesse des Klägers am Verlust einer Tatsacheninstanz unter Berücksichtigung der
Vielzahl noch beweisbedürftiger Tatschen zurückzutreten. Mit diesem Interesse hat seine
Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich ihren
Antrag auf Zurückverweisung begründet.
60 4. Der zulässige Feststellungsantrag hat in der Sache überwiegend Erfolg.
61 An die Darlegung der für ein Feststellungsbegehren erforderlichen Wahrscheinlichkeit,
dass spätere Schadensfolgen eintreten können, sind maßvolle Anforderungen zu stellen.
Ausreichend ist, dass eine nicht nur entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung
der Schadenersatzpflicht durch das Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und
voraussehbarer Schäden und Leiden besteht.
62 Hinsichtlich des materiellen Schadens, bezüglich dessen der Kläger die Feststellung
einheitlich für die Vergangenheit und Zukunft begehren kann, weil er sich zum Zeitpunkt
der Klageerhebung ersichtlich noch in Entwicklung befand, liegt dies auf der Hand. Der
Klageantrag ist dabei ohne weiteres dahingehend auszulegen, dass er die Feststellung
hinsichtlich der materiellen Schäden in der Vergangenheit nur insoweit begehrt, als er sie
nicht bereits beziffert hat. Allerdings ist der Ausspruch dahingehend einzuschränken, dass
er nicht hinsichtlich solcher Ansprüche gilt, die auf Sozialversicherungsträger oder
sonstige Dritte übergehen. Insoweit war der Antrag abzuweisen und die weitergehende
Berufung zurückzuweisen. Auch hinsichtlich des immateriellen Schadens ist der
Feststellungsantrag entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig und begründet. Der
Feststellungsanspruch kann in Fällen dieser Art - auch hinsichtlich des immateriellen
Schadens - nur verneint werden, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger
Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen; es ist nicht
erforderlich, dass der Kläger von dem späteren Schaden eine bestimmte Vorstellung hat
(BGH, VersR 1991, 779, juris Tz. 10; NJW 1998, 160). Nach Art und Umfang seiner (nicht
unerheblichen) gesundheitlichen Beeinträchtigungen kann hier nicht zweifelhaft sein, dass
Spätfolgen eintreten können. Bei derartigen Verletzungen besteht die Möglichkeit des
Auftretens weiterer, bisher noch nicht erkennbarer und voraussehbarer Leiden in aller
Regel. Dies gilt nach der Lebenserfahrung zwar insbesondere für Knochenverletzungen
(vgl. BGH, NJW 1973, 702 f., juris Tz. 17/18; OLG München, Urteil vom 24.11.2006, Az. 10
U 2555/06, juris Tz. 27 m.w.N.; OLGR Saarbrücken 2000, 452 ff., juris Tz. 71; OLG Hamm,
NZV 1996, 69 f., juris Tz. 12), aber auch die Beeinträchtigungen des Klägers können
ersichtlich zu Komplikationen und Folgeschäden, wie etwa durch weitere
verletzungsbedingte Stürze verursacht, führen.
III.
63 Der Schriftsatz des Klägers vom 30.11.2012 (II 95/97) bot keine Veranlassung zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, §§ 156, 296a ZPO. Die Parteien haben
zum erörterten Beweisergebnis streitig verhandelt (Sitzungsniederschrift vom 07.11.2012,
S. 8, II 82). Den Parteien war kein förmliches Schriftsatzrecht zur Stellungnahme zum
Beweisergebnis mehr einzuräumen. Die Gelegenheit dazu bestand hier unabhängig von
einem solchen. Denn zwischen mündlicher Verhandlung und dem Termin zur Verkündung
einer Entscheidung lag ein Zeitraum von über vier Wochen, ohne dass sich die Beklagten
- anders als der Kläger - geäußert haben und, ohne dass sie darauf vertrauen durften,
ihnen werde noch ein förmliches Schriftsatzrecht eingeräumt. Damit bestand auch für die
Beklagten die Möglichkeit zu einer sachgerechten Reaktion auf den erreichten
Verfahrensstand.
64 Die Nebenentscheidung folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Eine Sicherheitsleistung ist mangels
vollstreckungsfähigem Tenor der Entscheidung nicht zu bestimmen. Das Landgericht hat
einheitlich auch über die Kosten des Berufungsrechtszugs zu entscheiden. Die
Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.