Urteil des OLG Karlsruhe vom 03.07.2003

OLG Karlsruhe: culpa in contrahendo, allgemeine versicherungsbedingungen, versicherungsnehmer, vertragsschluss, bauwerk, versicherungsschutz, eigentumswohnung, rechtsschutzversicherung, verschulden

OLG Karlsruhe Urteil vom 3.7.2003, 12 U 53/03
Leistungsfreiheit der Rechtsschutzversicherung: Risikoausschluss "Baurisiko" bei einer Schadenersatzklage aus culpa in contrahendo
gegen eine den Kaufvertrag über eine Neubaueigentumswohnung finanzierende Bausparkasse
Leitsätze
Ein Rechtsstreit um Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsschluss mit der Bausparkasse, die den Erwerb einer neuherzustellenden
Eigentumswohnung finanziert, unterfällt dem Risikoausschluss des § 3 Abs. 1 d dd ARB 94.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24. April 2003 - 3 O 43/03 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden,
wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Der Kläger begehrt Deckungsschutz aus einer bei der Beklagten genommenen Privat- und Berufs-Rechtsschutzversicherung für
Nichtselbstständige. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 1994 (ARB 94) zugrunde.
2
Der Kläger und seine Ehefrau erwarben aufgrund notariell beurkundeter Erklärung vom 28.11.1996 als Ersterwerber eine
Neubaueigentumswohnung in A für 123.725,- DM. § 2 des notariellen Vertrages bestimmt u.a.:
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"Der Vertragsgegenstand befindet sich in einem Neubau, der - bis auf die Außenanlagen - im Monat November 1996 fertiggestellt wird."
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Weiter war in § 5 vereinbart:
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"Die Verjährungsfrist für Gewährleistungsansprüche in Bezug auf Mängel am Bauwerk beträgt somit fünf Jahre ab Besitzübergang ... Zusätzlich
tritt die Verkäuferin ... eventuelle Gewährleistungsansprüche gegen Unternehmer, Handwerker und sonstige am Bauwerk Beteiligte an den
Käufer ab ..."
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Für den Erwerb der Eigentumswohnung gewährte die B Bausparkasse ein Vorausdarlehen.
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Der Kläger möchte gegen die B Bausparkasse Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Aufklärungsverpflichtungen bei der
Darlehensvergabe gerichtlich geltend machen und begehrt dafür Deckungsschutz von der Beklagten. Diese beruft sich auf den Risikoausschluss
§ 3 Abs. 1 d dd ARB 94, der lautet:
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"Rechtsschutz besteht nicht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit
d) .........
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dd) der Finanzierung eines der unter aa) bis cc) genannten Vorhaben."
10 § 3 Abs. 1 d cc ARB 94 betrifft "Planung oder Errichtung eines Gebäudes oder Gebäudeteils, das sich im Eigentum oder Besitz des
Versicherungsnehmers befindet oder das dieser zu erwerben oder in Besitz zu nehmen beabsichtigt".
11 Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, die Klage
abgewiesen, da es die Voraussetzungen des Risikoausschlusses für gegeben angesehen hat.
12 Mit der Berufung gegen dieses Urteil verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter mit den Anträgen, die Beklagte zu verurteilen,
13 dem Kläger für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus der Finanzierung einer Eigentumswohnung in A, P. Straße, im
November/Dezember 1996 gegenüber der B AG, Karlsruhe, wegen Verschulden bei Vertragsschluss Rechtsschutz im Rahmen der ARB 94 und
des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrages zu erteilen,
14 den Kläger von der Verbindlichkeit gegenüber den Rechtsanwälten Be. aus der Vorschussrechnung vom 11.12.2002 über 1.470,88 EUR
freizustellen.
15 Nach Ansicht des Klägers ist die Beklagte eintrittspflichtig. Der Risikoausschluss käme nur zum Tragen, wenn die Rechtsstreitigkeit einen
sachlichen Zusammenhang bzw. einen direkten Bezug zur konkreten Bauleistung hätte. Die Verletzung von Aufklärungspflichten und fehlerhafter
Kalkulation fielen in den Bereich des Bankenrechts und nicht unter Bauleistungen.
16 Hinsichtlich der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze verwiesen.
II.
17 Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat jedoch keinen Erfolg.
18 Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass der über Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss geführte
Rechtsstreit des Klägers mit der den Erwerb der Eigentumswohnung finanzierenden Bausparkasse dem Risikoausschluss des § 3 Abs. 1 d dd
ARB 94 unterfällt und dem Kläger daher kein Anspruch auf Deckungsschutz zusteht.
A.
