Urteil des OLG Karlsruhe vom 02.10.2012

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OLG Karlsruhe Urteil vom 2.10.2012, 12 U 99/12
Rechtsschutzversicherung: Ausschluss der Baurisikoklausel
Leitsätze
Der Ausschluss der Baurisikoklausel des § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 entfällt nicht deshalb, weil
im Zusammenhang mit der Eingehung eines Bauvertrags dem Vertragspartner Betrug
vorgeworfen wird.
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22.5.2012 (3 O
12/12) wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn
nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Kläger begehren von der Beklagten Deckungsschutz aus einer
Rechtsschutzversicherung.
2 Die Klägerin zu 1 unterhält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung, die den
Kläger zu 2 als mitversicherte Person einschließt. Dem Vertrag liegen die ARB 2002
zugrunde, die unter § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 folgende Ausschlussklausel vorsehen:
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"Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem
Zusammenhang mit der Planung oder Errichtung eines Gebäudes oder Gebäudeteiles,
der sich im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befindet oder das dieser zu
erwerben oder in Besitz zu nehmen beabsichtigt“.
4 Die Kläger erwarben unter Vermittlung von Herrn Willfried K. ein Grundstück in I. Mit
Vereinbarung vom 14.4.2011 beauftragte der Kläger zu 2 Herrn K. als Inhaber des Büros
„K.bautechnik und Projektentwicklung“ mit der "Erstellung einer Doppelhaushälfte" auf
dem erworbenen Grundstück. Auf Aufforderung des Rohbauunternehmers, der Firma D.
Bau-GmbH, erteilten die Kläger Herrn K. Vertretungsvollmacht. Bei Vertragsschluss
gingen die Kläger davon aus, dass Willfried K. die Bauleistungen in eigener Person
erbringen werde. Tatsächlich schuldete Willfried K. aus der Vereinbarung vom 14.4.2011
lediglich die Erbringung von Planungs- und Betreuungsleistungen. Ohne Kenntnis der
Kläger beauftragte Willfried K. namens der Kläger die D. Bau-GmbH mit den
Rohbauarbeiten. Sowohl Herr K. als auch die D. Bau-GmbH forderten von den Klägern
Teilzahlungen orientiert am Baufortschritt, die von den Klägern bis auf einen Restbetrag
Teilzahlungen orientiert am Baufortschritt, die von den Klägern bis auf einen Restbetrag
aus den Rechnungen der D. Bau-GmbH bezahlt wurden. Auf Anfrage der Kläger nach
dem Inhalt seiner Leistungspflicht und der Verrechnung der Zahlungen auf die
Werkleistung teilte Willfried K. mit, das Projekt lediglich geplant und bauleitend begleitet
zu haben.
5 Mit der Begründung, systematisch von Willfried K. und dem Geschäftsführer der D. Bau-
GmbH über den Inhalt der Leistungspflicht von Herrn K. getäuscht worden zu sein,
ersuchten die Kläger die Beklagte um Bewilligung von Versicherungsschutz zur
Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Willfried K. und den Geschäftsführer
der D. Bau-GmbH, was die Beklagte unter Hinweis auf die Ausschlussklausel nach § 3
Abs. 1 b) bb) der Versicherungsbedingungen ablehnte.
6 Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Ausschlussklausel erfasse nicht die
Rechtsangelegenheit, da Gegenstand der Schadensersatzansprüche nicht der
bauvertragliche Leistungsaustausch, sondern ein Betrugsgeschehen sei, welches nicht in
einem inneren Zusammenhang mit den typischen Risiken der Planung und Erstellung
eines Gebäudes stehe.
7 Die Kläger haben beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, EUR 6.060,23 nebst Zinsen hierauf von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Kläger zu 1. und 2.
zu zahlen;
9
2. festzustellen, dass die Beklagte den Klägern zu 1. und 2. gegenüber verpflichtet ist,
alle darüber hinausgehenden Kosten aus deren Rechtsstreit gegen Herrn Wilfried K. und
Herrn Gunther D. im Zusammenhang mit den Rechnungen des Herrn K. vom 27.05.2011
(„Beginn der Erdarbeiten“), vom 27.05.2011 („Beginn der Bauarbeiten“), vom 30.06.2011
(„Betonieren der Bodenplatte“), vom 08.07.2011 („Herstellen der
Kellergeschossaußenwände“), vom 15.07.2011 („Herstellen der
Erdgeschossaußenwände“) und vom 11.08.2011 („Abdichten der
Kellergeschossaußenwände“) zu tragen.
10 Die Beklagte hat beantragt,
11 die Klage abzuweisen.
12 Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, hinsichtlich der von den Klägern angestrebten
Schadensersatzklage bestehe ein zeitlicher sowie innerer sachlicher Zusammenhang zu
einem nicht versicherten Baurisiko, da die Auslegung und Durchführung der
geschlossenen Bauverträge im Streit sei.
