Urteil des OLG Karlsruhe vom 30.05.2006

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 30.5.2006, 7 W 29/06
Zuständigkeitsabgrenzung zwischen ordentlichen Gerichten und Arbeitsgerichten im Rahmen einer
Provisionsklage des Handelsvertreters
Leitsätze
1. Für die Zuständigkeit nach § 5 Abs. 3 ArbGG darauf es kommt an, wie hoch die Vergütung des
Handelsvertreters ist und nicht darauf, ob und in welcher Höhe der Anspruch auch erfüllt ist.
2. Im Sinne von § 5 Abs. 3 ArbGG bezogen ist die Vergütung auch dann, wenn sie entsprechend den vertraglichen
Vereinbarungen mit (darlehenshalber und zinslos) geleisteten Vorschüssen verrechnet wird, denn auch dann ist die
Vergütung dem Handelsvertreter insgesamt zugeflossen.
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 24.03.2006 - 4
O 836/05 - wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerderechtszugs.
III. Die Beschwerde an den Bundesgerichtshof wird zugelassen.
IV. Beschwerdewert: 3.300,00 EUR
Gründe
I.
1
Die Beklagte war aufgrund des so genannten M. -Consultant-Vertrags ausschließlich für die Klägerin ab
01.07.2002 als Handelsvertreterin tätig. Das Vertragsverhältnis endete durch ihre Kündigung vom 24.09. zum
31.10.2003.
2
Gem. § 6 des Vertrages erhielt die Beklagte für längstens drei Jahre monatlich einen pauschalen Vorschuss
von 2.000,00 EUR (Ziff. 5) auf die zu verdienende Provision als (zunächst) zinsloses Darlehen abzgl.
bestimmter Aufwendungen. Die Rückführung des Darlehens erfolgte durch Verrechnung mit den tatsächlich
verdienten Provisionen (Ziff. 7). Die Beklagte verpflichtete sich (Ziff. 10), bei ihrem Ausscheiden 50 % eines
noch bestehenden Provisionsvorschusssaldos zurück zu zahlen und verzichtete als Gegenleistung für den
Erlass auf 50 % des so genannten Schwebegeschäfts (Ziff. 10, 11).
3
Die Beklagte erhielt vom 01.07.2002 bis einschließlich September 2003 an Vorschüssen 30.000,00 EUR. Die
Klägerin verrechnete die verdienten Provisionen mit dem jeweiligen Vorschusssaldo und fordert im
wesentlichen die offene Differenz mit der Klage. Die Beklagte verdiente in den letzten sechs Monaten des
Vertragsverhältnisses (Mai bis Oktober 2003) nach Vortrag der Klägerin 7.861,86 EUR, d. h. durchschnittlich
1.310,31 EUR. Davon entfallen auf September 2003 Provisionen aus Dynamisierungen abgeschlossener
Verträge für das 3. Quartal 2003 und für Sachfolgen in Höhe von 1.022,46 EUR, 766,82 EUR und 43,84 EUR.
Der Gesamtbetrag der Provisionen wurde mit dem offenen Saldo der Vorschüsse verrechnet.
4
Nachdem die Beklagte die Unzuständigkeit des Landgerichts gerügt hatte, weil sie Arbeitnehmerin und nicht
selbstständige Handelsvertreterin, jedenfalls aber die Grenze des § 5 Abs. 3 ArbGG nicht überschritten sei, hat
das Landgericht mit Beschluss vom 24.03.2006 die Zulässigkeit des Rechtswegs bejaht. Auf die dortigen
Ausführungen und Feststellungen wird verwiesen.
5
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie trägt unter Bezug auf die Anl. K 3 der
Klägerin anders als im ersten Rechtszug die dort für August bis Oktober genannten Provisionen als von ihr
erwirtschaftet vor und meint, weil diese nicht ausbezahlt, sondern verrechnet worden seien, seien ihre
Ansprüche nicht erfüllt und damit nicht im Sinn von § 5 Abs. 3 ArbGG bezogen. Deshalb liege der
Durchschnittsverdienst der letzten sechs Monate vor Beendigung des Vertrages unter 1.000,00 EUR. Auch
müssten Aufwendungen der Beklagten vom Verdienst abgezogen werden.
II.
6
1. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 17 a Abs. 4 GVG statthaft und zulässig (§ 569 ZPO). Da das
Rechtsmittel sowohl beim Landgericht als auch beim Beschwerdegericht eingelegt werden kann, ist
unschädlich, dass es - an das Landgericht gerichtet - innerhalb der Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung
am 04.03.2005 nur beim Oberlandesgericht (am 18.04.2005) und erst am 20.04.2005 beim Landgericht
eingegangen ist (As. 177).
7
2. Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Das Landgericht hat nach Rüge der Beklagten mit zutreffender
Begründung ausgesprochen, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig ist (§ 17 a Abs. 3
GVG).
