Urteil des OLG Karlsruhe vom 09.12.2009
OLG Karlsruhe (pflicht zur duldung, kläger, grundstück, verfügung, einstweilige verfügung, duldungspflicht, baden, luftraum, württemberg, eigentümer)
OLG Karlsruhe Urteil vom 9.12.2009, 6 U 121/09
Leitsätze
Der Eigentümer eines Grundstücks muss weder nach § 912 BGB noch nach § 7b Nachbarrechtsgesetz Baden-
Württemberg dulden, dass die Wand eines an die Grundstücksgrenze gebauten Nachbarhauses mit
Wärmedämmplatten versehen wird, die 15 cm in den Luftraum seines Grundstücks ragen. Auf eine Hauswand
aufgebrachte Wärmedämmplatten stellen kein untergeordnetes Bauteil i.S. von § 7b Nachbarrechtsgesetz Baden-
Württemberg dar.
Leitsatz:
Der Eigentümer eines Grundstücks muss weder nach § 912 BGB noch nach § 7b Nach-barrechtsgesetz Baden-
Württemberg dulden, dass die Wand eines an die Grundstücks-grenze gebauten Nachbarhauses mit
Wärmedämmplatten versehen wird, die 15 cm in den Luftraum seines Grundstücks ragen. Eine auf die Hauswand
aufgebrachte Wärmedämmung stellt kein untergeordnetes Bauteil i.S. von § 7b Nachbarrechtsgesetz Baden-
Württemberg dar.
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17. Juli 2009 - 5 O
253/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die das Grundstück des Antragstellers/Verfügungsklägers
bezeichnende Flurstücknummer in Ziff. 1 und 2 des Beschlusses vom 25. Juni 2009 XX4 lautet.
2. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens um die Zulässigkeit eines Überbaues an
einer Außenwand zum Zweck der Wärmedämmung.
2
Der Verfügungskläger (zukünftig: Kläger) ist Eigentümer des Flurstücks XX.X Das Grundstück des Klägers
weist zur Straße eine ca. 4,50 - 5 m breite Durchfahrt zwischen den Grundstücken K.-Straße 23 und K. Straße
25 auf. Diese bildet eine Zufahrt zum hinteren, sich erweiternden und bebauten Grundstücksbereich des
Klägers. Soweit im Tatbestand und im Tenor der angegriffenen Entscheidung eine abweichende
Flurstücknummer für das Grundstück des Klägers angegeben ist, haben die Parteien diese auf Hinweis des
Senats richtiggestellt. Auch die Breite der Durchfahrt wurde im Senatstermin korrigiert. Die Durchfahrt ist
ausweislich der Lichtbilder in Anlage AK 8 als Privatweg und als Brandschutzzone (absolutes Halteverbot)
gekennzeichnet. Die Verfügungsbeklagte (zukünftig: Beklagte) ist Eigentümerin des in westlicher Richtung
unmittelbar angrenzenden Grundstücks K.-Straße 25 (Flurstück XXX). Im vorderen Bereich grenzen beide
Grundstücke an die K.-Straße. Das Grundstück der Beklagten ist bis an die Grundstücksgrenze des Klägers
mit einem Gebäude bebaut.
3
Die Beklagte ließ zunächst am 13.03.2009 ohne Genehmigung des Klägers auf dessen Grundstück entlang
ihrer der Durchfahrt zugewandten Gebäudeseite ein Gerüst stellen. Auf die Bitte der Beklagten hin genehmigte
der Kläger zeitlich begrenzt nachträglich das Aufstellen des Gerüstes, um die von der Beklagten angegebene
dringende Instandsetzungsmaßnahmen im Giebelbereich durchführen lassen zu können. Am 14.05.2009 stellte
der Kläger fest, dass die Beklagte begonnen hatte, auf der Außenwand ihres Gebäudes eine mindestens 12 cm
starke Isolierung aufzubringen, die anschließend mit einem Grundputz und einem Oberputz versehen werden
sollte. Die Gesamtdicke der geplanten Baumaßnahme beläuft sich auf 15 cm. Diese sollte im vorderen Bereich
in einer Höhe von 3 m oberhalb des Bodens beginnen und im hinteren Bereich wegen der ansteigenden
Durchfahrt in einer Höhe von 2,20 m oberhalb des Bodens enden. Die zu verkleidende Fläche der Außenwand
der Beklagten beläuft sich auf 252,96 m². Da das Gebäude der Beklagten unmittelbar bis an die Grenze des
Grundstücks der Beklagten bebaut ist, ragt die beabsichtigte Dämmschicht 15 cm in den Luftraum über das
Grundstück des Klägers hinein und würde dessen Durchfahrt einengen. Der Kläger widersprach der Aufbringung
der Dämmschicht. Zunächst stoppte die Beklagte die Arbeiten bis zur Klärung. Am 13.6.2009 setzte die
Beklagte die zu einem Überbau führenden Arbeiten fort. Der Kläger forderte die Beklagte erfolglos unter
Fristsetzung und Androhung gerichtlicher Schritte zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.
