Urteil des OLG Hamm vom 15.09.1983

OLG Hamm (essen, stpo, vernehmung, antrag, hauptverhandlung, gvg, rechtshilfeersuchen, vorladung, ausdrücklich, begründung)

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 299/83
Datum:
15.09.1983
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 299/83
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Das Amtsgericht Essen wird angewiesen, dem Rechtshilfeersuchen des
Amtsgerichts Hannover vom 15. Juni 1983 zu entsprechen.
Gründe:
1
Das Amtsgericht Hannover hat durch Beschluß vom 25. Mai 1983 den Angeklagten für
den Fall, daß er den entsprechenden Antrag stellt, von der Verpflichtung zum
Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 233 Abs. 1 StPO befreit. Zugleich hat es
angeordnet, daß der Angeklagte zu der Frage, ob er diesen Antrag stellen wolle, ebenso
wie - nach Antragstellung - zu der ihm zur Last gelegten Beschuldigung durch das für
seinen Wohnsitz zuständige Amtsgericht in Essen vernommen werden solle. In diesem
Beschluß ist der Angeklagte darüber hinaus darauf hingewiesen worden, daß eine
Vernehmung durch das Amtsgericht Essen sich erübrige, wenn der Angeklagte
innerhalb einer Woche nach Erhalt des Beschlusses mitteile, daß er an der
Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hannover teilzunehmen beabsichtige. Der
Beschluß ist dem Angeklagten zugestellt worden. Eine Mitteilung darüber, daß der
Angeklagte an der Hauptverhandlung in Hannover teilnehmen wolle, ist nicht
eingegangen. Daraufhin hat das Amtsgericht Hannover das Amtsgericht Essen durch
Verfügung vom 15. Juni 1983 ersucht, dem Angeklagten, falls er den Antrag stellt, von
der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung befreit zu werden, den
genannten Beschluß zu eröffnen, ihn nach § 233 Abs. 2 StPO zu belehren sowie über
die Anklage zu vernehmen. Dieses Vernehmungsersuchen hat das Amtsgericht Essen
durch Beschluß vom 23. Juni 1983 mit der Begründung abgelehnt, daß die
Voraussetzungen für eine Vernehmung durch einen ersuchten Richter bisher nicht
vorlägen; der Angeklagte habe den nach § 233 Abs. 1 StPO erforderlichen
Entbindungsantrag noch nicht gestellt, so daß der Entbindungsbeschluß noch nicht
wirksam sei; darüber hinaus sei es nicht Sache des ersuchten Richters zu klären, ob der
Angeklagte einen Entbindungsantrag stellen wolle. Die hiergegen erhobenen
Gegenvorstellungen des Amtsgerichts Hannover hat das Amtsgericht Essen mit dem
Hinweis zurückgewiesen, daß eine gerichtliche Vorladung dem Sinn und Zweck des §
233 StPO widerspräche. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Verfahrensweise setze
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eine freiwillige Entschließung des Angeklagten voraus; das Gericht habe sich "in
Achtung der Entschlußfreiheit des Angeklagten jeden Zwanges zu enthalten". Eine
gerichtliche Vorladung bedeute aber stets die Ausübung eines psychischen Druckes auf
den Angeklagten. Zur Begründung dieser Auffassung stützt sich das Amtsgericht Essen
auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHSt 25/42 f. Zusätzlich weist das
Amtsgericht Essen darauf hin, daß wegen personaler Unterbesetzung des Gerichts für
die Erledigung von Aufgaben, die in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehen seien,
kein Raum sei.
Auf den Antrag des Amtsgerichts Hannover vom 29. August 1983 auf Entscheidung des
Oberlandesgerichts gemäß § 159 GVG war der angefochtene Beschluß aufzuheben. ...
aufzuheben. Das Amtsgericht Essen müßte dem Rechtshilfeersuchen des Amtsgerichts
Hannover stattgeben. Gemäß § 158 Abs. 2 GVG darf ein Rechtshilfeersuchen nur dann
abgelehnt werden, wenn die gewünschte Handlung ausdrücklich verboten ist, d.h. durch
eine gesetzliche Vorschrift untersagt oder nach dem Sinn der gesetzlichen
Bestimmungen unzulässig ist (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 158 GVG, Rdz.
3; Kleinknecht StPO, 36. Aufl., § 158 GVG, Rdz. 2). Dabei ist erforderlich, daß die
vorzunehmende Handlung schlechthin - in abstracto - rechtlich unzulässig ist; über die
konkrete Unzulässigkeit hat ausschließlich das ersuchende Gericht zu entscheiden (vgl.
OLG Hamm JMBl. NW 1974/53/88). Daß vorliegend die Vernehmung des Angeklagten
durch das Amtsgericht Essen gegen ein gesetzliches Verbot verstieße, ist nicht
ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Essen stellt es auch keinen
Hinderungsgrund dar, daß der Angeklagte bisher den Entbindungsantrag nach § 233
Abs. 1 StPO noch nicht gestellt hat. Es wird allgemein für zulässig erachtet, daß ein
Gericht um die Vernehmung eines Angeklagten für den Fall ersucht, daß er die
Befreiung von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung beantragt (vgl.
Löwe-Rosenberg, StPO, § 233, Rdz. 25; BGH NJW 73/204 f = BGHSt 25/42 f). Soweit
das Amtsgericht der zuletzt genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs entnimmt,
eine gerichtliche Vorladung eines Angeklagten vor Stellung des Entbindungsantrages
sei deshalb unzulässig, weil mit einer derartigen Ladung psychischer Druck auf den
Angeklagten ausgeübt werde und das Gericht sich gerade in Achtung der
Entschlußfreiheit des Angeklagten jeden Zwanges zu enthalten habe, verkennt es, daß
der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung eine zwangsweise Vorführung
des Angeklagten zum Zwecke der kommissarischen Vernehmung nach § 233 StPO erst
dann für statthaft hält, wenn ein Entbindungsantrag seitens des Angeklagten gestellt
worden ist. Über die Zulässigkeit einer einfachen Ladung zu einem Vernehmungstermin
verhält sich diese Entscheidung nicht ausdrücklich; im Gegenteil ist ihr zu entnehmen,
daß eine kommissarische Vernehmung ohne zwangsweise Vorführung eines
Angeklagten sehr wohl statthaft ist, auch wenn nicht schon vorher ein Antrag nach § 233
Abs. 1 StPO vorliegt, dieser vielmehr erst vor dem ersuchten Richter gestellt wird, der
den Angeklagten auch über seine diesbezüglichen Rechte belehrt. Andernfalls würde
sich die in der genannten Entscheidung behandelte Frage gar nicht erst stellen.
3
Daß eine Überlastung des Rechtshilfegerichts eine Ablehnung des
Rechtshilfeersuchens nicht rechtfertigen kann, liegt auf der Hand (vgl. hierzu OLG
Hamm MDR 1971/69).
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Nach alledem war der angefochtene Beschluß ... aufzuheben. Das Amtsgericht Essen
war anzuweisen, dem gestellten Rechtshilfeersuchen des Amtsgerichts Hannover zu
entsprechen.
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