8
a) Dass die beklagte Handelsvertreterin nicht schon wegen fehlender Selbstständigkeit Arbeitnehmerin i. S. v.
§ 5 Abs. 1 ArbGG ist, wird von der Beschwerde nicht mehr in Zweifel gezogen. Sie kommt auf ihren
erstinstanzlichen Vortrag nicht zurück und erwähnt die Frage auch nicht. Auf die zutreffenden Ausführungen
des Landgerichts, dass nach dem Handelsvertretervertrag und dessen Handhabung entsprechend dem
maßgeblichen Vortrag der Klägerin (der im übrigen weitgehend unstreitig ist) von einer persönlichen
Abhängigkeit der Beklagten von der Klägerin nicht auszugehen ist und die zu erfüllenden Berichtspflichten
ebenso wenig wie die Pflicht zur Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen und Besprechungen ausreichen,
um die Arbeitnehmereigenschaft der Beklagten wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit und Unselbstständigkeit zu
begründen, wird verwiesen.
9
b) Das Landgericht hat zu Recht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ArbGG verneint. Es kann nicht davon
ausgegangen werden, dass die Beklagte - die zu dem in § 92 a HGB genannten Personenkreis gehört -
während der letzten sechs Monate des Vertragsverhältnisses (also von Mai bis Oktober 2003) im Durchschnitt
monatlich nur höchstens 1.000,00 EUR aufgrund des Vertrags an Vergütung einschließlich Provision und
Ersatz für ihre regelmäßig entstandenen Aufwendungen bezogen hat.
10 Maßgeblich für die Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen Landgerichts und damit die Zulässigkeit
des beschrittenen Rechtswegs ist der schlüssig behauptete Sachvortrag der Klägerin (und zwar auch soweit
zuständigkeits- und anspruchsbegründende Tatsachen zusammenfallen; ganz herrschende Meinung BGH NJW
1964, 497, 498; BGHZ 133, 240; OLG Hamm, Beschluss vom 04.07.2005 - 18 W 25/05 - Juris m. w. N.). Nach
dem in der Beschwerdeinstanz auch von der Beklagten mit Recht übernommenen Vortrag der Klägerin hat die
Beklagte in der maßgeblichen Zeit von Mai bis einschließlich Oktober 2003 an Provisionen 7.861,86 EUR
verdient. Die einzelnen Beträge waren nur hinsichtlich des Monats September streitig. Da nach der
maßgeblichen Darstellung der Klägerin indes am 30.09.2003 aufgrund von Dynamik- und
Sachfolgeabrechnungen für das 3. Quartal (also sogar für den entscheidenden Zeitraum) ursprünglich streitige
Differenzbetrag dem Konto der Beklagten gutgeschrieben worden ist (Schriftsatz vom 01.03.2005, S. 3, As.
105), ist dieser Betrag auch im Sinn von § 5 Abs. 3 ArbGG bezogen. Die erfolgte Verrechnung mit der Summe
der offenen - darlehenshalber und zinslos - geleisteten Vorschüsse ändert nichts daran, dass die Beklagte
diese Beträge insgesamt erhalten und wenigstens deshalb i. S. v. § 5 Abs. 3 ArbGG auch bezogen hat.
11 Die Frage wird allerdings nicht einheitlich beantwortet. Nach ganz überwiegender Ansicht der Literatur und der
obergerichtlichen Rechtsprechung ist maßgebend für die Beurteilung, ob die Grenze des § 5 Abs. 3 ArbGG
über- oder unterschritten ist, welche Ansprüche der Handelsvertreter in den letzten sechs Monaten des
Vertragsverhältnisses hatte. Unerheblich ist, was er tatsächlich erhalten hat (Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl.,
§ 84 Rn. 46; Löwisch in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 1. Aufl., § 92 a Rn. 6; Schröder in Schlegelberger,
HGB, 5. Aufl., § 92 a Rn. 13; Brüggemann in Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., § 92 a Rn. 9; Küstner in
Röhricht/von Westphalen, HGB, 2. Aufl., § 92 a Rn. 6 [anders im Handbuch des gesamten Außendienstrechts
Band I, 3. Aufl., Rn. 233]; von Hoyningen-Huene in Münchener Kommentar, HGB, § 92 a Rn. 6; OLG
Düsseldorf, OLGR 2000, 454; OLGR 2005, 540, 541).
12 Dagegen kommt es nach Ansicht von Küstner, Handbuch a. a. O., auf die tatsächlich zugeflossenen Beträge
an (ebenso: LAG Hessen, NZA 1995, 1070, 1071; wohl auch Müller-Glöge in Germelmann, ArbGG, 5. Aufl., § 5
Rn. 26; Koch in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 5 ArbGG Rn. 12). Hieraus entnimmt das OLG
Frankfurt (Beschluss vom 01.11.2005 - 4 W 46/05 - S. 6/7; Anl. B 12), dass die Verrechnung von Provisionen
mit dem Provisionsvorschusssaldo zur Nichtberücksichtigung dieser Beträge führt, weil durch die vorweg
genommene Verrechnung die Provisionsvergütung entfallen sei.
