Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.03.2007

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OLG Karlsruhe Urteil vom 8.3.2007, 19 U 127/06
Kfz-Kaskoversicherung: Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch fehlende
Sicherung des abgestellten Fahrzeugs gegen Wegrollen auf Gefällestrecke
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 2.08.2006 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Darstellung eines Tatbestandes ist entbehrlich (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).
II.
2
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
3
Das landgerichtliche Urteil bejaht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses gem. § 61
VVG und auch die in der Berufungsinstanz zu Grunde zu legenden tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen
keine abweichende Entscheidung (§ 513 ZPO).
4
1. Auf der Grundlage der Anhörung des Sachverständigen L. und der unwidersprochenen Verwertung des
DEKRA-Gutachtens zum Gefälle des ...wegs stellt das erstinstanzliche Urteil zutreffend ein objektiv grob
fahrlässiges Verhalten des Klägers fest.
5
Grob fahrlässig ist ein Handeln, bei dem nach den gesamten Umständen die erforderliche Sorgfalt in einem
ungewöhnlich hohen Maß verletzt ist und dasjenige unbeachtet bleibt, was jedem in der gegebenen Situation
hätte einleuchten müssen, wobei grundsätzlich auch unbewusste Fahrlässigkeit den Vorwurf groben
Fehlverhaltens rechtfertigen kann (BGH VersR 1989, 582; BGH VersR 2003, 364).
6
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Straße im fraglichen Bereich, in dem der Kläger sein Auto
abgestellt hatte, ein Gefälle von ungefähr 10 % aufwies; davon geht - von den Parteien unwidersprochen - auch
der Sachverständige L. aus. Unter diesen Umständen war der Kläger gehalten, sein Fahrzeug gegen Wegrollen
zu sichern (§ 14 Abs. 2 S. 1 StVO), wobei nach Auskunft des Sachverständigen, die auch der Kläger nicht in
Frage stellt, dazu nicht allein das Anziehen der Handbremse genügte, sondern vorrangig erforderlich war, den
ersten Gang einzulegen.
7
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger diesen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt, da der
Sachverständige sowohl ausgeschlossen hat, dass der eingelegte Gang durch Schaukelbewegungen am
Fahrzeug herausgesprungen, als auch, dass das Fahrzeug trotz eingelegten Ganges weggerollt sein könnte.
Auch sei nicht denkbar, dass der erste Gang zur Sicherung des Fahrzeugs nicht ausreichend gewesen sein
könnte. Dafür, dass Getriebeverschleiß für die zureichende Sicherung verantwortlich gewesen sein könnte,
fehlen Anhaltspunkte; entsprechend greift die Berufung diesen Gesichtspunkt auch nicht auf.
8
Soweit der Kläger mit seiner Berufung rügt, das Landgericht habe nicht ausreichend aufgeklärt, ob
möglicherweise versehentlich der dritte Gang eingelegt gewesen sei, rechtfertigt dies eine abweichende
Entscheidung nicht.
9
Die im Wege des Anscheinsbeweises getroffene Feststellung des Landgerichts, der Kläger habe den ersten
Gang nicht eingelegt gehabt, wird dadurch nicht erschüttert; Anhaltspunkte dafür, dass aus Versehen der dritte
Gang eingelegt war, fehlen.
10 Im Ergebnis kann jedoch dahinstehen, ob der Kläger versehentlich den dritten Gang eingelegt gehabt hatte, da
auch dann ein grober Sorgfaltsverstoß zu bejahen wäre. Die Gefahrensituation einer stark abschüssigen Straße
erforderte nämlich besondere Aufmerksamkeit, so dass der Kläger gehalten gewesen wäre, sich mit Sorgfalt zu
vergewissern, tatsächlich den richtigen Gang eingelegt zu haben. Dies zumal der Sachverständige für ein
Gefälle von 10 % den ersten Gang nur gerade noch für ausreichend erachtet hat und es für empfehlenswerter
hielt, das Fahrzeug sogar mit Hilfe des Rückwärtsganges zu sichern.
