Urteil des OLG Hamm vom 13.10.2009
OLG Hamm (beschwerde, sache, schneider, haft, zulassung, meinung, auflage, mandant, strafverfahren, zpo)
Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 185/09
Datum:
13.10.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 185/09
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, II-1 Qs 49/09
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Beschwerde des Rechtsanwalts T2 vom 24. Februar 2009 gegen
den Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 05. Januar 2009 wird als
un-zulässig verworfen.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs.
2 S.2, 3 RVG).
Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht Bochum bestellte Rechtsanwalt T2 am 09. Juli 2008 zum
Pflichtverteidiger in dem gegen den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen
geführten Strafverfahren 33 Ds-5 Js 266/08-277/08. Mit Beschluss vom 18. August 2008
wurde das Strafverfahren 33 Ds-520 Js 466/08-380/08 und mit Beschluss vom 01.
September 2009 das Strafverfahren 33 Cs-520 Js 249/98-306/08 mit dem Verfahren 33
Ds-5 Js 266/08-277/08 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Es wurde jeweils das Verfahren 33 Ds-5 Js 266/08-277/08 als federführend sowie weiter
bestimmt, dass die bereits erfolgt Beiordnung von Rechtsanwalt T2 auch für die
hinzuverbundenen Verfahren gelten soll.
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Am 29. Juni 2008 wurde der Angeklagte wegen Strafvollstreckung in anderer Sache
(Staatsanwaltschaft Bochum 520 Js 93/07) in der Justizvollzugsanstalt Bochum
inhaftiert.
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Nach Abschluss des Strafverfahrens durch Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 11.
September 2008 - zu dieser Zeit befand sich der Angeklagte immer noch in der zuvor
genannten Sache in Haft -, beantragte RA T2 mit Schriftsatz vom 11. September 2008
die ihm entstandenen Pflichtverteidigergebühren gemäß beigelegten Liquidationen
festzusetzen. Diese bezifferte er unter Einschluss eines Haftzuschlages für die
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Grundgebühren und in dem führenden Verfahren darüber hinaus für die Verfahrens- und
Terminsgebühr auf insgesamt 1.101,35 €.
Mit Entscheidung vom 25. November 2008 setzte die Rechtspflegerin des Amts- gerichts
Bochum eine aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung in Höhe von insgesamt
916,90 € fest. Zur Begründung der vorgenommenen Absetzungen führte sie unter
Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 06. Juni 2005 – 2 (s)
Sbd. VIII 110/05 - aus, dass der Haftzuschlag nur für diejenige Sache berechnet werden
dürfe, in welcher der Mandant eingesessen habe; dem Akteninhalt nach habe der
Mandant aber in andere Sache eingesessen.
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Gegen diesen Beschluss legte Rechtsanwalt T2 mit Schreiben vom 01. Dezember 2008
Erinnerung ein. Er beanstandet die Absetzung des Haftzuschlages und meint, dass es
für die Entstehung desselben unerheblich sei, in welcher Angelegenheit der Mandant
sich in Haft befunden habe.
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Der Bezirksrevisor beim Landgericht Bochum beantragte die Zurückweisung der
Erinnerung. Die Rechtspflegerin half der Erinnerung unter dem 15. Dezember 2008
nicht ab. Mit Beschluss vom 05. Januar 2009 wies die Richterin des Amtsgerichts
Bochum die Erinnerung unter Hinweis auf die zitierte Senatsentscheidung als
unbegründet zurück.
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Gegen diesen, ihm am 20. Februar 2009 zugestellten Beschluss wendet sich
Rechtsanwalt T2 mit seinem "Rechtsmittel" vom 24. Februar 2009.
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Die Richterin des Amtsgerichts Bochum ergänzte am 29. April 2009 den Beschluss vom
05. Januar 2009 im Hinblick auf die Nichterreichung des Beschwerdewertes des § 33
Abs. 3 S. 1 RVG dahin, dass gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 RVG wegen der grundsätzlichen
Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die Beschwerde zugelassen wird.
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Die 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum, auf die die Sache vom Einzelrichter
übertragen worden war, hob den Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 05. Januar
2009 mit Beschluss vom 10. Juni 2009 auf, gewährte dem Verteidiger den ursprünglich
geltend gemachten Haftzuschlag von 184,37 € (richtig: 184,45 €) und ließ die weitere
Beschwerde zu.