13 Dieser Auffassung kann der Senat nicht folgen. Durch die Verrechnung der verdienten Provisionen ist die
Forderung der Beklagten aus dem Vertrag nach § 87 HGB erfüllt. Entsprechend den vertraglichen
Vereinbarungen führte die Verrechnung zur entsprechenden Rückführung der Darlehensverbindlichkeit der
Beklagten. Jedenfalls durch diese einverständliche, im Vertrag vorgesehene Verrechnung sind der Beklagten
wie bei einseitiger Aufrechnung die entsprechenden Beträge zugeflossen, ihre Ansprüche erfüllt und die
Vergütung nach § 5 Abs. 3 ArbGG bezogen (so auch OLG Hamburg, B. v. 08.03.2000 - 13 AR 41/99 = Anlage
K 11).
14 Davon abgesehen teilt der Senat die herrschende Auffassung, dass es nicht auf die Erfüllung der Ansprüche,
sondern darauf ankommt, wie hoch diese sind. Die Gegenmeinung führt zu Unsicherheiten bei der Feststellung
des zulässigen Rechtswegs, weil sonst der Unternehmer durch Zuwenig- oder Zuvielzahlungen den
Anwendungsbereich der Norm willkürlich bestimmen könnte (OLG Düsseldorf, OLGR 2000, 454). So hat auch
der BGH (NJW 1964, 457) als Vergütung i. S. v. § 5 Abs. 3 ArbGG die unbedingt entstandenen
Provisionsansprüche für maßgebend gehalten. Daraus ist zu entnehmen, dass - auch wenn sich die
Entscheidung in erster Linie mit der Frage der Bedeutung gezahlter Vorschüsse für den Verdienst befasst - für
die Zuständigkeit nicht maßgeblich sein kann, ob die Ansprüche auch erfüllt sind. Die gegenteilige Auffassung
führt zu Zufälligkeiten, von der die Zuständigkeit der Gerichte nicht abhängig sein darf. Es ist der
Gegenmeinung nicht zuzugeben, dass es der Zweck der Vorschrift sei, den verstärkten Schutz des
Arbeitnehmers nur demjenigen Vertreter zukommen zu lassen, dem für seinen Lebensunterhalt tatsächlich
allein die ausgezahlten Beträge zur Verfügung gestanden haben (LAG Hessen, a. a. O. m. N.). Bei der
Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 3 ArbGG geht es nicht um die konkrete einzelfallbezogene
Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters, sondern um die Gleichstellung wirtschaftlich unselbstständiger
Handelsvertreter mit einem Arbeitnehmer. Hierfür die tatsächliche Zahlung maßgeblich sein zu lassen,
widerspräche bei Gleichwertigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten und zu den Gerichten für
Arbeitssachen dem Grundsatz, dass es hier vor allem darum geht, durch die Anwendung der Vorschrift den
gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) bestimmen (BAG NJW 2005, 1146, 1147). Dieser muss aber eindeutig und
ohne Abhängigkeit von Zufälligkeiten feststehen und festgestellt werden können.
15 c) Welche nicht ersetzten Aufwendungen nach Auffassung der Beklagten vom Durchschnittsverdienst
abzusetzen sein sollten, führt die Beschwerde nicht aus. Sollte es sich um die mit der Klage geforderten
Aufwendungen (dort I 2 b, S. 5 ff.) handeln, ist der Vortrag der Beklagten ohne Belang. Bei einer Summe von
752,40 EUR und einem hieraus sich ergebenden Monatsdurchschnitt von 25,40 EUR ändert ihre - keineswegs
richtige - Berücksichtigung nichts an der Überschreitung der Grenze des § 5 Abs. 3 ArbGG. Es kommt deshalb
nicht darauf an, dass solche Aufwendungen nach der Bestimmung nur insoweit von Bedeutung sind, als sie die
Bezüge erhöhen.
16 d) Unter diesen Umständen braucht die Frage nicht entschieden zu werden, ob die der Beklagten verbleibende
und nicht zurück zu zahlende Hälfte des Darlehenssaldos die Höhe des Verdienstes beeinflusst (mit Recht
ablehnend z. B. OLG Hamm, a. a. O.).
III.
17 Wegen der Kosten vgl. § 97 Abs. 1 ZPO. Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht rund 1/3 des
Hauptsachestreitwerts.
18 Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage,
wie der Begriff der bezogenen Vergütung in § 5 Abs. 3 ArbGG zu verstehen ist, zugelassen (§ 17 a Abs. 4 S. 5
GVG).