Urteil des OLG Hamm vom 28.09.2010
OLG Hamm (öffentliche urkunde, wiedereinsetzung in den vorigen stand, vollstreckung der strafe, beschwerde, unvollständige angabe, bedingte entlassung, zustellung, stpo, urkunde, verfügung)
Oberlandesgericht Hamm, III-3 Ws 419-421/10
Datum:
28.09.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-3 Ws 419-421/10
Vorinstanz:
Landgericht Detmold, 4 StVK 108, 109/08 und 200/09 Bew.
Schlagworte:
Postzustellungsurkunde Zustellungsgegenstand Geschäftszeichen
Normen:
StPO § 311 Abs. 2; ZPO § 418
Leitsätze:
Die unvollständige Angabe der (mehreren) Geschäftszeichen auf dem
hierfür vorgesehenen Bezeichnungsfeld einer Postzustellungsurkunde
führt nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als
unzulässig verworfen.
Gründe:
1
I.
2
Mit Urteilen vom 04.11.2005 (2 Ds 22 Js 750/05-789/05) und 22.08.2006 (2 Ds 36 Js
1094/06-442/06) verhängte das Amtsgericht Detmold wegen Diebstahls in 4 Fällen und
Betruges in 2 Fällen sowie wegen Diebstahls in 2 Fällen, in einem Fall geringwertiger
Sachen, Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils 8 Monaten gegen den strafrechtlich bereits
in Erscheinung getretenen Verurteilten.
3
Der Verurteilte trat die Verbüßung beider Strafen an. Mit Beschluss vom 01.07.2008
sprach die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold in beiden Verfahren
die bedingte Entlassung des Verurteilten zum 2/3-Zeitpunkt aus.
4
Mit weiterem Urteil vom 19.12.2008 (2 Ds 23 Js 895/08-1197/08) verhängte das
Amtsgericht Detmold wegen Diebstahls und Verstoßes gegen das
Betäubungsmittelgesetz eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten gegen den
Verurteilten und setzte die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus.
5
Wegen einer neuerlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten durch das
Amtsgericht Paderborn vom 22.02.2010 (23 Ds 441 Js 1137/09-829/09) hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold mit dem angefochtenen
Beschluss vom 18.05.2010 sowohl die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil
6
des Amtsgerichts Detmold vom 19.12.2008 als auch die mit Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Detmold vom 01.07.2008 bewilligte
Reststrafaussetzung widerrufen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
7
II.
8
Die nach §§ 453 Abs. 1, 2 StPO, 57 Abs. 3, 56 f StGB statthafte sofortige Beschwerde ist
unzulässig, da sie nicht innerhalb der gem. § 311 Abs. 2 StPO für die sofortige
Beschwerde geltenden einwöchigen Frist eingelegt worden ist.
9
1.
10
Ausweislich der bei dem Bewährungsheft befindlichen Postzustellungsurkunde ist der
angefochtene Beschluss dem Verurteilten am Samstag, den 22.05.2010, durch
persönliche Übergabe an der ihm zuzuordnenden Wohnanschrift zugestellt worden. Die
Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde lief danach gem. §§ 311 Abs. 2, 35 Abs.
2, 43 Abs. 2 StPO am Montag, den 31.05.2010 ab.
11
Das Beschwerdeschreiben des Verurteilten vom 02.09.2010 ist dem Eingangsstempel
der Justizbehörde zufolge erst am 06.09.2010 und damit verspätet beim Landgericht
Detmold eingegangen.
12
2.
13
Zweifel an der Wirksamkeit der unter dem 22.05.2010 erfolgten Zustellung bestehen
auch nicht deswegen, weil die Postzustellungsurkunde in dem hierfür vorgesehenen
Bezeichnungsfeld allein das Geschäftszeichen 4 StVK 108/08 BEW (22 Js 750/05 V
StA Detmold) und nicht auch die weiteren Geschäftszeichen der angefochtenen
Entscheidung ausweist.
14
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor - und werden auch von der Beschwerde nicht
vorgebracht - dass es sich bei dem Zustellungsgegenstand nicht um den angefochtenen
Beschluss vom 18.05.2010 gehandelt hat.
15
Bei der vom Postzusteller ausgefertigten Postzustellungsurkunde handelt es sich um
eine öffentliche Urkunde i.S. des § 418 ZPO, deren Beweiskraft so weit reicht, wie
gewährleistet ist, dass die zur Beurkundung berufene Amtsperson die Tatsachen selbst
verwirklicht oder aufgrund eigener Wahrnehmungen zutreffend festgestellt hat (vgl.
BGH, NJW 2004, S. 2386; OLG Jena, NJOZ 2006, S. 844). Sie erfasst keine außerhalb
dieses Bereichs liegenden Umstände (BGH, wie vor). Bekundet wird vom
Postbediensteten folglich nur die persönliche Übergabe der zuzustellenden
Postsendung (Briefumschlag) an den Betroffenen und die Identität der Bezeichnung auf
der Postsendung und der Postzustellungsurkunde, aber gerade nicht die
Übereinstimmung zwischen der zuzustellenden Postsendung auf der
Postzustellungsurkunde mit dem Inhalt des Briefumschlags, denn dieser ist ihm nicht
bekannt (OLG Jena, NJOZ 2006, S. 844; siehe auch OLG Stuttgart, BeckRS 2010,
21523).