4
Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz v. 23.6.2009 den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Er hat
hierzu vorgetragen, eine Duldungspflicht ergebe sich weder aus § 912 BGB, noch aus § 7 b NRG BW. Die
letztere Vorschrift erfasse Dämmmaßnahmen nicht. Im übrigen handle es sich auch nicht um ein
untergeordnetes Bauteil. Aus § 912 BGB ergebe sich ebenfalls keine Duldungspflicht, da es sich nicht um die
Neuerrichtung eines Gebäudes handle. Außerdem habe er der angegriffenen Maßnahme umgehend
widersprochen.
5
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 25.6.2009 die einstweilige Verfügung im beantragten Umfang wie folgt
erlassen (AS I 23):
6
1. Die Antragsgegnerin hat es zu unterlassen, auf der östlichen Außenfassade des Anwesens K-Straße 25 (...)
in das Grundstück des Antragstellers, K-Straße 23 a (...) hineinragende Außenisolierung anzubringen.
7
2. Die Antragsgegnerin hat jegliche Baumaßnahme an der östlichen Hausfassade des Anwesens K-Straße 25
(...) zu unterlassen, durch die ein Überhang oder ein Überbau des Grundstücks K-Straße 23 a (...) entsteht.
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3. Den Antragsgegnern wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1. und 2.
ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu EUR 100.000,00, und für den Fall, dass dieses nicht
beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt werden kann.
9
Auf den Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht die Verfügung mit Urteil vom 17. Juli 2009 mit der
Maßgabe bestätigt, dass die in den Ziffern 1 und 2 genannten Maßnahmen „einstweilen“ zu unterlassen seien.
10 Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte trägt unter Wiederholung ihrer
erstinstanzlichen Rechtsauffassung vor, dass der Kläger nach § 7 b NRG BW zur Duldung des Aufbringens
einer Wärmedämmung verpflichtet sei, da diese ein untergeordnetes Bauteil im Sinne der Vorschriften
darstelle. Die Wärmedämmung sei den exemplarisch aufgeführten Bauteilen gleich zu stellen. Dies gelte um so
mehr, als Bauvorschriften zur Einsparung von Energie den Grundstückseigentümern entsprechende Auflagen
machten. Die Benutzung des Grundstücks des Klägers werde allenfalls unwesentlich beeinträchtigt, da die
Wärmedämmung erst in einer Höhe von 3 m beginne und daher selbst Lastkraftwagen diesen Bereich befahren
könnten. Für den Fall, dass der Kläger selbst eine Grenzbebauung vornehmen wolle, habe man
außergerichtlich angeboten, eine entsprechende Rückbauverpflichtung im Grundbuch eintragen zu lassen.
Jedenfalls aber könne der Kläger nicht eine endgültige Regelung im Rahmen des einstweiligen
Verfügungsverfahrens begehren. Da der Kläger nicht das einstweilige Unterlassen der Maßnahme beantragt
habe, sei das Gericht in der angegriffenen Entscheidung über den Antrag hinaus gegangen.
11 Die Beklagte beantragt,
12 das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17.07.2009 - 5 O 253/09 - abzuändern und den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
13 Der Kläger beantragt,
14 die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass es im ursprünglichen Antrag und der vom
Landgericht erlassenen einstweiligen Verfügung jeweils statt „Flurstücknummer XXX“ richtig heißen muss:
„Flurstücknummer XXX“.