13 Mit Urteil vom 22.5.2012, auf dessen Feststellungen im Übrigen verwiesen wird, hat das
Landgericht die Klage unter Hinweis auf den Ausschluss des Versicherungsschutzes nach
§ 3 Abs. 1 b) bb) ARB abgewiesen. Gegenstand der Auseinandersetzung sei die
Auslegung der Bauverträge sowie die Frage, ob die Bauleistungen ordnungsgemäß
abgerechnet worden seien, womit aber das typische Baurisiko betroffen sei, das nach der
Ausschlussklausel vom Versicherungsschutz ausgenommen werde.
14 Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihr Klagebegehren
weiterverfolgen. Das Landgericht habe das maßgebliche Rechtsschutzinteresse der
Kläger verkannt, das sich auf einen Betrugsvorwurf stütze und nicht von der
Ausschlussklausel umfasst sei. Den Klägern gehe es nicht um die Abwicklung des
Vertrages sondern darum, dass Herr K. Leistungen abgerechnet habe, die nicht von ihm,
sondern von der Firma D. Bau GmbH erbracht worden seien. Eine Auslegung des
Vertrages sei zur Feststellung des Betruges nicht erforderlich. Aber selbst wenn die
Feststellung des Betruges von der Auslegung des Vertrages abhinge, erhielte das
verfolgte Interesse nicht das Gepräge eines typischen Baurechtsstreits, da es nicht um den
bauvertraglichen Leistungsaustausch und typischerweise damit verbundene Störungen
gehe. Der allein vorgebrachte Vorwurf des Betruges stehe vielmehr, wie sich aus den
Entscheidungen des BGH vom 10.11.1993 (BGH Urt. v. 10.11.1993 - IV ZR 87/93) und
vom 19.2.2003 (BGH Urt. v. 19.2.2003 - IV ZR 318/02) ergebe, außerhalb des mit der
Baurisikoklausel verfolgten Zwecks.
15 Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der
Berufung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze sowie die zur Akte gereichten Anlagen Bezug genommen.
II.
16 Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte ist den Klägern nicht zur
Gewährung von Deckungsschutz aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag verpflichtet,
da die beabsichtigte Rechtsverfolgung unter die Ausschlussklausel nach § 3 Abs. 1 b) bb)
ARB 2002 fällt und daher vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.
17 1. Versicherungsbedingungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH so
auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger
Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren
Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeit
eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit -
auch - auf seine Interessen an (BGH VersR 2001, 489; BGH VersR 2003, 454). Bei
Risikoausschlussklauseln - wie vorliegend bei § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 der Fall - geht
das Interesse des Versicherungsnehmers regelmäßig dahin, dass der
Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel es
gebietet. Ihr Anwendungsbereich darf nicht weiter ausgedehnt werden, als es ihr Sinn
unter Beachtung des wirtschaftlichen Ziels und der gewählten Ausdrucksweise erfordert.
Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er
Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden
(BGH VersR 2001, 489; BGH VersR 2003, 454).
18 2. Dabei verfolgt die Ausschlussklausel § 3 Abs. 1 b) bb) ARB 2002 den - auch für den
durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren - Zweck, die erfahrungsgemäß
besonders kostenträchtigen und im Kostenrisiko schwer überschaubaren und kaum
kalkulierbaren rechtlichen Streitigkeiten um Baumaßnahmen aller Art und die sie
unmittelbar begleitenden Vorgänge von der Versicherung auszunehmen, weil nur für
einen verhältnismäßig kleinen Teil der in der Risikogemeinschaft
zusammengeschlossenen Versicherungsnehmer ein solches Risiko entstehen kann (BGH
VersR 2003, 454).
19 3. Hinsichtlich ihres sachlichen Anwendungsbereichs stellt die Klausel auf einen
ursächlichen Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes ab.
Maßgebend ist, ob die vom Versicherungsnehmer angestrebte Rechtsverfolgung der
Planung und Errichtung eines Gebäudes zuzuordnen ist. Der geforderte Zusammenhang
muss dabei nicht nur zeitlich bestehen, sondern es muss darüber hinaus auch ein innerer
sachlicher Bezug gegeben sein (BGH VersR 2003, 454). Entscheidend ist dabei die
Rechtsnatur des geltend gemachten Rechtsschutzinteresses (BGH VersR 1986, 132).
Dieses muss sich als typisches Baurisiko darstellen. Dafür sind Auseinandersetzungen
charakteristisch, die über die anlässlich eines Bauvorhabens erbrachten Leistungen
geführt werden. Es geht um die Wahrung der rechtlichen Interessen, die der Bauherr an
der Planung und Errichtung eines mangelfreien Gebäudes hat. Nur das offenbart sich dem
verständigen Versicherungsnehmer bei unbefangener Lektüre der streitbefangenen
Klausel. Es erschließt sich ihm hingegen nicht, dass er keinen Deckungsschutz für die
Durchsetzung von Ansprüchen haben soll, die zu dem Bauvorhaben selbst in keinem
unmittelbaren Bezug stehen (BGH VersR 2003, 454).