11 Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts sind deshalb nicht zu beanstanden und tragen die rechtliche
Wertung, der Kläger habe sich, da er sein Fahrzeug nicht ausreichend gegen Wegrollen gesichert hatte,
objektiv grob fahrlässig verhalten (vgl. OLG Düsseldorf NVersZ 2002, 364).
12 2. Ebenfalls zutreffend bejaht die erstinstanzliche Entscheidung auch einen subjektiv groben Sorgfaltsverstoß.
13 Zwar kann aus objektiv grob fahrlässigem Fehlverhalten nicht regelhaft auch auf eine subjektive
Unentschuldbarkeit geschlossen werden, jedoch erlaubt das Ausmaß des objektiven Verstoßes jedenfalls
grundsätzlich Rückschlüsse auf innere Vorgänge (BGH VersR 2003, 364; BGHZ 119, 147). Vorliegend ist
deshalb davon auszugehen, dass der Kläger der Sicherung seines Fahrzeuges nicht die gebotene
Aufmerksamkeit geschenkt und sich nicht vergewissert hatte, auch den ersten Gang eingelegt zu haben,
obwohl ihm infolge des starken Gefälles eine nicht unerhebliche Gefahr bewusst gewesen sein musste. Je
größer die Gefährlichkeit der gegebenen Situation ist, desto höhere Anforderungen sind an das Verhalten des
Versicherungsnehmers zu stellen. Deshalb entlastet es den Kläger nicht, dass er das Einlegen des Ganges
möglicherweise „aus Versehen“ vergessen hatte. Allein die Berufung auf ein Versehen oder
„Augenblicksversagen“ genügt nicht, das Verhalten des Versicherungsnehmers als entschuldbar zu
qualifizieren. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger mit der Behauptung eines so genannte
Augenblicksversagens in zweiter Instanz überhaupt noch gehört werden kann, nachdem er schon ein
objektives Versäumnis in erster Instanz ausdrücklich bestritten hatte. Anhaltspunkte, die das objektiv grob
fahrlässige Verhalten des Klägers ausnahmsweise entschuldigen könnten, sind nämlich weder vorgebracht
noch ersichtlich.
14 Im vorliegenden Fall entlastet den Kläger insbesondere nicht, dass es sich bei der Sicherung eines Fahrzeugs
gegen Wegrollen (durch Gang und Handbremse) um einen mehraktigen Routinevorgang handelt. Das
Vergessen eines von verschiedenen Handgriffen in einem zur Routine gewordenen Handlungsablauf, das auch
einem üblicherweise mit seinem Eigentum sorgfältig umgehenden Versicherungsnehmer passieren kann, ist
nur dann der typische Fall eines Augenblicksversagens, der das „Verdikt der groben Fahrlässigkeit“ nicht
verdient, wenn der Versicherungsnehmer einen der Routinehandgriffe ausnahmsweise - durch äußere
Umstände abgelenkt - vergisst (BGH VersR 1989, 582; BGH NJW 1986, 2838). Solche besonderen Umstände
hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen. Grundsätzlich hat zwar nicht der Kläger den Entlastungsbeweis zu
führen, sondern die Beklagte die Voraussetzungen der subjektiven Vorwerfbarkeit darzulegen und zu beweisen.
Dennoch wäre es zunächst Sache des Klägers gewesen, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen, da die
Beklagte außerhalb des zu beweisenden Geschehensablaufes steht und die maßgebenden Tatsachen nicht
näher kennt, während sie dem Kläger bekannt sind und ihm ergänzende Angaben deshalb zuzumuten sind
(BGH VersR 2003, 364 m.N.). Dieser Substantiierungslast hat der Kläger auch in der Berufungsinstanz nicht
genügt, obwohl bereits das landgerichtliche Urteil zutreffend auf dieses Erfordernis hingewiesen hat (UA 6, 1.
Absatz a.E.).
III.
15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§
708 Nr.10, 713 ZPO. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).