II.
15 Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Dem Kläger steht gemäß § 1004 BGB i.V.m. § 903
BGB der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu (Verfügungsanspruch). Der Kläger
muss nicht dulden, dass die Beklagte in sein Grundstück hineinragend eine Wärmedämmung anbringt und
damit die Breite seiner Durchfahrt verjüngt. Diesen Anspruch kann der Kläger auch im Wege der einstweiligen
Verfügung durchsetzen (Verfügungsgrund).
16 1. Der Kläger muss das Vorhaben der Beklagten, an ihr auf der Grenze stehendes Gebäude Dämmplatten
anbringen zu lassen, die ca. 15 cm in den Luftraum des Grundstücks des Klägers hineinragen, nicht als
Überbau gemäß § 912 Abs. 1 BGB dulden.
17 Dabei hat das Landgericht unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, Urt. v.
19.09.2008 - V ZR 152/07, NJW-RR 2009, 24 Tz. 10 f.) zu Recht angenommen, dass die Vorschrift nicht nur
auf Fälle der Errichtung eines Gebäudes, sondern analog auch auf die Fälle anzuwenden ist, dass eine
Grundstücksgrenze infolge nachträglicher Veränderung eines zunächst innerhalb der Grenzen errichteten
Gebäudes überbaut wird. Eine Pflicht zur Duldung ist jedoch deshalb ausgeschlossen, da die Beklagte grob
fahrlässig oder vorsätzlich handelt, indem sie Maßnahmen vornimmt oder vornehmen will, die einen 15 cm in
das Grundstück des Klägers hineinragenden Überstand verursachen. Wer im Bereich der Grundstücksgrenze
baut und sich nicht gegebenenfalls durch Hinzuziehung eines Vermessungsingenieurs darüber vergewissert, ob
der für die Bebauung vorgesehene Grund auch ihm gehört und er die Grenzen seines Grundstücks nicht
überschreitet, handelt jedenfalls grob fahrlässig (BGHZ 156, 170 ff.). Die Beklagte weiß, dass ihr Gebäude
unmittelbar an die Grundstücksgrenze gebaut ist. Sie weiß daher auch, dass bei einem weiteren Aufbringen
von Dämmplatten diese zwingend in das Grundstück des Klägers hineinragen. Darüber hinaus kann § 912 BGB
auch deshalb keine Duldungspflicht entfalten, da der Kläger sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch
erhoben hat.
18 2. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ergibt sich auch aus § 7 b NRG BW keine Pflicht zur
Duldung des Überbaues.
19 § 7 b NRG BW regelt, dass dann, wenn nach den baurechtlichen Vorschriften unmittelbar an die gemeinsame
Grundstücksgrenze gebaut werden darf, der Eigentümer des Nachbargrundstücks in den Luftraum seines
Grundstücks übergreifende untergeordnete Bauteile, die den baurechtlichen Vorschriften entsprechen, zu
dulden hat, so lange diese die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen.
Untergeordnete Bauteile sind nach der Vorschrift insbesondere solche Bestandteile einer baulichen Anlage, die
deren nutzbare Fläche nicht vergrößern.
20 Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei wärmeschutzbedingten Überbauten an einer
Hauswand nicht um ein untergeordnetes Bauteil. Der nachbarrechtliche Begriff eines untergeordneten Bauteils
ist dabei nicht anders auszulegen, als in § 5 Abs. 6 Nr. 1 LBO BW. Dort werden in einer beispielhaften
Aufzählung „Gesimse, Dachvorsprünge, Eingangs- und Terrassenüberdachungen“ genannt. Dem steht eine ab
einer bestimmten Höhe in den Luftraum des benachbarten Grundstücks hineinragen Hauswand nicht gleich
(ebenso Heinzmann, BWNotZ 2006, 153, 154; a.M. Birk, NachbR für BW, 5. Aufl., § 7 b Seite 116 oben). Der
Vorbau einer Wand ist weder nach dem Zweck noch nach der Funktion ein untergeordnetes Bauteil. Entgegen
Schröer, NZBau 2008, 706, 707 wird durch die Anbringung von Wärmedämmplatten im Wege des Überbaues
darüber hinaus mittelbar die nutzbare Fläche vergrößert. Wollte man vermeiden, dass die Dämmung in das
Grundstück des Nachbars hineinragt, müsste die Dämmung an den Innenwänden angebracht werden, was die
jeweilige Raumgröße verkleinern würde. Bei gleicher Wärmedämmung führt die Lösung des Überbaus daher zu
einer Vergrößerung der nutzbaren Fläche. Auch dies steht der Annahme entgegen, das Anbringen von
Wärmedämmplatten an einer Hausaußenwand als untergeordnetes Bauteil zu qualifizieren (vgl. § 7 b Abs. 1 S.