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Gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum, dem Bezirksrevisor zugestellt am 18.
Juni 2009, wendet sich dieser mit seiner weiteren Beschwerde vom 22. Juni 2009.
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II.
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Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet.
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Die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm hat zu der weiteren
Beschwerde unter dem 01. September 2009 u.a. wie folgt Stellung genommen:
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" Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingereicht
worden (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 6, 3 S. 3 RVG).
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In der eigentlichen
Rechtsfrage des Haftzuschlages
Landgericht die grundsätzliche Bedeutung zugemessen wurde, ist der
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landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung m.E. allgemein uneingeschränkt
beizupflichten. Die insoweit im Mittelpunkt der Kernfrage stehende Entscheidung
des OLG Hamm vom 06.06.2005 (2 (s) Sbd VIII – 110/05), in der eine Gebühr mit
Haftzuschlag für das hinzuverbundene Verfahren verneint wurde, weil der Mandant
nur wegen des "führenden" Verfahrens in Haft genommen worden war, ist m.E.
weder mit dem Sinn noch mit dem Wortlaut des RVG zu vereinbaren. Der die
Entscheidung verfassende Einzelrichter des damalig zuständigen Strafsenats hat
seiner Entscheidung auch bereits in der 1. Auflage seines herausgegebenen
Kommentars RVG – Straf- und Bußgeldsachen (vgl. Vorbemerkung 4 Rn 82 f., 81
in der 1. Aufl. von 2004, wdh. in der Rn 89 f., 87 in der 2. Aufl. von 2007)
widersprochen.
Nach ganz herrschender Meinung muss sich der Beschuldigte nicht in der Sache in
Haft befinden, in der ihn der Rechtsanwalt verteidigt. Auch wenn er sich in anderer
Sache in (Untersuchungs-)Haft befindet, entstehen deswegen selbstverständlich
Erschwernisse für den Rechtsanwalt, die die Anwendung der Zuschlagsgebühr
rechtfertigen. Mit dem Zuschlag sollen nämlich die Schwierigkeiten bzw.
Erschwernisse, die der Rechtsanwalt hat, um Zugang zu seinem Mandanten zu
bekommen, um sich mit diesem zu besprechen, insbesondere also Besuche in der
Justizvollzugsanstalt abgegolten werden. Von der allgemeinen Meinung (vgl. auch
Gerold / Schmidt / Burhoff, VV Vorb. 4 Rn. 46; Schneider / Wolf, AnwaltKommentar
RVG, 4. Auflage 2008 Autor: N. Schneider, Vorbemerkung 4 RVG Rn 46;
Baumgärtel /Hergenröder / Houben, RVG, 14. Auflage 2009, Autor: Baumgärtel,
Vorbemerkung 4 Rn 22 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu Teil 4
VV, BT-Drucks. 15/1971, S. 221; BeckOK RVG, Autor: Kotz, Vorbemerkung 4 Rn
95 f.) abweichende Kommentarstellen sind mir nicht bekannt.
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Somit ist auch die auf Bl. 83 beschriebene Korrespondenz, in dem der Verfasser
der kritisierten Entscheidung vom 06.06.2005 und Herausgeber des o.a.
Kommentars die Entscheidung als eine "unzweifelhafte Fehlentscheidung"
gewertet haben mag, nachvollziehbar.
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Die vom Bezirksrevisor herangezogene Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 28.09.1995 (2 BvR 1499/95) steht dem nicht
entgegen. Sie befasst sich mit einer gerichtlichen Entscheidung zu einer Vorschrift
der damaligen BRAGO, zu der es zum einstigen Zeitpunkt noch keine feste
Auslegungspraxis gab. Die heutige allgemeine Meinung zur Anwendung der
Gewährung des Haftzuschlages im RVG wird m.E. fast ausnahmslos angewandt.
Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht die hier vertretene Auffassung auch
als naheliegend bezeichnet und die gegenteilige Entscheidung lediglich als
objektiv nicht willkürlich eingestuft.
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Die vom Bezirksrevisor eingelegte weitere Beschwerde wäre demnach als
unbegründet zurückzuweisen.
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M.E. ist ihr aber wegen eines verfahrensrechtlichen Mangels stattzugeben.