16
Ob auch die Angaben des Sachbearbeiters der Geschäftsstelle in dem
17
Geschäftsnummernfeld eine eigenständige öffentliche Urkunde i.S. des § 418 ZPO
darstellen und damit den Nachweis darüber führen, welche Entscheidungen oder
Schriftstücke in den zu verschließenden Briefumschlag eingelegt worden sind, wird
nicht einheitlich beurteilt (zustimmend insoweit Niedersächsisches FG, DStRE 2005, S.
114 m.w.N.; a.A. OLG Jena, NJOZ 2006, S. 844). Zum Teil wird dementgegen darauf
abgestellt, dass die Zustellungsurkunde in Zusammenhang zu sehen sei mit dem
Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle. Dieser sei, da er die niedergeschriebene
Erklärung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle darstelle, dass die Verfügung des
Tatrichters ausgeführt wurde - entsprechend etwa dem gerichtlichen Eingangsstempel
(vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 30.10.1997 - VII ZB 19/97) - als öffentliche Urkunde i. S. d. §
418 ZPO anzusehen (so OLG Jena, NJOZ 2006, S. 844). Durch ihn werde die Handlung
einer Behörde nicht nur für den innerdienstlichen Gebrauch, sondern für jeden
Aktennutzer beurkundet und dadurch der volle Beweis dafür begründet, dass die
richterliche Verfügung ausgeführt wurde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.02.2000 - 4
U 62/99). Hierdurch werde folglich der Nachweis geführt, dass die gemäß richterlicher
Verfügung zuzustellenden Schriftstücke in den zugestellten Briefumschlag eingelegt
worden sind, und damit die Übereinstimmung zwischen der Inhaltsangabe auf dem
Geschäftsfeld der Postzustellungsurkunde und dem Inhalt der Postsendung (OLG Jena,
a.a.O.; vgl. hierzu auch § 8 Ziff. 5 der Geschäftsordnung für die Gerichte und die
Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen, AV d. JM vom 10. Mai 2000
(1463 – I D.4) i.d.F. v. 23. Februar 2010).
Im vorliegenden Fall kann letztlich dahinstehen, welcher Betrachtungsweise der Vorzug
zu geben ist, denn im Lichte beider steht die Wirksamkeit der Zustellung nicht in Frage.
18
Ausweislich des auf Blatt 117 des Bew.-H. zum Verfahren 22 Js 750/05 StA Detmold
befindlichen Erledigungsvermerks der Geschäftsstelle vom 20.05.2010 ist die unter
sämtlichen strafvollstreckungsrechtlichen Aktenzeichen verfasste beschlussbegleitende
richterliche Zustellungsverfügung vom 18.05.2010 ausgeführt worden.
19
Damit steht fest - zumal unter dem Beschlussdatum 18.05.2010 keine weitere förmliche
richterliche Entscheidung ersichtlich ist - dass die hier angefochtene Entscheidung -
trotz unvollständiger Bezeichnung im dafür vorgesehenen Beschriftungsfeld -
Gegenstand der unter dem 22.05.2010 bewirkten Zustellung war.
20
Der auf die richterliche Verfügung gesetzte Erledigungsvermerk im Zusammenhang mit
der Postzustellungsurkunde bezeugt danach die Übereinstimmung des zugestellten
Schriftstücks mit der entsprechend der richterlichen Zustellungsanordnung zu
übermittelnden und einheitlich und in einem Beschluss ergangenen Entscheidung.
21
Misst man den Angaben im Geschäftsnummernfeld die rechtliche Qualität einer
öffentlichen Urkunde bei, ergibt sich gleichfalls nichts anderes. Bei sinnhafter
Auslegung der Urkunde kommt allein die In-Bezugnahme der angefochtenen und in
einem Schriftstück ergangenen einheitlichen Entscheidung vom 18.05.2010 in Frage
insbesondere da sich in den vorliegenden Bewährungsheften keine anderweitigen
Entscheidungen selben Datums befinden, die ansonsten theoretisch als weiterer
Zustellungsgegenstand denkbar wären. Trotz der Unvollständigkeit der
Geschäftszeichenbezeichnung wäre danach eine diesbezüglich fehlerhafte Zustellung
ausgeschlossen - und wird im übrigen auch vom Verurteilten in keiner Weise
vorgetragen-.
22
Dass unter dem 04.06. und 01.09.2010 weitere Zustellungen der angefochtenen
Entscheidung – nunmehr mit sämtlichen Geschäftszeichen im Beschriftungsfeld - erfolgt
sind, stellt danach die Wirksamkeit der Zustellung vom 22.05.2010 und das In-Gang-
Setzen des Fristenlaufs für die Einlegung des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde
nicht Frage.
23
3.
24
Der Senat sieht auch keine Veranlassung, dem Verurteilten gem. §§ 44, 45 Abs. 2 S. 3
StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung
der Beschwerdeeinlegungsfrist zu gewähren.
25
4.
26
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der sofortigen Beschwerde auch in
27
der Sache kein Erfolg beschieden gewesen wäre, da anhand des wiederholten
Bewährungsversagen des Verurteilten sichtbar wird, dass die Erwartung einer positiven
Sozialprognose nicht gerechtfertigt erscheint.
28
III.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
30