Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.09.2005
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OLG Karlsruhe Beschluß vom 8.9.2005, 1 AK 32/04
Auslieferungsrecht: Erneute Entscheidung über die Zulässigkeit einer bereits bewilligten Auslieferung
Leitsätze
1. Ist die Auslieferung eines Verfolgten an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union bereits bewilligt worden, stellt die zeitlich nachfolgende
Nichtigkeitserklärung des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG) vom 21. Juli 2004 durch Urteil des
Bundesverfassungsgericht vom 18.07.2005 keinen neuen Umstand i.S.d. § 33 Abs.1 IRG dar, wenn die gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung nicht
durch verfassungsrechtlich erhebliche Willensmängel beeinflusst worden ist
2. Ein von einer Justizbehörde eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union ausgestellter und von dieser übersandter Europäischer Haftbefehl
steht hinsichtlich des Geschäftsweges einem förmlichem auf dem diplomatischen Weg übermitteltem Auslieferungsersuchen nach Art. 12 Abs. 1 Satz
2 EuAlÜbk gleich.
Tenor
Der Antrag des Verfolgten, erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nach Österreich zum Zwecke der Strafverfolgung aufgrund
des Nachtragsersuchen des österreichischen Justizbehörden vom 29. April 2005 zu entscheiden, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Der Senat hat mit Beschluss vom 16.02.2005 die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung nach Österreich aufgrund des Europäischen
Haftbefehls des Landgerichts Wien vom 18.11.2004 für zulässig erklärt, worauf dieser am 08.03.2005 überstellt wurde. Das Landgericht Wien hat
mit Schreiben vom 29.04.2005 an die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe um Erstreckung der Auslieferung auf die im Europäischen Haftbefehl
des Landgerichts Wien vom 29.04.2005 ergänzend neben den ursprünglichen Tatvorwürfen weiterhin aufgeführten Straftaten ersucht. Mit
Beschluss vom 11.07.2005 hat der Senat nach Anhörung des Rechtsbeistandes des Verfolgten ausgesprochen, dass die Auslieferung zum
Zwecke der Strafverfolgung auch gemäß dem Nachtragsersuchen der österreichischen Justizbehörden vom 29.04.2005 zulässig gewesen wäre (§
35 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Am 13.07.2005 hat die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe gegenüber den österreichischen Justizbehörden insoweit die
Bewilligung der Auslieferung erklärt.
2 Mit Schreiben vom 19.07.2005 hat der Rechtsbeistand des Verfolgten unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
18.07.2005 (Az.: 2 BvR 2236/04; abgedruckt in: NJW 2005, 2289 ff.) gegen den Senatsbeschluss vom 11.07.2005 Rechtsmittel eingelegt. Die
Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat auf Verwerfung desselben als unzulässig angetragen.
II.
3 Der Antrag hat keinen Erfolg.
4 Ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in Auslieferungssachen sieht das IRG nicht vor (§ 13 Abs. 2 IRG), so dass der
Antrag des Rechtsbeistandes vom 19.07.2005 in ein Gesuch um erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung umzudeuten ist (§
33 Abs. 1 IRG). Auch insoweit erweist sich dieses als nicht (mehr) zulässig.
5 Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe als zuständige Behörde auch hinsichtlich des Nachtragsersuchen des Landgerichts Wien vom
29.04.2005 die Auslieferung bewilligt hat, ist zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag
über die Auslieferung des Verfolgten zustande gekommen, welcher nur in engen Ausnahmefällen widerrufen werden könnte, etwa für den Fall des
Vorliegens von Willensmängel im Hinblick auf in völkerrechtlich zulässigem Umfang bestehende Irrtumseinwände bei verfassungsrechtlichen
Auslieferungsverboten (vgl. hierzu näher OLG Düsseldorf OLGSt IRG § 33 Nr. 2,3; Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl. 1998, § 33 Rn. 7 und § 73
Rn. 7; Grützner/Pötz-Vogler, IRG, Loseblattauflage, 1998, § 33 Rn. 36 ff.). Solche Verstöße sind aber nicht ersichtlich und werden vom
Rechtsbeistand des Verfolgten auch nicht vorgebracht, insbesondere ist das rechtliche Gehör des Verfolgten gewahrt worden, da dieser
ausweislich des Protokolls über seine Vernehmung durch einen Richter des Landgerichts Wien vom 10.03.2005 zum dem Nachtragsersuchen in
Österreich vorher gehört und auch seinem Rechtsbeistand in der Bundesrepublik Deutschland Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.