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Denn die nachträgliche Zulassungsentscheidung im Ergänzungsbeschluss des
Amtsgerichts Bochum vom 29.04.2009 war m.E. unbeachtlich, so dass die sofortige
Beschwerde bereits unzulässig war. Zur Nachholung der Zulassungsentscheidung
führt Volpert im Kommentar Burhoff (Hrsg.), RVG – Straf- und Bußgeldsachen, 2.
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führt Volpert im Kommentar Burhoff (Hrsg.), RVG – Straf- und Bußgeldsachen, 2.
Auflage 2007, über lexisnexis.com, § 33 Rn 20 Folgendes aus: "Aus der
Gesetzesbegründung ergibt sich, dass nach Vorstellung des Gesetzgebers die
Zulassung der Beschwerde nicht nur in der angefochtenen Entscheidung erfolgen,
sondern auch noch später – etwa nach Einlegung und Begründung der
Beschwerde – nachgeholt werden kann (BT-Drucks. 15/1971, S. 196 und 157). Die
Möglichkeit der nachträglichen Zulassung der Beschwerde ist jedoch in den
Gesetzeswortlaut nicht aufgenommen worden, so dass die nachträgliche
Zulassung von der überwiegenden Meinung abgelehnt wird (BGH, FamRZ 2004,
530 = NJW 2004, 779; OLGR Saarbrücken 2005, 513; LG Koblenz, FamRZ 2005,
741 [LG Koblenz 11.11.2004 – 9 Qs 223/04]; AnwKomm-RVG/E. Schneider, § 33
Rn. 87; vgl. AnwKomm-RVG/Schnapp, § 56 Rn. 17; Hartmann, KostG, § 33 RVG
Rn. 21; Gerold/Schmidt/Madert, § 33 Rn. 19; a.A. Hartung/Römermann/Hartung, §
56 Rn. 31). … Enthält die Erinnerungsentscheidung keine Zulassung der
Beschwerde, ist dies als konkludente Nichtzulassung der Beschwerde anzusehen
(vgl. OLGR Saarbrücken 2005, 513; NJW-RR 1999, 214; LG Koblenz, FamRZ
2005, 741 [LG Koblenz 11.11.2004 – 9 Qs 223/04]; AnwKomm-RVG/E. Schneider,
§ 33 Rn. 88)." Soweit Schneider im Kommentar Schneider/Wolf, AnwaltKommentar
RVG, 4. Auflage 2008, über lexisnexis.com, § 33 Rn 88, 89 neben einer
unbeachtlichen Ergänzung nach § 321 ZPO eine Berichtigung des Beschlusses
nach § 319 ZPO in Betracht zieht, dürfte es seiner Meinung nach für die Annahme
einer "offenbaren" Unrichtigkeit aber nur selten einen zureichenden Grund geben.
M.E. reicht das Übersehen des Nichterreichens des Beschwerdewertes für eine
"offfenbare Unrichtigkeit" nicht aus (vgl. dazu auch BGH, MDR 2009, 887). Die
Beschwerde hätte damit vom Landgericht mangels wirksamer Zulassung als
unzulässig verworfen werden müssen."
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Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
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Im Hinblick auf den bereits zur Begründetheit der weiteren Beschwerde führenden
Verfahrensmangel ist es zwar nicht erforderlich, in dieser Sache zu der in Rede
stehenden Frage des Haftzuschlages Stellung zu nehmen.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache und aus Gründen der
Rechtssicherheit merkt der Senat aber an, dass er an der in dem Senatsbeschluss vom
06. Juni 2005 – 2 (s) Sbd. VIII 110/05 – geäußerten Rechtsauffassung nicht fest- hält
und diese ausdrücklich aufgibt.
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Für die Gewährung des (Haft-) Zuschlages gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 4 VV RVG
kommt es nur darauf an, dass sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet, nicht
aber darauf, ob die Unfreiheit aus dem gegenständlichen oder einem anderen Verfahren
resultiert. Ein anderes Verständnis dieser Regelung gibt deren Wortlaut nicht her. Es ist
auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift, den durch eine Inhaftierung des Beschuldigten
grundsätzlich auftretenden Mehraufwand des Verteidigers bei der Abwicklung des
Mandates auszugleichen, unvereinbar.
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