Urteil des OLG Karlsruhe vom 22.03.2006
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OLG Karlsruhe Beschluß vom 22.3.2006, 16 WF 46/06
Geltendmachung von Kindesunterhaltsansprüchen durch den betreuenden Elternteil bei Getrenntleben:
Beweislast für die eigene überwiegende tatsächliche Fürsorge
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht -
Heidelberg vom 22.2.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um Kindesunterhalt ab Oktober 2005. Sie haben am 18.12.1998 die Ehe geschlossen. Am
… 1999 wurde das gemeinsame Kind … geboren. Seit Oktober 2003 leben die Parteien getrennt. Wo … seinen
Lebensmittelpunkt hat, ist streitig. Der Antragsgegner zahlt die Hortkosten für ... .
2
Im Oktober 2003 forderte der vormalige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin den Antragsgegner zur
Zahlung von Kindesunterhalt auf. Der Anspruch wurde, nachdem der Antragsgegnervertreter einen
Kindesunterhalt in Höhe von 176 EUR errechnete, nicht mehr weiter verfolgt. Der Antragsgegner zahlte im
Dezember 2003 100 EUR Gesamtunterhalt an die Antragstellerin, im Übrigen hat er keinen Unterhalt gezahlt.
3
Mit Schreiben vom 4.10.2005 ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten hat die Antragstellerin den Antragsgegner
zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 257 EUR monatlich aufgefordert.
4
Die Antragstellerin hat vorgetragen:
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Unter Zugrundelegung seines Einkommens sei der Antragsgegner zur Zahlung des begehrten Kindesunterhalts
leistungsfähig. … habe seinen Lebensmittelpunkt bei ihr.
6
Die Antragstellerin hat Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Kindesunterhalt in Höhe von 257
EUR monatlich ab Oktober 2005 begehrt.
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Der Antragsgegner hat Zurückweisung des Antrags beantragt.
8
Der Antragsgegner hat vorgetragen:
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Die Betreuung von … sei von beiden Elternteilen in gleichem Umfang geleistet worden. Der Antragsgegner sei
nicht zur Zahlung von Barunterhalt verpflichtet. … sei seit Februar 2006 beim Antragsgegner gemeldet. Im
Übrigen sei er zur Zahlung des beantragten Kindesunterhalts nur teilweise leistungsfähig.
10 Mit Beschluss vom 22.2.2006 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Heidelberg den Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Familiengericht im wesentlichen ausgeführt,
die Antragstellerin habe ihre Prozessführungsbefugnis nicht ausreichend dargetan.
11 Gegen den dem Antragstellervertreter am 24.2.2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der
Antragstellerin vom 9.3.2006, beim Amtsgericht eingegangen am gleichen Tag.
12 Die Antragstellerin trägt vor:
13 Der Antragsgegnervertreter habe selbst mit Schreiben vom 10.11.2003 bestätigt, dass ... seinen
Lebensmittelpunkt bei der Antragstellerin haben solle. Diese betreue den Sohn auch überwiegend, ein
Wechselmodell liege nicht vor.
14 Mit Beschluss vom 10.3.2006 hat das Amtsgericht der Beschwerde unter Hinweis auf die fehlende
Klagebefugnis nicht abgeholfen und das Verfahren dem Senat vorgelegt
II.
15 Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
16 Die Antragstellerin hat ihre Befugnis gemäß §§ 1629 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 BGB die
Unterhaltsansprüche für ... in eigenem Namen geltend zu machen, nicht ausreichend dargetan. Gemäß § 1629
Abs. 3 Satz 1 BGB können Kindesunterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil vom betreuenden
Elternteil nur im eigenen Namen geltend gemacht werden. Dies setzt jedoch voraus, dass der klagende
Elternteil die Obhut über das Kind hat. Obhut bedeutet die tatsächliche Fürsorge für das Kind. Betreuen beide
Elternteile nach der Trennung der Parteien das Kind gemeinsam weiter, ist darauf abzustellen, bei welchem
Elternteil der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Erziehung liegt. Streitig ist, ob ein geringfügig
höherer Betreuungsanteil eines Elternteils für eine Prozessführungsbefugnis genügt (bejahend: OLG Düsseldorf
NJW 2001, 3344; Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Auflage, Rdnr. 31 zu § 1629 BGB; Hoppenz/van Els,
Familiensachen. 8. Auflage, A I, Rdnr. 16 zu § 1629 BGB; verneinend: KG FamRZ 2003, 53; OLG München
FamRZ 2003, 248; Johannsen/Jaeger, Eherecht, 4. Auflage, Rdnr. 6 zu § 1629 BGB, Münchener
Kommentar/Huber, 4. Auflage 2002, Rdnr. 88 zu § 1629 BGB).
17 Die Beweislast für die eigene überwiegende tatsächliche Fürsorge liegt bei dem Elternteil, der Unterhalt für das
Kind verlangt (h. M. vgl. z.B. OLG Hamburg FamRZ 2001, 1235; Diederichsen, a.a.O., Rdnr. 31 zu § 1629
BGB). Lässt sich der Schwerpunkt der Betreuung nicht feststellen, fällt keinem Elternteil die
Alleinvertretungsbefugnis zu. Ein Elternteil, der den anderen Elternteil für barunterhaltspflichtig hält, muss dann
beim Familiengericht beantragen, einen Unterhaltspfleger für das Kind zu bestellen (Jaeger, a.a.O., Rdnr. 6 zu
§ 1629 BGB auch unter Hinweis auf eine Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens nach § 1628 BGB).
18 Die Antragstellerin hat nicht dargetan, dass sie ... überwiegend allein betreut. Auch eine geringfügig
überschießende Versorgung ist nicht substantiiert vorgetragen, so dass nicht entschieden werden muss, ob
diese überhaupt zur Annahme der Prozessführungsbefugnis ausreichen würde.
19 Mit Schriftsatz vom 19.1.2006 hat der Antragsgegner die Betreuungszeiten im streitgegenständlichen Zeitraum
dargelegt. Danach war ... im Oktober 2005 mehr als die Hälfte des Monats beim Antragsgegner, ebenso im
November und im Dezember 2005. Die Antragstellerin hat ausgeführt, die Ausweitung der Betreuung durch den
Antragsgegner sei von diesem im Hinblick auf den Unterhaltsprozess erfolgt und durch ihre Berufstätigkeit
bedingt. Die Betreuung während der Weihnachtsferien sei hälftig erfolgt. Dies ändert jedoch nichts am Umfang
der Betreuung durch den Antragsgegner. Auch in der Beschwerdeschrift ist keine substantiierte anderweitige
Darstellung enthalten.
20 Unstreitig befindet sich ... auch seit Januar 2006 jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag/Montag und an
mindestens zwei Nächten unter der Woche beim Antragsgegner, wird damit also mindestens im gleichen
Umfang vom Antragsgegner wie von der Antragstellerin betreut.
21 Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).
22 Für die erfolglose Beschwerde wird eine Gebühr von 50 EUR erhoben.