Allein die Nichtigkeitserklärung des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die
Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG) vom 21. Juli 2004 durch
Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 18.07.2005 reicht hierfür nicht aus, zumal Auslieferungsverbote auch nach § 73 Satz 2 IRG a.K. ebenso
wie nunmehr nach § 73 IRG zu berücksichtigen gewesen wären und vom Senat bei seinen Beschlüssen vom 20.12.2004, 25.01.2005,
16.02.2005, 28.02.2005 und 11.07.2005 von Amts wegen auch geprüft und verneint worden sind.
6 Im Übrigen wäre der Antrag auch unbegründet, da auch unter veränderter Rechtslage und der nunmehrigen Anwendbarkeit des EuAlÜbk die
Auslieferung des Verfolgten nach Österreich aufgrund des Nachtragsersuchens des Landgerichts Wien 29.04.2005 als zulässig anzusehen wäre.
7 Dabei misst der Senat dem Umstand, dass die österreichischen Justizbehörden kein förmliches Auslieferungsersuchen i.S.d. Art. 12 Abs. 1
EuAlÜbk auf dem diplomatischen Weg übermittelt haben, keine maßgebliche Bedeutung bei. Der auf dem unmittelbaren Geschäftsweg
übersandte Europäische Haftbefehl des Landgerichts Wien vom 29.04.2005 würde hierfür weiterhin als Rechtsgrundlage ausreichen. Zum einen
genügte dieser zum Zeitpunkt der Übermittlung noch den in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlichen Anforderungen und stand einem
Auslieferungsersuchen i.S.d. § 10 IRG gleich (§ 83 a Abs. 1 IRG a.K). Auch ist zu sehen, dass auch das EuAlÜbk die Möglichkeit abweichender
Vereinbarungen hinsichtlich des Geschäftsweges vorsieht (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 EuAlÜbk) und eine solche in der weiterhin wirksamen
Vereinbarung der Mitgliedstaaten zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 13.06.2002 ( Rb-EUHb ) zu sehen ist, auch wenn diese nicht in das nationale Recht transformiert
wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2005, 2 Ausl. 206/04). Auch den weiteren formellen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk
wäre genügt, zumal dem Senat auch der Ergänzungsbeschluss des Landgerichts Wien vom 29.04.2005, mit welchem weitere Straftaten in die
ursprüngliche Haftgrundlage mit einbezogen wurden, und die in Österreich anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen vorliegen.
8 Auch in materieller Hinsicht wäre die Auslieferung weiterhin als zulässig anzusehen, da die dem Verfolgten im Nachtragsersuchen vom
29.04.2005 vorgeworfenen weiteren Straftaten auch nach deutschem Recht unter dem Gesichtspunkt des Betruges nach § 263 StGB strafbar
anzusehen sind und sich damit als rechtswidrige Taten im Sinne des § 3 Abs. 1 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk darstellen. Ein solches strafbares
Verhalten ist nach dem Recht beider Staaten mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht. Damit wäre auch das
vom Senat nach Maßgabe des § 81 Nr. 5 IRG a.K, Art.2 Abs. 2 RbEuHb ursprünglich nicht zu prüfende Vorliegen der beiderseitige Strafbarkeit
unter Geltung des EuAlÜbk zu bejahen.