20 4. Ausgehend vom verfolgten Rechtschutzinteresse der Kläger und dem Zweck der
Ausschlussklausel ergibt die Auslegung, dass die geltend gemachten
Schadensersatzansprüche das Baurisiko betreffen und daher vom Versicherungsschutz
ausgenommen sind. Der Vorwurf des Betrugs lässt nicht den erforderlichen qualifizierten
Bezug zu der Baurisikoklausel entfallen. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die dem
Betrugsvorwurf zugrundeliegenden Umstände mit der Planung und Errichtung eines
Gebäudes in dem erforderlichen Zusammenhang stehen oder einen die Gebäudeplanung
und -errichtung unmittelbar begleitenden Vorgang betreffen.
21 a. Das Rechtsschutzbegehren der Kläger steht in ursächlichen Zusammenhang mit der
Beauftragung des Herrn K. mit der Erstellung und Planung eines Gebäudes durch
Vereinbarung vom 14.4.2011 und der ihm erteilten Vollmacht. Die Kläger stützen ihr
Schadensersatzbegehren darauf, dass Herr K. sie bei Vertragsschluss sowie bei
Abrechnung der Bauleistungen bewusst im Unklaren über den Inhalt seiner
Leistungspflicht gelassen hat, wozu der Geschäftsführer der D. Bau-GmbH Beihilfe
geleistet habe. Ihr Vorwurf einer unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 2BGB i.V.m. §
263 StGB sowie eines Verschuldens bei Vertragsschluss nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1
BGB betrifft dabei die bewusste Irreführung über Art und Umfang der Verpflichtung zu
Planung und Errichtung eines Gebäudes sowie die Erfüllung dieser Verpflichtungen.
Betroffen ist damit aber eine Streitigkeit, die den erforderlichen qualifizierten Bezug zu der
Baurisikoklausel aufweist. In diesem Fall wird aber der durchschnittliche
Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung erkennen, dass die beabsichtigte
Interessenwahrnehmung vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.
22 b. Die Baurisikoklausel ist bei verständiger Würdigung der Klausel auch nicht auf Risiken
der Abwicklung von Verträgen über Planungs- und Bauleistungen betreffend Gebäude
oder Gebäudeteile beschränkt. Vielmehr wird der um Verständnis bemühte
Versicherungsnehmer erkennen, dass der innere sachliche Zusammenhang mit dem
Interesse des Bauherrn, an der Errichtung und Planung eines mangelfreien Gebäudes
auch dann betroffen ist, wenn es schon um die Eingehung einer solchen Verpflichtung zur
Errichtung und Planung eines Gebäudes geht und das Rechtsschutzbegehren gerade an
den vertraglich festgelegten Inhalt dieser Leistungspflichten anknüpft, indem der Vorwurf
erhoben wird, über Art und Umfang der Leistungspflichten getäuscht worden zu sein. Auch
soweit die Kläger den Betrugsvorwurf daran knüpfen, Bauleistungen doppelt bezahlt zu
haben, betrifft dies einen Vorgang, der die Planungs- und Baumaßnahme unmittelbar
begleitet und mit dieser in dem geforderten qualifizierten, bautypischen Zusammenhang
steht.
23 c. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den vom Kläger zitierten Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs. Der Entscheidung vom 19.2.2003 hinsichtlich der Eintrittspflicht der
Rechtsschutzversicherung bei Streitigkeiten aus einer Beteiligung an einem
geschlossenen Immobilienfonds (Urteil v. 19.2.2003 - IV ZR 318/02 - VersR 2003, 454)
kann nicht entnommen werden, dass ein innerer Zusammenhang des
Rechtsschutzbegehrens mit dem Baurisiko schon dann nicht besteht, wenn ein
Betrugsgeschehen den Gegenstand des Rechtsschutzbegehren bildet. Vielmehr wurde in
der zitierten Entscheidung ein innerer Zusammenhang mit dem Baurisiko deshalb
verneint, weil die dem Betrugsvorwurf zugrundeliegenden Umstände keine Vorgänge
betroffen haben, die eine Baumaßnahme unmittelbar begleitet oder mit dieser in einem für
Baurisiken charakteristischen Zusammenhang gestanden haben. Der BGH sah nach dem
Rechtsschutzbegehren der Erwerber vielmehr das von der Ausschlussklausel nicht
umfasste Erwerbsrisiko als betroffen an. Auch nach der Entscheidung vom 11.10.1993
(Urteil vom 11.10.1993 - IV ZR 87/93 - VersR 1994, 44), die den Fall einer arglistigen
Täuschung über Eigenschaften des zu bebauenden Grundstücks betraf, ist für den
Anwendungsbereich der Baurisikoklausel allein maßgeblich, ob das wahrzunehmende
Interesse aus dem Erwerbsvorgang in dem von der Baurisikoklausel geforderten
qualifizierten Zusammenhang mit der Planung und Errichtung eines Gebäudes steht.
III.
24 Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
25 Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung
hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 Satz 1
ZPO.