Urteil des OLG Karlsruhe vom 23.09.2003
OLG Karlsruhe: elterliche sorge, verfügung, obsiegen, schriftlichkeit, ausnahme, prozessvertreter, vertretung, hinweispflicht, rechtsberatung, scheidung
OLG Karlsruhe Beschluß vom 23.9.2003, 20 WF 178/02
Prozesskostenhilfeverfahren: Beiordnung eines Verkehrsanwalts in einfachen Sachen
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 18. Oktober 2002 - 3 F 77/01 -
, soweit in diesem dem Antragsteller kein Verkehrsanwalt beigeordnet worden ist, abgeändert.
Dem Antragsteller wird mit Wirkung ab Antragstellung (27. April 2001) Rechtsanwalt ... als Verkehrsanwalt beigeordnet.
Gründe
1 I. Der Antragsteller, der zunächst in ... und später in ... gewohnt hat, hat mit Schriftsatz seines in ... ansässigen Prozessbevollmächtigten vom
27.04.2001 unter Bezugnahme auf ein vorangegangenes Prozesskostenhilfe-Gesuch für das vorliegende Scheidungsverbundverfahren
beantragt, „die Rechtsanwälte ... u. ... als Korrespondenzanwälte und die Rechtsanwälte ... & ..., als örtliche Bevollmächtigte beizuordnen“ (AS. 17).
Die Ehe der Parteien ist mit Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Pforzheim vom 18.10.2002 geschieden worden. Im Rahmen des
Verbundurteils ist die elterliche Sorge für die ehegemeinschaftlichen Kinder auf die Mutter übertragen und festgestellt worden, dass ein
Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Die Parteien waren sich über die Scheidung einig, der Vater ist dem Antrag der Mutter auf Übertragung der
elterlichen Sorge nicht entgegengetreten und der Antragsteller hat sich zum Antrag der Antragsgegnerin auf Ausschluss des
Versorgungsausgleichs nicht geäußert. Mit Beschluss vom 18.10.2002 ist dem Antragsteller zwar Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwältin ..., bewilligt worden, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Karlsruhe der Antrag auf Beiordnung
eines Verkehrsanwalts aber zurückgewiesen worden.
2 Gegen den ihm am 04.11.2002 (AS. 73) zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom
19.11.2002, eingegangen beim Amtsgericht Pforzheim am 21.11.2002 (AS. 77), (sofortige) Beschwerde eingelegt. Er hat diese insbesondere
damit begründet, dass die mehr als 1 1/2 Jahre nach Antragstellung ergangene Entscheidung überraschend gewesen sei und es dem
Antragsteller unmöglich gemacht hätte, auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, auf die das Amtsgericht hätte hinweisen
müssen, zu reagieren.
3 Das Amtsgericht - Familiengericht - Pforzheim hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 25.11.2002 (AS. 81) nicht abgeholfen und hierzu
insbesondere ausgeführt, die Entscheidung sei nicht überraschend gewesen, eine Hinweispflicht des Gerichtes habe nicht bestanden und der
Antragsteller habe die besonderen Umstände i.S.d. § 121 Abs. 4 ZPO nicht dargelegt.
4 Der Antragsteller hat hierauf seinen bisherigen Vortrag unter Hinweis auf die Zusage von Prozesskostenhilfe mit gerichtlicher Verfügung vom
21.05.2001 (AS 9 VA) vertieft und insbesondere die Auffassung vertreten, dass bei einer Entfernung von 250 km zwischen Wohnort und
Prozessgericht es keiner weiteren Darlegung der besonderen Umstände i.S.d. § 121 Abs. 4 ZPO bedürfe.
5 II. Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig; sie ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Amtsgericht die
Beiordnung eines Verkehrsanwaltes abgelehnt.
6 Denn im vorliegenden Falle erfordern besondere Umstände i.S.d. § 121 Abs. 4 ZPO die Beiordnung eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts
zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten. Besondere Umstände liegen regelmäßig dann vor, wenn die Beiziehung eines
Verkehrsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung i.S.d. § 91 Abs. 1 ZPO „notwendig“ ist (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs,
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 2. Aufl., Rn 578; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 121 Rn 20, jeweils m.w.N.). Maßstab für die Einschaltung
eines Verkehrs- oder Korrespondenzanwalts ist somit, ob eine vermögende Partei von sich aus ebenfalls diese Mehrkosten aufwenden und
anschließend bei einem Obsiegen als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig erstattet erhalten würde.
Dieser Maßstab hat sich im Lichte der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16.10.2002 (MDR 2003, 233) dahingehend geändert, dass die
Anforderungen an die besonderen Umstände i.S.d. § 121 Abs. 4 ZPO gesunken sind. Ein solcher besonderer Umstand ist hier die Entfernung des
Wohnsitzes des Antragstellers zur Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten in Pforzheim, der dem Antragsteller im Rahmen der Bewilligung von
Prozesskostenhilfe als Hauptbevollmächtigter beigeordnet worden ist. Eine Reise über 250 km ist unzumutbar. Auf die Schriftlichkeit des Kontakts
zu seinem Prozessbevollmächtigten kann der Antragsteller nicht verwiesen werden. Der Senat schließt sich insoweit dem BGH (MDR 2003, 233)
an. Hiernach ist die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohnsitzes ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende
Partei im Regelfall eine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Maßnahme i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. ZPO. Nachdem seit
01.01.2000 jeder an einem Amts- oder Landgericht zugelassene Rechtsanwalt vor jedem Landgericht postulationsfähig ist, darf nach Auffassung
des BGH auch eine ihre Belange vernünftig und kostenbewusst wahrnehmende Partei für das zur Verfolgung ihrer Interessen notwendige
persönliche Beratungsgespräch mit einem Rechtsanwalt den für sie einfacheren und naheliegenden Weg wählen, einen an ihrem Wohn- oder
Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten zu beauftragen.
7 Danach ist nunmehr grundsätzlich auch in einfach gelagerten Scheidungsverbundsachen das persönliche Beratungsgespräch erforderlich (a.A.
vor der Entscheidung des BGH: OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 304, 305; vgl. zum Meinungsstand vor der Entscheidung des BGH: Zimmermann,
Prozesskostenhilfe in Familiensachen, 2. Aufl., Rn 363 m.w.N.). Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Beauftragung eines in der Nähe des
Wohnorts ansässigen Rechtsanwaltes eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. ZPO darstellt,
ist nicht ersichtlich. Insbesondere liegt kein Fall vor, bei dem bereits im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwaltes feststeht, dass ein
eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich ist (vgl. BGH MDR 2003, 233, 235).
8 Im Hinblick darauf, dass bei Anwaltssozietäten nur ein namentlich zu benennender Anwalt beigeordnet werden kann (vgl. Zöller/Philippi, a.a.O.,
Rn 2 m.w.N.), hat das Gericht den mutmaßlich gewählten Prozessvertreter des Antragstellers, Rechtsanwalt ..., der ausweislich des Diktatzeichens
„...“ die Schriftsätze verfasst und wohl auch unterschrieben hat, dem Antragsteller beigeordnet.
9 Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).