2 NRG BW).
21 3. Eine Duldungspflicht ergibt sich auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. Die Ableitung
von Rechten und Pflichten aus einem solchen nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis muss eine aus
zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben, da sowohl der Bundes- als auch der Landesgesetzgeber
entsprechende Überbauregelungen getroffen haben. Die darin zum Ausdruck kommende grundsätzliche
Wertung des Gesetzgebers, dass nur ausnahmsweise von einem Eigentümer ein Eingriff in sein Eigentum
hinzunehmen ist, führt dazu, dass allein das grundsätzliche Interesse an einer verbesserten Wärmedämmung
als energetische Maßnahme nicht zu einer Duldungspflicht führt. Besondere Umstände sind im Streitfall nicht
dargetan. Weder ist ersichtlich, dass die Wärmedämmung zwingend vorgenommen werden muss, noch ist
dargetan, dass diese aus technischen Gründen nicht anders als von außen erfolgen kann. Hinzu kommt, dass
an dieser Stelle nach dem Schreiben der Stadt X v. 18.8.2009 eine „geschlossene Bebauung vorgegeben“ ist,
so dass - für den Fall der Bebauung dieser Lücke durch den Kläger - auch dessen Interesse am Erhalt der
Ausschöpfung seiner Grundstücksgröße zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Streitfall scheidet damit eine
aus § 242 BGB abgeleitete Duldungspflicht aus. Auch das Gemeinwohlinteresse an einer Wärmedämmung
rechtfertigt den Überbau nicht (insoweit zu § 912 BGB ebenso: OLGR Celle 1998, 32, 33).
22 Zu Recht hat das Landgericht daher dem Kläger das Anbringen der in das Flurstück Nr. XXX hineinragenden
Außenisolierung und entsprechende Baumaßnahmen einstweilen untersagt.
23 4. Dabei steht dem Kläger für die Geltendmachung seines Anspruchs auch ein Verfügungsgrund zur Seite. Im
Hinblick auf die begonnenen Arbeiten musste der Kläger vermeiden, dass die Beklagte nicht oder nur schwer
rückbaubare Tatsachen schafft. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger bis zum 23.6.2009
zugewartet hat, bis er einstweiligen Rechtsschutz begehrt hat. Denn die Beklagte hatte zunächst die Arbeiten
aufgrund einer Vereinbarung bis zur Klärung der Sachlage eingestellt. Am 13.6.2009 hat diese die Arbeiten
wieder aufgenommen, so dass zum Zeitpunkt der Einreichung der Antragsschrift (23.6.2009) Dringlichkeit
bestand und der Kläger durch sein Verhalten keinen Anlass gegeben hat, anzunehmen, die Angelegenheit sei
ihm nicht hinreichend eilig (Verfügungsgrund).
24 5. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, das Landgericht sei durch Einfügung der Maßgabe „einstweilen“
über den Antrag des Klägers hinausgegangen und habe damit gegen § 308 ZPO verstoßen. Das Landgericht
hat mit dieser Maßgabe lediglich die im einstweiligen Rechtsschutz selbstverständliche Begrenzung des
Sicherungszwecks einer einstweiligen Verfügung umschrieben und hat dies mit dem Wort „einstweilen“ zum
Ausdruck gebracht. Ein Verstoß gegen § 308 ZPO liegt nicht vor. Im übrigen hat das Gericht nach § 938 Abs.
1 ZPO im Rahmen der einstweiligen Verfügung nach freiem Ermessen zu bestimmen, welche Anordnungen zu
Erreichung des Zwecks erforderlich sind.
III.
25 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.