19 Hinsichtlich der Baurisikoklausel in den ARB 75, die einen "unmittelbaren Zusammenhang" der rechtlichen Interessenwahrnehmung mit "der
Planung, Errichtung oder ... Veränderung ... eines Gebäudes" voraussetzt, hat der Senat - trotz grundsätzlicher Bedenken wegen des Begriffs der
Unmittelbarkeit - im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH als maßgebend angesehen, ob das im Rechtsschutzfall wahrzunehmende
Interesse in einem qualifizierten Zusammenhang steht mit dem speziellen Baurisiko. Dieser Zusammenhang war dann anzunehmen, wenn er
rechtlich untrennbar mit den Bauleistungen verbunden ist (Senat r+s 2002, 418; NJW-RR 2003, 247). Auch der BGH (VersR 2003, 454) hat
zwischenzeitlich nochmals hervorgehoben, dass der in § 4 (1) k ARB 75 geforderte Zusammenhang einen inneren sachlichen Bezug zur
Planung und Errichtung eines Gebäudes voraussetzt. Von dieser Fassung des Risikoausschlusses unterscheidet sich § 3 Abs. 1 d dd ARB 94
bezüglich der Baufinanzierung in wesentlichen Punkten (Senat NJW-RR 2003, 247; Prölss/Martin, VVG, 26 Aufl. § 3 ARB 94 Rdn 8; Armbrüster
EWiR 2002, 551; Maier r+s 2002, 419; siehe auch Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl., § 3 ARB 94 Rdn 6). Zum einen wird lediglich ein
ursächlicher Zusammenhang gefordert, zum anderen wird die Finanzierung ausdrücklich als Risikobereich erwähnt. Der Senat gelangt daher bei
der Auslegung der Klausel zu dem Ergebnis, dass der Risikoausschluss bei einer Baufinanzierung auch dann eingreift, wenn sich lediglich das
Finanzierungsrisiko, nicht aber ein besonderes Baurisiko verwirklicht.
20 Dabei wird beachtet, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei
verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und in Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs sie verstehen muss. Es
kommt auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf
seine Interessen an (BGH VersR 1993, 957; VersR 2002, 1503). Bei Risikoausschlüssen geht das Interesse des Versicherungsnehmers
regelmäßig dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Ihr
Anwendungsbereich darf mithin nicht weiter ausgedehnt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung des wirtschaftlichen Ziels und der gewählten
Ausdrucksweise erfordert. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz
hat, ohne dass ihm dies hinreichend verdeutlicht wird (BGH VersR 2001, 489; VersR 2003, 454). Auf die Entstehungsgeschichte einer Klausel,
die der Versicherungsnehmer regelmäßig nicht kennt, kann zu seinem Nachteil nicht verwiesen werden (BGH ZfSch 1996, 261; NJW 2003, 139).
Ohne Bedeutung für die Auslegung bleiben ferner Gesichtspunkte, die etwa aus der Gesetzessystematik abgeleitet werden können, weil sie sich
dem Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei Durchsicht und Würdigung der Versicherungsbedingungen
nicht erschließen (BGH VersR 2001, 489). Wenn allerdings die Rechtssprache mit einem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff
verbindet, ist anzunehmen, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen. Ein von der
Rechtssprache abweichendes Verständnis kommt in diesen Fällen lediglich dann in Betracht, wenn das allgemeine Sprachverständnis von der
Rechtssprache in einem Randbereich deutlich abweicht oder wenn der Sinnzusammenhang der Versicherungsbedingungen etwas anderes
ergibt (BGH Urt. v. 21.05.2003 - IV 327/02 -).
B.
21 1) Der Rechtsstreit mit der Bausparkasse steht in ursächlichem Zusammenhang mit einer Finanzierung. Eine solcher Zusammenhang liegt bei
Auseinandersetzungen wegen Verletzung vor- oder nebenvertraglicher Pflichten einer Kreditgebers im Rahmen eines Finanzierungsgeschäfts
auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auf der Hand. Zu den Risiken einer Fremdfinanzierung gehört auch eine unzutreffende
Einschätzung der Amortisation der Kreditaufnahme aufgrund Unkenntnis der speziellen Risiken der finanzierten Maßnahme, damit aber auch der
Grund, der dem Kläger, der der Bausparkasse die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten über eben diese Risiken vorwirft, Anlass
zu seinem Rechtsstreit gibt. Damit liegt auch ein innerer sachlicher Zusammenhang mit dem ausgeschlossenen Finanzierungsrisiko vor.
22 2) Die Finanzierung betrifft auch ein Vorhaben gemäß § 3 Abs. 1 d. bb ARB 94. Finanziert wird die "Errichtung eines Gebäudes oder
Gebäudeteils, das der Kläger im Zeitpunkt der Finanzierung zu erwerben beabsichtigte". Allerdings wird das finanzierte Geschäft von den
Vertragsschließenden als Kaufvertrag bezeichnet. Dies steht jedoch der Anwendung von § 3 Abs. 1 d. dd ARB 94 nicht entgegen. Im
vorliegenden Fall ist aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen von einer Verpflichtung des Veräußerers gegenüber dem Kläger auf Erstellung
eines Bauwerks auszugehen. Nach der Rechtsprechung des BGH richten sich Sachmängelansprüche des Erwerbers eines Grundstücks mit
einem vom Veräußerer darauf zu errichtenden oder im Bau befindlichen Bauwerk in aller Regel nach Werkvertragsrecht, und zwar auch dann,
wenn bei Vertragsschluss an dem Bau nur noch unbedeutende Kleinigkeiten fehlten oder er sogar schon ganz fertiggestellt war. Diese
Rechtsfolge ergibt sich aus der zum Vertragsinhalt gemachten Verpflichtung des Grundstücksveräußerers zur Erstellung des Bauwerkes. Eine
derartige Verpflichtung muss nicht ausdrücklich in den Vertrag aufgenommen sein. Sie kann sich auch aus dem Zusammenhang der einzelnen
Vertragsbestimmungen sowie aus den Umständen ergeben, die zum Vertragsschluss geführt haben. Auf die Bezeichnung des Vertrages (etwa
als "Kaufvertrag") kommt es nicht an (BGHZ 74, 204; 74, 258; BGH NJW 1981, 273). Eine Erstellungsverpflichtung ergibt sich hier schon aus der
Überlegung, dass der Kläger bei teilweise fehlenden Arbeiten nicht kaufvertragsmäßig auf Wandelung und Minderung hätte beschränkt werden
können, sondern bei interessengerechter Auslegung (§§ 133, 157 BGB) seiner Vereinbarung mit dem Veräußerer von diesem vollständige
Herstellung verlangen können muss. Dementsprechend enthält der Erwerbsvertrag auch die Abtretung der in die selbe Richtung weisenden
Gewährleistungsansprüche gegen Unternehmer und Handwerker. Dass der Veräußerer das Bauwerk nicht selbst errichtet, sondern die
Errichtung durch Verträge mit Dritten sichert, entlässt ihn gegenüber dem Erwerber nicht aus seiner Herstellungsverpflichtung. Ob nach neuem
Recht anderes zu gelten hat, muss hier nicht entschieden werden.
23 Solche Verträge mit Herstellungsverpflichtung gehören auch aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zu dem Bereich der
"Planung, Errichtung oder genehmigungspflichtigen baulichen Veränderung von Gebäuden oder Gebäudeteilen". Hiervon ist die
Rechtsprechung zu der insoweit wortgleichen Bestimmung des § 4 1 k ARB 75 durchweg ausgegangen (BGH VersR 1994, 44; OLG Karlsruhe
ZfSch 1984, 15; OLG Stuttgart OLGR 2001, 27; OLG Köln r+s 1994, 423). Gleiches gilt für § 3 Abs. 1 d ARB 94 (OLG Frankfurt VersR 2003, 366).
24 Ein innerer Zusammenhang mit einem klassischen Baurisiko muss bei § 3 Abs. 1 d. dd ARB 94 nicht bestehen, da für den durchschnittlichen
Versicherungsnehmer erkennbar der Versicherungsschutz für die aus vielfältigen Gründen (z.B.: hohe Summen, vermeintliche Sicherheiten,
Gefahr der Überforderung bei nicht unbedeutender Anzahl der Betroffenen) als riskant angesehene Baufinanzierung insgesamt versagt werden
soll. Eine Beschränkung auf die Verwirklichung des klassischen Baurisikos kann allenfalls derjenige erwägen, der die - bei der Auslegung nicht
maßgebliche - Entstehungsgeschichte der Vorschrift kennt. Aus dem Wortlaut der Klausel ergibt sich eine solche Beschränkung ebenso wenig
wie aus deren Sinnzusammenhang. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird Rechtsstreite über die Finanzierung von Bauten ohnehin
nur für Ausnahmefälle mit dem klassischen Baurisiko in Verbindung bringen. Dass andere - vielleicht ähnlich risikobehaftete - Finanzierungen
nicht vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, spielt dabei keine Rolle. Weitere Beschränkungen des fraglichen Risikoausschlusses
erwartet der durchschnittliche Versicherungsnehmer deshalb nicht. Auch der Kläger wird in seinen berechtigten Leistungserwartungen nicht
enttäuscht.
III.
25 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Das Urteil ist gem. §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO vorläufig vollstreckbar.
26 Die Revision wird gem. § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen. Die zu entscheidende Rechtsfrage hat - was schon die Zahl der obergerichtlichen und
höchstrichterlichen Entscheidungen zur Baurisikoklausel der ARB 75 belegt - grundsätzliche Bedeutung.